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2915

Judikatursammlung

Zum Zeitpunkt der Entscheidung über einen Asylantrag und der Erlassung einer Rückkehrentscheidung

Leitsatz des Gerichts:
I. Da die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor der Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz unzulässig ist, muss ein anhängiges Rückkehrentscheidungsverfahren eingestellt und eine bereits vom BFA erlassene erstinstanzliche Rückkehrentscheidung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vom BVwG ersatzlos behoben werden.

II. Möchte eine in Haft befindliche Person Asyl beantragen, so ist der Asylantrag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu stellen. Dazu muss eine Vorführung beantragt werden.
- | Online seit - 15.11.2022
2903

Judikatursammlung

Rückkehrentscheidung mit unionsrechtlichem Aufenthaltsrecht unvereinbar

Leitsatz des Gerichts:
I. Der Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts steht der weiteren Existenz einer Rückkehrentscheidung, die an die Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes anknüpft, entgegen. Der Eintritt eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts begründet nämlich eine rechtliche Position, mit der eine Rückkehrentscheidung nicht länger kompatibel ist. Auch der Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts muss daher - gleich den in § 60 Abs 3 FPG ausdrücklich genannten Fällen der Erlangung eines rechtmäßigen Aufenthaltes - eine Gegenstandslosigkeit herbeiführen.

II. Zwar wird ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht durch eine Eheschließung mit einer EWR-Bürgerin nicht ohne Weiteres erlangt, sondern besteht insb dann nicht, wenn eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt. Die Nichtbeachtung einer Rückkehrentscheidung begründet aber eine solche Gefährdung für sich genommen jedenfalls nicht.

III. Ein Vorgehen nach § 55 Abs 6 NAG kommt dann in Betracht, wenn eine Aufenthaltsbeendigung erst nach Eheschließung und damit nach der Berufung auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Rechtskraft erwächst, nicht aber dann, wenn die Rechtskraft bereits vor der Eheschließung eingetreten ist.
- | Online seit - 14.11.2022
2902

Judikatursammlung

"Minderjährigkeit" und "tatsächliche familiäre Bindungen" iSd RL 2003/86/EG (FamilienzusammenführungsRL)

Leitsatz des Gerichts:
I. Art 16 Abs 1 lit a iVm Art 2 lit f RL 2003/86/EG ist dahin auszulegen, dass ein "unbegleiteter Minderjähriger" zum Zeitpunkt, in dem ein Antrag auf Einreisetitel zum Behufe der Familienzusammenführung mit ihm gestellt wird, unter 18 Jahre alt sein muss. Es ist jedoch unions(grund)rechtlich unzulässig, zu verlangen, dass die Minderjährigkeit auch im Entscheidungszeitpunkt der/des mitgliedstaatlichen Behörde/Gerichts noch fortbestehen müsse.

II. Es steht mit der RL 2003/86/EG, insb mit deren Art 13 Abs 2 iVm Abs 1 nicht im Einklang, das Ende der Minderjährigkeit im nationalen Recht zur auflösenden Bedingung zu erheben, mit deren Eintritt ein aus der Familienzusammenführung erfließender Aufenthaltstitel Angehöriger wegfiele.

III. Für die Gewährung/das Fortbestehen von Einreise- und Aufenthaltstiteln aus dem Titel der Familienzusammenführung muss ein tatsächliches Familienleben bestehen, die bloße Verwandtschaft reicht nicht aus (Art 16 Abs 1 lit b RL 2003/86/EG): Tatbildliche "tatsächliche familiäre Bindungen" äußern sich insb in einem regelmäßigen Kontakt. Wechselseitige finanzielle Unterstützungen zwischen dem Zusammenführenden und dessen Angehörigen dürfen aber nicht verlangt werden.
- | Online seit - 11.11.2022
2913

Judikatursammlung

Schutz des Familienlebens im Botschaftsverfahren (§ 35 AsylG)

Leitsatz des Gerichts:
I. Hinsichtlich der Frage, ob der Aufenthalt der asyl- oder subsidiär schutzberechtigten Bezugsperson von Antragstellern auf Visa zum Zwecke der Familienzusammenführung in Österreich eine "finanzielle Belastung" iSd § 11 Abs 5 NAG darstellt (§ 35 Abs 4 Z 3 iVm § 60 Abs 2 Z 3 AsylG), ist wegen des Neuerungsverbots im Beschwerdeverfahren (§ 11a Abs 2 FPG) alleine auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung zu rekurrieren.

