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Judikatursammlung

Zulässigkeit von Pushbacks an der "Balkanroute" nach Versäumnis der betroffenen Migrant*innen, sich legaler Einreisewege zu bedienen

Leitsatz des Gerichts:
I. Es gilt eine Vermutung, dass ein Staat auf seinem gesamten Hoheitsgebiet die "Hoheitsgewalt" iSv Art 1 EMRK ausübt. Diese kann zwar durch außergewöhnliche Umstände widerlegt werden, doch ist nicht anzunehmen, dass im Sommer 2015 an der Grenze zwischen Nordmazedonien und Griechenland eine Situation herrschte, die Nordmazedonien daran gehindert hätte, seine Hoheitsgewalt in diesem Teil seines Staatsgebiets effektiv auszuüben.

II. Das Zurückdrängen von Migranten durch Polizei und Soldaten über die Grenze stellt eine "Ausweisung" iSv Art 4 4. ZPEMRK dar.

III. Das entscheidende Kriterium für die Beurteilung einer Ausweisung als "kollektiv" iSv Art 4 4. ZPEMRK ist das Fehlen "einer vernünftigen und sachlichen Prüfung des Einzelfalls jedes individuellen Mitglieds der Gruppe". Ausnahmen von dieser Regel werden in Fällen angenommen, in denen das Fehlen einer individuellen Ausweisungsentscheidung auf das eigene Verhalten des Beschwerdeführers zurückgeführt werden kann. Dies gilt etwa für Situationen, in denen das Verhalten von Personen, die eine Landgrenze unrechtmäßig überquerten und dabei bewusst ihre große Zahl ausnutzten und Gewalt anwendeten, eine eindeutig destabilisierende Situation schuf, die schwer zu kontrollieren war und die öffentliche Sicherheit gefährdete.

IV. Wenn der belangte Staat einen tatsächlichen und wirksamen Zugang zu Wegen der legalen Einreise, insb im Wege von Grenzverfahren, zur Verfügung gestellt hat, ein Beschwerdeführer aber davon keinen Gebrauch gemacht hat, wird der EGMR im fraglichen Kontext und vorbehaltlich der Anwendung von Art 2 und Art 3 EMRK berücksichtigen, ob es zwingende Gründe dafür gab, dies nicht zu tun, die auf objektiven Tatsachen beruhten, für die der belangte Staat verantwortlich war. Wo solche Vorkehrungen bestehen und das Recht, um Schutz gemäß der Konvention und insb Art 3 zu ersuchen, in einer tatsächlichen und wirksamen Weise gewährleisten, hindert die Konvention die Staaten nicht daran, in Erfüllung ihrer Verpflichtung, die Grenzen zu kontrollieren, zu verlangen, dass Anträge auf derartigen Schutz an bestehenden Grenzübergängen gestellt werden. Folglich können sie Fremden, einschließlich potenziellen Asylwerbern, die es ohne zwingende Gründe verabsäumt haben, diesen Vorkehrungen zu entsprechen, indem sie – insb unter Ausnutzung ihrer großen Zahl – versuchten, die Grenze an einer anderen Stelle zu überqueren, die Einreise in ihr Hoheitsgebiet verwehren.
- | Online seit - 15.08.2022
2803

Judikatursammlung

Zur Berechnung des Haushaltseinkommens bei volljährigen Kindern

Leitsatz des Gerichts:
I. Nach der Rsp des VwGH kommt es bei einem gemeinsamen Haushalt darauf an, ob das Haushaltsnettoeinkommen den unter Berücksichtigung der zu versorgenden Personen jeweils zu ermittelnden "Haushaltsrichtsatz" nach § 293 Abs 1 ASVG deckt.
II. Geht der über 18-jährige Sohn der Zusammenführenden einer Schulausbildung nach und ist daher vom Fortbestand seiner Kindeseigenschaft iSd § 252 Abs 2 Z 1 ASVG auszugehen, ist bei Ermittlung des maßgeblichen "Haushaltsrichtsatzes" für diesen Sohn (bzw Stiefsohn in Bezug auf den Revisionswerber) lediglich der in § 293 Abs 1 letzter Satz ASVG vorgesehene Richtsatz zu veranschlagen.
III. Im Verfahren betreffend Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" ist zu klären, ob der Zusammenführenden für ihren volljährigen Sohn, falls sich dieser in einer Ausbildung iSv § 2 Abs 1 lit b FamLAG befindet, weiterhin Anspruch auf Familienbeihilfe zukommt. Zwar wären Leistungen der Familienbeihilfe bei Berechnung der für den Fremden zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel nicht zu berücksichtigen, jedoch würde ein Anspruch auf Familienbeihilfe auch das Bestehen eines Anspruches auf den Familienbonus Plus gemäß § 33 Abs 3a Z 1 lit b EStG indizieren. Dabei sind die Aussagen, die im hg Erkenntnis vom 22.3.2011, 2007/18/0689, zum Kinderabsetzbetrag gemäß § 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG in der damals anzuwendenden Fassung BGBl I 24/2007 getroffen wurden (vgl nunmehr § 33 Abs 3 EStG), auf die Frage der Berücksichtigungsfähigkeit des Familienbonus Plus für die Einkommensermittlung nach § 11 Abs 5 NAG zu übertragen.
- | Online seit - 12.08.2022
2857

