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2827

Judikatursammlung

Familiennachzug: grundlegende Verkennung des Schutzstatus von Asylberechtigten und der Anforderungen an das Kindeswohl

Leitsatz des Gerichts:
I. Im Hinblick auf den der Ehegattin und dem Kind des Revisionswerbers zukommenden Status als Asylberechtigte steht fest, dass eine Fortsetzung des Familienlebens im gemeinsamen Herkunftsstaat nicht möglich, jedenfalls aber nicht zumutbar ist. Die in diesem Zusammenhang angestellten verwaltungsgerichtlichen Erwägungen zu einer allfälligen Rückkehrmöglichkeit entbehren einer rechtlichen Grundlage und stehen im Widerspruch zu dem den Familienmitgliedern des Revisionswerbers zukommenden Schutzstatus.

II. Kommt eine Fortsetzung des Familienlebens im gemeinsamen Herkunftsstaat (und auch sonst außerhalb Österreichs) nicht in Betracht, ist der mit der staatlichen Entscheidung, die eine Trennung der Familie bewirkt, verbundene Eingriff in das Familienleben zwar nicht jedenfalls unzulässig, es muss aber dem öffentlichen Interesse an der Vornahme dieser Maßnahme (hier: an der Nichterteilung des Titels) ein sehr großes Gewicht beizumessen sein.

III. Eine Trennung des Revisionswerbers von dessen Ehegattin und der einjährigen Tochter, die beide in Österreich asylberechtigt sind, erfordert eine besonders sorgfältige Prüfung der Auswirkungen dieser Trennung auf die Beziehung des Revisionswerbers zu seiner minderjährigen Tochter sowie auf deren Wohlergehen.

IV. Die Erwägungen des LVwG zu diversen staatlichen bzw staatlich geförderten Kinderbetreuungseinrichtungen in Österreich, sonstigen Betreuungsmöglichkeiten sowie zur Situation anderer berufstätiger Eltern werden den Anforderungen an eine nachvollziehbare und wohl begründete Beurteilung des Kindeswohls nicht gerecht. Im Übrigen wäre in Ansehung des bestmöglich zu wahrenden Wohls des Kindes der Fokus der verwaltungsgerichtlichen Überlegungen nicht auf die mit externen Betreuungsmöglichkeiten einhergehende Unterstützung bzw Entlastung des betreuenden Elternteils zu legen gewesen. Vielmehr wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass die Aufrechterhaltung des Kontakts mittels moderner Kommunikationsmittel mit einem - wie im gegenständlichen Fall rund einjährigen - Kleinkind kaum (bzw nicht) möglich ist. Auch kommt dem Vater eines Kindes (und umgekehrt) grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zu.
- | Online seit - 20.06.2022
2826

Judikatursammlung

Zum rechtmäßigen Aufenthalt iSv § 54a NAG

Leitsatz des Gerichts:
I. Auch wenn die Regelung des Art 18 der Unionsbürger-RL in der Regelung des Daueraufenthaltsrechtes für Angehörige in § 54a NAG keinen ausdrücklichen Niederschlag gefunden hat, sind die Regelungen unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass einem Drittstaatsangehörigen trotz Scheidung vom EWR-Bürger bei Erfüllung der in § 54 Abs 5 Z 1 NAG vorgesehenen Bedingungen auch ein Recht auf Daueraufenthalt zukommen kann.

II. Unter dem in Art 16 Abs 1 der Unionsbürger-RL bezogenen rechtmäßigen Aufenthalt ist ein im Einklang mit den in dieser RL - insb in deren Art 7 Abs 1 - vorgesehenen Voraussetzungen stehender Aufenthalt zu verstehen. Ein Aufenthalt, der nicht die Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 der Unionsbürger-RL erfüllt, kann nicht als ein "rechtmäßiger" Aufenthalt iSd Art 16 Abs 1 leg cit angesehen werden.

III. Für die Frage des rechtmäßigen Aufenthaltes iSd § 54a Abs 1 NAG kommt es nicht auf die Rechtmäßigkeit nach der innerstaatlichen Rechtslage an, sondern auf die Rechtmäßigkeit am Maßstab der Unionsbürger-RL (somit nach den §§ 51 ff NAG).

