Leitsätze
2972
Dublin-System: Pro Asylantrag ein Merkblatt und ein Gespräch; Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in der EU
Leitsätze
I. Die Art 4 und 5 Dublin III-VO sowie Art 29 Eurodac-VO beinhalten Verfahrensvorschriften, die der Wahrnehmung der Rechte von Antragstellern dienen, gegen die eine Dublinüberstellungsentscheidung ergehen soll. Konkret sind den Antragstellern Informationen in Form eines Merkblattes auszuhändigen und es ist mit ihnen ein persönliches Gespräch zu führen. II. Die geschilderten Verfahrensvorschriften (II.) kommen nicht nur beim ersten Antrag in einem EU-Mitgliedstaat, sondern auch bei einem weiteren Antrag auf internationalen Schutz und in den Fällen des Art 17 Abs 1 Eurodac-VO (Abgleich von Fingerabdrücken illegal Aufhältiger) zum Tragen. III. Soweit das Unionsrecht nicht selbst die Rechtsfolgen einer Verletzung seiner Verfahrensgarantien vorgibt, müssen diese vom Mitgliedstaat unter Beachtung des Effektivitätsgrundsatzes festgelegt werden. IV. Art 27 Abs 1 Dublin III-VO (Anspruch auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf) ist dahin auszulegen, dass damit sowohl inhaltliche Rechtswidrigkeiten bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats als auch die Verletzung von Verfahrensvorschriften gerügt werden können müssen, inklusive der genannten Informations- und Anhörungspflichten. Hinsichtlich ihrer Verletzung ist zu differenzieren: Ein Vorenthalten des persönlichen Gesprächs (Art 5 Dublin III-VO) muss zur Nichtigerklärung der Überstellungsentscheidung durch das Rechtsbehelfsgericht führen, es sei denn, nach nationalem Recht besteht die Möglichkeit des Antragstellers, im Rechtsbehelfsverfahren alle seine Argumente gegen die Überstellungsentscheidung persönlich vorzubringen, und diese Argumente sind dazu geeignet, etwas an der Überstellungsentscheidung zu ändern. Fand hingegen ein persönliches Gespräch statt, wurden jedoch in dessen Vorfeld die nach Art 4 Dublin III-VO gebotenen Informationen (Formblätter) vorenthalten, so hat das Rechtsbehelfsgericht die Nichtigkeit der Überstellungsentscheidung nur dann auszusprechen, wenn dieser Verfahrensfehler für ihr Zustandekommen wesentlich war. V. Aufgrund des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten gilt die Rechtsvermutung, dass Asylanträge in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit GFK und EMRK behandelt werden. VI. Aufgrund der Bedeutung und der Reichweite des Rechtsbehelfs iSd Art 27 Abs 1 Dublin III-VO ist das Gericht verpflichtet, auf Basis objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Lichte der Grundrechte zu prüfen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen. VII. Antragsteller können sich auch auf das Refoulementverbot (insb Art 4 GRC) berufen, wenn keine systematischen Schwachstellen im ersuchten Mitgliedstaat, sondern nur hinsichtlich ihres Falls die Gefahr einer diesem Verbot widerstreitenden Behandlung vorliegt. Das Rechtsbehelfsgericht hat aber nur systematische Schwachstellen wahrzunehmen, diese liegen aber nicht schon deshalb vor, weil die Refoulementgefahr abweichend vom ersuchten Mitgliedstaat beurteilt wird. Solange keine systematischen Schwachstellen im ersuchten Mitgliedstaat vorliegen, darf das Rechtsbehelfsgericht den ersuchenden Mitgliedstaat auch nicht zum Selbsteintritt (Art 17 Abs 1 Dublin III-VO) zwingen.
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Entscheidungsdatum: 30.11.2023
Aufbereitet am: 25.04.2024
2971
Unzureichende Interessenabwägung durch mangelnde Berücksichtigung der Situation des minderjährigen Beschwerdeführers
Leitsätze
I. Für die Prüfung der Auswirkungen der aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bedarf es einer eingehenden Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der Situation des minderjährigen Drittstaatsangehörigen. II. Der bloße Verweis auf die gemeinsame Rückkehr der Kernfamilie ist jedenfalls nicht ausreichend.
