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Judikatursammlung

Unzulässigkeit einer Maßnahmenbeschwerde gegen eine "bevorstehende" Abschiebung

Leitsatz des Gerichts:
I. Bei einer Maßnahmenbeschwerde hat die bekämpfte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung entweder noch anzudauern oder sie muss bereits vor der Beschwerdeerhebung stattgefunden haben. Dies erschließt sich implizit bereits aus § 7 Abs 4 Z 3 VwGVG, weshalb eine Maßnahmenbeschwerde, welche die Abschiebung zum Gegenstand hat, noch nicht erhoben werden kann, wenn sich die von der Befehls- und Zwangsgewalt betroffene Person – vor dem Stattfinden der Abschiebung – bloß in Verwaltungsverwahrungshaft befindet.

II. Wird die Prüfung einer "bevorstehenden" Abschiebung (dh im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung ist noch gar keine Abschiebung erfolgt) mittels Maßnahmenbeschwerde begehrt, so liegen die Voraussetzungen für die Beschwerdeerhebung nicht vor, weshalb eine allfällige Maßnahmenbeschwerde als unzulässig zurückzuweisen ist.

III. Zur Vermeidung von Doppelgleisigkeiten darf nach vollzogener Festnahme keine gesonderte Anfechtung eines Festnahmeauftrags erfolgen. Bei der Überprüfung der Festnahme ist allerdings auch zu beurteilen, ob diese Festnahme rechtswidrig war, weil der Festnahmeauftrag nicht hätte ergehen dürfen oder weil dieser jedenfalls vor seinem Vollzug zu widerrufen gewesen wäre.
- | Online seit - 16.11.2023
3172

Judikatursammlung

Keine ausreichende Begründung eines Einreiseverbotes bloß aufgrund aktuell bestehender Mittellosigkeit

Leitsatz des Gerichts:
I. Es besteht keine sachliche Rechtfertigung zur Verhängung eines Einreiseverbotes bloß aufgrund mangelnder finanzieller Mittel zum Zeitpunkt der Erlassung der Rückkehrentscheidung.

II. Aufgrund der geltenden fremden- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen ist im Falle einer neuerlichen Einreise sichergestellt, dass ein Drittstaatsangehöriger ohne entsprechende finanzielle Mittel an der Einreise gehindert wird.
- | Online seit - 15.11.2023
3171

Judikatursammlung

Fehlende Überprüfung des gesundheitlichen Zustandes zwecks Beurteilung der tatsächlichen Überstellbarkeit nach Dublin III-VO

Leitsatz des Gerichts:
I. Es besteht kein Recht am Verbleib in einem fremden Aufenthaltsstaat, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden. Auch der Umstand, dass eine Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es Behandlungsmöglichkeiten gibt.

II. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art 3 EMRK. Die Prüfung derartiger außergewöhnlicher Umstände bedarf diesbezüglicher Feststellungen zum aktuellen Gesundheitszustand der betreffenden Person.
- | Online seit - 14.11.2023
3170

Judikatursammlung

Gebotene persönliche Vorsprache zur Identifizierung im Rahmen von Rückübernahmeabkommen

Leitsatz des Gerichts:
Selbst dann, wenn ein besonderes Identifizierungsverfahren nach § 46 FPG nicht erforderlich ist, kann eine persönliche Vorsprache zur Identifizierung gemäß dem jeweils zugrunde liegenden Rückübernahmeabkommen geboten sein.
- | Online seit - 13.11.2023
3169

Judikatursammlung

Versagung der Ausstellung eines Konventionsreisepasses aufgrund evidenter Tatsachen

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Versagung eines Konventionsreisepasses stellt eine vorbeugende Sicherungsmaßnahme zur Abwendung künftiger Straftaten dar. Bei der Prüfung, ob die vom Gesetz geforderte Annahme gerechtfertigt ist (Zukunftsprognose), ist festzustellen, ob Tatsachen vorliegen, die diese Annahme rechtfertigen. Bei der Beurteilung ist der Behörde kein Ermessen eingeräumt, das ein Absehen von der Versagung erlaubt.

