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Bestehender Sozialhilfe-Bezug versus finanzielle Selbständigkeit
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Die Zielsetzung der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs 5 NAG besteht darin, dass nur in solchen Fällen ein Aufenthaltstitel erteilt wird, in denen eine Unterstützung durch Sozialhilfeträger nicht notwendig sein wird. Sind die Fremden für ihre Lebensführung jedenfalls auf die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen in Form der Mindestsicherung angewiesen, ist die Voraussetzung des § 11 Abs 2 Z 4 NAG - gemessen allein an der Vorgabe des § 11 Abs 5 erster Satz NAG - nicht erfüllt. II. Nach § 11 Abs 5 letzter Satz NAG sind in Verfahren bei Erstanträgen soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insb Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage. Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Zusammenführenden ist danach zu beurteilen, wie sie sich ohne den Zuzug des Fremden darstellen würde. III. Für die Klärung des Verhältnisses zwischen dem ersten und dem letzten Satz des § 11 Abs 5 NAG ist zu beachten, dass der später angefügte letzte Satz des § 11 Abs 5 NAG eine Sonderregelung explizit nur für Verfahren über Erstanträge trifft. In Verfahren über Verlängerungsanträge richtet sich die Erfüllung der Voraussetzung des § 11 Abs 2 Z 4 NAG in einer Konstellation, in der den Regelungen in § 11 Abs 5 zweiter bis vierter Satz NAG keine entscheidungserhebliche Bedeutung zukommt, daher allein nach den Vorgaben des § 11 Abs 5 erster Satz NAG. Die Erläuterungen zur Novelle BGBl I 111/2010 (RV 981 BlgNR 24. GP, 160) sowie das Abstellen auf die (vom ersten Satz des § 11 Abs 5 NAG nicht erfassten) sozialen Leistungen der Ausgleichszulage, des Kinderbetreuungsgeldes oder der Familienbeihilfe deuten aber gerade nicht darauf hin, dass durch § 11 Abs 5 letzter Satz NAG für Verfahren über Erstanträge eine - was den Nachweis von Einkünften durch den Bezug von Sozialhilfeleistungen betrifft - großzügigere Regelung als bei Verfahren über Verlängerungsanträge getroffen werden sollte. IV. Der Rsp des VwGH zur Rechtslage vor der Novelle BGBl I 111/2010 zufolge ist dann, wenn nach der Erteilung des Aufenthaltstitels ein Anspruch auf Ausgleichszulage (die keine Sozialhilfeleistung der Gebietskörperschaft iSd § 11 Abs 5 erster Satz NAG ist) bestanden hat, dies bei der Errechnung der zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel zu berücksichtigen. Der neu angefügte letzte Satz des § 11 Abs 5 NAG stellt insofern eine Reaktion auf diese Rechtsprechung dar, als derartige soziale Leistungen bei Erstanträgen nunmehr nicht zu berücksichtigen sind. V. Ungeachtet dessen, dass in § 11 Abs 5 letzter Satz NAG unter den dort bezogenen sozialen Leistungen auch die (im ersten Satz dieser Bestimmung angesprochenen) "Sozialhilfeleistungen" genannt werden, kann aus dieser Bestimmung nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass Sozialhilfeleistungen, auf die bereits vor der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels (auf Grund anderer Bestimmungen) ein Rechtsanspruch bestand, in Verfahren über Erstanträge als eigene Einkünfte zu berücksichtigen sind. Für diese Sichtweise sprechen nicht zuletzt auch die Ausführungen des VfGH im Erkenntnis G 106/12, G 17/13, wo es heißt, es ist "schon wegen Vorschriften wie § 11 Abs 5 NAG 2005" nicht möglich, Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften als "eigene Einkünfte" iSd § 10 Abs 5 StbG zu verstehen (vgl VfGH 1.3.2013, G 106/12, G 17/13).
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1127
Fehlende Unterschrift am im Akt einliegenden Bescheid
LEITSATZ DES GERICHTS: Da der im Akt des BFA einliegende Bescheid mit keiner Unterschrift iSd § 18 Abs 3 AVG versehen wurde, ist von einem "Nichtbescheid" auszugehen.
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Formal-gesetzlich determinierter "Kriterienkatalog" zur Annahme einer Fluchtgefahr
LEITSATZ DES GERICHTS: Art 2 lit n Dublin III-VO verlangt unmissverständlich gesetzlich geregelte Kriterien zur Konkretisierung der im Unionsrecht für die Verhängung von Schubhaft normierten Voraussetzungen des Vorliegens von "Fluchtgefahr". Zum Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides (Juli 2015) verfügte das FPG über keinen formal-gesetzlich determinierten "Kriterienkatalog" zur Annahme einer Fluchtgefahr. Ein Rückgriff auf Kriterien, die der VwGH va zum Tatbestand der Z 4 des § 76 Abs 2 FPG für die Annahme von "Fluchtgefahr" (Gefahr des "Untertauchens") als maßgeblich angesehen hat, wurde verneint.