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Entscheidungsdatum: 13.06.2023
Aufbereitet am: 24.04.2024
2970
Rückführung schwerkranker minderjähriger Personen in ihren Herkunftsstaat
Leitsätze
Dem jungen Alter und der sich daraus ergebenden besonderen Vulnerabilität kommt für die Beurteilung der Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK im Zusammenhang mit der Rückführung schwerkranker Minderjähriger besondere Bedeutung zu.
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Entscheidungsdatum: 04.10.2023
Aufbereitet am: 23.04.2024
2969
Keine hinreichende gesetzliche Absicherung der Unabhängigkeit der Rechtsberatung und -vertretung
Leitsätze
I. Verletzung des Rechtsstaatsprinzips und des Rechts auf einen effektiven Rechtsschutz wegen fehlender hinreichender gesetzlicher Absicherung der Unabhängigkeit der Rechtsberatung und -vertretung. II. Die nicht hoheitliche, privatrechtsförmige Aufgabenwahrnehmung der Rechtsberatung und -vertretung durch die BBU GmbH stellt keine funktionell staatliche Verwaltungsführung iSd Art 20 Abs 1 B-VG dar.
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Entscheidungsdatum: 14.12.2023
Aufbereitet am: 22.04.2024
2968
Unzulässigkeit der Schubhaft unmittelbar nach einer Strafhaft
Leitsätze
I. Die Schubhaft darf stets nur die "ultima ratio" sein, dh es hat im Fall der beabsichtigten Abschiebung einer fremden Person die Vorgangsweise nach Möglichkeit so gewählt zu werden, dass die Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Befindet sich die fremde Person zB in Strafhaft, so sind währenddessen vom BFA bereits alle Vorkehrungen zu treffen, damit die Abschiebung zeitnah nach der Entlassung aus der Strafhaft stattfinden kann. II. Ist die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und die anschließende Abschiebung einer sich in Strafhaft befindenden fremden Person geplant, so ist das BFA angehalten, etwa ein Aufenthaltsverbot und eine Flugbuchung für die Abschiebung zum absehbaren Ende der Strafhaft hin rasch zu organisieren. Werden nicht zügig alle Vorkehrungen für die Abschiebung getroffen, so ist die angeordnete Schubhaft als unverhältnismäßig zu qualifizieren. III. Befindet sich die fremde Person bereits in Strafhaft und wird die Schubhaft (§ 76 Abs 4 FPG) gegen sie angeordnet, so hat dies mittels eines Bescheids – und nicht wie sonst üblich iSd § 57 AVG (Mandatsbescheid) – zu erfolgen. Dies hat den Hintergrund, dass wegen der Strafhaft keine Gefahr im Verzug dahingehend vorliegt, dass sich die fremde Person etwa ihrer Abschiebung entziehen könnte.
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Entscheidungsdatum: 26.01.2023
Aufbereitet am: 19.04.2024
2967
Neuerlich zum Familienangehörigenbegriff
Leitsätze
I. Der Gesetzeswortlaut von § 2 Abs 1 Z 9 iVm § 47 Abs 2 bzw 3 NAG ist klar und eindeutig. Ein davon abweichender Wille des Gesetzgebers ist nicht erkennbar. Eine planwidrige Lücke, die die Möglichkeit einer analogen Anwendung verwandter Rechtsvorschriften eröffnen würde, liegt nicht vor. II. In bestimmten Konstellationen ist zur Erzielung eines dem Art 8 EMRK gemäßen Ergebnisses der Begriff des Familienangehörigen in § 47 Abs 2 NAG von der Legaldefinition des § 2 Abs 1 Z 9 NAG abzukoppeln und ist in einem solchen Fall auch der betreffende Angehörige als Familienangehöriger, dem ein Anspruch auf Familiennachzug zukommt, erfasst. Von einer solchen besonderen Konstellation kann jedoch nur ausnahmsweise bei Vorliegen ganz besonderer Umstände, wie vor allem bei Bestehen eines besonderen familiären Betreuungsbedarfs erheblich schutzbedürftiger (etwa kranker) Personen oder bei Bestehen besonders enger familiärer Beziehungen bzw Bindungen (vor allem von Kindern) zu im Aufnahmestaat verfestigt aufhältigen Bezugspersonen (vor allem Eltern) ausgegangen werden. III. Die freiwillige Unterstützung der Kindesmutter und die Unterhaltsleistung an das 2014 geborene gemeinsame Kind durch den Drittstaatsangehörigen, der im Übrigen über ein finnisches Daueraufenthaltsrecht verfügt und hauptsächlich in der Schweiz berufstätig ist, machen eine Aufenthaltstitelerteilung iSd Rsp des EuGH (und diesem folgend des VwGH) zu Art 20 AEUV nicht erforderlich. Die im Bundesgebiet in geordneten Verhältnissen lebende Kindesmutter ist die Hauptbezugsperson des gemeinsamen Kindes, ein derartiges Abhängigkeits- bzw Naheverhältnis zum drittstaatsangehörigen Vater, sodass bei Versagung des Aufenthaltstitels das Kind und die Mutter Österreich verlassen müssten oder zumindest eine erhebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls zu erwarten wäre, besteht nicht.