II. Für die Versagung der Ausstellung eines Konventionsreisepasses ist allein das Vorliegen eines der Versagungsgründe des § 92 Abs 1 FPG ausreichend, welcher als lex specialis gegenüber den allgemeinen Bestimmungen des PassG anzusehen ist.

III. Bei der Versagung bzw Entziehung eines Konventionsreisepasses ist auf persönliche oder wirtschaftliche Interessen des Betroffenen keine Rücksicht zu nehmen.
- | Online seit - 10.11.2023
3168

Judikatursammlung

Zuständigkeitsübergang aufgrund Verabsäumung der fristgerechten Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat nach Dublin III-VO

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Überstellung eines Antragstellers in den gemäß Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat hat grundsätzlich spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs zu erfolgen. Diese Frist kann nur in Ausnahmegründen verlängert werden.

II. Sofern eine fristgerechte Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß Dublin III-VO unterbleibt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme verpflichtet und geht die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat über.
- | Online seit - 09.11.2023
3167

Judikatursammlung

Unbegründetheit eines Antrages auf internationalen Schutz rechtfertigt für sich allein keine Verhängung eines Einreiseverbotes

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz, welcher sich im Verfahren als unbegründet herausstellt, begründet für sich alleine keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.

II. Bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und einem Einreiseverbot handelt es sich um trennbare Spruchbestandteile, sodass mit einer Rückkehrentscheidung nicht zwingend auch ein Einreiseverbot einhergehen muss.

III. Ein unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz erfüllt den Tatbestand des § 53 Abs 2 FPG hinsichtlich der Zulässigkeit der Erlassung eines Einreiseverbotes für sich alleine nicht.
- | Online seit - 08.11.2023
3166

Judikatursammlung

Zur Vorgangsweise nach § 55 Abs 3 NAG bei Verneinung der Voraussetzungen für ein abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht

Leitsatz des Gerichts:
I. Bei § 55 Abs 3 NAG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Bestimmung, die gemäß § 17 VwGVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sinngemäß zur Anwendung gelangt. Sie ist daher ungeachtet dessen, dass in § 55 Abs 3 NAG lediglich von der "Behörde" die Rede ist, auch vom LVwG anzuwenden.

II. Aufgrund der Vorgaben des § 55 Abs 3 NAG ist dem LVwG in einer Konstellation, in der die Fremde die neuerliche Ausstellung einer Aufenthaltskarte auf ein von ihren Kindern abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich stützt, eine Abweisung ihres Antrags wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 54 NAG versagt.

III. Wenn das LVwG die Voraussetzungen für die Ausstellung einer Aufenthaltskarte als nicht gegeben erachtet, sind diese Voraussetzungen (wenn kein Fall des § 54 Abs 7 NAG vorliegt) vom gemäß § 55 Abs 3 NAG hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung zu befassenden BFA als Vorfrage im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung zu prüfen. Dies gilt grundsätzlich auch für den Fall, dass das BFA bereits zuvor aus einem anderen (nicht verfahrensgegenständlichen) Grund nach § 55 Abs 3 NAG befasst worden sein sollte. Richtigerweise hat das LVwG daher, auch wenn seiner Auffassung nach die Voraussetzungen für die neuerliche Ausstellung einer Aufenthaltskarte nicht gegeben sind, einen dahingehenden Antrag nicht abzuweisen, sondern sind vielmehr nach Einräumen von Parteiengehör die in § 55 Abs 3 NAG vorgesehenen Verfahrensschritte zu setzen. Eine Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens iSv Art 8 EMRK ist jedenfalls auch im Rahmen des anschließend vor dem BFA zu führenden Verfahrens gewährleistet.
- | Online seit - 07.11.2023
3165

Judikatursammlung

Leukämie als Rückkehrhindernis (Georgien)

Leitsatz des Gerichts:
I. Mit Blick auf Krankheiten führen Abschiebungen nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zu einer Verletzung von Art 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben; aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt.

