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3213

Judikatursammlung

Kassatorisch oder doch meritorisch, das ist erneut die Frage

Leitsatz des Gerichts:
I. Dem Verwaltungsgericht steht sowohl in den in Art 130 Abs 4 B-VG vorgesehenen und in § 28 Abs 2 VwGVG angeordneten, als auch in den von § 28 Abs 3 erster Satz VwGVG erfassten Fällen, in denen nicht § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG eingreift, eine kassatorische Entscheidung nicht offen. Weiters hat das Verwaltungsgericht nachvollziehbar zu begründen, weshalb es keine meritorische Entscheidungskompetenz annehme.

II. Das Verwaltungsgericht hat, wenn es "in der Sache selbst" entscheidet, nicht nur über die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde zu entscheiden, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde entschieden wurde. Dabei hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung idR an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten.
- | Online seit - 15.01.2024
3211

Judikatursammlung

Entscheidungsfrist versäumt: Ermittlungspflicht vs Mitwirkungspflicht

Leitsatz des Gerichts:
I. Wenn eine Verständigung der LPD iSd § 37 Abs 4 NAG nach Ablauf der Entscheidungsfrist (hier: elf Monate danach) erfolgte, ist dieses Ermittlungsersuchen nicht geeignet, ein überwiegendes Verschulden der belangten Behörde auszuschließen, selbst wenn es unerledigt geblieben sein sollte.

II. Die Verletzung der Obliegenheit einer Partei zur Mitwirkung bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts enthebt die Behörde nicht von ihrer Verpflichtung, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt überhaupt festzustellen.

III. Selbst eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch die antragstellende Person kann nicht dazu führen, dass die Behörde von ihrer Verpflichtung entbunden wird, über den Antrag innerhalb der Entscheidungsfrist einen Bescheid zu erlassen.

IV. Die nicht erfolgte Vorlage einzelner Unterlagen darf nicht als schuldhaftes Verhalten der antragstellenden Person im Rahmen der Abwägung des überwiegenden Verschuldens iSd § 8 Abs 1 VwGVG, das die Behörde an der fristgerechten Entscheidung gehindert hat, gewertet werden. Vielmehr hat die Behörde (bzw das LVwG) eine allenfalls unterbliebene Mitwirkung der antragstellenden Person zu würdigen und die (im Fall einer fehlenden Mitwirkung allenfalls auch negative) Entscheidung innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Entscheidungsfrist zu treffen.
- | Online seit - 12.01.2024
3210

Judikatursammlung

Zum Verhältnis des § 76 Abs 2 Z 2 und Abs 2 Z 1 iVm Abs 5 FPG

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Bestimmung des § 76 Abs 5 FPG ist nur dann anzuwenden, wenn die aufenthaltsbeendende Maßnahme erst nach Verhängung der Schubhaft durchsetzbar wird. Die zur Verfahrenssicherung angeordnete Schubhaft gilt ab dem Zeitpunkt der Durchsetzbarkeit als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

II. Hat die fremde Person kein Bleiberecht mehr (da ihr ex lege kein faktischer Abschiebeschutz zukommt und dieser auch nicht vom BFA zuerkannt wurde), so kann die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nur auf die Bestimmung des § 76 Abs 2 Z 2 FPG gestützt werden.
- | Online seit - 11.01.2024
3209

Judikatursammlung

Fehlende Urkundenbeglaubigung: NAG-Antrag zurück- oder abweisen?

Leitsatz des Gerichts:
I. Nach der VwGH-Rsp darf eine Behörde nur dann nach § 13 Abs 3 AVG vorgehen, wenn das Anbringen einen "Mangel" aufweist, also von den der Partei erkennbaren Anforderungen des Materiengesetzes an ein vollständiges, fehlerfreies Anbringen abweicht. Was unter einem Mangel schriftlicher Eingaben iSd § 13 AVG zu verstehen ist, muss der in Betracht kommenden Verwaltungsvorschrift entnommen werden.

II. Das Fehlen von Beilagen, die nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften (Gesetz oder Verordnung) einem Antrag anzuschließen sind, kann einen Mangel iSd § 13 Abs 3 AVG darstellen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Art des Nachweises aus dem Gesetz oder der Verordnung hinreichend konkret ersichtlich ist. Existiert eine derartige gesetzliche Anordnung nicht, dann kann die unterlassene Beibringung von Unterlagen, derer die Behörde bedarf und die sie sich nicht selbst beschaffen kann, allenfalls im Rahmen der freien Beweiswürdigung bei der Sachentscheidung Berücksichtigung finden.