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Entscheidungsdatum: 21.11.2023
Aufbereitet am: 18.04.2024
2966
Mangelnde Ermittlungstätigkeit zur "Integrationsverfestigung" zweier Minderjähriger
Leitsätze
I. Im vorliegenden Fall erweist sich die Ermittlungstätigkeit des BVwG in Bezug auf die Aspekte des Kindeswohls als unzureichend, zumal die damals zehn- bzw zwölfjährigen Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nicht zu ihrer Situation befragt wurden und auch die Mutter zu diesem Thema nur mangelhaft befragt wurde. II. Auf Grund dieser mangelhaften Ermittlungstätigkeit ist es nicht nachvollziehbar, wie das BVwG das Maß der Integration der minderjährigen Beschwerdeführer, das in der nach Art 8 Abs 2 EMRK gebotenen Interessenabwägung zu berücksichtigen ist, beurteilen konnte.
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Entscheidungsdatum: 14.12.2022
Aufbereitet am: 17.04.2024
2965
Zur Bedeutung der Möglichkeit einer Befreiungsgebühr von der Wehrpflicht im Asylverfahren
Leitsätze
I. Die Furcht vor einer zwangsweisen Ableistung des Wehrdienstes oder einer aufgrund der Wehrdienstverweigerung drohenden Bestrafung stellt per se keinen Asylgrund dar. Ist die Verweigerung aber in einem Konventionsgrund begründet oder geht der Wehrdienst mit dem Zwang zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen einher, kann eine asylrelevante Verfolgung vorliegen. II. Ist mit der Ableistung des Wehrdienstes ein Zwang zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen verbunden, so stellt dies keinen Asylgrund dar, wenn durch die nationale Rechtsordnung eine Möglichkeit vorgesehen wird (wie etwa eine angemessene Befreiungsgebühr), um der Wehrpflicht zu entgehen. III. Besteht eine legale Möglichkeit, sich der Wehrpflicht, und damit allenfalls der Pflicht zur Teilnahme an völkerrechtswidrigen Handlungen, zu entziehen, so liegt jedenfalls kein Asylgrund vor, auch wenn die Alternative (etwa eine finanzielle Unterstützung der Armee) aus moralischen Gründen von der betroffenen Person nicht gutgeheißen wird. IV. Stellt sich die Versorgungslage in der Heimatregion eines Asylantragstellers unter anderem aufgrund einer Lebensmittelknappheit als prekär dar, so spricht die persönliche Situation des Betroffenen gegen die Notwendigkeit subsidiären Schutzes, wenn dieser aus einer wohlhabenden Familie stammt, die ihn unterstützen kann, er gesund und arbeitsfähig ist und über einen Universitätsabschluss sowie Berufserfahrung verfügt. V. Ein Bescheid kommt erst mit dessen Erlassung, somit durch rechtsgültige Zustellung oder Ausfolgung, zustande. Ist der erstbehördliche Bescheid aufgrund eines Zustellmangels nie rechtsgültig zustande gekommen, so liegt kein tauglicher Anfechtungsgegenstand vor, weshalb die Rechtsmittelinstanz nicht meritorisch entscheiden darf und eine dagegen gerichtete Beschwerde zurückzuweisen ist.