IV. Ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes ausgestellt wurde, bleibt selbst bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens gemäß § 31 Abs 1 Z 2 FPG rechtmäßig aufhältig. Zumindest in jenem Umfang, in dem ein Drittstaatsangehöriger zwar über eine Aufenthaltskarte, aber kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verfügt, basiert sein rechtmäßiger Aufenthalt somit auf dem NAG.

V. Für die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 54a Abs 1 NAG ist nicht entscheidungserheblich, ob der Aufenthalt rechtmäßig iSd § 31 Abs 1 Z 2 FPG war, sondern ob er als im Einklang mit Art 7 Abs 1 der Unionsbürger-RL stehend anzusehen war. Dass der Prüfung des Bestehens eines fünfjährigen unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes durch (hier) das LVwG im Rahmen der Beurteilung eines Antrages auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte nach § 54a Abs 1 NAG eine aufrechte Aufenthaltskarte entgegenstünde (und insoweit zuerst eine Beseitigung dieser Dokumentation erfolgen müsste), lässt sich dem Beschluss des VwGH vom 16.5.2019, Ro 2019/21/0004, nicht entnehmen.

VI. Wenn das Vorliegen einer aufrechten Aufenthaltskarte der eigenständigen dahingehenden Prüfung durch das LVwG nicht entgegensteht, ob der Aufenthalt über einen (von der Aufenthaltskarte gleichsam abgedeckten) Zeitraum nach Unionsrecht rechtmäßig war, dann kann für die hier zu klärende Frage, ob dem Mitbeteiligten überhaupt ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, nichts anderes gelten. In beiden Fällen geht es darum, dass ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht das Bestehen eines (wiederum) unionsrechtlich rechtmäßigen Aufenthaltes voraussetzt, und nicht darum, ob während des Aufenthaltes eine aufrechte Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes bestand und der Aufenthalt somit allenfalls nach innerstaatlichem Recht (§ 31 Abs 1 Z 2 FPG) rechtmäßig war. In diesem Sinne hat das LVwG einem aus dem Verwaltungsakt ersichtlichen Verdacht des Bestehens einer Aufenthaltsehe trotz Bestehens einer aufrechten Aufenthaltskarte nachzugehen.
- | Online seit - 17.06.2022
2810

Judikatursammlung

Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung iZm § 11 Abs 5 NAG

Leitsatz des Gerichts:
I. Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, die dem Zusammenführenden auch ohne Familienzuzug zustehen, sind bei der Einkommensberechnung gemäß § 11 Abs 2 Z 4 und Abs 5 NAG zu berücksichtigen. § 11 Abs 5 letzter Satz NAG steht dem nicht entgegen.

II. Die in VwGH 27.2.2020, Ra 2019/22/0203, Rz 11 getroffenen Aussagen sind dahin zu verstehen, dass bei Berechnung der für den Unterhalt des Fremden zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (wie Arbeitslosenbezüge und Notstandshilfe) - im Falle von Erstanträgen nur nach Maßgabe des § 11 Abs 5 letzter Satz NAG - zu berücksichtigen sind.
- | Online seit - 15.06.2022
2806

