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Judikatursammlung

Zur Aberkennung des Status eines Asylberechtigten aufgrund besonders schwerer Verbrechen iSd § 6 Abs 1 Z 4 AsylG

Leitsatz des Gerichts:
I. Das Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen iVm dem Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses stellt jedenfalls ein "besonders schweres Verbrechen" iSd § 6 Abs 1 Z 4 AsylG dar, aufgrund dessen der Status eines Asylberechtigten gemäß § 7 Abs 1 Z 1 AsylG amtswegig abzuerkennen ist.

II. Bei der Beurteilung, ob ein "besonders schweres Verbrechen" iSd § 6 Abs 1 Z 4 AsylG vorliegt, ist eine einzelfallbezogene Prüfung unter Berücksichtigung der Tatumstände vorzunehmen. Eine eindeutige Wertung als besonders schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose ohne eingehende Prüfung ist nur in gravierenden Fällen schwerer Verbrechen zulässig.

III. Stetige Leugnung eines begangenen Verbrechens, mangelnde Reue sowie fehlende Schuldeinsicht und fehlendes Unrechtsbewusstsein deuten im Rahmen der nach § 6 Abs 1 Z 4 AsylG durchzuführenden Gefährdungsprognose auf das Vorliegen einer Gemeingefährlichkeit der fremden Person hin.
- | Online seit - 01.03.2023
2982

Judikatursammlung

Zweckänderungsantrag zugleich Verlängerungsantrag

Leitsatz des Gerichts:
I. Zweckänderungsanträge nach Ablauf der Gültigkeit des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels sind als Verlängerungsanträge nach § 24 Abs 4 NAG zu werten, unabhängig davon, ob sie kurz vor Ablauf des innegehabten Aufenthaltstitels oder früher gestellt worden sind.

II. Ein Zweckänderungsantrag bezweckt jedenfalls auch die Verlängerung des Aufenthaltsrechts in Österreich.

III. Die Deutung des Zweckänderungsantrags nach Ablauf der Gültigkeit der bisherigen Aufenthaltsbewilligung (auch) als Verlängerungsantrag dient der Wahrung der Rechtmäßigkeit des Inlandsaufenthalts der Fremden und ist nicht vor dem Hintergrund allfälliger Erfolgschancen eines solchen Verlängerungsantrags zu sehen.
- | Online seit - 28.02.2023
2981

Judikatursammlung

Rechtsstaatliche Erfordernisse an die Akteneinsicht im Asylverfahren im digitalen Zeitalter; "schriftliche" Bescheiderlassung

Leitsatz des Gerichts:
I. Das Recht auf Akteneinsicht im Asylverfahren durch die rechtsfreundliche Vertretung, wie es in Art 23 Abs 1 RL 2013/32/EU ausgestaltet wird, bezieht sich auf alle (in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht) entscheidungserheblichen Aktenstücke.

II. Auch die Metadaten des (elektronischen) Akts (Zugriffe, Änderungen, etc) sowie dessen Struktur und Chronologie können entscheidungserheblich sein und müssen daher gemäß Art 23 Abs 1 RL 2013/32/EU im Zuge der Akteneinsicht offengelegt werden. Ob dies in der mitgliedstaatlichen Behördenpraxis gewährleistet ist, unterliegt als Tatfrage der Prüfung durch das vorlegende Gericht. Allerdings kann der geschilderte Umfang der Akteneinsicht hinsichtlich einzelner Bestandteile aus Gemeinwohlbelangen eingeschränkt werden.

III. Das (elektronische) Format der Gewährung von Akteneinsicht wird unionsrechtlich nicht vorgegeben: Es müssen nur die in I. und II. genannten Bestandteile und Umstände offengelegt werden, soweit sie entscheidungserheblich sind. Dass für deren vollständige Ermittelbarkeit allenfalls eine kostenlose Software heruntergeladen werden muss, ist als nicht schwerwiegender Eingriff mit Art 47 GRC vereinbar (iSd Art 52 Abs 1 GRC).