II. In Georgien bestehen zwar an sich eine stabile Sicherheitslage und ein intaktes Gesundheitssystem und ist in aller Regel nicht von einer aussichtslosen Lage für Rückkehrer auszugehen. Allerdings steht für Leukämiepatienten eine notwendige allogene Knochenmark- bzw Stammzellentransplantation nicht zur Verfügung. Da eine Rückkehr für Personen, die diese Therapie dringend benötigen, die Gefahr des Todes bedeuten würde, ist ihnen jedenfalls subsidiärer Schutz zu gewähren.
- | Online seit - 06.11.2023
3160

Judikatursammlung

Westlich orientierte Frau aus Bangladesch

Leitsatz des Gerichts:
I. In der streng von islamisch-konservativen Werten geprägten Gesellschaft Bangladeschs besteht keine generelle Verfolgung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts.

II. Wohl aber laufen Frauen, die sich mit ihrer Lebensführung (Selbstbestimmung hinsichtlich Berufs- und Partnerwahl, westlicher Lebenswandel) in Widerspruch zu den tradierten Werten setzen, Gefahr, aufgrund einer unterstellten religiösen oder politischen Gesinnung (Verfolgungsgrund) Misshandlungen ausgesetzt zu sein (Verfolgungshandlungen). Effektive Schutzmaßnahmen des Staates bestehen nicht, sodass Frauen aus Bangladesch mit den genannten Eigenschaften der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
- | Online seit - 03.11.2023
3158

Judikatursammlung

Zur Beurteilung einer (potenziellen) ordre public-Widrigkeit von Kinderehen

Leitsatz des Gerichts:
I. Es ist verfehlt, etwa allein aufgrund des Alters im Zeitpunkt der Eheschließung (hier: 14 Jahre alte Ehefrau), von vornherein eine ordre public-widrige Ehe anzunehmen. Vielmehr sind zuerst Ermittlungen zu den maßgeblichen Bestimmungen des jeweiligen (hier: syrischen) Eherechts vorzunehmen, um die Rechtsgültigkeit der Ehe festzustellen.

II. Handelt es sich um eine rechtsgültig zustande gekommene Ehe (hier: nach dem syrischen Eherecht), so ist in der Folge unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Rsp eine allfällige ordre public-Widrigkeit der Ehe zu klären.

III. Bei der Beurteilung, ob eine gegen den ordre public-Grundsatz verstoßende Kinderehe vorliegt, ist zu prüfen, ob die Entscheidung über die Eheschließung ohne Einschränkung der Willensfreiheit erfolgte. Maßgeblich ist hierbei, dass die Ehe selbstbestimmt und ohne Zwang eingegangen wurde und die Heirat mit keinen Bedingungen verknüpft war. Auch die Wahrung des Kindeswohls, der Persönlichkeitsrechte von minderjährigen Personen und der Schutz vor Ausbeutung und unzulässigen Verpflichtungen müssen in der Beurteilung beachtet werden.
- | Online seit - 02.11.2023
3157

Judikatursammlung

Anhaltung minderjähriger Kinder mit ihrer Mutter in Schubhaft ohne ausreichende Grundlage im innerstaatlichen Recht

Leitsatz des Gerichts:
I. Jede Freiheitsentziehung muss rechtmäßig sein, also eine Grundlage im nationalen Recht haben und dieser entsprechen. Zudem darf eine Freiheitsentziehung nicht willkürlich sein. Sie muss daher in gutem Glauben erfolgen und in engem Zusammenhang zum verfolgten Ziel stehen. Außerdem darf ihre Dauer nicht das Maß des unbedingt Notwendigen überschreiten.

II. Die Anhaltung Minderjähriger mit ihrer Mutter in Schubhaft ohne einer eigenen, sich auf die Kinder beziehenden Entscheidung ist unvereinbar mit Art 5 Abs 1 EMRK. Es reicht nicht aus, wenn die Behörden in der Anordnung der Schubhaft lediglich erwähnen, dass die Mutter von ihren Kindern begleitet wird, ohne dass diese Gegenstand der Entscheidung sind.

III. Die Anhaltung von Kindern, die ihre Eltern in die Schubhaft begleiten, ist nur dann mit Art 5 Abs 1 lit f EMRK vereinbar, wenn keine gelinderen Mittel zur Verfügung stehen.