Judikatursammlung

Neuerlich zur Relevanz von § 25 NAG für Verwaltungsgerichte

Leitsatz des Gerichts:
I. Der Umstand allein, dass im Verlängerungsverfahren erst das LVwG vom Fehlen einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung ausgegangen ist, vermag an der Maßgeblichkeit des § 25 NAG nichts zu ändern.

II. Der Umstand, dass die Behörde nicht befugt wäre, den Verlängerungsantrag bei Fehlen einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung abzuweisen, sondern zu einem Vorgehen gemäß § 25 Abs 1 NAG angehalten wäre, berechtigt das LVwG nicht, die Angelegenheit an die Behörde zurückzuverweisen.

III. Gemäß § 17 VwGVG sind die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des NAG, welche die Behörde in seinem dem Verfahren vor dem LVwG vorangehenden Verfahren anzuwenden gehabt hätte, vom LVwG sinngemäß anzuwenden. Daraus folgt, dass § 25 NAG auch vom LVwG anzuwenden ist, ungeachtet dessen, dass in der genannten Bestimmung lediglich von der "Behörde" die Rede ist.

IV. Eine allein aus § 25 Abs 1 NAG abgeleitete Befugnis zur Zurückverweisung der Sache an die Behörde besteht nicht. Ob das LVwG zur Zurückverweisung der Sache an die Behörde berechtigt ist, bestimmt sich nach der (allgemeinen) verfahrensrechtlichen Bestimmung des § 28 VwGVG.
- | Online seit - 11.08.2022
2861

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Lange Schubhaft eines polnischen Staatsangehörigen und damit Unionsbürgers

Leitsatz des Gerichts:
I. Ein von Schubhaft betroffener Unionsbürger, dessen Identität zunächst nicht feststellbar war, kann sich erst dann auf sein Freizügigkeitsrecht und dessen in der RL 2004/38/EG (UnionsbürgerRL) verankerte Konkretisierungen berufen, sobald er auch als Angehöriger eines (konkreten) Mitgliedstaats identifiziert wurde.

II. Die Schubhafthöchstdauer von sechs Monaten iSd § 80 Abs 2 Z 2 FPG kommt auf einen Unionsbürger zur Anwendung, der Adressat einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ist und seine Identität (Staatsangehörigkeit) monatelang verschleierte.

III. Die EuGH-Judikatur, wonach Unionsbürger in Schubhaft nicht innerhalb derselben Höchstdauer angehalten werden dürfen wie Drittstaatsangehörige (EuGH 22.6.2021, Rs C-718/19 [Ordre des barreaux francophones et germanophone ua] ECLI:EU:C:2021:505), ist auf Fallkonstellationen wie die in Punkt II. genannte nicht übertragbar.

IV. In den vorgenannten Punkten (II. und III.) ist eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu erblicken (Art 133 Abs 4 B-VG), derentwegen die Revision an den VwGH zuzulassen ist (§ 25a Abs 1 VwGG).
- | Online seit - 10.08.2022
2856

Judikatursammlung

Ein eingestelltes Aberkennungsverfahren hindert nicht die rechtmäßige Versagung eines Fremdenreisepasses

Leitsatz des Gerichts:
I. Ein eingestelltes, von Amts wegen durchgeführtes, Aberkennungsverfahren betreffend den Asylstatus schließt nicht die Annahme aus, dass ein Asylberechtigter durch seinen Aufenthalt die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährden könne.