IV. Das in Art 11 Abs 1 RL 2013/32/EU statuierte Gebot, Bescheide "schriftlich" auszufertigen, bedeutet (anders als in der Terminologie des deutschen und österreichischen Zivilrechts) nicht, dass sich auf der Ausfertigung die (Original-)Unterschrift des Organwalters befinden muss.
- | Online seit - 27.02.2023
2980

Judikatursammlung

Keine Belehrung über Zusatzantrag gemäß § 21 Abs 3 NAG

Leitsatz des Gerichts:
I. Eine Konstellation, in der ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zulässigerweise im Inland gestellt wurde, fällt zwar nicht in den Anwendungsbereich des § 21 Abs 1 und 3 NAG, allerdings ist dann, wenn der Fremde den Antrag noch zulässigerweise im Inland gestellt, dann aber die Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthalts überschritten hat, der Versagungsgrund nach § 11 Abs 1 Z 5 NAG verwirklicht.

II. Bei Verwirklichung des Versagungsgrundes des § 11 Abs 1 Z 5 NAG hat (mangels Anwendbarkeit des § 21 Abs 3 NAG) keine Belehrung über einen Zusatzantrag zu ergehen, sondern ist vom Verwaltungsgericht eine Interessenabwägung iSv § 11 Abs 3 NAG vorzunehmen.
- | Online seit - 24.02.2023
2978

Judikatursammlung

Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit ist kein Freizügigkeitssachverhalt

Leitsatz des Gerichts:
I. § 57 NAG stellt auf die Inanspruchnahme des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts iSv Art 7 Abs 1 lit a, b oder c der RL 2004/38/EG ab. Die Unionsbürger-RL regelt allein die Voraussetzungen, unter denen ein Unionsbürger in andere Mitgliedstaaten als in den seiner eigenen Staatsangehörigkeit einreisen und sich dort aufhalten darf. Ohne Vorliegen eines Freizügigkeitssachverhalts iSd Art 3 der Unionsbürger-RL ist diese nicht anzuwenden.

II. Mit dem bloßen Erbringen von Dienstleistungen an Kunden in anderen Mitgliedstaaten wird nicht vom Recht auf Freizügigkeit in einem anderen Mitgliedstaat iSd § 57 NAG Gebrauch gemacht.
- | Online seit - 23.02.2023
2977

Judikatursammlung

Befreiungsschein nach § 4c Abs 2 AuslBG verschafft per se keine Niederlassung iSd NAG

Leitsatz des Gerichts:
I. Wer die Rechtsstellung gemäß Art 6 Abs 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 innehat, ist als niedergelassen iSd § 2 Abs 2 NAG anzusehen.

II. Die Erteilung eines Befreiungsscheins nach § 4c Abs 2 AuslBG verschafft kein Beschäftigungs- oder Aufenthaltsrecht, sondern hat für die Anerkennung der unmittelbar aus dem ARB 1/80 gewährten Rechte nur deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion. Alleine mit der Ausstellung eines Befreiungsscheins ist keine Niederlassung iSd § 2 Abs 2 NAG verbunden.
- | Online seit - 22.02.2023
2976

Judikatursammlung

Zum aufrechten Einreiseverbot als absoluten Versagungsgrund für einen Aufenthaltstitel

Leitsatz des Gerichts:
I. § 11 Abs 1 Z 1 NAG stellt auf das Bestehen eines aufrechten Einreiseverbots ab. Für das Vorliegen dieses Erteilungshindernisses ist es nicht von Belang, aus welchen Gründen das Einreiseverbot erlassen wurde bzw ob das Einreiseverbot nach Ansicht des Revisionswerbers zu Unrecht verhängt wurde.

II. Beim Erteilungshindernis nach § 11 Abs 1 Z 1 NAG handelt es sich um einen absoluten Versagungsgrund, bei dessen Vorliegen § 11 Abs 3 NAG nicht anwendbar und demnach keine Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK vorzunehmen ist.

III. Das automatische, keine Abwägung im Hinblick auf Art 8 EMRK ermöglichende Anknüpfen von § 11 Abs 1 Z 1 NAG an das Bestehen eines aufrechten Einreiseverbots (bzw Aufenthaltsverbots) begegnet keinen verfassungs- oder unionsrechtlichen Bedenken. Für eine Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens sprechende Gründe sind bei Erlassung des Einreiseverbots zu berücksichtigen. Maßgebliche nachträgliche Änderungen können - sofern nicht ohnehin eine Aufhebung des Einreiseverbots in Betracht kommt - im Zuge eines Antrags nach § 55 AsylG ins Treffen geführt werden. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG führt nach § 60 Abs 3 Z 2 FPG wiederum zur Gegenstandslosigkeit der Rückkehrentscheidung und damit auch des Einreiseverbots.