IV. Die Anhaltung junger Kinder unter Bedingungen, die für sie nicht angemessen sind, verletzt Art 5 Abs 1 EMRK. Dabei ist unerheblich, ob die Kinder von ihren Eltern begleitet werden.
- | Online seit - 31.10.2023
3159

Judikatursammlung

Rückkehrsituation alleinstehender Frauen in Indien

Leitsatz des Gerichts:
I. Von privaten Akteuren ausgehende Drohungen gegen indische Frauen, die gesellschaftlich tradierten Werten zuwidergehandelt haben, sind auf keinen asylrelevanten Verfolgungsgrund zurückzuführen, auch nicht auf jenen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, zumal der indische Rechtsstaat nicht generell schutzunfähig oder schutzunwillig ist.

II. Alleinstehende indische Frauen ohne familiäre Anknüpfungspunkte haben in Indien eine so schlechte Rückkehrperspektive (kein gesichertes Existenzminimum, Gefahr sexueller Übergriffe und eine dagegen nicht hinreichend effektive Justiz), dass die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten ist. Ihnen gebührt folglich subsidiärer Schutz.
- | Online seit - 30.10.2023
3163

Judikatursammlung

Nicht zu beanstandende Interessenabwägung iZm Überschreiten der erlaubten Aufenthaltsdauer

Leitsatz des Gerichts:
I. § 11 Abs 1 Z 5 NAG enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Versagungsgrund nur bei schuldhaftem Verhalten erfüllt wäre.

II. Nach stRsp ist die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK im Allgemeinen
- wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rsp entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel iSd Art 133 Abs 4 B-VG.
- | Online seit - 27.10.2023
3162

Judikatursammlung

Einreiseverbot versus Aufenthaltstitel

Leitsatz des Gerichts:
I. Einreisevoraussetzungen nach Art 6 Abs 1 lit a, c und e SGK sind im Wesentlichen der Besitz eines gültigen Reisedokuments und ausreichender Mittel sowie die Prognose, dass von dem Drittausländer keine Gefahr ua für die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit ausgeht und der Drittausländer auch nicht aus denselben Gründen in den nationalen Datenbanken der Mitgliedstaaten zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist.

II. Das Vorliegen der Voraussetzung gemäß Art 6 Abs 1 lit d SGK ist hingegen nach Art 21 Abs 1 SDÜ für den Reiseverkehr von Drittausländern nicht erforderlich.
- | Online seit - 25.10.2023
3161

Judikatursammlung

Zu lange Zeitspanne zwischen mündlich verkündeter Entscheidung und deren schriftlicher Ausfertigung (II)

Leitsatz des Gerichts:
Die Beschwerdeführerin wird mangels zeitnaher schriftlicher Ausfertigung der mündlich verkündeten Entscheidung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt.
- | Online seit - 24.10.2023
3156

Judikatursammlung

Widerruf der Aufenthaltsbewilligung einer aus den USA stammenden Menschenrechtsaktivistin, die mit einem Russen verheiratet ist und seit zwölf Jahren in Moskau lebte

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Mitgliedstaaten der EMRK sind zur Kooperation mit dem EGMR verpflichtet. Ein Versäumnis, vom EGMR angeforderte Unterlagen vorzulegen, begründet eine Verletzung von Art 38 EMRK.

II. Die Ausweisung eines Familienmitglieds kann einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens begründen. Ein solcher Eingriff in die durch Art 8 EMRK geschützten Rechte erfordert zunächst eine gesetzliche Grundlage, die auch ausreichenden Schutz gegen Willkür und Missbrauch durch die Behörden bietet.

III. Interessen der nationalen Sicherheit können den Widerruf eines Aufenthaltstitels rechtfertigen. Auch wenn es um die nationale Sicherheit geht, verlangen die Rechtmäßigkeit und die Rechtsstaatlichkeit, dass Maßnahmen, die sich auf die Menschenrechte auswirken, einem zweiseitigen Verfahren vor einem unabhängigen Spruchkörper unterworfen sind, in dem die Gründe für die Entscheidung und die relevanten Beweise überprüft werden. Falls nötig kann dabei die Verwendung von als geheim klassifizierten Informationen eingeschränkt werden. Es ist jedoch mit Art 8 EMRK unvereinbar, wenn ein Aufenthaltstitel unter Verweis auf einen Geheimdienstbericht widerrufen wird, ohne dass die betroffene Person je erfährt, warum sie als Gefährdung der nationalen Sicherheit betrachtet wird.