III. Von Mängeln eines Anbringens iSd § 13 Abs 3 AVG sind sonstige Unzulänglichkeiten zu unterscheiden, welche nicht die Vollständigkeit des Anbringens betreffen, sondern sonst im Licht der anzuwendenden Vorschriften seine Erfolgsaussichten beeinträchtigen. Ob es sich bei einer im Gesetz umschriebenen Voraussetzung (bzw bei deren Nichterfüllung) aber um einen "Mangel" iSd § 13 Abs 3 AVG oder aber um das (zur Antragsabweisung führende) Fehlen einer Erfolgsvoraussetzung handelt, ist durch die Auslegung der jeweiligen Bestimmung des Materiengesetzes zu ermitteln.

IV. Wurde zu Unrecht die Mangelhaftigkeit des Anbringens angenommen (und wäre in der Sache zu entscheiden gewesen), ist die deshalb ergangene zurückweisende Entscheidung unabhängig davon inhaltlich rechtswidrig, ob der Einschreiter nur eine teilweise oder nur eine verspätete "Verbesserung" vornimmt oder diese gar nicht versucht.

V. Dass eine Geburtsurkunde nach der hier noch maßgeblichen alten Rechtslage (bis 30.9.2022) - anders als nach der aktuellen Regelung des § 7 Abs 1 Z 3 NAG-DV, nach der eine Geburtsurkunde ebenso wie ein Nachweis oder eine Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis nur "erforderlichenfalls" vorzulegen ist - bei allen Erstanträgen jedenfalls vorzulegen war, deutet nicht darauf hin, dass deren Vorlage (in unbeglaubigter Form) lediglich dem Nachweis einer besonderen Erteilungsvoraussetzung dienen sollte. Bei dem somit naheliegenden Verständnis, dass § 7 Abs 1 Z 2 NAG-DV aF eine Regelung betreffend die formale Vollständigkeit eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels enthielt, wäre ein Mängelbehebungsauftrag nach § 13 Abs 3 AVG bezogen auf die Vorlage einer Geburtsurkunde an sich dem Grunde nach möglich gewesen.

VI. Unabhängig davon hat aber die Vorlage einer Urkunde in beglaubigter Form nach der insoweit eindeutigen Bestimmung des § 6 Abs 4 NAG-DV nur auf Verlangen der Behörde zu erfolgen. Ein auf § 6 Abs 4 NAG-DV gestütztes Verlangen nach einer (bereits unbeglaubigt vorgelegten) Urkunde in beglaubigter Form kann daher keinen rechtmäßigen Mängelbehebungsauftrag iSd § 13 Abs 3 AVG darstellen.

- | Online seit - 10.01.2024
3208

Judikatursammlung

Asylrelevanz willkürlicher Strafverfolgung, kein Familienverfahren bei "Heirat" in Russland nach muslimischem Ritus

Leitsatz des Gerichts:
I. Russische Behörden unterstellen schnell extremistisch (vor allem islamistisch oder rechtsextremistisch) motivierte Straftaten. Zwar ist nicht jede russische Strafverfolgung asylrelevant, allerdings dann, wenn die Behörden des Herkunftsstaates willkürlich erscheinende Verfolgungshandlungen wegen einer (unterstellten) politischen Gesinnung setzen (§ 3 Abs 1 AsylG iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK). Eine große Rolle spielt auch, dass in der Russischen Föderation für solcherart exponierte Beschuldigte kein faires Verfahren zur Verfügung steht, zumal dieser Staat infolge seines Ausscheidens aus der EMRK nicht mehr vor dem EGMR belangt werden kann.

II. Bei Bundesstaaten kommt es für die Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative (§ 11 AsylG) bei der Verfolgung durch staatliche Organe auch darauf an, ob diese Verfolgung landesweit stattfindet oder womöglich nur im örtlichen Wirkungsbereich gliedstaatlicher Entitäten.