IV. Ob im Falle der Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels für den Revisionswerber dessen österreichische Ehefrau und das gemeinsame Kind im Kernbestand ihrer Unionsbürgerrechte beeinträchtigt und gezwungen wären, das Unionsgebiet zu verlassen, ist im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu beurteilen, deren Ergebnis nur dann der VwGH-Kontrolle unterliegt, wenn die Beweiswürdigung in die Rechtssicherheit beeinträchtigender, unvertretbarer Weise vorgenommen worden ist.
- | Online seit - 21.02.2023
2975

Judikatursammlung

Irrtümliche Einbringung der Revision beim VwGH oder "Die ansonsten stets zuverlässige Kanzleikraft zur Vorweihnachtszeit"

Leitsatz des Gerichts:
Die irrtümliche Einbringung der Revision beim VwGH stellt kein bloßes Versehen bei der Abwicklung technischer Vorgänge bzw manipulativer Tätigkeiten dar, sondern betrifft die Rechtsfrage, bei welcher Stelle eine Revision einzubringen ist; dazu sind eindeutige Anordnungen zu treffen und deren Einhaltung zu überwachen. Der Umstand, der Vertreter habe seiner Kanzleikraft im Diktat aufgetragen, die Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen, entbindet nicht vom Erfordernis einer entsprechenden Überwachung.
- | Online seit - 20.02.2023
2974

Judikatursammlung

Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung unter Berücksichtigung des Kindeswohls

Leitsatz des Gerichts:
I. Obwohl die fremde Person die Integrationsvereinbarung "Modul 1" im Entscheidungszeitpunkt nicht erfüllt hat, kann zumindest ein Bemühen um eine Integration erblickt werden, wenn diese Person während des etwa siebenjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet in der Lage war, sich und ihre Familie (wenn auch teilweise aus Beschäftigungen auf geringfügiger Basis) aus eigenem Einkommen zu erhalten.

II. Unter Berücksichtigung des Kindeswohls besteht ein Anspruch auf verlässliche Kontakte zu beiden Elternteilen. Im Falle einer Rückkehr der fremden Person in deren Herkunftsstaat ist eine Aufrechterhaltung des Kontakts mittels elektronischer Kommunikationsmittel mit einem Kleinkind kaum möglich, weshalb der Kontakt nicht über moderne Kommunikationswege ersetzt werden kann.

III. Die strafrechtliche Unbescholtenheit der fremden Person vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen.
- | Online seit - 17.02.2023
2972

Judikatursammlung

Zur "schlichten" und "offensichtlichen" Unglaubwürdigkeit im Rahmen eines Flughafenverfahrens

Leitsatz des Gerichts:
I. Für die Annahme eines offensichtlich tatsachenwidrigen Vorbringens hat das Fluchtvorbringen zB gravierende Widersprüche aufzuweisen. Eine offensichtliche Unbegründetheit des Vorbringens kann etwa auch aufgrund einer unverkennbar mangelnden Asylrelevanz, der augenscheinlichen Unrichtigkeit der Angaben oder einer eindeutig vorliegenden innerstaatlichen Fluchtalternative angenommen werden. Die Annahme einer "offensichtlichen Unglaubwürdigkeit" hat über jene der allfällig "schlichten Unglaubwürdigkeit" hinauszugehen.

II. Um vom Vorliegen einer "offensichtlichen Unglaubwürdigkeit" ausgehen zu können, dürfen zur Feststellung, dass das Vorbringen einer asylwerbenden Person nicht den Tatsachen entspricht, weder weitreichende Überlegungen noch eine lange Argumentationskette erforderlich sein. Einzelne Umstände vermögen die Annahme einer "offensichtlichen Unglaubwürdigkeit" regelmäßig nicht zu rechtfertigen, gegebenenfalls können diese jedoch eine "schlichte Unglaubwürdigkeit" indizieren.

