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Leitsätze

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3272

Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung zur Wahrung des Non-Refoulement-Grundsatzes

Leitsätze
I. Nach der Judikatur des EuGH darf eine Rückkehrentscheidung dann nicht erlassen werden, wenn bereits feststeht, dass eine Abschiebung in das vorgesehene Zielland nach dem Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement) auf unbestimmte Zeit ausgeschlossen ist.

II. In Anbetracht des dem Unionsrecht zukommenden Vorranges ist in einem solchen Fall geboten, die gebotene Anordnung, eine erfolgte Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit einer Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verbinden, unangewendet zu lassen, um eine den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie entsprechende Rechtslage herzustellen.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

21.09.2023

Veröffentlicht am: 24.06.2024
3331

Unterlassene Einvernahme einer im Ausland lebenden Zeugin

Leitsätze
I. Der VwGH hat bereits wiederholt festgehalten, dass ein im Ausland lebender (zur mündlichen Verhandlung geladener) Zeuge idR nicht zum persönlichen Erscheinen verhalten werden kann. Allerdings hat der VwGH in diesem Zusammenhang auch zum Ausdruck gebracht, dass das VwG diesfalls Bemühungen anstellen muss, um mit dem im Ausland ansässigen Zeugen in Kontakt zu treten und dessen Erscheinen zu erreichen.

II. Es obliegt regelmäßig der einzelfallbezogenen Beurteilung des VwG, ob eine beantragte Beweisaufnahme notwendig ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt ist und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hat.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2022/22/0182

Datum der Entscheidung

31.01.2024

Veröffentlicht am: 21.06.2024
3330

BFI-Buchhaltungskurs kein Schulbesuch iSd § 63 Abs 1 NAG = rechtliche Beurteilung

Leitsätze
I. Die rechtliche Würdigung, ob eine Bestätigung über die Aufnahme an einer Schule oder nichtschulischen Bildungseinrichtung iSd § 63 Abs 1 NAG nachgewiesen wurde (oder nicht), wobei die insoweit zugrundeliegenden Tatsachen unstrittig sind, eröffnet im Hinblick auf die klare Rechtslage keine komplexen Rechtsfragen, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich machten.

II. Die Manuduktionspflicht verlangt keine Beratung der Verfahrensparteien in materiell-
rechtlicher Hinsicht durch die Behörde bzw das VwG. Auch unvertretenen Personen sind nur die zur Vornahme ihrer Verfahrenshandlungen nötigen Anleitungen zu geben, sie sind aber nicht in materiell-rechtlicher Hinsicht zu beraten und nicht anzuleiten, welche für ihren Standpunkt günstigen Behauptungen sie aufzustellen bzw mit welchen Anträgen sie vorzugehen haben. Die Behörde bzw das VwG hat daher vor allem auch nicht zu belehren, welche Schule bzw nichtschulische Bildungseinrichtung zu besuchen wäre, um die Voraussetzungen des § 63 Abs 1 NAG zu erfüllen.

III. Unter dem "Überraschungsverbot" ist zu verstehen, dass das VwG in seine rechtliche Würdigung keine Sachverhaltselemente einbeziehen darf, die der Partei nicht bekannt waren. Das dazu in Beziehung gesetzte Parteiengehör erstreckt sich (ebenso) nur auf die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, nicht auf die vorzunehmende rechtliche Beurteilung. Die Würdigung der von der Partei selbst stammenden Beweismittel (hier: Anmeldung zu einem BFI-Kurs) und die darauf gestützte rechtliche Beurteilung (hier: keine Bestätigung iSd § 63 Abs 1 NAG) muss daher dieser Person vor Erlassung der Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht werden.

IV. Eine Verletzung des "Überraschungsverbots" und des Parteiengehörs ist jedenfalls auch dann nicht zu sehen, wenn im Verfahren von Beginn an die Frage im Fokus steht, ob eine Schule bzw nichtschulische Bildungseinrichtung iSd § 63 Abs 1 NAG besucht wird. Im Hinblick darauf muss Aufenthaltstitelwerbenden hinlänglich bekannt sein, dass dieser Frage entscheidende Bedeutung zukommt.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2023/22/0076

Datum der Entscheidung

24.01.2024

Veröffentlicht am: 20.06.2024
3329

Prüfungskriterien bei Folgeantrag

Leitsätze
Bei wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2021/20/0049

Datum der Entscheidung

29.12.2023

Veröffentlicht am: 19.06.2024
3327

Gültigkeitsdauer von Aufenthaltstiteln längstens bis Gültigkeitsablauf des Reisedokuments

Leitsätze
Beträgt die Gültigkeit des Reisepasses weniger als die maximal mögliche für den Aufenthaltstitel gültige Aufenthaltsdauer, so ist dieser nur für die Gültigkeitsdauer des Reisepasses auszustellen. Dass eine Verlängerung des Reisepasses bereits beantragt wurde, ändert daran nichts.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2020/22/0124