III. Im Falle russischer Staatsangehöriger gilt für die Frage der Familienangehörigeneigenschaft (vgl § 2 Abs 1 Z 22 AsylG) als Ehegatte/Ehegattin der Grundsatz der obligatorischen Zivilehe. Daher können nur nach islamischem Ritus getraute Partner nicht in den Genuss des Familienverfahrens (§ 34 AsylG) kommen. Gerade, wenn auch im Bundesgebiet aufhältige Kinder betroffen sind, wird aber in aller Regel auch für solche Partner das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet (Art 8 EMRK iVm § 9 BFA-VG) überwiegen.
- | Online seit - 09.01.2024
3207

Judikatursammlung

Bei Zurückweisung gemäß § 5 Abs 1 AsylG keine amtswegige Prüfung nach § 57 Abs 1 AsylG

Leitsatz des Gerichts:
§ 58 Abs 1 AsylG legt fest, unter welchen Voraussetzungen das BFA die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG von Amts wegen zu prüfen hat. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs 1 AsylG aufgrund der festgestellten Zuständigkeit eines anderen Staates zurückgewiesen, ist eine amtswegige Prüfung mangels Erwähnung dieser Fallkonstellation in § 58 Abs 1 AsylG nicht vorgesehen.
- | Online seit - 08.01.2024
3205

Judikatursammlung

Einbringen von Anträgen beim BVwG

Leitsatz des Gerichts:
Nach § 1 Abs 1 letzter Satz BVwG-EVV ist E-Mail keine zulässige Form der elektronischen Einbringung von Schriftsätzen im Sinn dieser Verordnung und entfaltet daher ein in dieser Form eingebrachter Schriftsatz keine Rechtswirkungen.
- | Online seit - 05.01.2024
3204

Judikatursammlung

Homosexuelle Orientierung trotz leiblicher Kinder aus heterosexueller Ehe

Leitsatz des Gerichts:
Das Führen einer Beziehung mit gegengeschlechtlichen Personen oder das Vorhandensein leiblicher Kinder schließen eine behauptete Homosexualität nicht aus.
- | Online seit - 04.01.2024
3203

Judikatursammlung

Abermals zur "verfrühten" Ausreise aus der Ukraine Anfang 2022

Leitsatz des Gerichts:
I. Ausschlaggebend für die Eigenschaft als Aufenthaltsberechtigter ist ein am 24.2.2022 (Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine) noch bestehender Wohnsitz in der Ukraine (§ 1 Z 1 Vertriebenen-VO). Ein "nicht lange" zuvor erfolgtes Verlassen des Landes, etwa zu Urlaubszwecken, wobei auf Grund des Kriegsausbruchs nicht mehr zurückgekehrt wurde, ist daher für die Vertriebeneneigenschaft (Ipso-facto-Aufenthaltsberechtigung) unerheblich.

II. Überlegungen, ob auch ein Schutz in einem anderen Staat offen gestanden wäre, sind bei ukrainischen Staatsangehörigen, die unter die Vertriebenen-VO fallen, nicht anzustellen.

III. Da das Ipso-facto-Aufenthaltsrecht der Ukrainer kraft Vertriebenen-VO besteht, ist auf ein verfehltes bescheidmäßiges Absprechen dieses Rechts mit ersatzloser Behebung des Bescheids zu reagieren.
- | Online seit - 03.01.2024
3201

Judikatursammlung

Notwendigkeit der eingehenden Prüfung der Rückkehrsituation eines Dublin-Rückkehrers (in Bezug auf Haftbedingungen)

Leitsatz des Gerichts:
I. Gilt die Vermutung, dass Dublin-Rückkehrer in Malta gefährdet sind, inhaftiert zu werden, so hat sich die Behörde im Rahmen ihres Ermittlungsverfahrens mit den dortigen Haftbedingungen auseinanderzusetzen. Dabei ist insb zu prüfen, ob die Haftbedingungen in Malta zu einer Verletzung der nach Art 3 EMRK und Art 4 GRC gewährleisteten Rechte führen könnten. Dadurch soll sichergestellt werden, dass im Falle der Außerlandesbringung nach Malta keine Verletzung der Menschenwürde droht, dh die Haft nicht in einer Art und Weise erfolgt, welche die inhaftierte Person einem unnötigen Leid oder einer unbilligen Härte aussetzen würde.

