Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Zeige 341 bis 360 von 3427

3152

Judikatursammlung

Anspruch auf Kinderbeihilfe erst nach Gewährung der rechtmäßigen Niederlassung

Leitsatz des Gerichts:
I. Art 1 1. ZPEMRK gewährt keinen Anspruch auf eine Sozialleistung. Wenn aber ein Mitgliedstaat gesetzlich einen Anspruch auf eine Sozialleistung vorsieht, schafft dieses Gesetz für Personen, die seine Voraussetzungen erfüllen, ein vermögenswertes Interesse, das in den Geltungsbereich von Art 1 1. ZPEMRK fällt, und es muss mit Art 14 EMRK vereinbar sein. Dies gilt auch für einen gesetzlichen Anspruch auf eine Kinderbeihilfe, der für jene Personen, von denen die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt werden, ein in den Geltungsbereich von Art 1 1. ZPEMRK fallendes vermögenswertes Interesse schafft.

II. Der Niederlassungs- bzw Einwanderungsstatus ist als "im sonstigen Status" iSv Art 14 EMRK anzusehen.

III. Die Mitgliedstaaten der EMRK können nicht nur die Niederlassung, sondern auch eine vorgeschriebene Dauer der Niederlassung verlangen, bevor sie jenen, die ein Recht auf sozialrechtliche Gleichbehandlung haben, beitragsunabhängige Leistungen gewähren.

IV. Der Ausschluss von Personen, denen noch nicht die Niederlassung gewährt wurde, vom Bezug einer beitragsunabhängigen Sozialleistung ist eine notwendige Konsequenz des im Wesentlichen nationalen Charakters der Systeme der nationalen Sicherheit. Die Situation von Personen, über deren persönlichen Einwanderungsstatus noch nicht entschieden wurde, kann im Hinblick auf den Bezug von Sozialleistungen nicht mit jener von Personen verglichen werden, die bereits über den Status der rechtmäßigen Niederlassung verfügen. Daher stellt ihr Ausschluss vom Bezug von Kinderbeihilfe keine Diskriminierung iSv Art 14 EMRK dar.
- | Online seit - 17.10.2023
3151

Judikatursammlung

Zum vorübergehenden Aufenthaltsrecht für Familienangehörige von ukrainischen Staatsbürgern

Leitsatz des Gerichts:
I. Der von dem Ehepartner/der Ehepartnerin abgeleitete Vertriebenenstatus iSd VertriebenenVO kann einer Person nur zuerkannt werden, wenn sich der Ehepartner bzw die Ehepartnerin ebenfalls in Österreich aufhält. Damit sollen die Ziele des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/38 – Wahrung des Familienverbands und Vermeidung unterschiedlicher Rechtsstellung von Familienmitgliedern – erreicht werden.

II. Familienangehörigen kommt gemäß § 1 Z 3 iVm § 2 VertriebenenVO nach ihrer Einreise in Österreich ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu. Dem Ehepartner bzw der Ehepartnerin von ukrainischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in der Ukraine ist dieses vorübergehende Aufenthaltsrecht zu gewähren, wenn der/die ukrainische Staatsangehörige aufgrund des bewaffneten Konfliktes ab dem 24.2.2022 aus der Ukraine vertrieben worden ist.
- | Online seit - 16.10.2023
3149

Judikatursammlung

Anhaltung von Migranten im Hotspot Lampedusa unter unmenschlichen Bedingungen und ohne Grundlage im italienischen Recht

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Schwierigkeiten, die sich vor allem für die Staaten an den Außengrenzen der EU
aus dem erhöhten Zustrom von Migrant*innen und Asylwerber*innen ergeben, können die Mitgliedstaaten des Europarats angesichts des absoluten Charakters von Art 3 EMRK nicht von ihren aus dieser Bestimmung erwachsenden Verpflichtungen befreien.

II. Aufgrund der materiellen Bedingungen, die 2017 im "Hotspot" von Lampedusa herrschten und unter anderem vom CPT dokumentiert wurden, stellte die zehntägige Anhaltung der Beschwerdeführer in diesem Anhaltezentrum eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar.