III. Liegt keine der in § 33 Abs 1 Z 1 bis 4 AsylG aufgelisteten Voraussetzungen vor, so ist die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz im Flughafenverfahren unzulässig. Der fremden Person ist iSd § 31 Abs 2 AsylG die Einreise in das Bundesgebiet zu gestatten.
- | Online seit - 15.02.2023
2971

Judikatursammlung

Zuerkennung subsidiärer Schutzberechtigung wegen außergewöhnlicher Umstände, die einer Außerlandesbringung entgegenstehen

Leitsatz des Gerichts:
I. Außergewöhnliche Umstände, welche einer Außerlandesbringung gemäß den Vorgaben des § 8 Abs 1 AsylG widersprechen würden, liegen etwa unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation im betreffenden Staat (hier: Äthiopien) vor, wenn die fremde Person als alleinstehende Frau ohne soziale Anknüpfungspunkte individuell deutlich schlechter gestellt, vulnerabler und schutzbedürftiger als die übrige Bevölkerung ihrer Heimatstadt ist und im Falle der Rückkehr auch keine staatliche Unterstützung erhält.

II. Obwohl es Frauen im betreffenden Staat (hier: Äthiopien) nicht möglich ist, ein diskriminierungsfreies Leben zu führen und Frauen beispielsweise von Benachteiligung und Gewalt betroffen sind, kann aus dem bloßen Umstand, dass es sich bei der betroffenen Person um eine alleinstehende Frau handelt, keine asylrelevante Verfolgung abgeleitet werden. Da die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in einer ausweglosen Situation wäre und Gefahr liefe, ihre existenziellen Grundbedürfnisse nicht decken zu können, liegen außergewöhnliche Umstände vor, welche den Status der subsidiär Schutzberechtigten nach sich ziehen.
- | Online seit - 14.02.2023
2968

Judikatursammlung

Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe

Leitsatz des Gerichts:
Für das Vorliegen einer "sozialen Gruppe" müssen kumulativ zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen müssen die Mitglieder der Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Und zum anderen muss diese Gruppe eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
- | Online seit - 13.02.2023
2967

Judikatursammlung

Tatsachenkognition von Rechtsmittelgerichten in Haftsachen

Leitsatz des Gerichts:
I. Zwar spricht eine Vermutung für die erforderliche Entscheidungserheblichkeit von Fragen nationaler Gerichte im Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden, wenn eine Vorlagefrage rein hypothetischer Natur ohne Relevanz für die Entscheidung im Ausgangsverfahren ist.

II. Mit der Haftprüfung betraute Justizbehörden müssen zum einen die tatsächlichen Umstände und Beweise berücksichtigen können, die von der die Haft anordnenden Verwaltungsbehörde angeführt worden sind, ferner müssen sie die Tatsachen, Beweise und Stellungnahmen berücksichtigen können, die ihnen gegebenenfalls vom Betroffenen vorgelegt worden sind und überdies auch in der Lage sein, jeden anderen entscheidungsrelevanten Umstand zu ermitteln, falls sie dies für erforderlich halten.
- | Online seit - 10.02.2023
2969

Judikatursammlung

Prüfumfang des BFA beim Aberkennungsverfahren einer subsidiären Schutzberechtigung

Leitsatz des Gerichts:
I. Eine maßgebliche Änderung von Umständen iSd § 9 Abs 1 AsylG liegt nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht. Wurde eine subsidiäre Schutzberechtigung aufgrund einer psychischen Erkrankung und der Tatsache, dass die fremde Person im Herkunftsstaat (Äthiopien) in eine ausweglose Notlage geraten würde, zuerkannt, so sind für die Überprüfung einer Aberkennung belastbare Beweismittel (bspw Unterlagen betreffend die Krankengeschichte der Person) heranzuziehen.