Judikatursammlung

Familiennachzug in Bezug auf asylberechtigten Sohn bzw Bruder

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Familienzusammenführung hat in Fällen, in denen den nachziehenden Familienangehörigen ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG nach Einreise in das Bundesgebiet nicht offen steht, über das NAG zu erfolgen.
II. Wenn hinsichtlich der Rechtswirksamkeit der Zustellung des Asylzuerkennungsbescheides jegliche Feststellungen fehlen, ist sämtlichen Überlegungen zu einer Fristversäumnis die Grundlage entzogen und erweist sich eine darauf basierende Erkenntnisbegründung als nicht tragfähig.
III. Dem Umstand, dass schon die den verwaltungsgerichtlichen Überlegungen zugrunde gelegte Fristversäumnis nicht ersichtlich ist, kommt gegenständlich jedenfalls insoweit (unmittelbare) Bedeutung zu, als das LVwG die Abweisung des Antrages der Erstrevisionswerberin (Mutter der zweit- bis sechstrevisionswerbenden Parteien sowie des Zusammenführenden, bei dem es sich um einen unbegleiteten Minderjährigen iSd RL 2003/86/EG gehandelt hatte) bestätigte und deren im Lichte des Art 10 Abs 3 lit a der RL 2003/86/EG und des dazu ergangenen Urteils des EuGH vom 12.4.2018 näher zu prüfenden Anspruch auf Familienzusammenführung mit Hinweis auf eine Fristversäumnis verneinte. Daraus ergeben sich auch (mittelbare) Auswirkungen auf das Verfahren der zweit- bis sechstrevisionswerbenden Parteien.
- | Online seit - 14.06.2022
2804

Judikatursammlung

Zusammenführender Unionsbürger zur Ausreise gezwungen?

Leitsatz des Gerichts:
I. Für den Fall, dass der die Unionsbürgerschaft besitzende Ehemann der Fremden durch die Verweigerung eines Aufenthaltstitels für seine Ehegattin de facto dazu gezwungen wäre, Österreich und das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen, ist § 2 Abs 1 Z 9 NAG iSd EuGH-Rsp zu Art 20 AEUV unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass der Fremden ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist.
II. Die bloße Tatsache, dass es für einen Unionsbürger aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Unionsgebiet wünschenswert erscheinen könnte, dass drittstaatsangehörige Familienangehörige sich mit ihm zusammen im Unionsgebiet aufhalten können, rechtfertigen aber für sich genommen nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn dem Familienangehörigen kein Aufenthaltsrecht gewährt würde.
- | Online seit - 10.06.2022
2876

Hinweise

Art 72 AEUV ist keine Grundlage für das Nichtbeachten des Sekundärrechts

Kurzdarstellung der einschlägigen Judikatur des EuGH zur Unzulässigkeit der mehrfachen Verlängerung des Grenzschutzes, der zwangsweisen Unterbringung in ungarischen Transitzonen sowie der Nichtumsetzung eines Umsiedlungsbeschlusses des Rates

Leitsatz des Gerichts:
- | Online seit - 09.06.2022
2875

Aufsatz

Die Ukraine-Vertriebenen-Verordnung

Im März 2022 wurde durch den Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates erstmals die MassenzustromRL 2001/55/EG aktiviert. Diese sieht vor, dass die in einem Durchführungsbeschluss genannten Personengruppen aus der Ukraine ohne Einzelfallprüfung in die EU einreisen dürfen und hier ein befristetes Aufenthaltsrecht sowie Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Bildung und zu Sozialleistungen und medizinischer Versorgung haben. Außerdem können sie ihr Zielland frei wählen, also etwa zu Verwandten in einem anderen Mitgliedstaat weiterreisen. Hinsichtlich des Aufenthaltsrechts "doppelt" die "Ukraine-Vertriebenen-Verordnung" (BGBl II 92/2022) die unionsrechtliche Regelung. Dies führt zu Problemen, die ihren Ursprung im Wesentlichen in der (Nicht-) Umsetzung der Richtlinie haben.

Leitsatz des Gerichts:
- | Online seit - 09.06.2022
2802

Judikatursammlung

Kein Erlöschen der Rechtsstellung "Daueraufenthalt – EU" auch bei nur geringer Anwesenheit im Unionsgebiet in Zwölf-Monats-Zeiträumen