III. Die zweite Alternative in Art 5 Abs 1 lit f EMRK (Anhaltung einer Person, "gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist") verlangt nicht zusätzlich, dass die Freiheitsentziehung als notwendig erachtet werden kann.

IV. Die erste Alternative in Art 5 Abs 1 lit f EMRK ("rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Verhinderung der unerlaubten Einreise"), die eine Anhaltung von Asylwerber*innen und anderen Migrant*innen erlaubt, bevor ihnen der Staat die Einreise gewährt, impliziert, dass das von Art 5 EMRK stets geforderte "Fehlen von Willkür" bedeutet, dass eine solche Anhaltung in gutem Glauben erfolgen muss, eng mit dem Zweck der Verhinderung der unerlaubten Einreise dieser Person verbunden zu sein hat und Ort und Bedingungen der Freiheitsentziehung angemessen sein müssen.

V. Wenn die Einreise verweigert wurde, kann jede Freiheitsentziehung nach der zweiten Alternative von Art 5 Abs 1 lit f EMRK nur solange gerechtfertigt sein, wie das Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist. Wenn ein solches Verfahren nicht mit der gebotenen Sorgfalt betrieben wird, ist die Freiheitsentziehung nicht länger nach Art 5 Abs 1 lit f EMRK rechtmäßig.

VI. Angesichts des im Hinblick auf 2017 festzustellenden Fehlens einer klaren und zugänglichen Rechtsgrundlage im italienischen Recht für die Anhaltung von Migrant*innen, denen die Einreise verweigert wurde, in "Hotspots", war diese nicht mit Art 5 EMRK vereinbar.

VII. Unter einer Kollektivausweisung iSv Art 4 4. ZPEMRK ist jede Maßnahme zu verstehen, die Fremde als Gruppe zum Verlassen des Landes zwingt, ohne dass diese Maßnahme nach einer "vernünftigen und sachlichen Prüfung des spezifischen Falls jedes einzelnen Mitglieds der Gruppe" getroffen wird. Die Abschiebung einer Gruppe von Tunesiern nach Aushändigung einer standardisierten Entscheidung und ohne vorheriger Befragung stellte eine gegen Art 4 4. ZPEMRK verstoßende Kollektivausweisung dar.
- | Online seit - 13.10.2023
3150

Judikatursammlung

Verweigerung der Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen seit mehr als 50 Jahren aufhältigen Iraner wegen einer vor rund 20 Jahren ausgesprochenen, aber nie durchgesetzten Ausweisung

Leitsatz des Gerichts:
I. Wenn ein Staat die Anwesenheit eines Ausländers auf seinem Hoheitsgebiet duldet und ihm damit die Möglichkeit gibt, die Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung oder einen Rechtsbehelf abzuwarten, ermöglicht er ihm, am gesellschaftlichen Leben des Landes teilzunehmen, Beziehungen aufzubauen und eine Familie zu gründen. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass nach Art 8 EMRK die Behörden dieses Staates verpflichtet wären, dem Ausländer zu erlauben, sich im Land niederzulassen.

II. Wenn ein Fremder sein Privatleben im Hoheitsgebiet eines Staats aufbaut, obwohl er sich dort illegal aufhält, stellt die spätere Verweigerung einer Aufenthaltsgenehmigung nur unter außergewöhnlichen Umständen eine Verletzung von Art 8 EMRK dar.

III. Der Umfang der positiven Verpflichtung eines Staates, eine ausländische Person auf seinem Hoheitsgebiet zuzulassen, hängt von der besonderen Situation dieser Person und dem Gemeinwohl ab.