II. Ein schützenswertes Familienleben iSd Art 8 EMRK, das gegenüber einem Visaerteilungshindernis des § 60 Abs 2 AsylG prävaliert (§ 35 Abs 4 Z 3 AsylG), ist insb beim Vorliegen der folgenden Tatsachen anzunehmen: regelmäßige Kontakte, persönliche Treffen in einem Drittland, räumliche Trennung alleine auf Grund der Flucht der Bezugsperson, kein Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die auf ein Zerreißen des Bandes zwischen Vater und Kind hindeuten.

III. Befindet das BVwG, dass beantragte Visa iSd § 35 AsylG iVm § 26 FPG zu erteilen sind, so ist der entgegenstehende Bescheid der jeweiligen Botschaft weder zu reformieren noch iSd § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG zu kassieren, sondern gemäß § 28 Abs 2 VwGVG mit Erkenntnis ersatzlos zu beheben.
- | Online seit - 10.11.2022
2911

Judikatursammlung

Berücksichtigung des Kindeswohls bei Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes kommt insb bei jenen Fällen in Betracht, in denen sich eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann angenommen werden, dass die Antragstellung lediglich den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen Entscheidung zu verhindern.

II. Das Kindeswohl ist bei der Prüfung der Voraussetzungen der Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes im Rahmen der Abwägung der öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium. Vielmehr stellt das Kindeswohl im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung nur einen Teilaspekt dar.
- | Online seit - 09.11.2022
2912

Judikatursammlung

Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung während eines laufenden Verfahrens zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels

Leitsatz des Gerichts:
I. Da gemäß § 24 NAG nach der rechtzeitigen Stellung eines Verlängerungsantrags die antragstellende Person – unbeschadet der Bestimmungen nach dem FPG – bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag stets weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig ist, ist eine auf § 52 Abs 1 Z 1 FPG gestützte Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Antrag rechtswidrig.

II. Aufgrund des § 25 NAG kommt dem BFA lediglich die Kompetenz zu, eine entsprechende Stellungnahme abzugeben. Wird das BFA gemäß § 25 NAG um Abgabe einer Stellungnahme ersucht, so begründet dies keine Kompetenz zur Fällung einer Rückkehrentscheidung in dieser Sache.

III. Wird das BFA nach § 25 NAG in ein laufendes Verfahren der Niederlassungsbehörde betreffend die Verlängerung eines Aufenthaltstitels eingebunden, so kann dieses vor Abschluss des Verfahrens keine Rückkehrentscheidung erlassen.
- | Online seit - 08.11.2022
2910

Judikatursammlung

Verweigerung der Identitätsfeststellung begründet per se keine Notwendigkeit der Schubhaftnahme

Leitsatz des Gerichts:
Die bloße Gefahr, ein Antragsteller könnte sich dem Verfahren oder der Abschiebung durch Flucht entziehen, bildet kein Grundinteresse der Gesellschaft (iSe gebotenen Schutzes seiner Bürger vor Gefahren) und eine ausreichende Begründung zur Verhängung von Schubhaft.
- | Online seit - 07.11.2022
2909

Judikatursammlung

Rechtmäßige Versagung von Einreisetiteln bei Anhängigkeit eines Aberkennungsverfahrens hinsichtlich des Schutzstatus der Bezugsperson

Leitsatz des Gerichts:
I. Der Versagungsgrund des unsicheren Status der Bezugsperson bezieht sich allein auf die Anhängigkeit eines Aberkennungsverfahrens und stellt nicht auf das Ergebnis eines solchen Verfahrens ab.

II. Allein das Vorliegen der Anhängigkeit eines Aberkennungsverfahrens des Status der Bezugsperson führt nach § 35 Abs 4 Z 1 AsylG zwingend dazu, dass die begehrten Einreisetitel zu versagen seien. Daran vermag auch ein anhängiges Beschwerdeverfahren nichts zu ändern.
- | Online seit - 04.11.2022
2908

Judikatursammlung

Kein Anlass zum Selbsteintritt bei bloß unsubstanziierten Behauptungen im Dublinverfahren

Leitsatz des Gerichts:
Eine bloß unbelegte Behauptung eines Beschwerdeführers, dass nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden könne, dass er im Rahmen der Überstellung in den nach der Dublin III-VO zuständigen Staat ein Asylverfahren nach europäischen Standards und ausreichende Versorgung erhalten würde, ist nicht dazu geeignet, die Länderberichte in Zweifel zu ziehen.
- | Online seit - 03.11.2022
2907

Judikatursammlung

Keine freie Wahl des Aufenthaltsstaates unter Berufung auf das Kindeswohl

Leitsatz des Gerichts:
I. Bei der Beurteilung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG ist unter Bedachtnahme aller Umstände des Einzelfalls sowie unter Interessenabwägung eine Gesamtbetrachtung des Sachverhalts vorzunehmen.

