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Judikatursammlung

EuGH-Urteile als neue Rechtslage, derentwegen Folgeanträge zulässig sein können?

Leitsatz des Gerichts:
I. Ausnahmslos jedes Urteil des EuGH, in welchem eine präjudizielle Vorschrift des Unionsrechts ausgelegt wird, ist als "neuer Umstand" oder "neue Erkenntnis" iSd Art 40 Abs 2 und 3 RL 2013/32/EU zu qualifizieren, derentwegen ein Folgeantrag zulässig (Art 2 lit q RL 2013/32/EU) sein kann. Hinzu muss aber noch eine Relevanz des "neuen Umstands" bzw der "neuen Erkenntnis" für den Anspruch auf die Flüchtlingseigenschaft treten, mithin eine nunmehrige Erfolgswahrscheinlichkeit des Folgeantrags.

II. Es steht Art 47 GRC iVm Art 46 RL 2013/32/EU nicht entgegen, wenn sich die Kognitionsbefugnis des Rechtsbehelfsgerichts nach nationalem Recht darin erschöpft, eine asylbehördliche Entscheidung für nichtig zu erklären, und in der Folge die Asylbehörde im zweiten Rechtsgang neuerlich zuständig wird. Bei einer solchen Ausgestaltung muss aber die Asylbehörde an die tragenden Gründe der gerichtlichen Entscheidung gebunden sein.

III. Es ist daher unionsrechtlich ebenso nicht zu beanstanden, wenn das Rechtsbehelfsgericht, das über die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Asylbehörde zu erkennen hat, mit der ein Folgeantrag zurückgewiesen wurde, lediglich über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung zu erkennen hat. Wenn das Rechtsbehelfsgericht aber den Bescheid aufhebt, so muss die Asylbehörde im zweiten Rechtsgang an die tragenden Gründe der gerichtlichen Entscheidung gebunden sein (vgl in Österreich § 28 Abs 5 VwGVG).

IV. Sofern im nationalen Recht eine andere Ausgestaltung des Rechtsbehelfs gewählt wird, mithin eine Entscheidung des Rechtsbehelfsgerichts in der Sache des Folgeantrags ergehen soll, den die Asylbehörde zu Unrecht zurückgewiesen hat, so muss das Gericht die für die Asylbehörde geltenden Verfahrensgarantien nach Kapitel II der RL 2013/32/EU beachten.
- | Online seit - 10.06.2024
3320

Judikatursammlung

Zum Ermittlungsumfang bei einer Statusaberkennung gegenüber einem Flüchtling, der ins NAG-Regime wechselte

Leitsatz des Gerichts:
I. Die rechtliche Möglichkeit, über Bescheidbeschwerden kassatorisch zu entscheiden, also gemäß § 28 Abs 3 letzter Satz VwGVG den bekämpften Bescheid aufzuheben und die Sache an die belangte Behörde zurückzuverweisen, steht den VwG nur sehr eingeschränkt zur Verfügung, die Entscheidung in der Sache hat den Regelfall darzustellen. Lediglich "ergänzende Ermittlungsschritte", die das BVwG zur Vervollständigung der Ermittlungstätigkeit des BFA vorzunehmen hätte, rechtfertigen eine Vorgangsweise nach § 28 Abs 3 letzter Satz VwGVG nicht. Anders verhält es sich nur bei krassen oder besonders gravierenden Ermittlungslücken, aufgrund derer das BVwG im Wesentlichen das gesamte Subsumtionsmaterial zu ermitteln hätte.