II. Wird in Länderberichten festgestellt, dass sich NGOs etwa nicht zu einer allfälligen Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern äußern können, da sie die Situation in den Haftanstalten aufgrund der strengen Zugangsbeschränkungen nicht überwachen konnten, so hat eine Überprüfung zu erfolgen, ob sich zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt die Sachlage (hier: in Malta) bereits geändert hat.
- | Online seit - 02.01.2024
3200

Judikatursammlung

Zur Frage einer drohenden Zwangsrekrutierung syrischer Minderjähriger

Leitsatz des Gerichts:
I. Bei der Beurteilung der Voraussetzungen einer Asylgewährung ist die Erheblichkeitsschwelle bei Kindern uU niedriger anzusetzen. Nichtsdestotrotz ist aber jedenfalls die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung eine zwingende Voraussetzung – auch hier genügt die bloße Möglichkeit nicht.

II. Herrscht in einem Herkunftsstaat (hier: Syrien) eine allgemein schlechte Situation für Kinder, die nicht auf den Gründen der GFK beruht, so kann auf deren Grundlage kein Asylstatus erteilt werden, diese ist aber jedenfalls iZm subsidiärem Schutz zu berücksichtigen.

III. Bei der behaupteten Gefahr einer Zwangsrekrutierung Minderjähriger sind die konkreten individuellen Umstände zu berücksichtigen. Während dies im Asylverfahren bei einem körperlich reifen, im 17. Lebensjahr stehenden Minderjährigen durchaus relevant sein kann, trifft dies bei einem 12- bzw 15-jährigen Jugendlichen mit geringerer körperlicher Reife nicht zu.
- | Online seit - 29.12.2023
3199

Judikatursammlung

Unverschuldete Säumnis des BFA aufgrund Vorliegens einer dem Jahr 2015 vergleichbaren Belastungssituation

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Behörden sind im Allgemeinen verpflichtet, über Anträge von Parteien ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Mangels einer abweichenden Frist gilt dies auch im Verfahren auf internationalen Schutz. Eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht kann erst erhoben werden, wenn die Behörde nicht innerhalb dieser Frist entschieden hat.

II. Eine Verletzung der Entscheidungspflicht setzt ein objektives Verschulden der Behörde voraus.

III. Der allgemeine Hinweis auf die Überlastung der Behörde kann die Geltendmachung der Entscheidungspflicht grundsätzlich nicht vereiteln.

IV. Die Antragssituation in den Jahren 2022/2023 ist mit jener in den Jahren 2015/2016 vergleichbar, sodass auch aktuell davon auszugehen ist, dass dem BFA kein Verschulden zuzurechnen ist, wenn ein Verfahren nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist entschieden wird.
- | Online seit - 28.12.2023
3198

Judikatursammlung

Keine Heilung von Zustellmängeln bei fehlerhafter Empfängerbezeichnung in der Zustellverfügung

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Zustellung an eine Person, die zu Unrecht als Zustellungsbevollmächtigter der Partei angesehen wird, vermag gegenüber der Partei keine Rechtswirkungen zu entfalten. Dies selbst dann, wenn der Partei das Schriftstück tatsächlich zugekommen ist.

II. Die fehlerhafte Bezeichnung einer Person als Empfänger in der Zustellverfügung kann nicht heilen.
- | Online seit - 27.12.2023
3202

Judikatursammlung

Zum Begriff der "besonders schweren Straftat" nach Art 14 Abs 4 lit b RL 2011/95/EU

Leitsatz des Gerichts:
I. Der Begriff der "besonders schweren Straftat", derentwegen iVm einer qualifizierten Gefahr die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft zu erfolgen hat (Art 14 Abs 4 lit b RL 2011/95/EU), ist autonom unionsrechtlicher Art und dementsprechend unionsweit einheitlich auszulegen. Der Begriff ist, weil er mit der Statusaberkennung eine Ausnahme eröffnet, die am schärfsten in Flüchtlingsrechte eingreift, sehr eng zu interpretieren.

II. In einer Einzelfallprüfung sind zur Klärung des Vorliegens "einer besonders schweren Straftat" insb die folgenden Merkmale zu prüfen: Strafmaß nach nationalem Recht, Art der Straftat (vorsätzlich oder fahrlässig), erschwerende oder mildernde Umstände, verursachte Schäden, Form des diesbezüglichen Verfahrens, Art der Strafmaßnahme und Vergleich mit anderen Rechtsordnungen (um zu klären, ob die Tat auch dort als "besonders schwere Straftat" qualifiziert werden würde).

III. Es steht den Mitgliedstaaten offen, zur Verwaltungsvereinfachung "Mindestschwellen" für eine besonders schwere Straftat zu implementieren. Stets muss es aber bei der geschilderten Einzelfallprüfung bleiben.