IV. Es verstößt gegen Art 18 EMRK, wenn einer Menschenrechtsaktivistin der Aufenthaltstitel entzogen und sie ausgewiesen wird und diese Maßnahme tatsächlich nicht wie von den Behörden behauptet dem Schutz der nationalen Sicherheit dient, sondern der Sanktionierung für die dem Staat unliebsamen Aktivitäten.
- | Online seit - 23.10.2023
3155

Judikatursammlung

Unzureichende Ermittlungen zur Klärung der Ursachen für ein tödliches Feuer in Polizeistation, bei dem drei Migranten starben

Leitsatz des Gerichts:
I. Da sich Personen in Haft in einer besonders verletzlichen Situation befinden, trifft die Behörden eine Verpflichtung, sich um sie zu kümmern. Stirbt eine Person unter ungeklärten Umständen in Haft, wirft dies die Frage auf, ob der Staat seiner Verpflichtung nachgekommen ist, das Recht auf Leben dieser Person zu schützen. Allerdings darf diese Verpflichtung nicht so ausgelegt werden, dass den Behörden eine unverhältnismäßige oder nicht zu erfüllende Bürde auferlegt wird. Nicht jede behauptete Lebensgefahr kann daher das Ergreifen operativer Maßnahmen zur Verhinderung ihres Eintretens erfordern.

II. Eine positive Verpflichtung zum Schutz des Lebens besteht, wenn die Behörden vom Bestehen einer realen und unmittelbaren Lebensgefahr wissen oder wissen müssten. Doch selbst wenn keine solchen Informationen vorliegen, müssen Polizisten und Strafvollzugsbeamte gewisse grundlegende Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um ein mögliches Risiko für die Gesundheit und das Wohlergehen von inhaftierten Personen zu gewährleisten. Dies verlangt insb eine gründliche Personendurchsuchung vor der Verbringung in eine Zelle, bei der gefährliche Gegenstände wie Feuerzeuge abgenommen werden müssen.

III. Eine Verletzung der positiven Verpflichtungen, das Recht auf Leben inhaftierter Personen zu schützen, kann sich auch aus unzureichenden baulichen, technischen und organisatorischen Brandschutzvorkehrungen ergeben.

IV. Wenn eine Person unter Umständen stirbt, die möglicherweise eine Verantwortlichkeit des Staates begründen, muss der Staat eine angemessene Untersuchung durchführen. Die Untersuchungsbehörden müssen unabhängig sein und ein rasches, sorgfältiges und effizientes Verfahren durchführen. Im Zuge der Ermittlungen müssen über die persönliche Verantwortung einzelner Beamter auch mögliche strukturelle oder institutionelle Versäumnisse geklärt werden.
- | Online seit - 20.10.2023
3154

Judikatursammlung

Studentenverfahren: Reihe von Verfahrensfehlern

Leitsatz des Gerichts:
I. Das LVwG verletzt seine Verpflichtung zur amtswegigen Erforschung der materiellen Wahrheit, wenn es allein aus den vorgelegten Kontoauszügen auf das Fehlen hinreichender Unterhaltsmittel iSd § 11 Abs 2 Z 4 iVm Abs 5 NAG schließt und jegliche sonstigen Ermittlungen über Einkünfte bzw Vermögen unterlässt.

II. Die Manuduktionspflicht gemäß § 13a AVG verlangt zwar keine Beratung einer Verfahrenspartei in materiell-rechtlicher Hinsicht, wohl aber sind die zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nötigen Anleitungen zu geben - dies insb einer unvertretenen Partei gegenüber.