II. Die Beurteilung des Vorliegens der Gründe über die Aberkennung des zuerkannten Schutzstatus in einem eigenen Verfahren entfaltet keinerlei Wirkung für die Beurteilung des Vorliegens von Versagungsgründen nach § 92 Abs 1 und Abs 1a FPG.
- | Online seit - 09.08.2022
2851

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Übersehen einer Ladung zur verwaltungsgerichtlichen Verhandlung kein "unvorhergesehenes Ereignis" iSd § 33 Abs 1 VwGVG

Leitsatz des Gerichts:
I. Die reichhaltige Rsp des VwGH zu § 71 AVG ist auf § 33 VwGVG übertragbar.

II. Ein "unvorhergesehenes Ereignis" iSd § 33 Abs 1 VwGVG kann auch ein innerer psychologischer Vorgang sein. Im Übersehen der ordnungsgemäß zugestellten Ladung zur mündlichen Verhandlung unter den empfangenen Poststücken ist jedoch ein "unvorhergesehenes Ereignis" nicht zu erblicken: Denn diesfalls fehlt es an der erforderlichen zumutbaren Aufmerksamkeit, welche ihrerseits dann zu bejahen ist, wenn die Partei an der Versäumung der Prozesshandlung kein Verschulden trifft. Die Frage des Verschuldens spielt also auch für das Vorliegen eines der beiden Wiedereinsetzungsgründe iSd § 33 Abs 1 VwGVG eine Rolle.

III. Unabhängig davon, ob man das Übersehen der ordnungsgemäß zugestellten Ladung zur mündlichen Verhandlung als "unvorhergesehenes Ereignis" beurteilt, liegt in diesem Verhalten jedenfalls kein "minderer Grad des Versehens" (leichtes Verschulden iSd § 1332 ABGB) mehr.
- | Online seit - 08.08.2022
2808

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Unionsrechtliche Beurteilung des Widerrufs der Einbürgerungszusicherung (§ 20 Abs 2 StbG) gegenüber einer nunmehr staatenlosen vormaligen Unionsbürgerin

Leitsatz des Gerichts:
I. Die (Nicht-)Verleihung oder Entziehung der Staatsangehörigkeit fällt in die Regelungs- und Vollziehungskompetenz der Mitgliedstaaten und nicht in jene der EU.

II. Der Sachverhalt, dass ein Unionsbürger staatenlos wird, weil er sich im Vertrauen auf eine Einbürgerungszusicherung des Aufnahmemitgliedstaats in seinem Herkunftsmitgliedstaat ausbürgern lässt, diese Zusage in der Folge aber widerrufen wird und die Einbürgerung des nunmehr Staatenlosen nicht erfolgt, unterfällt dem Unionsrecht. Dies ist dogmatisch in der Binnenlogik der Art 20 ff AEUV begründet, welche die schrittweise Integration Freizügigkeitsberechtigter im Aufnahmemitgliedstaat fördern.

III. Trotzdem auch der Herkunftsmitgliedstaat die für den betroffenen Staatenlosen unbillige Situation (siehe oben II.) durch staatsangehörigkeitsrechtliche Vorkehrungen vermeiden könnte, liegt die Hauptverantwortung beim Aufnahmemitgliedstaat.

IV. Das von der österreichischen Rechtsordnung verfolgte Ziel des Hintanhaltens von Doppelstaatsangehörigkeiten, wie es vor allem in der Regelung zur bedingten Einbürgerungszusicherung (§ 20 StbG), aber auch in § 10 Abs 3 StbG zum Ausdruck kommt, stellt ein legitimes Interesse im Lichte des einschlägigen Völkerrechts dar.

V. Der Widerruf einer Einbürgerungszusage gegenüber einem nunmehr staatenlosen vormaligen Unionsbürger ist auf seine Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Dabei ist die individuelle Situation des Betroffenen zu würdigen und sind die Vorgaben insb von Art 7 und 24 Abs 2 GRC besonders zu berücksichtigen.