IV. Bei der Verweigerung eines Aufenthaltstitels für einen Fremden, der sich seit mehr als 50 Jahren in diesem Staat aufhält und hier beruflich, privat und familiär integriert ist, darf einer vor rund 20 Jahren ausgesprochenen, aber nie durchgesetzten Ausweisung nicht das alleine entscheidende Gewicht beigemessen werden. Vielmehr muss eine sorgfältige Abwägung unter Berücksichtigung der Gesamtdauer des Aufenthalts, der ursprünglichen Rechtmäßigkeit desselben und der unzureichenden Bemühungen der Behörden um Durchsetzung der Ausweisung erfolgen.
- | Online seit - 12.10.2023
3148

Judikatursammlung

Ausweisung wegen angeblicher Zusammenarbeit mit Geheimdienst seines Heimatlands, ohne ihm im Verfahren Zugang zu klassifizierten Dokumenten zu gewähren

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Beschwerde über die Verwehrung ausreichender prozessualer Garantien im Verfahren über eine Ausweisung wird vom EGMR ausschließlich unter Art 1 7. ZPEMRK geprüft, auch wenn sich der Beschwerdeführer auf Art 6 und Art 13 EMRK stützt.

II. Ein von einer Ausweisung betroffener Fremder muss gemäß Art 1 7. ZPEMRK über die Gründe informiert werden, auf die sich die Einschätzung der Behörden stützt, er würde die nationale Sicherheit gefährden. Er muss auch Zugang zu den Dokumenten erhalten, auf die sich die Behörden dabei stützen.

III. Der eingeschränkte Zugang zu solchen Dokumenten und Informationen kann unter den besonderen Umständen des Falls gerechtfertigt sein. Mit Art 1 7. ZPEMRK sind jedoch nur Einschränkungen der Verfahrensrechte vereinbar, die angemessen gerechtfertigt sind und durch ausreichende ausgleichende Faktoren kompensiert werden. Je stärker der Zugang zu den Informationen eingeschränkt wird, desto wichtiger sind die ausgleichenden Faktoren. Was genau zum Ausgleich geboten ist, hängt von den konkreten Umständen ab. Der EGMR beurteilt, ob das Verfahren insgesamt betrachtet so gestaltet war, dass der Wesenskern der durch Art 1 7. ZPEMRK garantierten Rechte gewahrt wurde. Der betroffene Fremde muss jedenfalls in der Lage sein, Gründe gegen seine Ausweisung vorzubringen, und diese darf nicht willkürlich sein.

IV. Eine Ausweisung unter Verweis auf Gründe der nationalen Sicherheit, ohne der betroffenen Person nähere Informationen über die ihr vorgeworfenen Handlungen zu geben oder ihr Zugang zu den relevanten Dokumenten zu gewähren, stellt eine massive Beschränkung ihrer Verfahrensrechte dar, die durch entsprechend starke Faktoren ausgeglichen werden muss.

V. Eine anwaltliche Vertretung kann die mit der Verweigerung des Zugangs zu relevanten Aktenbestandteilen verbundene Einschränkung der Verteidigungsrechte nicht ausgleichen, wenn der Anwalt selbst mangels der erforderlichen Sicherheitsfreigabe ebenfalls keinen Zugang zu den Dokumenten erhält und die betroffene Person auch nicht darüber aufgeklärt wird, wen sie beauftragen oder wie sie sonst einen Zugang zu den Akten erhalten könnte.
- | Online seit - 11.10.2023
3147

Judikatursammlung

Aufenthalt in einem anderen EU-Mitgliedstaat als jenem des Daueraufenthaltsrechts

Leitsatz des Gerichts:
I. Das Aufenthaltsrecht von in einem (ersten) Mitgliedstaat die Rechtsstellung des langfristig Aufenthaltsberechtigten genießenden Drittstaatsangehörigen in einem (zweiten) Mitgliedstaat ist lediglich derivativen Charakters und folglich vom Fortbestand der Rechtsstellung des langfristig Aufenthaltsberechtigten im ersten Mitgliedstaat abhängig. Dementsprechend darf bzw sogar muss der zweite Mitgliedstaat bei der Verlängerung von Aufenthaltstiteln iSd Art 14 ff RL 2003/109/EG das Fortbestehen des zugrunde liegenden Daueraufenthaltsrechts im ersten Mitgliedstaat prüfen.

II. Beurteilungszeitpunkt für das Fortbestehen der Rechtsstellung des langfristig Aufenthaltsberechtigten im ersten Mitgliedstaat ist der Zeitpunkt der Antragstellung im zweiten Mitgliedstaat.