IV. Es ist unzulässig, vom Vorliegen einer besonders schweren Straftat auf das Vorliegen einer Gefahr für die Allgemeinheit des Aufenthaltsmitgliedstaats zu schließen, vielmehr müssen beide selbständigen Kriterien kumulativ vorliegen.
- | Online seit - 22.12.2023
3197

Judikatursammlung

Beurteilungskriterien hinsichtlich des Vorliegens eines schützenswerten Familienlebens

Leitsatz des Gerichts:
I. Es bedarf einer Prüfung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren; die bloße Aufenthaltsdauer ist nicht allein maßgeblich.

II. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären und sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen.

III. Zwischen Eltern und volljährigen Kindern besteht kein Familienleben, solange nicht zusätzliche Elemente der Abhängigkeit nachgewiesen werden.
- | Online seit - 21.12.2023
3196

Judikatursammlung

Bewertungsmaßstäbe an ein gesteigertes Vorbringen im Asylverfahren

Leitsatz des Gerichts:
I. Nach stRsp des VwGH ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubwürdig anzusehen, sondern muss vielmehr den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden, zumal es der Lebenserfahrung entspricht, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit idR am nächsten kommen.

II. Vorgebrachte Fluchtgründe sind nach der Judikatur dann nicht als glaubhaft anzusehen, wenn der Asylwerber diese im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Abläufen oder tatsächlichen Verhältnissen und Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Verfahrens vorgebracht werden.
- | Online seit - 20.12.2023
3194

Judikatursammlung

Zur rechtlichen Einordnung des verschuldeten Nichtbesuchs bzw Abbruchs eines Deutschkurses durch Sozialhilfe-Bezugsberechtigte

Leitsatz des Gerichts:
I. § 16c Abs 1 IntG führt hinsichtlich der dort genannten Personengruppen während des aufrechten Bezugs von Leistungen der Sozialhilfe, die an die Bereitschaft zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft geknüpft sind, eine Pflicht "zur vollständigen Teilnahme, zur gehörigen Mitwirkung und zum Abschluss eines Werte- und Orientierungskurses gemäß § 5 bzw. § 16a" IntG an, ohne - wie etwa § 6 Abs 1 IntG - auf eine gleichlautende Verpflichtung in Ansehung der in § 4 IntG geregelten Deutschkurse Bezug zu nehmen. Gleichzeitig wird in § 16c Abs 1 IntG allerdings normiert, dass die Betreffenden "der Pflicht zur Absolvierung einer B1-Integrationsprüfung des Österreichischen Integrationsfonds" unterliegen. Bereits aus dem Wortlaut des § 16c Abs 1 IntG ergibt sich somit unmissverständlich, dass die dort genannten Personen während des aufrechten Bezugs von Leistungen der Sozialhilfe, die an die Bereitschaft zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft geknüpft sind, der Pflicht zur Absolvierung der genannten Prüfung unterliegen. Eine Frist zur Absolvierung dieser Prüfung sieht diese Bestimmung nicht vor. Wurde diese Prüfung nicht absolviert, liegt demnach ein Verstoß gegen die genannte Pflicht nach §16c Abs 1 IntG vor.

II. Die B1-Integrationsprüfung, hinsichtlich der § 16d letzter Satz IntG eine sinngemäße Anwendung des § 12 IntG normiert, umfasst nach § 12 Abs 2 IntG Sprach- und Werteinhalte, wobei mit der Prüfung auch festzustellen ist, ob der Betreffende "über vertiefte Kenntnisse der deutschen Sprache zur selbständigen Sprachverwendung auf dem Sprachniveau B1 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen" verfügt. Bei der Beurteilung der Frage, ob dem Bezieher von Leistungen der Sozialhilfe ein schuldhafter Verstoß gegen die Verpflichtung zur Absolvierung der genannten Prüfung iSd § 8b Abs 3 Sbg SozialunterstützungsG anzulasten ist, kann das Verhalten des Betreffenden in Ansehung von (vorgelagerten) Deutschkursen, die erst dem Erwerb jener Sprachkenntnisse dienen sollen, der eine Absolvierung der genannten Prüfung ermöglicht, aber nicht von vornherein ausgeblendet werden. Dieses Verhalten ist vielmehr im Rahmen der - einzelfallbezogenen - Beurteilung, ob ein schuldhafter Verstoß gegen die Pflicht gemäß § 16c Abs 1 IntG zur Absolvierung einer B1-Integrationsprüfung iSd § 8b Abs 3 Sbg SozialunterstützungsG vorliegt, zu berücksichtigen. Werden angebotene Deutschkurse vom Hilfeempfänger ohne ausreichende Begründung nicht besucht oder abgebrochen, kann jedenfalls nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass eine schuldhafte Verletzung der Pflicht gemäß § 16c Abs 1 IntG zur Absolvierung einer B1-Integrationsprüfung nicht vorliegt. Ein derartiges Verständnis ergibt sich auch aus den Materialien zu § 9 Sozialhilfe-GrundsatzG bzw § 8b Abs 3 Sbg SozialunterstützungsG.