Leitsatz des Gerichts:
I. Art 9 Abs 1 lit c RL 2003/109/EG ist dahin auszulegen, dass die bestehende Rechtsstellung als langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger (Art 4 ff leg cit = "Daueraufenthalt – EU" iSd §§ 8 Abs 1 Z 7, 45 NAG) bei Abwesenheiten dieser Drittstaatsangehörigen im Gebiet der EU nicht erlischt, wenn diese weniger als zwölf Monate am Stück betragen.
II. An die Unterbrechungszeiträume der Abwesenheit sind keine Qualitätskriterien zu stellen, es reicht also die zwischenzeitige physische Anwesenheit im Unionsgebiet aus. Insb müssen die betroffenen Drittstaatsangehörigen nicht dartun, hier ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen zu haben.
III. Anders als oben geschildert (I. und II.) sind nur Sachverhalte zu beurteilen, in denen der betroffene Drittstaatsangehörige Rechtsmissbrauch begangen hat. In der überwiegenden Abwesenheit aus dem Unionsgebiet alleine ist ein solcher allerdings nicht zu erblicken.
- | Online seit - 09.06.2022
2801

Judikatursammlung

Lage in Afghanistan nach der Eroberung durch die Taliban; Frage einer fortbestehenden innerstaatlichen Fluchtalternative

Leitsatz des Gerichts:
I. Ein Beschwerdeverfahren ist vom Verwaltungsgericht iSd § 28 Abs 1 VwGVG einzustellen, wenn der Beschwerdeführer seines Erledigungsanspruchs verlustig ging. Dies ist insb bei Zurückziehung der Beschwerde der Fall. Die Einstellung ist in Beschlussform auszusprechen.
II. Auf Grund des landesweiten Taliban-Vormarsches in Afghanistan und aktuell nur eingeschränkt verfügbarer Informationen insb zur aktuellen Erreichbarkeit, Sicherheits- und Versorgungslage betreffend einzelne Herkunftsprovinzen ist derzeit davon auszugehen, dass Antragstellern bezüglich ihrer Herkunftsprovinzen (hier: Bamyan) eine dem Art 2 oder 3 EMRK widerstreitende Behandlung droht.
III. Um subsidiäre Schutzwürdigkeit (§ 8 AsylG) hinsichtlich eines gesamten Herkunftsstaates zu behaupten, also eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 AsylG definitiv ausschließen zu können, muss eine spezifische Vulnerabilität des betreffenden Antragstellers hinzukommen.
- | Online seit - 08.06.2022
2800

Judikatursammlung

Unterhalt oder freiwillige Zuwendungen?

Leitsatz des Gerichts:
I. Der Gesetzgeber hatte bei der Familienzusammenführung gemäß § 47 Abs 3 NAG in erster Linie jene Angehörigen im Blick, die während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet auf Unterhaltsmittel des Zusammenführenden angewiesen sind. Damit soll nur jenen Angehörigen die Möglichkeit des Familiennachzugs eingeräumt werden, bei denen ein - in den Fällen des § 47 Abs 3 NAG näher definiertes, nicht zwingend finanzielles - Abhängigkeitsverhältnis zum Zusammenführenden gegeben ist. Hinsichtlich der Leistungserbringung sind Unterhaltsleistungen von freiwilligen Zuwendungen abzugrenzen, wobei Letztere nicht den Tatbestand des § 47 Abs 3 Z 3 lit a NAG erfüllen.
II. Soweit das LVwG hervorhebt, dass die Nahrungsmittel zum wesentlichen Teil aus der eigenen Landwirtschaft bezogen würden, der Schulbesuch der Kinder gewährleistet sei und die gesamte Familie auf dem landwirtschaftlichen Hof wohne, ist darauf hinzuweisen, dass die Deckung der Grundbedürfnisse einer mehrköpfigen Familie erfahrungsgemäß weit mehr Bereiche umfasst und ein weit darüber hinausgehender Lebensbedarf besteht.
III. IZm § 47 Abs 3 Z 3 lit a NAG ist für die Beurteilung der wirtschaftlichen Abhängigkeit eines Antragstellers von Zahlungen eines Zusammenführenden auf das Existenzminimum im Herkunftsstaat abzustellen. Es sind daher entsprechende Ermittlungen zum Existenzminimum im Herkunftsstaat erforderlich. Zu den Ergebnissen derartiger Erhebungen sind sodann die vom Antragsteller erzielten Einkünfte in Relation zu setzen.
- | Online seit - 07.06.2022
2799