III. Zum Verlust der Rechtsstellung des langfristig Aufenthaltsberechtigten kann es insb nach einer sechsjährigen Abwesenheit im ersten Mitgliedstaat kommen (Art 9 Abs 4 UAbs 2 RL 2003/109/EG). Bereits kurzfristige, "wenige Tage nicht überschreitende", Aufenthalte im ersten Mitgliedstaat unterbrechen die genannte Frist.

IV. Die Beweislast für das Fortbestehen der Rechtsstellung trägt der Antragsteller. Der zweite Mitgliedstaat hat ihn zur Vorlage von Beweismitteln insb im Hinblick auf dessen Aufenthalte im ersten Mitgliedstaat aufzufordern. Ferner muss der zweite Mitgliedstaat prüfen, ob der erste Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht von der Sechs-Jahres-Frist gemäß Art 9 Abs 4 UAbs 3 RL 2003/109/EG suspendiert hat. Der zweite Mitgliedstaat muss mit dem ersten die Zusammenarbeit suchen (vgl Art 4 Abs 3 EUV).

V. Der zweite Mitgliedstaat darf die Verlängerung des abgeleiteten Aufenthaltstitels iSd Art 14 ff RL 2003/109/EG nicht mit der Begründung des Nachweises fehlenden Wohnraums verweigern, sofern er in seinem nationalen Recht nicht hinreichend klar die diesbezügliche Ermächtigung des Art 15 Abs 4 UAbs 2 RL 2003/109/EG genutzt hat.
- | Online seit - 10.10.2023
3146

Judikatursammlung

Asylverfahren in Ungarn auf Grund eines pandemischen Notstands erst nach Gang zur Botschaft in Belgrad oder Kiew

Leitsatz des Gerichts:
I. In Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH (Art 258 ff AEUV) ist die Kognition des Gerichtshofs auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Ablaufs der Frist für die Abgabe einer Stellungnahme des belangten Mitgliedstaats beschränkt.

II. Aus Art 6 RL 2013/32/EU ergibt sich, dass jeder Drittstaatsangehörige sowohl innerhalb eines Mitgliedstaates (auch nach illegaler Einreise) als auch an der Grenze einen Asylantrag stellen können muss, ohne dass dies von einer Verwaltungsformalität abhängig gemacht werden darf.

III. Ein Abweichen von Art 6 RL 2013/32/EU kann nicht mit dem Schutz der Gesundheit zum Zeitpunkt einer Pandemie gerechtfertigt werden, weil die Eignung des Vereitelns des Zugangs zum Asylverfahren für den Gesundheitsschutz nicht ersichtlich ist und es gelindere Mittel gibt.

IV. Für einen Mitgliedstaat, der eine unionsrechtliche Verpflichtung in seinem nationalen Recht zu suspendieren sucht, genügt es auf Rechtfertigungsebene nicht, sich unsubstantiiert auf Art 72 AEUV zu berufen.
- | Online seit - 09.10.2023
3144

Judikatursammlung

Prüfung, ob Schutz durch UNRWA besteht

Leitsatz des Gerichts:
I. Voraussetzungen für den "ipso facto-Schutz" der Status-RL sind lediglich die Stellung eines Asylantrags sowie die Prüfung durch die Asylbehörden, ob der Beistand von UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen wurde, dieser nicht länger gewährt wird und keiner der Ausschlussgründe nach Art 12 Abs 1 lit b oder Abs 2 und 3 der RL 2011/95/EU vorliegt.

II. Für die Frage der Zuerkennung des "ipso facto-Schutzes" ist weiter maßgeblich, ob der Schutz bzw Beistand von UNRWA als weggefallen iSd RL 2011/95/EU anzusehen ist.
- | Online seit - 06.10.2023
3145

Judikatursammlung

Subsidiärer Schutz wegen Diskriminierung aufgrund einer geistigen Beeinträchtigung

Leitsatz des Gerichts:
I. Wenngleich eine Diskriminierung aufgrund einer geistigen Beeinträchtigung keinen Asylgrund iSd GFK darstellt, kann dies dennoch einen Anspruch auf subsidiären Schutz begründen, wenn davon die Belange des Art 3 EMRK berührt sind.