VI. Ein Widerruf einer Einbürgerungszusage gegenüber einem nunmehr staatenlosen vormaligen Unionsbürger erscheint insb dann unverhältnismäßig, wenn die diesem attestierte Gefährlichkeit bloß auf zwei verkehrsrechtliche Verwaltungsübertretungen gestützt werden kann, derentwegen nicht einmal ein Entzug der Lenkerberechtigung erfolgte, der Betroffene umgekehrt aber erst nach acht Jahren den Unionsbürgerstatus zurückerlangen kann.
- | Online seit - 05.08.2022
2862

Judikatursammlung

Subsidiärer Schutz kraft Refoulementverbots wegen Erkrankung an Hepatitis D

Leitsatz des Gerichts:
I. Eine Erkrankung muss nicht unmittelbar lebensbedrohlich sein, damit die Rückkehr des Betroffenen in den Herkunftsstaat ein "reales Risiko" einer den Art 2 oder 3 EMRK widerstreitenden Behandlung begründet. Stattdessen reicht es, wenn – in Ermangelung von dortigen Behandlungsmöglichkeiten – sich die Krankheit nach der Rückkehr zu einem lebensbedrohlichen Risiko verdichtet.

II. Für Hepatitis D besteht in der Mongolei keine faktisch verfügbare Behandlungsmöglichkeit. Die Rückkehr Erkrankter dorthin würde sohin in einem Fortschreiten der Leberzirrhose, damit einhergehenden schwerwiegenden körperlichen Beschwerden und der schnelleren Notwendigkeit einer Lebertransplantation resultieren. Auf Grund der Refoulementverbotswidrigkeit eines solchen Szenarios ist an Hepatitis D erkrankten Antragstellern aus der Mongolei der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs 1 AsylG) zuzuerkennen.
- | Online seit - 04.08.2022
2864

Judikatursammlung

Zur Asylrelevanz einer Konversion zum Christentum

Leitsatz des Gerichts:
I. Hinsichtlich der Asylrelevanz einer Konversion zum Christentum ist entscheidend, dass die betroffene Person bei weiterer Ausübung des inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat (hier: Iran) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen hat, aus diesem Grund verfolgt zu werden.

II. Sind keine substanziellen Hinweise zu erkennen, dass die betroffene Person in ihrem Herkunftsstaat in einem rechtsstaatlichen Verfahren die Gelegenheit haben werde, den Eindruck des Abfalls vom Islam (zB aufgrund der Konversion zum Christentum) zu entkräften, so stellt dies einen Asylgrund dar, wenn aufgrund dessen mit Verfolgungshandlungen und Menschenrechtsverletzungen zu rechnen ist.
- | Online seit - 03.08.2022
2829

Judikatursammlung

Visum D und Absicht zur Wiederausreise

Leitsatz des Gerichts:
I. Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der gesicherten "Wiederausreise des Fremden" (§ 21 Abs 1 Z 3 FPG) iZm Erteilungen von nationalen Visa D ist zu bemerken, dass in Ermangelung gegenteiliger Indizien von der Ausreise des betroffenen Fremden aus dem Bundesgebiet bis zum Ablauf dieses Einreisetitels auszugehen ist.

II. Da § 21 Abs 1 Z 3 FPG als positive Erteilungsvoraussetzung statuiert ist, gehen verbleibende Zweifel an der Wiederausreiseabsicht zu Lasten des Fremden.

III. Die Vertretungsbehörden haben das AVG nicht anzuwenden. Stattdessen gilt für sie in Visaangelegenheiten der Standard des § 11 FPG (freie Beweiswürdigung, Manuduktionspflicht, Parteiengehör, Pflicht zur Einräumung eines Stellungnahmerechts, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen wird).
- | Online seit - 02.08.2022
2809

Judikatursammlung

Erhebliche Fluchtgefahr aufgrund fehlender Mitwirkungsbereitschaft und des Versuchs, sich dem Asylverfahren durch Missachtung diverser Rechtsvorschriften zu entziehen

Leitsatz des Gerichts:
I. Der Versuch, sich einem Asylverfahren durch die Vernichtung von Identitätsnachweisen und illegalen Grenzübertritten zu entziehen, lässt jedenfalls auf das Vorliegen erheblicher Fluchtgefahr schließen.