II. In der gegenständlichen Konstellation kann ein Anwendungsfall des § 28 Abs 3 letzter Satz VwGVG erblickt werden: Das BFA hatte einem Asylberechtigten, der sich zwischenzeitig im NAG-Regime um einen Aufenthaltstitel beworben hatte, den Asylstatus aberkannt und lediglich den Zusammenhang mit dem NAG-Verfahren geprüft (§ 7 Abs 3 AsylG), ohne dass substanzielle Ermittlungen zu den rechtlichen Voraussetzungen für die Statusaberkennung selbst (§ 7 Abs 1 AsylG) angestellt worden wären. Anders gewendet hatte das BFA nach Auffassung des BVwG sohin nur eine Gegenausnahme geprüft, nicht aber den Grundtatbestand.
- | Online seit - 07.06.2024
3319

Judikatursammlung

"Sache" des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens (Wechsel zu einem anderen Aufenthaltstitel in der Bescheidbeschwerde)

Leitsatz des Gerichts:
I. In antragsbedürftigen verwaltungsbehördlichen Verfahren gilt, dass nur eine Antragsänderung, die sich als "wesentliche Änderung" im Vergleich zum ursprünglichen Begehren erweist, dazu führt, dass die "Änderung" als Zurückziehung des ursprünglichen Anbringens und Stellung eines neuen Anbringens zu qualifizieren ist (vgl VwSlg 18.003 A/2010). Eine Antragsänderung dahingehend, dass anstatt des einen ein anderer Aufenthaltstitel innerhalb des 7. Hauptstücks des AsylG begehrt wird, erweist sich noch nicht als in diesem Sinne "wesentlich".

II. Die Kognitionsbefugnis des VwG wird durch die jeweils zur Anwendung kommende Verwaltungsvorschrift bestimmt und sohin jedenfalls durch Antragsänderungen verlassen, welche die Anwendbarkeit einer anderen Bestimmung zur Folge haben. Ein Wechsel zu einem Aufenthaltstitel im Stadium des Beschwerdeverfahrens, der einer anderen Bestimmung zu subsumieren ist, ist daher – anders als im verwaltungsbehördlichen Stadium (siehe Punkt I.) – als konkludente Zurückziehung des ursprünglichen Antrags zu deuten. Es ist dem VwG verwehrt, über die Erteilung des nunmehr begehrten Aufenthaltstitels zu entscheiden. Vielmehr ist der angefochtene Bescheid mit Erkenntnis ersatzlos zu beheben und das neue Begehren gemäß § 17 VwGVG iVm § 6 AVG an die belangte Behörde zur erstinstanzlichen Entscheidung weiterzuleiten.
- | Online seit - 06.06.2024
3318

Judikatursammlung

Rechtswidrige Ausweisung wegen fehlender Voraussetzung des Inlandsaufenthalts

Leitsatz des Gerichts:
I. Für den Erwerb eines unionsrechtlichen (Dauer-)Aufenthaltsrechts iSd RL 2004/38/EG ist es unerheblich, ob die fremde Person das Zusammenleben mit ihrem Ehepartner/ihrer Ehepartnerin beendet oder mit einer anderen Person eine neue Lebensgemeinschaft begründet hat. Ist das Paar weiterhin verheiratet, so geht das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht (Angehörigeneigenschaft) nicht verloren.

II. Gibt es keine Hinweise darauf, dass die fremde Person von ihrem/ihrer in Österreich unionsrechtlich daueraufenthaltsberechtigten Ehepartner/Ehepartnerin tatsächlich und rechtlich bindend geschieden worden wäre, so ist jedenfalls anzunehmen, dass die Ehe weiterhin aufrecht ist.

III. Der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") entspricht dem erhöhten Gefährdungsmaßstab des § 52 Abs 6 FPG für fremde Personen, dh es hat ein höherer Gefährdungsgrad als jener iSd § 53 Abs 3 FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit") vorzuliegen. Wird durch Rechtsverstöße bloß eine Gefährdung iSd § 53 Abs 2 FPG angenommen, jedoch keine iSd Abs 3 leg cit, so ist nicht von einer entsprechenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit iSd § 55 Abs 3 NAG iVm § 67 Abs 1 FPG auszugehen.
- | Online seit - 05.06.2024
3317

Judikatursammlung

Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" trotz strafgerichtlicher Verurteilungen?

Leitsatz des Gerichts:
I. Bei einem Gesinnungswandel ist neben der gewissenhaften Auseinandersetzung mit der begangenen Straftat und der gezeigten Reue auch maßgeblich, ob und wie lange sich die verurteilte Person nach dem Vollzug ihrer Haftstrafe in Freiheit wohlverhalten hat. Je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit der fremden Person in der Vergangenheit manifestiert hat, desto länger ist diese Beobachtungsdauer.