II. Ist eine Diskriminierung aufgrund einer geistigen Beeinträchtigung im gesamten Staatsgebiet tief verwurzelt und besteht kein ausreichender staatlicher Schutz, so kann aufgrund einer Verletzung der Rechte des Art 3 EMRK Anspruch auf subsidiären Schutz bestehen.

III. Befindet sich die fremde, geistig beeinträchtigte Person in der Obhut und Versorgung ihrer Eltern, so treffen diese im Falle einer Rückkehr nach Indien die Zustände betreffend Diskriminierungen geistig beeinträchtigter Personen nicht in voller Härte, denn es droht ihr nicht, der Unterbringung in einem Heim/einer Anstalt ausgesetzt zu werden. Dass sich diese Situation zukünftig im Falle eines Ablebens der Eltern verändern kann, ist nicht von Relevanz, da stets die Frage einer aktuellen Verfolgungsgefahr zum Zeitpunkt der Entscheidung zu beurteilen ist.
- | Online seit - 05.10.2023
3143

Judikatursammlung

Zur Ermittlungs- versus Mitwirkungspflicht iZm fraglicher Annahme einer fremden Staatsangehörigkeit

Leitsatz des Gerichts:
I. Nach stRsp verlangt § 27 Abs 1 StbG nicht eine "hundertprozentige Sicherheit" für die Feststellung des (Wieder-)Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit aufgrund des Antrags, der Erklärung oder der ausdrücklichen Zustimmung des Betroffenen. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht im Feststellungsverfahren nach § 27 Abs 1 StbG verpflichtet, den zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln. In diesem Zusammenhang ist auf den mit § 45 Abs 2 AVG normierten Grundsatz der freien Beweiswürdigung hinzuweisen, wonach die Behörde bzw iVm § 17 VwGVG das Verwaltungsgericht bei der Beweiswürdigung nicht an feste Beweisregeln gebunden ist, sondern den Wert der aufgenommenen Beweise nach bestem Wissen und Gewissen nach deren innerem Wahrheitsgehalt zu beurteilen hat.

II. Es ist keinesfalls unvertretbar, wenn das Verwaltungsgericht angesichts der türkischen Rechtslage, wonach die (Wieder-)Einbürgerung eines Antrags des (Wieder-)Einzubürgernden bedarf, davon ausging, dass der Verleihung ein Antrag des Revisionswerbers zugrunde lag.

III. Der VwGH hat bereits vielfach auf die offenkundige Unmöglichkeit, von Amts wegen personenbezogene Auskünfte von den türkischen Behörden zu erhalten, und die sich daraus ergebende Mitwirkungspflicht des Betroffenen durch Vorlage entsprechender Auszüge bzw Aktenabschriften hingewiesen. Die Mitwirkungspflicht der Partei ist gegenüber der Pflicht zur amtswegigen Erforschung des gemäß § 27 Abs 1 StbG maßgeblichen Sachverhalts umso größer, als es der Behörde bzw dem Verwaltungsgericht unmöglich ist, personenbezogene Auskünfte über einen Betroffenen zu erhalten, und es deshalb der Mitwirkung des Betroffenen bedarf.
- | Online seit - 04.10.2023
3141

Judikatursammlung

Eheschließung "auch" zum Zweck der Erlangung eines Aufenthaltstitels bzw einer Aufenthaltskarte schadet grundsätzlich nicht

Leitsatz des Gerichts:
Alleine der Umstand, dass eine Ehe "auch" zum Zweck der Erlangung eines Aufenthaltstitels geschlossen wird, begründet nicht das Vorliegen einer Aufenthaltsehe. Gemäß § 30 Abs 1 NAG ist eine "Aufenthaltsehe" vielmehr durch das Nichtvorliegen eines gemeinsamen Familienlebens iSd Art 8 EMRK gekennzeichnet. Liegt daher ein solches Familienleben im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vor, kommt die Annahme einer der Erteilung eines Aufenthaltstitels bzw einer Aufenthaltskarte entgegenstehenden Aufenthaltsehe nicht in Betracht.
- | Online seit - 03.10.2023
3142

Judikatursammlung

Fall analog Ruiz Zambrano, obwohl sich der minderjährige Unionsbürger schon außerhalb der EU befindet?