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Entscheidungsdatum: 06.10.2023
Aufbereitet am: 16.04.2024
2964
Für die Durchführung eines Familienverfahrens wird vorausgesetzt, dass die Ehe bereits vor der Einreise bestand
Leitsätze
I. Für die Anwendung des § 34 Abs 2 und 5 AsylG ist auf Legaldefinition des Begriffs Familienangehörige (§ 2 Abs 1 Z 22 lit b AsylG) abzustellen. II. Voraussetzung für die Durchführung eines Familienverfahrens zugunsten eines Ehepartners ist das Bestehen einer gültigen Ehe vor der Einreise in das Bundesgebiet.
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Entscheidungsdatum: 16.02.2023
Aufbereitet am: 15.04.2024
2963
Sozialleistungen für Familienangehörige von Wanderarbeitnehmern und deren Aufenthaltsrecht
Leitsätze
I. Auch wenn das vorlegende Gericht im Vorabentscheidungsersuchen nicht explizit darauf Bezug genommen hat, sieht sich der EuGH nicht gehindert, alle für die Entscheidung im Anlassfall dienlichen Hinweise zu geben. II. Dass ein Unionsbürger, nachdem er von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hatte, zusätzlich zur Staatsangehörigkeit des Herkunftsmitgliedstaats auch jene des Aufnahmemitgliedstaates erlangt hat, hindert ihn nicht daran, sich weiterhin auf das Freizügigkeitsrecht (Art 21 AEUV, RL 2004/38/EG [Unionsbürger-RL]) zu berufen, weil dieses ansonsten in seiner praktischen Wirksamkeit eingeschränkt würde. Eine Behandlung dieses Falls gleich einem rein innerstaatlichen Sachverhalt verbietet sich sohin. III. Art 7 Abs 1 lit d RL 2004/38/EG verleiht Unionsbürgern ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht für über drei Monate, wenn diese Familienangehörige sind, die einen Unionsbürger, der die Voraussetzungen der lit a, b oder c leg cit erfüllt, begleiten oder ihm nachziehen. Für den Angehörigenbegriff ist Art 2 Z 2 RL 2004/38/EG maßgebend. Soweit der Angehörigenbegriff des Art 2 Z 2 RL 2004/38/EG die Gewährung von Unterhalt verlangt, etwa für die Eltern (lit d), muss diese Voraussetzung vom Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Erlangung eines Daueraufenthaltsrechts (Art 16 ff der RL) durch diese Familienangehörigen vorliegen. IV. Wanderarbeitnehmer genießen in Hinblick auf die sozialen Vergünstigungen im Aufnahmemitgliedstaat eine umfassende Gleichstellung mit dort heimischen Arbeitnehmern (Art 45 Abs 2 AEUV iVm Art 7 Abs 2 VO [EU] 492/2011). Dies trifft auch auf den Zugang zu Sozialleistungen für Familienangehörige iSd Art 2 Z 2 RL 2004/38/EG zu, denen definitionsgemäß Unterhalt gewährt wird. Diese Angehörigeneigenschaft wird sohin durch die Inanspruchnahme einer Sozialleistung nicht in Frage gestellt.
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Entscheidungsdatum: 21.12.2024
Aufbereitet am: 12.04.2024
2962
Keine parallelen Mitwirkungspflichten des Fremden bei bereits eingeleiteter amtswegiger Einholung eines Heimreisezertifikats
Leitsätze
I. Es bestehen keine parallelen Mitwirkungspflichten nach § 46 Abs 2 FPG und § 46 Abs 2a FPG. II. Soweit die Behörde von der Ermächtigung zur Führung eines amtswegigen Verfahrens zur Erlangung eines Heimreisezertifikates nach § 46 Abs 2a FPG Gebrauch macht und der Fremde seiner diesbezüglichen Mitwirkungspflicht nachkommt, so besteht keine zusätzliche Verpflichtung des Fremden, iSd § 46 Abs 2 FPG aus Eigenem an die jeweilige Vertretungsbehörde heranzutreten.