II. Eine in der Vergangenheit erlassene Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot stellt kein Hindernis für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 Abs 1 AsylG dar. Nach der höchstgerichtlichen Judikatur können Drittstaatsangehörige, die nicht fristgerecht ausgereist sind, durch die Stellung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs 1 AsylG die Gegenstandslosigkeit eines gegen sie erlassenen Einreiseverbots erwirken.

III. Verfügt die fremde Person noch über familiäre Anknüpfungspunkte in ihrem Heimatstaat, so ist aufgrund einer langen Aufenthaltsdauer in Österreich (hier: elf Jahre) davon auszugehen, dass diese als maßgeblich geschmälert zu qualifizieren sind.
- | Online seit - 04.06.2024
3316

Judikatursammlung

Keine maßgebliche Gefahr der Einberufung zum Wehrdienst in Syrien

Leitsatz des Gerichts:
I. Liegt die Heimatregion eines syrischen Staatsbürgers im kurdisch kontrollierten Gebiet, so besteht auch nach der Vollendung der Volljährigkeit und damit der Erreichung des wehrpflichtigen Alters nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, zum Wehrdienst in der syrischen Armee eingezogen zu werden.

II. In Bezug auf die kurdischen Kräfte in Syrien besteht jedoch (entsprechend der in der Selbstverwaltungsregion geltenden gesetzlichen Bestimmungen) die Wahrscheinlichkeit, dass ein syrischer Staatsbürger im wehrpflichtigen Alter eingezogen werden könnte. Im konkreten Fall liegt aber weder eine maßgebliche Gefahr vor, dass sich dieser an völkerrechtswidrigen militärischen Aktionen beteiligen müsste, noch droht ihm eine unverhältnismäßige Bestrafung oder Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung im Falle einer Weigerung oder Entziehung.
- | Online seit - 03.06.2024
3313

Judikatursammlung

Furcht vor Ableistung des Militärdienstes bzw Wehrdienstverweigerung

Leitsatz des Gerichts:
Die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung stellt im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen.
- | Online seit - 31.05.2024
3311

Judikatursammlung

Mangelhafte Begründung der vermuteten Fluchtgefahr bei offenkundiger Ausreisewilligkeit

Leitsatz des Gerichts:
I. Wird betreffend die Verhängung der Schubhaft erwogen, dass die fremde Person keine Unterkunft hat, weder sozial noch beruflich oder familiär im Bundesgebiet verankert ist, und deshalb eine Anhaltung in Schubhaft jedenfalls notwendig ist, so kann angenommen werden, dass das Sicherungsbedürfnis nie anders als durch Anhaltung in Haft gedeckt werden könnte. Diese Ansicht ist jedoch nicht gesetzlich gedeckt, weshalb auch hier zu prüfen ist, ob die Anordnung gelinderer Mittel anstelle einer Schubhaftverhängung zweckmäßig ist.

II. Für die Begründung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft ist stets fallbezogen zu prüfen, ob gelindere Mittel (zB angeordnete Unterkunftnahme oder Meldeverpflichtung) zweckmäßig sind. Hier genügt es im Rahmen der Abwägung nicht, bloß allgemeine Annahmen und Erfahrungswerte wiedergebende Argumente anzuführen.

III. Ist die fremde Person bereits in einem anderen Staat (hier: Deutschland) asylberechtigt und stellt diese in Österreich keinen Asylantrag, so ist die Dublin III-VO nicht anwendbar. In weiterer Folge darf bei der Prüfung der Fluchtgefahr § 76 Abs 3 Z 6 FPG nicht herangezogen werden.
- | Online seit - 29.05.2024
3310

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Verfassungswidrige Interessenabwägung im Rahmen von § 11 Abs 3 NAG

Leitsatz des Gerichts:
I. Wenn im Rahmen der Interessenabwägung nach § 11 Abs 3 NAG lediglich darauf hingewiesen wird, dass eine rechtmäßige Inlandsantragstellung kein darüber hinausgehendes Bleiberecht bewirkt, aber der Umstand, dass ausschließlich aufgrund von behördlichem Verschulden nicht fristgerecht entschieden wurde, nicht berücksichtigt wird, ist dies mit Art 8 EMRK nicht vereinbar.