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Mitgliedstaaten sind gemäß Art 20 AEUV dazu verpflichtet, drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von Unionsbürgern ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zu erteilen, wenn anderenfalls ein faktischer Zwang auf den Unionsbürger ausgeübt würde, das Unionsgebiet zu verlassen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Unionsbürger von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat (stRsp seit EuGH 8.3.2011, C-34/09 [Ruiz Zambrano] ECLI:EU:C:2011:124).

II. Hingegen kommen Drittstaatsangehörigen aus dem Institut der Unionsbürgerschaft keine originären Rechte zu.

III. Kein faktischer Zwang entgegen der stRsp seit "Ruiz Zambrano" wird auf einen Unionsbürger durch Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen ausgeübt, wenn sich Ersterer schon außerhalb des Unionsgebiets befindet. Diese Judikatur kann allenfalls wieder relevant werden, wenn der Unionsbürger in Begleitung seiner drittstaatsangehörigen Bezugsperson in das Unionsgebiet einzureisen und sich dort aufzuhalten gedenkt.

IV. Die Mitgliedstaaten dürfen einen Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht iSd Art 20 AEUV nicht mit der Begründung ablehnen, dass der Umzug in diesen Mitgliedstaat, der mit der Ausübung der Rechte des Kindes als Unionsbürger einhergeht, nicht im tatsächlichen oder glaubhaft erscheinenden Interesse des Kindes liege. Widrigenfalls würde das allgemeine Freizügigkeitsrecht, dem ein absolutes Einreiserecht des Unionsbürgers innewohnt, unzulässigerweise unter einen Vorbehalt gestellt.

V. Für die Frage eines aus Art 20 AEUV zwingend abgeleiteten Aufenthaltsrechts kommt es einzig auf das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses des Unionsbürgers zum Drittstaatsangehörigen an. Dieses kann sich in rechtlicher, finanzieller und/oder affektiver Sorge äußern, wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt.

VI. Da bei der Prüfung eines Abhängigkeitsverhältnisses alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen sind, ist ein solches nicht stets schon dann ausgeschlossen, wenn der drittstaatsangehörige Elternteil nicht immer die tägliche Sorge für den minderjährigen Unionsbürger wahrgenommen hat.
- | Online seit - 02.10.2023
3140

Judikatursammlung

Zum Wegfall des Aufenthaltstitels eines Drittstaatsangehörigen nach der Scheidung von einer EWR-Bürgerin

Leitsatz des Gerichts:
I. Das Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen nach der Scheidung von EWR-Bürgern bleibt bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs 1 Z 1 oder 2 NAG erhalten, sofern zusätzlich einer der taxativ aufgezählten Tatbestände des § 54 Abs 5 NAG erfüllt wird.

II. Steht die fremde Person in ihrem Herkunftsstaat mit den dort lebenden Familienangehörigen (zB Kinder und Enkelkinder) in Kontakt und hat sie etwa auch ein in ihrem Eigentum stehendes Haus im Heimatstaat, so können die Bindungen zu diesem Staat grds (insb wenn die fremde Person in Österreich weder arbeitet noch sonst integriert ist) als wesentlich größer als jene zu Österreich qualifiziert werden.
- | Online seit - 29.09.2023
3139

Judikatursammlung

Zur Inlandsantragstellung im familiären Kontext

Leitsatz des Gerichts:
I. Für die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzung des § 21 Abs 3 Z 2 NAG ist die VwGH-Rsp zur Interessenabwägung nach § 11 Abs 3 NAG bzw Art 8 EMRK maßgeblich.