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Entscheidungsdatum: 24.10.2023
Aufbereitet am: 11.04.2024
2961
Abweisung der Säumnisbeschwerde bei mitverschuldeter Verzögerung des Verfahrens
Leitsätze
I. Ein überwiegendes Verschulden der Behörde an der Verfahrensverzögerung wird dann angenommen, wenn die für die zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlassen werden oder grundlos mit diesen zugewartet wird. Ein solches überwiegendes Verschulden ist jedoch zu verneinen, wenn die Behörde bemüht war, das Verfahren zügig zu betreiben. II. Ein Asylwerber hat dem BFA bzw BVwG alle ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel unverzüglich zu übergeben, soweit diese für das Verfahren relevant sind. Soweit solche Informationen der Behörde vorenthalten werden, verletzt der Beschwerdeführer seine Mitwirkungspflicht.
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Entscheidungsdatum: 24.10.2023
Aufbereitet am: 10.04.2024
2960
Keine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten aufgrund der allgemeinen Lage in Syrien
Leitsätze
I. Die GFK setzt das Vorliegen einer "begründeten Furcht vor Verfolgung" voraus, weshalb ein Fremder zur Begründung des beantragten Asylstatus eine konkrete und gezielt gegen ihn gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität darzutun hat. II. Die allgemeine Lage in Syrien gestaltet sich nicht derart, dass bereits jedem, der sich dort aufhält, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste.
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Entscheidungsdatum: 21.08.2023
Aufbereitet am: 09.04.2024
2959
Annahme einer besonderen Gefährdungslage für alleinstehende Frauen in Syrien
Leitsätze
Alleinstehende Frauen unterliegen in Syrien einem besonders hohen Verfolgungsrisiko, wobei das Ausmaß des Risikos vom sozialen Status und der Stellung der Frau oder ihrer Familie abhängt. Unverheiratete, Witwen und Geschiedene sind dabei als besonders gefährdet einzustufen.
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Entscheidungsdatum: 24.08.2023
Aufbereitet am: 08.04.2024
2958
Abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht erlischt durch Wegzug des Ehepartners aus Österreich
Leitsätze
I. Als rechtmäßiger Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen iSd (den Art 16 Abs 2 der RL 2004/38/EG umsetzenden) § 54a Abs 1 NAG kann nur ein den Vorgaben der RL 2004/38/EG entsprechender Aufenthalt angesehen werden. II. Das vom Ehepartner (Unionsbürger) abgeleitete unionsrechtliche Aufenthaltsrecht endet durch dessen Wegzug aus Österreich und bleibt auch (bei einer - wie hier - erst nach dem Wegzug erfolgten Einleitung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens) nicht aufgrund einer später erfolgten Scheidung erhalten. III. Auch der EuGH hat festgehalten, dass das (unionsrechtliche) Aufenthaltsrecht des im Aufnahmemitgliedstaat zurückbleibenden, einem Drittstaat angehörenden Ehegatten bereits mit dem Wegzug des Unionsbürgers erloschen ist, wenn der Unionsbürger vor der Einleitung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens den Aufnahmemitgliedstaat verlässt, um sich in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat niederzulassen, und dass ein späterer Scheidungsantrag nicht zum Wiederaufleben dieses Rechts führen kann, weil Art 13 der RL 2004/38/EG nur von der "Aufrechterhaltung" eines bestehenden Aufenthaltsrechts spricht.
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Entscheidungsdatum: 21.11.2023
Aufbereitet am: 05.04.2024
2957
Notwendige Ermittlungstätigkeit zur Beurteilung der Wirkungen einer im Ausland geschlossenen Ehe
Leitsätze
I. Ausländisches Recht stellt gemäß der Judikatur des VwGH keine Rechtsfrage, sondern eine Tatfrage dar. Der Grundsatz "iura novit curia" gilt in Bezug auf ausländisches Recht nicht, sodass dieses in einem amtswegigen Ermittlungsverfahren festzustellen ist und eine Mitwirkungspflicht der Partei nur soweit erforderlich besteht. II. Maßgebliches fremdes Recht ist von Amts wegen zu ermitteln und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden, wobei es in erster Linie auf die dort von der Rsp geprägte Anwendungspraxis ankommt.