II. Wenn im Rahmen der Interessenabwägung nach § 11 Abs 3 NAG keinerlei Überlegungen oder Ermittlungen zu den Auswirkungen der Entscheidung auf das Kindeswohl der zweijährigen Beschwerdeführerin (ua auch nicht im Hinblick auf das Verhältnis zur jüngeren Schwester) angestellt werden, ist dies mit Art 8 EMRK nicht vereinbar.
- | Online seit - 28.05.2024
3309

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Einreiseverbot aufgrund qualifizierter Verstöße gegen das Fremdenrecht

Leitsatz des Gerichts:
I. Zwar sind in den Alternativtatbeständen des § 53 Abs 2 FPG, die ein maximal fünfjähriges Einreiseverbot rechtfertigen, lediglich Bestrafungen wegen Übertretungen fremdenrechtlicher Materiengesetze genannt. Allerdings handelt es sich dabei um eine bloß demonstrative Aufzählung von Umständen, derentwegen ein Drittstaatsangehöriger eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit darstellt. Folglich können auch qualifizierte Verstöße gegen Fremdenrecht per se, insb gegen die Ausreiseverpflichtung, die Erlassung eines Einreiseverbotes rechtfertigen (vgl insb auch Art 11 Abs 1 lit b RL 2008/115/EG, wonach Verstöße gegen die Rückkehrverpflichtung zwingend mit einem Einreiseverbot einherzugehen haben), mag es auch zu keinen verwaltungsbehördlichen Bestrafungen gekommen sein.
II. Ein qualifizierter Verstoß gegen Fremdenrecht ist insb in wiederholten unbegründeten Antragstellungen für Aufenthaltstitel, dem beharrlichen Sich-Entziehen vor Abschiebungen, dem missbräuchlichen Stellen von Asylanträgen in der Schubhaft oder der Aufnahme von Beschäftigungen entgegen dem AuslBG zu erblicken.
- | Online seit - 27.05.2024
3308

Judikatursammlung

Zur Unglaubwürdigkeit der behaupteten Unterstellung einer regimekritischen Haltung

Leitsatz des Gerichts:
I. Eine fallbezogene Einschätzung des BVwG ist nicht dazu geeignet, um das Ausmaß an Willkür, Menschenrechtsverletzungen und Gefahrenpotenzialen, denen vom syrischen Regime als oppositionell angesehene Personen ausgesetzt sein können, zu banalisieren.

II. Kann die behauptete universitäre bzw weiterführende Ausbildung eines sich im wehrfähigen Alter (30 Jahre) befindenden (syrischen) Staatsbürgers nicht glaubhaft gemacht werden, kann angenommen werden, dass der verpflichtende Wehrdienst – insb wenn Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren von den syrischen Behörden eingezogen werden – bereits abgeleistet worden ist.

III. Ist ein Vorbringen als äußerst oberflächlich, vage sowie unsubstantiiert zu qualifizieren, so deutet dies auf eine Unglaubwürdigkeit hin, sofern dieses nicht noch durch detaillierte Angaben glaubhaft konkretisiert wird.
- | Online seit - 24.05.2024
3307

Judikatursammlung

"Fristenregelung" für Verlängerungsanträge von ehemaligen Träger:innen von Privilegien und Immunitäten

Leitsatz des Gerichts:
Bei einem nicht rechtzeitigen Verlängerungsantrag bzw bei einem deshalb vorliegenden neuerlichen Erstantrag von ehemaligen Trägern von Privilegien und Immunitäten ist - in vergleichbarer Weise wie bei einem erstmaligen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 44 Abs 2 NAG - davon auszugehen, dass die besondere Erteilungsvoraussetzung ("im unmittelbaren Anschluss an ihren Aufenthalt als Träger von Privilegien und Immunitäten [§ 5 ASG]") dann erfüllt ist, wenn der Aufenthaltstitel längstens sechs Monate nach Ende der Gültigkeit der zuletzt gemäß § 44 Abs 2 NAG erteilten "Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit" beantragt wird.
- | Online seit - 23.05.2024
3305