Judikatursammlung

Bestehende Fluchtgefahr aufgrund Angabe einer falschen Identität, massiver Straffälligkeit und illegaler Einreisen

Leitsatz des Gerichts:
I. Das wiederholte Stellen von Asylanträgen, dies auch im Ausland nach dortiger illegaler Einreise unter Angabe einer falschen Identität, massive Straffälligkeit sowie Mittellosigkeit und nicht vorhandene Integration im Bundesgebiet stellen Indikatoren für das Bestehen erheblicher Fluchtgefahr dar. Ein derartiges Verhalten kann eine Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft iSd § 22a Abs 4 BFA-VG rechtfertigen.
II. Scheitert eine Abschiebung an dem dafür benötigten Heimreisezertifikat, so kann vom weiteren Vorliegen der Verhältnismäßigkeit iSd § 22a Abs 4 BFA-VG ausgegangen werden, wenn konkrete Gründe für die Annahme bestehen, dass das Heimreisezertifikat in absehbarer Zeit vorliegen wird.
- | Online seit - 06.06.2022
2798

Judikatursammlung

§ 54 Abs 7 NAG gilt auch bei inzwischen erfolgter Scheidung

Leitsatz des Gerichts:
I. § 54 Abs 7 NAG greift, wenn es sich bei der Ehe, auf die sich der Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte stützte, um eine Aufenthaltsehe handelte, mangels tatsächlichen Bezugs zu einem EWR-Bürger auch in einer Konstellation, in der die betreffende Ehe zum Zeitpunkt der Entscheidung des LVwG bereits geschieden war. Für die Frage der Anwendbarkeit der Bestimmung des § 54 Abs 7 NAG bei Bestehen einer Aufenthaltsehe kommt es darauf an, dass die in Rede stehenden Anträge auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte im Hinblick auf die betreffende Ehe gestellt wurden.
II. Unabhängig von der Frage, ob (fallbezogen) eine Aufenthaltsehe vorlag, ist dann, wenn die EWR-Bezugsperson (hier: ungarische Ex-Ehefrau) Österreich vor Einleitung des Scheidungsverfahrens dauerhaft verlassen hat, nicht von einem Fortbestand der unionsrechtlichen Aufenthaltsberechtigung des Antragstellers auszugehen (siehe zB VwGH 9.9.2021, Ra 2021/22/0142, Rz 11).
III. Auch wenn ein Zeuge im Ausland idR nicht zum persönlichen Erscheinen verhalten werden kann, trifft es zu, dass in Anbetracht der aktenkundigen ungarischen Adressen der ehemaligen Ehegattin vom LVwG zumindest der Versuch zu unternehmen gewesen wäre, die für die Klärung der hier relevanten Fragen offenkundig entscheidende Zeugin unter Heranziehung der in Betracht kommenden, bereits bekannten Anschriften zu laden. Darüber hinaus wäre allenfalls auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen gewesen, über die zuständige ungarische Vertretungsbehörde Auskunft über die aktuelle Meldeadresse der Zeugin zu erhalten. Vor diesem Hintergrund befreite der Umstand, dass der Fremde nach Ansicht des LVwG Gelegenheit gehabt hätte, eigene Anstrengungen zur Eruierung des konkreten Aufenthaltsortes der Zeugin zu unternehmen, das LVwG nicht davon, die soeben angesprochenen Verfahrensschritte zu setzen.
- | Online seit - 03.06.2022
2797

Judikatursammlung

§ 20 Abs 4 NAG gilt auch für "Assoziationstürk:innen"