II. Entzieht sich ein Betroffener durch Missachtung diverser rechtlicher Vorschriften seinem Asylverfahren in einem weiteren EU-Mitgliedstaat, so kann davon ausgegangen werden, dass die Anordnung gelinderer Mittel nicht zielführend ist und erhebliche Fluchtgefahr vorliegt.
- | Online seit - 01.08.2022
2853

Judikatursammlung

Verfassungswidrige Interessenabwägung iZm der Zusammenführung pflegebedürftiger Enkelkinder

Leitsatz des Gerichts:
I. Der im Hinblick auf Versorgung und Sicherheit der minderjährigen Beschwerdeführerinnen bedenklichen familiären Lage im Herkunftsstaat ist die familiäre Situation der Beschwerdeführerinnen im Haushalt ihrer (obsorgeberechtigten) Großmutter gegenüberzustellen. Die Beschwerdeführerinnen haben in Österreich auch Kontakt zu ihren beiden Onkeln und Tanten sowie deren Kindern und verfügen über einen Freundeskreis. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, wieso öffentliche Interessen die Rechte der beiden minderjährigen Beschwerdeführerinnen aus Art 8 EMRK überwiegen sollen. Der vom LVwG herangezogene Hinweis auf einen (in der Sache bloß rund eineinhalbmonatigen) Zeitraum zwischen Einreise in das Bundesgebiet und Antragstellung auf Übertragung der Obsorge kann ein solches Abwägungsergebnis im vorliegenden Fall jedenfalls nicht tragen.

II. Das LVwG hat § 11 Abs 3 NAG in einer Weise angewendet, die mit Art 8 EMRK nicht zu vereinbaren ist, wodurch die zwei minderjährigen Staatsangehörigen Serbiens im Rahmen ihres Verfahrens auf Erteilung von Aufenthaltstiteln nach Ablauf des visumfreien Aufenthalts jeweils in ihrem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt wurden.
- | Online seit - 29.07.2022
2818

Judikatursammlung

Rechtswidrigkeit der Schubhaft aufgrund fehlender Fluchtgefahr

Leitsatz des Gerichts:
I. Das Vorliegen der "Fluchtgefahr" setzt einen tauglichen Tatbestand des § 76 Abs 3 FPG voraus. "Fluchtgefahr" kann nur dann angenommen werden, wenn eine fallbezogene Betrachtung der Gesamtsituation zur Schlussfolgerung führt, die betroffene Person könnte sich dem Verfahren oder der Abschiebung durch Flucht entziehen. Hierbei ist stets eine konkrete Bewertung aller im Einzelfall maßgeblichen Gesichtspunkte vorzunehmen.

II. Zeigt sich die betroffene Person im Rückkehrberatungsgespräch nicht ausreisewillig, so stellt dies weder eine mangelnde Mitwirkung am Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme dar noch wird damit die Abschiebung behindert. Allein dadurch wird der Tatbestand des § 76 Abs 3 Z 3 FPG nicht erfüllt.
- | Online seit - 28.07.2022
2817

Judikatursammlung

Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und der einhergehenden Trennung von Familienangehörigen bei besonders schwerwiegenden kriminellen Handlungen

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Trennung von Familienangehörigen ist nur dann gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen ist. Dies ist bei schwerwiegenden kriminellen Handlungen jedenfalls gegeben.

II. Die Auswirkungen einer Rückkehrentscheidung und die Konsequenzen einer Außerlandesbringung eines Elternteils sind in Bezug auf das Kindeswohl im Rahmen der Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 EMRK zu berücksichtigen.

III. Eine Aufenthaltsbeendigung darf nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens verletzt würde.
- | Online seit - 27.07.2022
2816

Judikatursammlung

Notwendigkeit der neuerlichen Beantragung der aufschiebenden Wirkung bei Abtretung einer Beschwerde an den VwGH

Leitsatz des Gerichts:
I. Nach Abtretung einer Beschwerde durch den VfGH an den VwGH ist die aufschiebende Wirkung der Revision erneut zu beantragen. Dies auch dann, wenn die aufschiebende Wirkung seitens des VfGH bereits zuerkannt worden ist.

II. Eine gesonderte Anfechtung eines Festnahmeauftrages kommt nach vollzogener Festnahme nicht in Betracht.
- | Online seit - 26.07.2022
2815

Judikatursammlung

Keine Berufung auf Art 8 EMRK trotz langjährigem Aufenthalt bei Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit

Leitsatz des Gerichts:
Ein durch die Missachtung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt kann keinen Anspruch aus Art 8 EMRK bewirken.
- | Online seit - 25.07.2022
2852

Judikatursammlung

Keine Verlängerung der Dublin-Überstellungsfrist bei Freiheitsentziehungen nach dem Unterbringungsgesetz

Leitsatz des Gerichts:
I. Begriffe des Unionsrechts sind autonom und unionsweit einheitlich auszulegen, sofern sie nicht auf das nationale Recht verweisen.