III. Der bloß unregelmäßige Besuch bzw Abbruch eines Deutschkurses kann eine Verweigerung der Teilnahme an einer Maßnahme zur Verbesserung der Integrationsfähigkeit in den Arbeitsmarkt iSd § 8b Abs 1 Z 2 lit c Sbg SozialunterstützungsG darstellen.

IV. § 8b Abs 3 letzter Satz Sbg SozialunterstützungsG sieht vor, dass dann, wenn neben einem Verstoß gegen § 16c Abs 1 IntG auch ein solcher gemäß § 8b Abs 1 Sbg SozialunterstützungsG vorliegt, die Kürzungsstufen des § 8b Abs 2 Sbg SozialunterstützungsG für die Dauer der gleichzeitigen Pflichtverstöße gelten.
- | Online seit - 19.12.2023
3282

Hinweise

VwGH zur Vernehmung von Minderjährigen bei Rückkehrentscheidungen

Leitsatz des Gerichts:
- | Online seit - 19.12.2023
3192

Judikatursammlung

Aufenthaltsrecht aufgrund des Anspruchs eines Kleinkindes auf "verlässliche Kontakte" zu beiden Elternteilen

Leitsatz des Gerichts:
I. Kinder haben einen Anspruch auf "verlässliche Kontakte" zu beiden Elternteilen (Kindeswohl). Wird ein Kind aufgrund einer Rückkehrentscheidung gegen den Vater gezwungen, ohne diesen aufzuwachsen, so bedarf diese Konsequenz einer besonderen Rechtfertigung. Dem Kindesvater ist – sofern keine öffentlichen Interessen dagegensprechen – ein Aufenthaltstitel auch dann zuzusprechen, wenn mit der Kindesmutter kein gemeinsamer Haushalt besteht.

II. Die Aufrechterhaltung des Kontakts zu einem Kleinkind über Telekommunikation und elektronische Medien ist grundsätzlich nicht in einem ausreichenden Ausmaß möglich. Vielmehr ist die Annahme der Aufrechterhaltung des Kontakts über derartige Wege zwischen einem Elternteil und dessen Kleinkind lebensfremd.

III. Obwohl die Nichtbeachtung einer Rückkehrentscheidung und der deshalb (hier: inzwischen sechs Jahre andauernde) illegale Aufenthalt im Bundesgebiet ein fremdenrechtliches Fehlverhalten darstellen, kann die Interessenabwägung dazu führen, dass die privaten und familiären Interessen der betroffenen Person am Verbleib im Bundesgebiet höher sind als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Diese durchzuführende Interessenabwägung ist stets unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.
- | Online seit - 18.12.2023
3195

Judikatursammlung

Beachtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung (Refoulementverbot) bereits bei Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Straffälligkeit?

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (Art 14 Abs 4 lit b RL 2011/95/EU) einerseits und die Frage der Erlassung einer Rückkehrentscheidung andererseits (Art 6 ff RL 2008/115/EG) sind zwei verschiedene rechtliche Fragen. Nur bei Letzterer ist die Vereinbarkeit mit dem Refoulementverbot zu prüfen, die Statusaberkennung kann unabhängig davon erfolgen.

II. Art 5 RL 2008/115/EG ist dahin auszulegen, dass bereits die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegenüber Drittstaatsangehörigen, denen eine Verletzung des Refoulementverbots bei Rückkehr in den Herkunftsstaat droht, unzulässig ist.

III. Es dürfte demnach nicht genügen, entgegen Art 5 RL 2008/115/EG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen und nur die Unzulässigkeit der Abschiebung festzustellen.
- | Online seit - 15.12.2023