Leitsatz des Gerichts:
I. Der EuGH hat anerkannt, dass das Ziel der Gewährleistung einer erfolgreichen Integration von Drittstaatsangehörigen im betreffenden Mitgliedstaat einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses (im Hinblick auf Art 13 ARB 1/80 und somit zur Rechtfertigung einer neuen Beschränkung) darstellen kann. Bei der erforderlichen Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind ua die Modalitäten der Umsetzung einer (als zur Zielerreichung geeignet angesehenen) Verpflichtung zu berücksichtigen. Die Prüfung, ob die Einzelheiten der Umsetzung einer neuen beschränkenden Maßnahme über das zur Erreichung des damit verfolgten Zieles Erforderliche hinausgehen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.
II. Ausgehend davon, dass auch auf unionsrechtlicher Ebene an eine längere Abwesenheit die Folge des Entzuges einer besonders begünstigten Rechtsstellung geknüpft und somit die abträgliche Wirkung einer derartigen Unterbrechung des Aufenthaltes für die Integration anerkannt wird, bestehen keine Zweifel, dass mit einer Regelung wie der in § 20 Abs 4 NAG vorgesehenen das Ziel der Gewährleistung einer erfolgreichen Integration von Drittstaatsangehörigen in geeigneter Weise verfolgt wird. Zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ist insb auf die in § 41a Abs 6 iVm § 45 Abs 9 NAG vorgesehene vereinfachte und beschleunigte Möglichkeit der Wiedererlangung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" hinzuweisen.
III. § 20 Abs 4 NAG erfüllt die in der Rsp des EuGH zu Art 13 ARB 1/80 aufgestellten Kriterien für die Zulässigkeit einer neuen Beschränkung.
IV. Da der VwGH mit der Prüfung des § 20 Abs 4 NAG der Rechtsansicht des EuGH Rechnung trägt, bedurfte es im Hinblick auf das Abgehen von seiner früheren Rsp keiner Befassung eines verstärkten Senates.
- | Online seit - 02.06.2022
2796

Judikatursammlung

Zur "Gleichzeitigkeit" einer Rückkehrentscheidung und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung

Leitsatz des Gerichts:
Nach dem Wortlaut des § 52 Abs 9 FPG hat die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung gleichzeitig mit einer Rückkehrentscheidung zu ergehen. Es genügt daher nicht, hinsichtlich der Rückkehrentscheidung auf einen früher ergangenen Bescheid zu verweisen.
- | Online seit - 01.06.2022
2795

Judikatursammlung

Gefährdung durch Menschenhandel in Georgien begründet keine konventionsrelevante Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe

Leitsatz des Gerichts:
I. Damit der Auffang-Verfolgungstatbestand der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe (Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK) verwirklicht ist, muss man einer klar abgrenzbaren Gruppe mit einer – verglichen mit der Mehrheitsgesellschaft – andersartigen Identität angehören.
II. Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe (I.) ist bei Frauen, die im Herkunftsstaat Opfer von Menschenhandel (Zwangsprostitution) waren und im Falle der Rückkehr dorthin auf Grund einer spezifischen Vulnerabilität neuerlich werden könnten, nicht gegeben. Ihnen ist sohin kein Asylstatus zuzuerkennen (§ 3 Abs 1 AsylG).
III. Frauen, die im Herkunftsstaat landesweit der Gefährdung ausgesetzt sind, nach ihrer Rückkehr (neuerlich) Opfer von Menschenhandel (Zwangsprostitution) zu werden, ist aber – auf Grund der Art 3 EMRK-Relevanz dieses Szenarios – der Status der subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs 1 Z 1 AsylG) zuzuerkennen.
- | Online seit - 31.05.2022
2794

Judikatursammlung

Vorschnelle Annahme von res iudicata durch das BFA (Folgeantragstellung)

Leitsatz des Gerichts:
I. Damit ein Folgeantrag (§ 2 Abs 1 Z 23 AsylG) inhaltlich behandelt werden kann und nicht wegen entschiedener Sache (§ 68 Abs 1 AVG) zurückzuweisen ist, muss ein neuer Sachverhalt mit glaubhaftem Kern vorgebracht werden.
II. Behauptet ein Folgeantragsteller basierend auf dem im Erstverfahren vorgebrachten und damals als unglaubwürdig festgestellten Verfolgungsgrund seither ausgesprochene Bedrohungen gegen Leib und Leben und untermauert er diese mit neuen Beweismitteln, so muss das BFA den Antrag – außer bei a priori fehlender Glaubwürdigkeit – inhaltlich prüfen. Eine Zurückweisung wegen res iudicata ist der Behörde sohin verwehrt.
- | Online seit - 30.05.2022
2789