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Entscheidungsdatum: 21.08.2023
Aufbereitet am: 04.04.2024
2956
Abweisung von Säumnisbeschwerden wegen fehlenden Verschuldens der Behörde
Leitsätze
I. Sind Verzögerungen bei der Entscheidung über Anträge nicht durch die Behörde verschuldet, so sind allfällig erhobene Säumnisbeschwerden grds abzuweisen. Liegt eine außergewöhnliche Belastungssituation, zB angesichts einer massiven Steigerung der Anträge auf internationalen Schutz und eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts für Vertriebene (Krieg in der Ukraine), vor und hat die Behörde bereits Maßnahmen gesetzt, um einer derartigen Situation zeitnah zu begegnen, so ist der Behörde kein überwiegendes Verschulden anzulasten. II. Bei Maßnahmen, die einen plötzlich auftretenden massiven Mehraufwand eindämmen sollen, ist zu beachten, dass neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst nach einer gewissen Einarbeitungsphase und dem Absolvieren von Schulungen selbstständig im Verfahren eingesetzt werden können, weshalb Personalaufstockungen erst zu einem späteren Zeitpunkt Auswirkungen zeigen. III. Eine Säumnisbeschwerde ist abzuweisen, wenn einer meritorischen Entscheidung ein schuldhaftes Verhalten der Partei oder ein unüberwindbares Hindernis entgegensteht. Ein komplexer Sachverhalt oder eine generelle Überlastung der Behörde ist nicht geeignet, ein unüberwindbares Hindernis darzustellen. Liegen spezifische Ausnahmesituationen vor, wie etwa ein plötzlicher massenhafter Neuanfall von Anträgen, so kann dies sehr wohl ein (kurzfristig) unüberwindbares Hindernis darstellen.
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Entscheidungsdatum: 30.05.2023
Aufbereitet am: 03.04.2024
2955
Mutwillensstrafe (§ 35 AVG) nur im Ausnahmefall; Subsidiarität des 7. Hauptstücks des AsylG gegenüber dem NAG
Leitsätze
I. Damit anlässlich der Beantragung von Aufenthaltstiteln eine Mutwillensstrafe erhoben werden kann (§ 35 AVG), muss der absolute Ausnahmefall des offenkundigen Rechtsmissbrauchs vorliegen. II. Aus § 58 Abs 9 Z 1 AsylG, wonach Anträge auf Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (7. Hauptstück des AsylG) zurückzuweisen sind, wenn sich der Drittstaatsangehörige in einem Verfahren nach dem NAG befindet, ergibt sich neben der Subsidiarität des 7. Hauptstücks des AsylG gegenüber dem NAG auch ein Ausschluss der Parallelität von Verfahren nach beiden Regimen.
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Entscheidungsdatum: 02.10.2023
Aufbereitet am: 02.04.2024
2954
Gegenstandslosigkeit einer aufrechten Rückkehrentscheidung bei zwischenzeitiger Erteilung eines Aufenthaltstitels
Leitsätze
Der Eintritt der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts steht der Aufrechterhaltung einer Rückkehrentscheidung, die an die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts anknüpft, entgegen.
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Entscheidungsdatum: 24.08.2023
Aufbereitet am: 28.03.2024
2953
Spannungsverhältnis zwischen Art 18 Massenzustrom-RL und der Zuständigkeitsnorm des Art 19 Dublin III-VO
Leitsätze
I. Die Verpflichtungen nach Dublin III-VO gehen gemäß Art 19 leg cit ex lege auf den Mitgliedstaat über, der einem Drittstaatsangehörigen nach Stellung seines Antrags auf internationalen Schutz einen Aufenthaltstitel erteilt. II. Dies steht jedoch in einem Spannungsverhältnis zu Art 18 der Massenzustrom-RL, wonach für die Prüfung eines Asylantrages einer Person, die nach dieser Richtlinie vorübergehenden Schutz genießt, jener Mitgliedstaat zuständig ist, der der Überstellung dieser Person in sein Hoheitsgebiet zugestimmt hat.
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Entscheidungsdatum: 20.07.2023
Aufbereitet am: 27.03.2024