II. Gemäß Judikatur des EGMR garantiert die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land und sind die Konventionsstaaten allgemein nicht verpflichtet, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten.

III. Sowohl der EGMR als auch der VfGH stellen in ihrer Rsp darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, dass der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes derart sei, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist.

IV. Auch wenn dem Kindeswohl ein hoher Stellenwert zukommt, kann die Berücksichtigung des Kindeswohls nicht so weit gehen, dass Beschwerdeführer im Wissen um ihren unsicheren Aufenthalt den bevorzugten Mitgliedstaat frei wählen können.
- | Online seit - 02.11.2022
2906

Judikatursammlung

Keine Geltendmachung von persönlichen Wiedereinsetzungsgründen bei aufrechter Bestellung eines Abwesenheitskurators

Leitsatz des Gerichts:
I. Im Falle der wirksamen Zustellung an einen gerichtlich bestellten Abwesenheitskurator ist der tatsächliche Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Vertretenen nicht mehr relevant.

II. Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung wäre in diesem Fall, dass der Abwesenheitskurator durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an einer Verfahrenshandlung gehindert gewesen wäre und ihn dabei nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
- | Online seit - 31.10.2022
2905

Judikatursammlung

Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde bei auf Dauer unzulässiger Abschiebung

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Entscheidung über die Zu- bzw Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist nach einer Interessenabwägung im Einzelfall zu treffen.

II. Das BVwG hat einer Beschwerde, der vom Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Beschwerdevorlage von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr bedeuten würde.
- | Online seit - 28.10.2022
2901

Judikatursammlung

Negative Zukunftsprognose als Ausschlussgrund für einen Durchsetzungsaufschub bei Unionsbürgern

Leitsatz des Gerichts:
I. Zeigt die fremde Person etwa eine Ignoranz gegenüber Bestimmungen der österreichischen Rechtsordnung sowie eine fehlende Reue, die sich aus der mangelnden Einsicht in die in der Vergangenheit begangenen Delikte ableitet, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass es durch die fremde Person auch zukünftig zu einschlägigen Rechtsverstößen kommt. Ein derartiges Verhalten führt unzweifelhaft zur Annahme, dass von der fremden Person eine tatsächliche und erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht.

II. Der Erteilung eines Durchsetzungsaufschubs iSd § 70 Abs 3 FPG steht beispielsweise die mangelnde Akzeptanz der österreichischen Rechtsordnung entgegen. Wurde für die betroffene Person aufgrund ihres Gesamtfehlverhaltens eine negative Zukunftsprognose erstellt, so ist zu befürchten, dass diese im Falle eines Verbleibs im Bundesgebiet erneut straffällig wird, weshalb eine sofortige Ausreise der Person im öffentlichen Interesse gelegen ist.

III. Eine allfällige Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hat durch das BVwG iSd § 18 Abs 5 BFA-VG von Amts wegen zu erfolgen; die fremde Person hat kein Antragsrecht diesbezüglich. Wird dennoch ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt, so ist dieser als unzulässig zurückzuweisen.
- | Online seit - 27.10.2022
2899

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Illegaler Aufenthalt berechtigt für sich alleine nicht zur Inhaftnahme

Leitsatz des Gerichts:
I. Für die Behandlung eines Vorabentscheidungsersuchens iSd Art 267 AEUV durch den EuGH im Eilverfahren (Art 107 EuGH-Verfahrensordnung) spricht neben der grundsätzlichen Eignung des Ersuchens (die gerade dann gegeben ist, sofern das gemeinsame europäische Asylsystem betroffen ist) insb ein Eingriff in die persönliche Freiheit eines Betroffenen.