II. Eine Unvertretbarkeit der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung der Zulässigkeit eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben nach Art 8 EMRK – und damit eine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG – liegt vor, wenn das LVwG den in der Rsp des VwGH wiederholt zum Ausdruck gebrachten Grundsatz nicht hinreichend beachtet, dass der Bindung eines Fremden an einen österreichischen Ehepartner und ein gemeinsames Kind (hier: ebenfalls österreichischer Staatsbürgerschaft) im Rahmen der Abwägung nach Art 8 EMRK große Bedeutung zukommt.
- | Online seit - 28.09.2023
3138

Judikatursammlung

Diversionelle Einstellung des Strafverfahrens kein Beweis für Scheinehe: mündliche Verhandlung erforderlich

Leitsatz des Gerichts:
I. Bei der Klärung der nach § 30 Abs 1 NAG relevanten Frage, ob Ehegatten ein gemeinsames Familienleben iSd Art 8 EMRK führen oder nicht, kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks besondere Bedeutung zu.

II. Weder aus dem auf der Anwendung der §§ 198, 199 und 200 Abs 5 StPO beruhenden, keine Bindungswirkung entfaltenden Einstellungsbeschluss des Bezirksgerichts noch aus dem Umstand, dass der Revisionswerber – aus welchen Gründen auch immer – die Diversion als Mittel der Erledigung des gegen ihn auf Grundlage des § 117 Abs 1 FPG geführten Strafverfahrens hingenommen hat, lässt ohne Weiteres auf die Richtigkeit des gegen ihn erhobenen Tatvorwurfs (Eingehen einer Aufenthaltsehe) schließen.
- | Online seit - 27.09.2023
3137

Judikatursammlung

Engagement für Selbstbestimmung der Tochter in Afghanistan als (unterstellte) politische Überzeugung

Leitsatz des Gerichts:
I. Ein Engagement eines Mannes für ein selbstbestimmtes Leben einer Frau (Ermöglichung des Studiums und der selbständigen Berufsausübung, Ablehnung einer Zwangseheschließung) führt im Taliban-kontrollierten Afghanistan zum Verfolgungsgrund einer asylrelevanten unterstellten politischen bzw religiösen Gesinnung.

II. Verfolgung auf Grund politischer bzw religiöser Überzeugung droht auch ehemaligen Sicherheitskräften, ungeachtet des Umstands oder der Dauer von deren Pensionierung.
- | Online seit - 26.09.2023
3108

Judikatursammlung

Neuerlich zur Unterhaltsberechnung

Leitsatz des Gerichts:
I. Bei der Berechnung des vorhandenen Einkommens iSd § 11 Abs 5 NAG sind auch Sonderzahlungen anteilig zu berücksichtigen.

II. Monatliche Zahlungen aufgrund eines Bausparvertrags sind nicht als Belastungen iSd § 11 Abs 5 NAG zu berücksichtigen – und zwar schon deshalb nicht, weil ein Bausparvertrag auch vorzeitig gekündigt werden kann.

III. Nur über die gewöhnliche Lebensführung hinausgehende regelmäßige finanzielle Belastungen (wie zB im Fall einer besonders hohen Miete) sollen zu einer Schmälerung der regelmäßig zur Verfügung stehenden festen Einkünfte führen. Dies trifft etwa auf Rundfunkgebühren nicht zu. Derartige finanzielle Belastungen bewegen sich weder ihrer Art noch ihrer Höhe nach außerhalb des Rahmens der bei einer Durchschnittsbetrachtung zu erwartenden Lebensführungskosten.
- | Online seit - 25.09.2023
3136

Judikatursammlung

Antragszurückweisung wegen Aufenthaltsehe: meritorische Entscheidung im Beschwerdeverfahren unzulässig

Leitsatz des Gerichts:
I. Nach stRsp des VwGH ist dann, wenn die Behörde den verfahrenseinleitenden Antrag zurückgewiesen hat, das Verwaltungsgericht lediglich befugt, darüber zu entscheiden, ob die von der Behörde ausgesprochene Zurückweisung als rechtmäßig anzusehen ist.