II. Als weitere Voraussetzung für die Aberkennung einer subsidiären Schutzberechtigung ist stets zu prüfen, ob eine Rückkehr in den Herkunftsstaat in der aktuellen Situation ohne Beeinträchtigung der durch § 8 Abs 1 AsylG geschützten Rechte möglich ist. Zur Beurteilung sind etwa Feststellungen zum Herkunftsstaat bzw zur Herkunftsregion der fremden Person heranzuziehen.
- | Online seit - 09.02.2023
2957

Judikatursammlung

Zur Gebrauchmachung vom unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Ausübung des Freizügigkeitsrechts setzt eine gewisse Nachhaltigkeit voraus. Wenn die Freizügigkeit auf die Arbeitnehmereigenschaft iSd Art 7 Abs 1 lit a der RL 2004/38/EG gestützt wird, ist aber keine Mindestaufenthaltsdauer von drei Monaten zu fordern; weiters begründet auch schon eine ernsthafte, objektiv nicht aussichtslose Arbeitssuche die Arbeitnehmereigenschaft. Eine mehr als dreimonatige Aufenthaltsdauer ist nur dann für die Inanspruchnahme der unionsrechtlichen Freizügigkeit erforderlich, wenn das Aufenthaltsrecht nicht auf Art 7 Abs 1 lit a, sondern auf Art 7 Abs 1 lit b der RL 2004/38/EG gestützt wird.

II. Nach der Rsp des EuGH ist derjenige, der tatsächlich eine Arbeit sucht, als "Arbeitnehmer" zu qualifizieren. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schließt das Recht der Angehörigen der Mitgliedstaaten ein, sich im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten frei zu bewegen und sich dort aufzuhalten, um eine Stelle zu suchen.

III. Die jeweiligen Formulierungen in § 11 Abs 2 Z 3 NAG ("alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz") bzw in Art 7 Abs 1 lit b der RL 2004/38/EG ("umfassenden Krankenversicherungsschutz") unterscheiden sich deutlich voneinander, sodass die Rsp zu ersterer Bestimmung nicht unbesehen auf die Regelungen betreffend die Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen übertragen werden kann (vgl VwGH 21.6.2022, Ro 2021/22/0001).

IV. Es besteht kein Zweifel daran, dass der vom Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat abgeschlossene Krankenversicherungsschutz rechtens jedenfalls nicht deshalb als unzureichend erachtet werden kann, weil dieser Versicherungsschutz der gesetzlichen Krankenversicherung jenes Mitgliedstaats nicht vollumfänglich entspricht, über dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger verfügt.
- | Online seit - 08.02.2023
2966

Judikatursammlung

Keine Vertrauenswürdigkeit aufgrund der mehrfachen Antragstellung auf internationalen Schutz innerhalb der EU

Leitsatz des Gerichts:
I. Im Rahmen der Beurteilung des Sicherungsbedarfs vor der Anordnung der Schubhaft ist eine Einzelfallbeurteilung vorzunehmen, in welcher die Vertrauenswürdigkeit des Verhaltens der fremden Person einzuschätzen ist. Stellt die Person in mehreren Staaten innerhalb der EU einen Antrag auf internationalen Schutz, obwohl bereits eine Zuerkennung des Schutzstatus in einem Staat erfolgte, so ist das Verhalten nicht vertrauenswürdig.

II. Von einem nicht vertrauenswürdigen Verhalten ist etwa auch auszugehen, wenn die Person aufgrund der Begehung von Verbrechen (bspw das Verbrechen der Schlepperei) zeigt, dass sie nicht gewillt ist, sich an die Rechtsordnung zu halten.
- | Online seit - 07.02.2023
3034

Editorial

zu Heft 2022

Leitsatz des Gerichts:
- | Online seit - 06.02.2023
2965

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Berücksichtigung eines allfälligen, maßgeblich geänderten Sachverhalts seit Erlassen der Rückkehrentscheidung bei nachträglichem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Art 8 EMRK

Leitsatz des Gerichts:
I. Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt ist schon dann gegeben, wenn die geltend gemachten Umstände nicht von vornherein eine neue Beurteilung aus dem Blickwinkel des Art 8 EMRK ausgeschlossen erscheinen lassen.