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Minderjährige Beschwerdeführerin hat keine familiäre männliche Schutzperson

Leitsatz des Gerichts:
Es stellt ein Unterlassen der Ermittlungstätigkeit dar, wenn Länderberichte zu einer bestimmten Frage keine Angaben enthalten und keine zusätzlichen Ermittlungen angestellt werden.
- | Online seit - 22.05.2024
3306

Judikatursammlung

Neues und Altes zu § 55 NAG

Leitsatz des Gerichts:
I. Ein Fall des § 54 Abs 7 NAG liegt nicht vor, wenn dem Verfahren kein Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte, sondern ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" aufgrund des Unterbleibens einer Aufenthaltsbeendigung gemäß § 55 Abs 5 NAG zugrunde liegt. Eine ausdrückliche Regelung dahingehend, dass das Verfahren gemäß § 55 Abs 3 NAG auch in einem Verfahren, dem ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" aufgrund des Unterbleibens einer Aufenthaltsbeendigung gemäß § 55 Abs 5 NAG zugrunde liegt, nicht zur Anwendung kommt, enthält das NAG nicht. Aus der Regelung des § 54 Abs 7 NAG lässt sich auch nicht ableiten, dass das Verfahren vor dem BFA nach § 55 Abs 3 NAG die Überprüfung einer Aufenthaltsehe nicht umfasst. So steht es dem BFA offen, im Fall des Fehlens einer Feststellung nach § 54 Abs 7 NAG eine Ausweisung gemäß § 66 FPG aufgrund einer Aufenthaltsehe zu erlassen.

II. Im Fall der Durchführung eines Verfahrens nach § 55 Abs 3 NAG obliegt es dem BFA, die in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen zu prüfen und dann entweder eine aufenthaltsbeende Maßnahme zu erlassen oder dies - aus welchen Gründen auch immer - zu unterlassen. Die (Anschluss-)Regelungen der Abs 4 bis 6 des § 55 NAG sehen dann wiederum vor, wie die Niederlassungsbehörde - je nach Art der Entscheidung des BFA - weiter vorzugehen hat, wobei nach dem Abs 5 des § 55 NAG ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" zu erteilen ist. Eine - neben der Beurteilung durch das BFA - eigenständige weitere Prüfung durch die Niederlassungsbehörde (bzw das VwG) ist für diesen Fall nicht vorgesehen.

III. Mit § 55 Abs 5 NAG erfolgt eine Abgrenzung gegenüber den durch Abs 4 des § 55 NAG erfassten Konstellationen. Auch die Erläuterungen zu der durch das FrÄG 2009, BGBl I 122/2009, eingeführten Bestimmung sprechen davon, dass - wenn die Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts nicht vorliegen, allerdings eine Aufenthaltsbeendigung unterbleibt - eine (damals noch) "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" auszustellen ist (RV 330 BlgNR 24. GP 53).
- | Online seit - 21.05.2024
3303

Judikatursammlung

Ausreichender Krankenversicherungsschutz aufgrund Abkommens mit Serbien

Leitsatz des Gerichts:
Wer nach den serbischen Rechtsvorschriften pensionsberechtigt (und damit auch in Serbien krankenversichert) ist und im Fall der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels und der darauffolgenden Begründung eines Wohnsitzes in Österreich unter Art 13 Abs 2 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Serbien über soziale Sicherheit
fällt, verfügt - gemessen allein an den Vorgaben dieser Bestimmung - insofern über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz iSd § 11 Abs 2 Z 3 NAG iVm § 7 Abs 1 Z 6 letzter Halbsatz erster Fall NAG-DV. Daran vermag auch die Regelung des Art 8 der Durchführungsvereinbarung zum Abkommen betreffend die Vorlage einer Bescheinigung des zuständigen (serbischen) Trägers nichts zu ändern, da damit nicht eine - weitere - materielle Anspruchsvoraussetzung normiert, sondern nur ein an sich bestehender (aus dem Abkommen abgeleiteter) Anspruch bescheinigt werden soll.
- | Online seit - 17.05.2024
3302