II. In Fällen des § 54 Abs 7 NAG ist gemäß dem vorletzten Satz des § 55 Abs 3 NAG nicht nach dieser Bestimmung vorzugehen. Sonst aber wäre, wenn die Voraussetzungen für die Ausstellung der beantragten Aufenthaltskarte nicht gegeben sind, die in § 55 Abs 3 NAG vorgesehene Vorgangsweise einzuhalten, wobei es vor dem Hintergrund des Inhalts des § 51 NAG für die Beurteilung eines Aufenthaltsrechts nach dieser Bestimmung nicht ausreicht, nur auf die Sozialversicherungsdaten abzustellen.
- | Online seit - 22.09.2023
3135

Judikatursammlung

Diskriminierung iSd Art 3 GFK aufgrund des alleinigen Abstellens auf die Herkunft bei der Zurückweisung eines Asylantrags

Leitsatz des Gerichts:
I. Das österreichische Asylrecht differenziert nicht zwischen Anträgen auf internationalen Schutz von Unionsbürgern und jenen von Drittstaatsangehörigen. Folglich besteht auch keine Befugnis zur Antragszurückweisung alleine aufgrund der Herkunft einer asylwerbenden Person aus einem Mitgliedstaat der EU. Das bloße Abstellen auf die Herkunft bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Antrags ist zudem im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot des Art 3 GFK problematisch.

II. Eine Zurückweisung, alleinig gestützt auf das Asylprotokoll, ist ohne jegliche inhaltliche Prüfung (obwohl prima facie keiner der in lit a–d Asylprotokoll aufgezählten Ausnahmefälle vorliegt) mit Rechtswidrigkeit behaftet.
- | Online seit - 21.09.2023
3134

Judikatursammlung

Zum Sozialhilfebezugsrecht dauerhaft niedergelassener Fremder

Leitsatz des Gerichts:
I. § 4 Abs 1 erster Satz Sozialhilfe-GrundsatzG wurde durch § 4 Abs 2 Z 2 Sbg SozialunterstützungsG (welcher inhaltlich § 5 Abs 1 OÖ Sozialhilfe-AusführungsG entspricht) umgesetzt. Das darin normierte Erfordernis der "Dauerhaftigkeit" bezieht sich sowohl auf einen tatsächlichen wie auch auf einen rechtmäßigen mindestens fünfjährigen Aufenthalt des "dauerhaft niedergelassenen Fremden".

II. In Bezug auf einen allfälligen Sozialhilfeanspruch Fremder wird in § 4 Abs 1 Sozialhilfe-GrundsatzG auf einen – durch eine fünfjährige "Wartefrist" näher bestimmten – "dauerhaften rechtmäßigen Aufenthalt" des Fremden im Inland abgestellt, ohne das Erfordernis bestimmter Aufenthaltstitel zu normieren. Fremde mit einem Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" zählen nicht "bereits alleine deshalb" zu dem nach § 4 Abs 1 Sozialhilfe-GrundsatzG (bzw § 4 Abs 2 Z 2 Sbg SozialunterstützungsG) bezugsberechtigten Personenkreis. Die dahingehende Rsp des VwGH ist auf § 5 Abs 1 OÖ Sozialhilfe-AusführungsG übertragbar.

III. Der Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" gemäß § 8 Abs 1 Z 2 NAG, der zu einer befristeten Niederlassung in Österreich berechtigt, ist nicht von vornherein ungeeignet, die Voraussetzungen nach § 5 Abs 1 OÖ Sozialhilfe-AusführungsG zu erfüllen. Liegen mehrere aufeinanderfolgende befristete Aufenthaltstitel nach § 8 Abs 1 Z 2 NAG vor, die in Summe die fünfjährige "Wartefrist" abdecken, kann nicht gesagt werden, der Betreffende sei nicht als gemäß § 5 Abs 1 OÖ Sozialhilfe-AusführungsG "dauerhaft niedergelassener Fremder", der sich "seit mindestens fünf Jahren dauerhaft, tatsächlich und rechtmäßig im Bundesgebiet" aufhält, anzusehen.

IV. Weder der Wortlaut des § 4 Abs 1 Sozialhilfe-GrundsatzG noch jener des § 5 Abs 1 OÖ Sozialhilfe-AusführungsG lassen erkennen, dass damit – ausschließlich – auf einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" iSd § 45 NAG Bezug genommen würde.
- | Online seit - 20.09.2023