II. Es besteht kein relevanter Zeitraum, der seit Erlassung der Rückkehrentscheidung vergangen sein muss, um eine Neubeurteilung nach Art 8 EMRK notwendig zu machen.
- | Online seit - 06.02.2023
2955

Judikatursammlung

Zum "umfassenden Krankenversicherungsschutz" iSv § 51 Abs 1 Z 2 NAG

Leitsatz des Gerichts:
I. Mit den in § 51 Abs 1 NAG normierten Voraussetzungen für das Niederlassungsrecht von EWR-Bürgern in Österreich wurden die in Art 7 Abs 1 der RL 2004/38/EG aufgezählten Voraussetzungen umgesetzt.

II. Auf dem Boden des Unionsrechts sind gesetzliche Bestimmungen, die in Umsetzung einer unionsrechtlichen Richtlinie erlassen wurden, so weit wie möglich im Lichte des Wortlauts und des Zwecks dieser Richtlinie auszulegen und anzuwenden, um das mit ihr angestrebte Ziel zu erreichen. Außerdem sind in unionsrechtlichen Vorschriften enthaltene Begriffe autonom und einheitlich auszulegen.

III. Art 7 Abs 1 der RL 2004/38/EG - insofern vergleichbar mit § 11 Abs 2 Z 3 NAG - verfolgt den Zweck, eine unangemessene Inanspruchnahme der öffentlichen Finanzen des aufnehmenden Mitgliedstaats zu vermeiden. Das ändert aber nichts daran, dass sich die jeweiligen Formulierungen ("alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz" in § 11 Abs 2 Z 3 NAG bzw "umfassenden Krankenversicherungsschutz" in § 51 Abs 1 Z 2 und § 53 Abs 2 Z 2 NAG) deutlich voneinander unterscheiden und die Rsp des VwGH zu § 11 Abs 2 Z 3 NAG schon aus diesem Grund nicht unbesehen auf die Regelungen betreffend die Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen übertragen werden kann.

IV. Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung zur Hilfestellung bei der Umsetzung und Anwendung der RL 2004/38/EG vom 2.7.2009, KOM(2009) 313 endgültig, zum "Krankenversicherungsschutz" die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als geboten erachtet und erläuternd festgehalten, dass Rentner die Anforderungen erfüllen, wenn sie nach dem Recht des Mitgliedstaats, der ihre Rente zahlt, Anspruch auf medizinische Versorgung haben. Zwar ist eine derartige Mitteilung der Kommission für die Mitgliedstaaten nicht verbindlich, sie kann aber nichtsdestotrotz als Auslegungshilfe herangezogen werden.

V. Die VO (EG) 883/2004 gilt für alle Rechtsvorschriften, die näher aufgeführte Zweige der sozialen Sicherheit (darunter Leistungen bei Krankheit) betreffen. Nach ihrem Art 11 Abs 1 unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Da der Fremde nach deutschem Recht in Rente ist, ihm dadurch - über eine private Krankenversicherung - in seinem Herkunftsland voller Krankenversicherungsschutz nach Maßgabe der gesetzlichen Krankenversicherung zukommt und er seinen Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt weiterhin in Deutschland hat, unterliegt er (als wirtschaftlich nicht aktive Person) gemäß der Kollisionsnorm des Art 11 Abs 3 lit e der VO hinsichtlich des Bezugs von Leistungen im Krankheitsfall den Rechtsvorschriften Deutschlands als seinem Wohnsitzstaat. Wenn sich aber aus Art 11 der VO ergibt, dass der Fremde hinsichtlich der Leistungen im Krankheitsfall zwingend den Vorschriften des Wohnsitzstaates (konkret Deutschland) unterliegt, dann kann Art 7 Abs 1 lit b der RL 2004/38/EG und damit auch § 51 Abs 1 Z 2 NAG nicht dahingehend ausgelegt werden, dass mit einem Nachweis einer den sozialrechtlichen Vorgaben des Wohnsitzstaats genügenden Krankenversicherung kein umfassender Krankenversicherungsschutz iSd genannten Bestimmung nachgewiesen wird.
- | Online seit - 03.02.2023
2964

Judikatursammlung

Wegfall der Zuständigkeit der Behörde infolge nachträglicher (konkludenter) Zurückziehung des ursprünglichen Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels

Leitsatz des Gerichts:
I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat.

II. Die (konkludente) Zurückziehung des ursprünglichen Antrages hat den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Folge.
- | Online seit - 02.02.2023