III. Das LVwG verletzt - indem es die Antragsabweisung erstmals auf die (angenommene) Nichterfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs 2 Z 4 NAG stützt, wohingegen die Behörde die Abweisung noch auf das Nichtvorliegen einer besonderen Erteilungsvoraussetzung (Fehlen eines entsprechenden Studienerfolgsnachweises) gegründet hat - das Überraschungsverbot und das mit diesem in Beziehung stehende Recht auf Parteiengehör.

IV. Die Niederlassungsbehörde hat bei der Behandlung von Verlängerungsanträgen beim Fehlen allgemeiner Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs 1 und 2 NAG nach dem Prozedere gemäß § 25 Abs 1 NAG vorzugehen - somit nach Einräumen von Parteiengehör insb das BFA zu verständigen und dessen Verfahren abzuwarten - und nicht etwa den an sie gerichteten Antrag selbst meritorisch durch Abweisung zu erledigen. Dieses Vorgehen ist auch vom LVwG einzuhalten, vermag doch der Umstand allein, dass erst das LVwG vom Fehlen einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung ausgeht, an der Maßgeblichkeit des § 25 NAG nichts zu ändern.
- | Online seit - 19.10.2023
3153

Judikatursammlung

Fragen zum Investitionskapital iSv § 24 Abs 1 AuslBG

Leitsatz des Gerichts:
I. Im Mittelpunkt der nach § 24 Abs 1 AuslBG zu treffenden Einschätzung steht die Frage, ob durch die selbstständige Tätigkeit des Fremden ein zusätzlicher Impuls für die Wirtschaft zu erwarten ist, dem ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen oder zumindest eine Bedeutung für eine Region beizumessen ist.

II. Es entspricht der stRsp des VwGH, dass Investitionen, die in ein Unternehmen erfolgen, für sich noch nicht ausreichend sind, um einen Transfer von Investitionskapital iSv § 24 Abs 1 AuslBG darstellen zu können. Für die Bejahung eines derartigen Kapitaltransfers ist es erforderlich, dass es sich bei dem in Rede stehenden Kapital um vom Antragsteller vom Ausland aus nach Österreich transferierte Gelder handelt oder (wenn ein Darlehen in Rede steht) dass das aus einem Darlehen resultierende Rückzahlungsaufkommen aus vom Ausland nach Österreich transferierten Geldern stammt. Ein Darlehen eines ausländischen Geldgebers stellt keinen Transfer von Investitionskapital dar, wenn die Geldmittel zum Zweck der Darlehensrückzahlung wieder ins Ausland abfließen und nicht nachgewiesen wurde, dass die Rückzahlung durch Mittel erfolgte, die aus dem Ausland nach Österreich transferiert wurden.

III. Der Umstand, dass ein aus dem Ausland importiertes Kapital bereits zuvor vorübergehend im Inland anderweitig (uU teils als Gesellschafterdarlehen sowie teils in Form der Einzahlung von Stammkapital) investiert worden ist, schließt nicht zwingend aus, dass die Geldmittel - stets unter der Voraussetzung, dass sie tatsächlich ursprünglich aus dem Ausland ins Inland transferiert worden waren - als aus vom Ausland nach Österreich importiertes Kapital iSv § 24 Abs 1 AuslBG zu qualifizieren sind.

IV. Die Rsp des VwGH, der zufolge durch die Einzahlung von Stammkapital allein noch kein Transfer von Investitionskapital iSd § 24 AuslBG nachgewiesen werden könne, bezieht sich auf die Einzahlung von Stammkapital, welche nicht als Transfer von Investitionskapital zu betrachten ist. Damit ist aber keine Aussage über die Qualifikation von Geldmitteln verbunden, die zwischenzeitig als Stammkapital in einer Gesellschaft gebunden waren und deren (Re-)Investition im Rahmen einer beabsichtigten selbstständigen Erwerbstätigkeit geplant ist.

V. Die zwischenzeitige Investition von Investitionskapital in eine inländische Gesellschaft steht nicht notwendigerweise der Annahme entgegen, dass die betreffenden Geldmittel vom Ausland nach Österreich transferiert wurden und nach ihrem "Freiwerden" gemäß § 24 Abs 1 AuslBG investiert werden könnten.
- | Online seit - 18.10.2023