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1129
Nicht authentische "Wählerevidenzliste" kein taugliches Beweismittel für Feststellung der Annahme einer fremden Staatsangehörigkeit
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Mit der Annahme, dass der dem LVwG Wien zur Verfügung stehende Datensatz den Inhalt einer Liste mit entsprechender Funktion ("türkische Wählerevidenzliste") wiedergebe, wird ein Ergebnis des Verfahrens unterstellt, das im Verfahren gerade nicht geklärt werden konnte. Vielmehr ergibt das Verfahren unstrittig, dass der Datensatz nicht authentisch und hinsichtlich seiner Herkunft und des Zeitpunktes seiner Entstehung nicht zuordenbar ist. Dies schließt es von vornherein aus, dass dieser Datensatz für die Zwecke des § 27 Abs 1 StbG ein taugliches Beweismittel darstellt. II. Die Annahme, dass im Fall einer rechtlichen oder tatsächlichen Unmöglichkeit für das LVwG, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs 1 StbG zu ermitteln, dessen Ermittlungsverpflichtung unter dem Titel einer Mitwirkungspflicht ohne Weiteres auf den Betroffenen überwälzt werden könne und der österreichische Staatsbürger einen entsprechenden Negativbeweis zu erbringen habe, verbietet sich angesichts der der Staatsbürgerschaft zukommenden (und aus ihrem Verlust folgenden) Bedeutung. Soweit das LVwG Wien in seiner Begründung erkennbar von einer solchen Rechtsauffassung ausgeht, unterstellt es § 42 Abs 3 und § 27 Abs 1 StbG einen verfassungswidrigen Inhalt.
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Zurückweisung von Asylwerbern an der Grenze ohne Entgegennahme ihrer Anträge auf internationalen Schutz
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Entscheidungen von Grenzkontrollorganen, mit denen Ausländern trotz eines Antrags auf internationalen Schutz die Einreise verweigert wird, sind diesem Staat zurechenbar und fallen somit in seine Hoheitsgewalt iSv Art 1 EMRK. Es ändert auch nichts an der Verantwortlichkeit dieses Staates, wenn es den betroffenen Personen später gelingt, in einem anderen Staat Asyl zu beantragen. II. Wird einem Antragsteller auf internationalen Schutz an der Grenze die Einreise verweigert und ihm diese Entscheidung nicht in einer ihm verständlichen Sprache mitgeteilt, so kann nicht von ihm erwartet werden, dagegen ein Rechtsmittel zu erheben. Eine spätere Beschwerde an den EGMR kann somit nicht wegen Nichterschöpfung des Instanzenzugs für unzulässig erklärt werden. III. Rechtsmittel gegen eine Abschiebung sind nur dann wirksam iSv Art 13 EMRK und Art 35 EMRK, wenn ihnen automatische aufschiebende Wirkung zukommt. IV. Auch eine indirekte Zurückschiebung eines Fremden über einen Drittstaat ändert nichts an der Verantwortlichkeit des abschiebenden Staates sicherzustellen, dass die betroffene Person keiner realen Gefahr einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt wird. Der abschiebende Staat muss sich vergewissern, dass der Drittstaat ausreichende Gewähr dafür bietet, dass die betroffene Person nicht ohne einer Beurteilung der im Herkunftsstaat drohenden Gefahr in diesen zurückgeschickt wird. Diese Verpflichtung ist umso wichtiger, wenn es sich bei dem Drittstaat nicht um einen Mitgliedstaat der EMRK handelt. V. Wenn sich Personen an die Grenzkontrollorgane wenden und nicht verbergen, über kein Visum oder anderes zur Einreise berechtigendes Dokument zu verfügen, kann davon ausgegangen werden, dass ihre Behauptung glaubwürdig ist, um Asyl gebeten zu haben. Wenn sie auf eine ihnen vorgelegte Zurückweisungsentscheidung das Wort "Asyl" schreiben, ist dies ein ausreichender Hinweis für die Grenzkontrollorgane, dass um internationalen Schutz ersucht wird. VI. Die Zurückweisung einer schutzsuchenden Person an der Grenze, ohne auf ihren Asylantrag einzugehen oder diesen an die zuständigen Behörden weiterzuleiten, verletzt Art 3 EMRK.
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