II. Die Stellung eines Asylantrags iSd erstmals postulierten Asylbegehrens muss formlos möglich sein (Art 7 Abs 1 RL 2013/32/EU). Es ist den Mitgliedstaaten (auch im Lichte des Art 18 GRC) nicht gestattet, dies illegal eingereisten/aufhältigen Drittstaatsangehörigen durch Unzulässigerklärung ihrer Anträge vorzuenthalten (etwa den genannten Drittstaatsangehörigen die Antragstellung nur ausnahmsweise nach behördlichem Ermessen zu erlauben).

III. Zwar ist die Zuständigkeit für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bei den Mitgliedstaaten verblieben (Art 72 AEUV). Unter Berufung auf diese Schutzgüter können die Mitgliedstaaten aber nicht Vorschriften im Anwendungsbereich des Unionsrechts der Prüfung in dessen Lichte entziehen.

IV. Art 8 Abs 2 RL 2013/33/EU ermächtigt die mitgliedstaatliche Vollziehung nur nach Anstellung einer Einzelfallprüfung samt strikter Prüfung der Verhältnismäßigkeit zur Inhaftnahme von Asylwerbern; Abs 3 leg cit zählt die möglichen Haftgründe abschließend auf.

V. Damit Art 8 Abs 3 lit e RL 2013/33/EU (arg "wenn dies aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erforderlich ist") erfüllt ist, reicht der bloße Umstand der illegalen Einreise/des illegalen Aufenthalts des Betroffenen nicht aus. Eine undifferenzierte ex lege-Inhaftierung illegal eingereister/illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist sohin vom Unionsrecht nicht gedeckt.
- | Online seit - 25.10.2022
2900

Judikatursammlung

Kein zwingender Selbsteintritt des Aufnahmestaats aufgrund behaupteter Grundrechtsverletzungen im zuständigen Dublin-Staat

Leitsatz des Gerichts:
I. Eine Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch den Aufenthaltsstaat ist nicht grundsätzlich bei Vorliegen von Grundrechtsverletzungen im zuständigen Dublin-Staat geboten, sondern erst bei systemischen Mängeln im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylwerber des betreffenden zuständigen Staats.

II. Im Zuge der Feststellung des zuständigen Dublin-Staats kommt Asylwerbern kein Recht zu, selbst einen Mitgliedstaat auszuwählen. Sollte es in der Vergangenheit zu einer schlechten Behandlung eines Asylwerbers durch einzelne behördliche Organe des zuständigen Staats gekommen sein, so kann aus diesem singulären Fehlverhalten nicht generell auf vorliegende Mängel im Asylverfahren und hinsichtlich der Aufnahmebedingungen für Asylwerber im betreffenden Staat geschlossen werden.
- | Online seit - 24.10.2022
2898

Judikatursammlung

Unterbringung eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings in Aufnahmezentrum für Erwachsene nach ohne ausreichender Aufklärung durchgeführtem Altersbestimmungsverfahren

Leitsatz des Gerichts:
I. Der EGMR betont die Wichtigkeit von Altersfeststellungsverfahren im Migrationskontext. Die Anwendbarkeit nationaler, europäischer und internationaler Bestimmungen über den Schutz der Kinderrechte beginnt in dem Moment, in dem die betroffene Person als Kind identifiziert wird. Daher ist die Bestimmung, ob eine Person minderjährig ist, der erste Schritt zur Anerkennung ihrer Rechte und zur Aktivierung aller notwendigen Vorkehrungen zur Betreuung. Wenn ein Minderjähriger fälschlicherweise für erwachsen gehalten wird, können schwerwiegende, seine Rechte verletzende Maßnahmen getroffen werden.

II. Aus den Richtlinien der EU sowie den Resolutionen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ergibt sich eine klare Anerkennung der vorrangigen Bedeutung des Kindeswohls und des Grundsatzes der Vermutung der Minderjährigkeit in Bezug auf Kinder, die als unbegleitete Migrant*innen nach Europa kommen. Insb wird dem Bedarf eines Kindes Rechnung getragen, sofort einen Vertreter zur Seite gestellt zu bekommen und während des Asylverfahrens unterstützt zu werden.

III. Erweist sich eine Bestimmung des Alters als erforderlich, so muss diese mit bestimmten Verfahrensgarantien einhergehen. Insb ist die betroffene Person über Methode und Folgen der Altersbestimmung aufzuklären und ihre Einwilligung einzuholen.