II. Unter einer "Inhaftierung", derentwegen eine Verlängerung der sechsmonatigen Dublin-Überstellungsfrist (Art 29 Abs 1 Dublin III-VO) auf "höchstens" ein Jahr zulässig ist (Abs 2 Satz 2 leg cit), ist nur ein Freiheitsentzug zu verstehen, der in einem Konnex zu einem Strafverfahren steht. Eine "Inhaftierung" sind in diesem Sinne die Untersuchungshaft, die Strafhaft und wohl auch – wenngleich der EuGH dies nicht expliziert hat – der österreichische Maßnahmenvollzug (§§ 21 ff StGB).

III. Keine "Inhaftierung" iSd Art 29 Abs 2 Satz 2 Dublin III-VO stellen Unterbringungen psychisch Kranker ohne Verlangen des Betroffenen (§§ 8 ff UbG) dar.
- | Online seit - 22.07.2022
2814

Judikatursammlung

Erforderliche Auseinandersetzung mit der konkreten Rückkehrsituation bei Dublin III-Überstellung nach Griechenland

Leitsatz des Gerichts:
I. Schutzberechtigte in Griechenland sind griechischen Staatsbürgern zwar rechtlich grundsätzlich gleichgestellt; nichtsdestotrotz können sie jedoch faktisch auf besondere Schwierigkeiten stoßen, die auf ihre Situation als Fremde zurückzuführen sind.

II. Trotz aufrechtem Schutzstatus bedarf es bei Rückkehr daher dennoch einer Auseinandersetzung mit der individuellen Situation, um das Risiko einer Verletzung der in Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte abschließend beurteilen zu können.
- | Online seit - 21.07.2022
2813

Judikatursammlung

Proaktive Beischaffung des eigenen Heimreisezertifikates in Verfahren gemäß § 46 Abs 2a FPG nicht geboten

Leitsatz des Gerichts:
I. Sofern das BFA von seiner Ermächtigung gemäß § 46 Abs 2a FPG Gebrauch macht, ein Heimreisezertifikat für einen ausreisepflichtigen Fremden von Amts wegen einzuholen, treffen den Fremden nicht jene Mitwirkungspflichten, wie sie § 46 Abs 2 FPG für sonstige Fälle aufstellt.

II. Indem sich der betroffene ausreisepflichtige Fremde im Verfahren gemäß § 46 Abs 2a FPG allen Einvernahmen unterzieht und kooperiert, kommt er seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht nach. Er ist nicht dazu verpflichtet, darüber hinaus die Beischaffung seines Heimreisezertifikates proaktiv zu betreiben.

III. Solange der betroffene ausreisepflichtige Fremde seiner Mitwirkungspflicht in diesem Sinne (I. und II.) nachkommt, liegt kein von ihm zu vertretendes Abschiebehindernis iSd § 46a Abs 3 Z 3 FPG vor.
- | Online seit - 20.07.2022
2807

Judikatursammlung

Zur Möglichkeit der Zurückweisung von Anträgen von bereits in Griechenland Schutzberechtigten (§ 4a AsylG)

Leitsatz des Gerichts:
I. Betreffend Griechenland bedarf es auf Grund zahlreicher Schwächen der im Rahmen der Aufnahme gewährten Leistungen einer besonders gründlichen Ermittlung, ob die Außerlandesbringung dorthin für den Betroffenen nicht eine Verletzung von Art 3 EMRK/Art 4 GRC bedeutet.

II. Darüber hinaus muss festgestellt werden, dass die von Art 34 RL 2011/95/EU geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen angeboten werden.

III. Bei Lückenhaftigkeit der Sachverhaltsfeststellungen iSd vorgenannten Punkte kann das BVwG von der Ermächtigung des § 21 Abs 3 Satz 2 BFA-VG Gebrauch machen, wenn im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erst mündlich zu verhandeln wäre, um die Feststellungen zu komplettieren. Behebt das BVwG einen asylzurückweisenden Bescheid des BFA gemäß § 21 Abs 3 Satz 2 BFA-VG, so ist das Asylverfahren zugelassen und die Behörde muss den Asylantrag im fortgesetzten Verfahren inhaltlich prüfen.

IV. Wird gemäß § 21 Abs 3 Satz 2 BFA-VG vorgegangen, erübrigt sich ein Absprechen über eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung iSd § 17 BFA-VG.
- | Online seit - 19.07.2022