Datum der Entscheidung

28.12.2023

Veröffentlicht am: 18.06.2024
3326

Subsidiärer Schutz aufgrund der instabilen Lage im Sudan

Leitsätze
I. Wird zur Untermauerung des Fluchtvorbringens eine Diagnosebestätigung vorgelegt, die jedoch keine Begründung betreffend das Zustandekommen der Diagnose enthält und aus der sich nicht entnehmen lässt, ob die zur Untermauerung vorgebrachten Narben durch Fremdverschulden (Folter) entstanden sind, so deutet dies auf eine mangelhafte Glaubwürdigkeit des Dokuments hin.

II. Aufgrund der instabilen Lage in einem Staat (hier: Sudan), in dem schwere Kämpfe vorherrschen, die massive Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung haben, besteht die reale Gefahr der Verletzung der von Art 2 und 3 EMRK gewährten Rechte, weshalb der fremden Person – sofern kein Aberkennungsgrund iSd § 8 Abs 3a AsylG vorliegt – subsidiärer Schutz und damit eine (für ein Jahr gültige) befristete Aufenthaltsberechtigung zu gewähren ist (§ 8 Abs 1 iVm Abs 4 AsylG).

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

27.06.2023

Veröffentlicht am: 17.06.2024
3325

Bescheidzustellung an Rechtsvertreter per E-Mail

Leitsätze
I. Beruft sich ein Rechtsanwalt auf die ihm erteilte Vollmacht gemäß § 10 Abs 1 letzter Satz AVG, so ist - wenn kein gegenteiliger Anhaltspunkt vorliegt - davon auszugehen, dass jedenfalls auch eine Zustellungsvollmacht vorliegt.

II. Bei einer E-Mail-Adresse handelt es sich um eine elektronische Zustelladresse iSd § 2 Z 5 ZustellG.

III. Durch die Anführung einer E-Mail-Adresse in einem anhängigen Verfahren - was ua dadurch geschehen kann, dass der Rechtsvertreter die E-Mail-Adresse in seiner Kommunikation mit der Behörde selbst verwendet hat - wird eine elektronische Zustelladresse iSd § 2 Z 5 ZustellG angegeben.

IV. Zwar ist der Zustellungsbevollmächtigte in der Zustellverfügung als Empfänger zu bezeichnen, wobei eine Adressierung an die Partei zu Handen des Zustellungsbevollmächtigten ausreicht. Ein diesbezüglicher Zustellmangel - wenn also der Zustellungsbevollmächtigte fälschlicherweise nicht als Empfänger bezeichnet wird - kann aber dadurch heilen, dass das zuzustellende Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zukommt. Bei einer elektronischen Zustellung ist in dem Zusammenhang maßgeblich, dass der Empfänger durch Zugriff auf das elektronisch bereitgehaltene Dokument von diesem Kenntnis erlangt hat.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2020/22/0028

Datum der Entscheidung

28.12.2023

Veröffentlicht am: 14.06.2024
3324

Keine Unrechtmäßigkeit der Vorführung vor die Vertretungsbehörde des Heimatstaates bei laufendem Folgeantragsverfahren

Leitsätze
I. Die Bekämpfung von Umständen des Schubhaftvollzuges bzw von Vorkommnissen während des Schubhaftvollzugs hat nicht mit Schubhaftbeschwerde, sondern mit einer allgemeinen Maßnahmenbeschwerde zu erfolgen. Die Zuständigkeit zur Entscheidung kommt dem BVwG zu.

II. Es besteht keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung für die Vornahme von die Beschaffung eines Ersatzreisedokumentes vorbereitenden Handlungen. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ist aber jedenfalls der Zweck des Ersatzreisedokumentes, nämlich eine Abschiebung zu ermöglichen und als Voraussetzung dessen das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme, einzubeziehen.

III. Nichtsdestotrotz ist dem BFA ein Spielraum zuzubilligen, fallbezogen eine solche Ladung unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit auch schon vor dem Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verfügen.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

20.11.2023

Veröffentlicht am: 13.06.2024
3323

Mangelnder Bescheidcharakter eines "Ladungsbescheides" aufgrund nicht ordnungsgemäßer Zustellung

Leitsätze
1. Die Vollstreckung von angedrohten Zwangsfolgen setzt voraus, dass die Ladung zu eigenen Handen zugestellt wurde. Erfolgt eine Ladung nicht zu eigenen Handen, kann diese nur als einfache Ladung angesehen werden, der kein Bescheidcharakter zukommt.