IV. Das staatliche Interesse an der Vereitelung von Versuchen, Einwanderungsbestimmungen zu umgehen, darf ausländische Minderjährige, insb wenn sie unbegleitet sind, nicht des Schutzes berauben, den ihr Status verlangt. Der Schutz der Grundrechte und die mit der Einwanderungspolitik eines Staates verbundenen Einschränkungen müssen daher in einen Ausgleich gebracht werden.

V. Die Aufnahmebedingungen für asylsuchende Kinder müssen an ihr Alter und an ihre besonderen Bedürfnisse angepasst sein. Eine gemeinsame Unterbringung von Minderjährigen und Erwachsenen ist mit Art 3 EMRK unvereinbar, sofern sie nicht ausnahmsweise durch das Kindeswohl geboten ist.
- | Online seit - 21.10.2022
2920

Judikatursammlung

Was macht eine "echte" Ehe aus? (Wenig) Neues und (viel) Altes zu Beweisführung und -würdigung

Leitsatz des Gerichts:
I. Nach übereinstimmender Rsp des VwGH und des OGH besteht eine Ehe - wie auch eine eheähnliche Lebensgemeinschaft - aus einer Geschlechts-, Wohnungs- und (vor allem) Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber auch bei einer Ehe das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein oder ganz fehlen kann. Es kommt hierbei regelmäßig auf die Gesamtumstände des Einzelfalles an, wobei vor allem der
Wirtschaftsgemeinschaft Bedeutung zukommt.

II. Das Bestehen einer bloß freundschaftlichen Beziehung ist nicht mit dem Führen eines gemeinsamen Familienlebens gleichzusetzen.
- | Online seit - 20.10.2022
2926

Judikatursammlung

Weiterführendes zum Erfolgsnachweis bei Doktoratsstudien

Leitsatz des Gerichts:
I. Wie sich § 54 Abs 2 zweiter Satz UniversitätsG entnehmen lässt, wird der Umfang eines Doktoratsstudiums (anders als bei einem Bachelor- oder Masterstudium) nicht in ECTS-Anrechnungspunkten angegeben. Der Studienerfolg kann daher in einem Doktoratsstudium nicht bzw nur sehr begrenzt durch einen Studienerfolgsnachweis gemäß § 74 Abs 6 UniversitätsG nachgewiesen werden.

II. Die Möglichkeit der Erbringung eines Nachweises über den Studienerfolg ist in § 8 Z 8 lit b NAG-DV nicht abschließend, sondern nur beispielhaft geregelt (arg "insbesondere"). So wird in § 64 Abs 2 zweiter Satz NAG iZm der Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Durchführung einer für die Berufsausübung gesetzlich verpflichtenden fachlichen Ausbildung gemäß § 64 Abs 1 Z 7 NAG darauf abgestellt, ob der Drittstaatsangehörige "einen angemessenen Ausbildungsfortschritt" nach Maßgabe der der jeweiligen Ausbildung zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschriften erbringt.

III. Die gemäß § 74 Abs 6 UniversitätsG für ein Studienjahr geforderte Anzahl von 16 ECTS-Anrechnungspunkten entspricht - wie sich aus § 54 Abs 2 UniversitätsG erschließt - einem Arbeitspensum im Umfang von 400 Echtstunden und handelt es sich dabei um ca ein Viertel jenes Regelarbeitspensums, das in § 54 Abs 2 UniversitätsG im Ausmaß von 1500 Echtstunden für ein Studienjahr zugrunde gelegt wird. Insoweit lassen sich aus den Regelungen betreffend den Studienerfolgsnachweis in § 8 Z 8 lit b NAG-DV iVm dem (wenn auch für Doktoratsstudien nicht unmittelbar einschlägigen) § 74 Abs 6 UniversitätsG zumindest gewisse Rückschlüsse auch für die Erbringung des Studienerfolgs in einem Doktoratsstudium ziehen.

IV. Es bestehen keine grundsätzlichen Bedenken, allfällige Bestätigungen des Dissertationsbetreuers über den Studienfortschritt bei der Beurteilung des Studienerfolgs miteinzubeziehen. Der Nachweis des Studienerfolgs ist hinsichtlich der Erbringung einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit (was gerade in einem Doktoratsstudium zum Tragen kommt) eben nicht in jedem Fall in gleicher Weise wie bei einem Bachelorstudium zu erbringen.