Judikatursammlung

Prüfung der Kindeseigenschaft iSd ASVG: Entscheidungszeitpunkt maßgeblich

Leitsatz des Gerichts:
I. Die auf der EuGH-Rsp basierende Rsp des VwGH, wonach bei Prüfung der Minderjährigkeit eines Kindes (als Ausnahme vom sonst geltenden Grundsatz des Abstellens auf die Sach- und Rechtslage zum Entscheidungszeitpunkt) auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen sei, bezieht sich nur auf die Beurteilung der Familienangehörigeneigenschaft iSv § 2 Abs 1 Z 9 NAG und ist nicht auf die Beurteilung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs 2 Z 4 iVm Abs 5 NAG zu übertragen. Bei dieser allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des NAG handelt es sich nicht um eine Voraussetzung für die "Zulässigkeit" des Antrags auf Familienzusammenführung iSd EuGH-Rsp.

II. Zum Entscheidungszeitpunkt hat sowohl eine Verbesserung als auch eine Verschlechterung der Einkommensverhältnisse während des laufenden Verfahrens in die Beurteilung der Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs 2 Z 4 iVm Abs 5 NAG einzufließen. Dass einem Einkommen, das bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt aktuell zu sein hat, ein nicht mehr aktueller Richtsatz bzw ein nicht mehr aktueller Bedarf an finanziellen Mitteln gegenüberzustellen wäre, ist schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil sich in diesem Fall die beiden zueinander in Vergleich zu setzenden Parameter ("Einkommen" sowie "Richtsatz") auf unterschiedliche Zeitpunkte bezögen.

III. Ein Abstellen auf die Vergangenheit bzw auf einen bei Antragstellung gegebenen, geringeren Bedarf an Unterhaltsmitteln, als er im Entscheidungszeitpunkt und bezogen auf die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels zu veranschlagen wäre, stünde zum Zweck des in § 11 Abs 2 Z 4 iVm Abs 5 NAG geforderten Nachweises von finanziellen Mitteln (Vermeidung der Belastung einer öffentlichen Gebietskörperschaft während der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels) in diametralem Widerspruch.

IV. Dass anhand eines in der Vergangenheit gegebenen, geringeren Bedarfs an Geldmitteln bzw eines aufgrund der mittlerweile eingetretenen Volljährigkeit des Antragstellers nicht mehr aktuellen und zu geringen Richtsatzes sinnvollerweise nicht geprüft werden kann, ob während der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels ausreichende finanzielle Mittel iSv § 11 Abs 2 Z 4 iVm Abs 5 NAG vorhanden sein werden, ist offenkundig.
- | Online seit - 16.05.2024
3301

Judikatursammlung

Flüchtlingseigenschaft aufgrund der Zugehörigkeit zur schützenswerten Gruppe alleinstehender syrischer Frauen

Leitsatz des Gerichts:
I. Die soziale Gruppe der alleinstehenden Frauen in Syrien hat keine gesellschaftlichen und sozialen Schutzmechanismen und ist daher häufig von sexueller Gewalt betroffen. Diese Gruppe ist als schützenswerte Risikogruppe zu qualifizieren.