Judikatursammlung

Beschränkung der für Deutschzertifikate anerkannten Institute ist gesetzeskonform

Leitsatz des Gerichts:
I. Mit der Verordnungsermächtigung in § 21a Abs 1 iVm Abs 6 und 7 NAG ist beabsichtigt, einheitlich hohe und für die Behörde nachvollziehbare Standards zu garantieren.
II. Wenn die verordnungserlassende Behörde in § 9b Abs 2 NAG-DV bestimmte Institute mit hohen Qualitätsstandards und Fälschungssicherheit auswählt, um Umgehungs- und Missbrauchshandlungen hintanzuhalten, hat sie ihren Gestaltungsspielraum im Rahmen der durch die gesetzliche Grundlage vorgegebenen Determinierung des Verordnungsinhaltes nicht überschritten. Es liegt also in diesem Gestaltungsspielraum, wenn die verordnungserlassende Behörde nur auf bestimmte, aus ihrer Sicht allgemein anerkannte Sprachzertifikate abstellt.
III. Den Erläuterungen zur Verordnungsermächtigung zufolge sind Diplome und Zeugnisse nicht jedes beliebigen (ausländischen) Institutes anzuerkennen, dessen Seriosität die Behörde nicht – oder zumindest nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand – beurteilen kann. Es gilt daher jene Einrichtungen explizit zu bestimmen, von denen die Einhaltung der geforderten Standards im Allgemeinen erwartet werden kann. Sohin bestehen hinsichtlich der konkreten Auswahl der Sprachinstitute keine Bedenken.
IV. Zwar ist zutreffend, dass nicht jedes Land über ein Prüfungszentrum der aufgezählten Institute verfügt, jedoch sind weltweit ausreichend Institute mit Prüfungszentren verfügbar, um von einer zumutbaren Erreichbarkeit ausgehen zu können. Die Tatsache, dass man für eine Prüfung allenfalls in ein anderes Land reisen muss, vermag daran – auch vor dem Hintergrund der Vorbereitungsmöglichkeiten, die im Internet zur Verfügung stehen – nichts zu ändern.
- | Online seit - 27.05.2022
2793

Judikatursammlung

Keine Fortsetzung der Schubhaft trotz evidentem Sicherungsbedarf bei behördlich bedingter Verzögerung der Abschiebung

Leitsatz des Gerichts:
Zur Ermittlung der Schubhafthöchstdauer sind alle wegen desselben Sachverhalts verhängte Schubhaften zusammenzurechnen.
- | Online seit - 25.05.2022
2792

Judikatursammlung

Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung zwecks Wahrung des Kindeswohls

Leitsatz des Gerichts:
I. Das Wohl des Kindes ist in allen das minderjährige Kind betreffenden Angelegenheiten als leitender Gesichtspunkt zu berücksichtigen und bestmöglich zu gewährleisten.
II. Vor Erlass einer Rückkehrentscheidung ist das Wohl der davon betroffenen Kinder gebührend zu berücksichtigen.
III. Die Trennung von Kleinkindern von Mutter oder Vater, mit denen sie sonst in Lebensgemeinschaft leben, stellt in jedem Fall eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls dar.
- | Online seit - 24.05.2022
2791

Judikatursammlung

Notwendige Gefährdungsprognose bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots bei Vorliegen einer Aufenthaltsehe

Leitsatz des Gerichts:
I. Vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe ist dann auszugehen, wenn sich ein Fremder für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels auf eine von ihm geschlossene Ehe beruft, er in diesem Zeitpunkt jedoch kein gemeinsames Familienleben mit seinem Ehegatten iSd Art 8 EMRK führt.
II. Ein formelles Band der Ehe reicht nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zugunsten eines Drittstaatsangehörigen abzuleiten.
III. Die fremdenpolizeiliche Feststellung, eine Ehe sei nur zum Schein geschlossen worden, setzt nicht voraus, dass die Ehe für nichtig erklärt wurde.
- | Online seit - 23.05.2022