V. Ein rein schematisches Abstellen auf das Verhältnis von den für den Studienerfolgsnachweis zu erbringenden ECTS-Punkten zu den das Arbeitspensum für die Regelstudienzeit abbildenden Anrechnungspunkten wird den Vorgaben iZm der Beurteilung des Studienerfolgs in einem Doktoratsstudium nicht gerecht. Vielmehr wäre auf Basis der maßgeblichen studienrechtlichen Vorschriften inhaltlich zu beurteilen, ob ein angemessener Fortschritt hinsichtlich des Verfassens der Dissertation des Fremden vorliegt. Der Abschluss der Literaturrecherche sowie das Ausmaß der bereits schriftlich vorliegenden Teile der Dissertation können - auch wenn es sich beim Verfassen einer wissenschaftlichen Arbeit nicht um einen rein linearen Prozess handelt - dafür Anhaltspunkte liefern. Abhängig vom maßgeblichen Curriculum wären auch Aspekte wie die fakultätsöffentliche Präsentation des Dissertationsvorhabens, die Einreichung eines schriftlichen Exposés, die Genehmigung, der Inhalt und die Einhaltung der Dissertationsvereinbarung sowie die Erstellung der damit verbundenen Berichte über den Studienfortgang in die Beurteilung einzubeziehen. All das könnte auch Gegenstand einer Bestätigung (oder allenfalls Befragung) des Dissertationsbetreuers sein. Eine allgemein gehaltene positive Beurteilung der Studienleistungen und der wissenschaftlichen Qualitäten ist für sich genommen hingegen noch nicht geeignet, einen konkreten Studienerfolg iSe maßgeblichen Studienfortschrittes zu bescheinigen.

VI. Für die Beurteilung des Studienerfolgs kommt es nach stRsp ausschließlich auf das vorangegangene, im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt bereits abgeschlossene und nicht auf das aktuell laufende Studienjahr an; eine Beurteilung des gesamten Studienverlaufes oder eine Berücksichtigung des aktuellen Fortschrittes ist vom Wortlaut des § 8 Z 8 lit b NAG-DV nicht gedeckt. Auch wenn für die Beurteilung des konkret erforderlichen Studienerfolgs bei einem Doktoratsstudium anders als bei einem sonstigen Studium nicht allein auf eine bestimmte Anzahl an ECTS-Anrechnungspunkten abgestellt werden kann und verstärkt auf andere Parameter zurückzugreifen ist, bedeutet dies nicht, dass der Grundsatz der Erbringung des Studienerfolgs in jedem Studienjahr und damit - im Rahmen einer konkreten Entscheidung - im vorangegangenen Studienjahr bei einem Doktoratsstudium unbeachtlich wäre.
- | Online seit - 19.10.2022
2931

Judikatursammlung

Neuerlich zum Primat der meritorischen Entscheidung (hier: Studierendenaufenthalt)

Leitsatz des Gerichts:
I. Nach stRsp normiert § 28 VwGVG einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte.

II. Aus dem bloßen Verweis auf einen geänderten Sachverhalt ergibt sich noch nicht, dass noch (und bejahendenfalls welche) Ermittlungslücken bestünden bzw inwieweit der maßgebliche Sachverhalt (etwa im Hinblick auf andere Erteilungsvoraussetzungen) nicht feststehe.

III. Im Übrigen bestünde, soweit das LVwG auf die "persönliche Kontaktaufnahme" der Behörde mit dem Fremden verweist, für dieses jederzeit die Möglichkeit, eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG durchzuführen, und könnte auch eine unterbliebene Berücksichtigung der vom Fremden ins Treffen geführten Prüfungen (bzw eines Zulassungsnachweises) für sich allein eine Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG nicht rechtfertigen.

IV. Darüber hinaus gilt es festzuhalten, dass zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Beschlusses das Studienjahr noch nicht abgeschlossen war und es entgegen der Ansicht des LVwG nicht auf das laufende, sondern auf das zuletzt verstrichene Studienjahr ankommt.
- | Online seit - 18.10.2022
2933

Judikatursammlung

Entziehung der studentischen Aufenthaltsbewilligung

Leitsatz des Gerichts:
Im Entziehungsverfahren ist - anders als dies gegebenenfalls bei der Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Student" der Fall sein könnte - jedenfalls keine zukunftsbezogene Betrachtungsweise anzustellen (vgl § 28 Abs 5 NAG, arg: "nicht mehr vorliegen").
- | Online seit - 17.10.2022