II. Wurde eine alleinstehende Frau bei ihrer Flucht aus Syrien an einem Checkpoint aufgehalten, inhaftiert und gefoltert, so ist im Falle einer Rückkehr davon auszugehen, dass erneut eine derartige Vorgehensweise durch das syrische Regime droht. In Abwägung mit der aktuellen Situation, insb bei Vorliegen einer Vielzahl schwerer Menschenrechtsverletzungen, ist in einem derartigen Fall von einer individuellen Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK auszugehen.
- | Online seit - 15.05.2024
3300

Judikatursammlung

Kostenentscheidung nach Verfahrenseinstellung wegen Gegenstandslosigkeit

Leitsatz des Gerichts:
Wird eine Revision - ohne formelle Aufhebung der angefochtenen Entscheidung - wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses unter sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs 1 VwGG als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt, ist die Kostenentscheidung mangels formeller Klaglosstellung nicht gemäß § 55 VwGG, sondern gemäß § 58 Abs 2 VwGG zu treffen.
- | Online seit - 14.05.2024
3299

Judikatursammlung

Soziale Gruppe eines Mitarbeiters der NATO in Afghanistan

Leitsatz des Gerichts:
I. Die Taliban gehen neben (vermeintlich) Oppositionellen auch systematisch gegen Mitarbeitende der NATO-Streitkräfte vor. Sie sind technisch in der Lage (systematische biometrische Erfassung), auch Verfolgungshandlungen gegen deren Angehörige zu setzen.

II. Kindern von ehemaligen Mitarbeitern der NATO-Streitkräfte im weitesten Sinne droht eine asylrelevante Verfolgung auf Basis mehrerer anerkannter Verfolgungsgründe iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK. Zum einen gehören sie der sozialen Gruppe des hauptbetroffenen Elternteils an, zum anderen wird ihnen eine talibanfeindliche politische Gesinnung unterstellt. Ihnen ist sohin gemäß § 3 Abs 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
- | Online seit - 13.05.2024
3304

Judikatursammlung

Gesamtheit der Frauen aus bestimmten Herkunftsstaaten als soziale Gruppe?

Leitsatz des Gerichts:
I. Art 78 Abs 1 AEUV erhebt die GFK samt Protokoll und "andere einschlägige Verträge" zum Prüfmaßstab sowie zur Auslegungsmaxime für Rechtsakte der Europäischen Union auf dem Gebiet des Asyls, des subsidiären und des vorübergehenden Schutzes. Zu diesen anderen Verträgen zählen auch die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), BGBl 443/1982, sowie das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, BGBl III 164/2014.

II. Je nach Herkunftsstaat können schon Frauen als solche eine bestimmte soziale Gruppe iSd Art 10 Abs 1 lit d RL 2011/95/EU darstellen, weil das Geschlecht ein angeborenes Merkmal darstellt. Hinzukommen muss die Betrachtung durch die umgebende Gesellschaft als andersartig.

III. Das Sich-Entziehen aus einer Zwangsehe bzw dem ehelichen Haushalt kann als "gemeinsamer Hintergrund, der nicht verändert werden kann", angesehen werden, sodass – wenn wiederum die Betrachtung durch die umgebende Gesellschaft als andersartig hinzukommt – erst recht eine bestimmte soziale Gruppe iSd Art 10 Abs 1 lit d RL 2011/95/EU vorliegen kann.

IV. Die umgebende Gesellschaft, auf deren Wahrnehmung als andersartig es nach Art 10 Abs 1 lit d RL 2011/95/EU für die abgegrenzte Identität ankommt (II. und III.), muss nicht die Gesamtgesellschaft des Herkunftsstaats sein.

V. Die "begründete Furcht vor Verfolgung" muss auf die Zugehörigkeit zur "sozialen Gruppe" zurückzuführen sein (Art 2 lit d RL 2011/95/EU = Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK).

VI. Bei Verfolgungshandlungen durch nichtstaatliche Akteure im Herkunftsstaat muss deren Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund dann nicht unbedingt vorliegen, wenn sich schon die Untätigkeit staatlicher Organe bei der Gewährung innerstaatlichen Schutzes auf den Verfolgungsgrund zurückführen lässt (vgl Art 9 Abs 3 RL 2011/95/EU).

VII. Wenn kein Asyl zu gewähren ist, so können Frauen, denen mit einem Ehrenmord oder anderen Gewalthandlungen im Herkunftsstaat tatsächlich gedroht worden ist, nach Art 15 lit a oder b RL 2011/95/EU Anspruch auf subsidiären Schutz haben.
- | Online seit - 10.05.2024