2. Im Falle eines aufrechten Vertretungsverhältnisses sind alle Verfahrensakte mit Wirkung für die Partei gegenüber dem Vertreter zu setzen.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

20.11.2023

Veröffentlicht am: 12.06.2024
3322

Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erst nach Klärung des tatsächlichen Herkunftsstaats im Verfahrensverlauf

Leitsätze
Bei bestehender volatiler Sicherheitslage im Herkunftsstaat liegt im Falle der Rückkehr jedenfalls eine reale Gefahr einer Verletzung der Rechte gemäß Art 2 und 3 EMRK vor.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

20.11.2023

Veröffentlicht am: 11.06.2024
3321

EuGH-Urteile als neue Rechtslage, derentwegen Folgeanträge zulässig sein können?

Leitsätze
I. Ausnahmslos jedes Urteil des EuGH, in welchem eine präjudizielle Vorschrift des Unionsrechts ausgelegt wird, ist als "neuer Umstand" oder "neue Erkenntnis" iSd Art 40 Abs 2 und 3 RL 2013/32/EU zu qualifizieren, derentwegen ein Folgeantrag zulässig (Art 2 lit q RL 2013/32/EU) sein kann. Hinzu muss aber noch eine Relevanz des "neuen Umstands" bzw der "neuen Erkenntnis" für den Anspruch auf die Flüchtlingseigenschaft treten, mithin eine nunmehrige Erfolgswahrscheinlichkeit des Folgeantrags.

II. Es steht Art 47 GRC iVm Art 46 RL 2013/32/EU nicht entgegen, wenn sich die Kognitionsbefugnis des Rechtsbehelfsgerichts nach nationalem Recht darin erschöpft, eine asylbehördliche Entscheidung für nichtig zu erklären, und in der Folge die Asylbehörde im zweiten Rechtsgang neuerlich zuständig wird. Bei einer solchen Ausgestaltung muss aber die Asylbehörde an die tragenden Gründe der gerichtlichen Entscheidung gebunden sein.

III. Es ist daher unionsrechtlich ebenso nicht zu beanstanden, wenn das Rechtsbehelfsgericht, das über die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Asylbehörde zu erkennen hat, mit der ein Folgeantrag zurückgewiesen wurde, lediglich über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung zu erkennen hat. Wenn das Rechtsbehelfsgericht aber den Bescheid aufhebt, so muss die Asylbehörde im zweiten Rechtsgang an die tragenden Gründe der gerichtlichen Entscheidung gebunden sein (vgl in Österreich § 28 Abs 5 VwGVG).

IV. Sofern im nationalen Recht eine andere Ausgestaltung des Rechtsbehelfs gewählt wird, mithin eine Entscheidung des Rechtsbehelfsgerichts in der Sache des Folgeantrags ergehen soll, den die Asylbehörde zu Unrecht zurückgewiesen hat, so muss das Gericht die für die Asylbehörde geltenden Verfahrensgarantien nach Kapitel II der RL 2013/32/EU beachten.

Gerichtshof

EuGH / C-216/22

Datum der Entscheidung

08.02.2024

Veröffentlicht am: 10.06.2024
3320

Zum Ermittlungsumfang bei einer Statusaberkennung gegenüber einem Flüchtling, der ins NAG-Regime wechselte

Leitsätze
I. Die rechtliche Möglichkeit, über Bescheidbeschwerden kassatorisch zu entscheiden, also gemäß § 28 Abs 3 letzter Satz VwGVG den bekämpften Bescheid aufzuheben und die Sache an die belangte Behörde zurückzuverweisen, steht den VwG nur sehr eingeschränkt zur Verfügung, die Entscheidung in der Sache hat den Regelfall darzustellen. Lediglich "ergänzende Ermittlungsschritte", die das BVwG zur Vervollständigung der Ermittlungstätigkeit des BFA vorzunehmen hätte, rechtfertigen eine Vorgangsweise nach § 28 Abs 3 letzter Satz VwGVG nicht. Anders verhält es sich nur bei krassen oder besonders gravierenden Ermittlungslücken, aufgrund derer das BVwG im Wesentlichen das gesamte Subsumtionsmaterial zu ermitteln hätte.

II. In der gegenständlichen Konstellation kann ein Anwendungsfall des § 28 Abs 3 letzter Satz VwGVG erblickt werden: Das BFA hatte einem Asylberechtigten, der sich zwischenzeitig im NAG-Regime um einen Aufenthaltstitel beworben hatte, den Asylstatus aberkannt und lediglich den Zusammenhang mit dem NAG-Verfahren geprüft (§ 7 Abs 3 AsylG), ohne dass substanzielle Ermittlungen zu den rechtlichen Voraussetzungen für die Statusaberkennung selbst (§ 7 Abs 1 AsylG) angestellt worden wären. Anders gewendet hatte das BFA nach Auffassung des BVwG sohin nur eine Gegenausnahme geprüft, nicht aber den Grundtatbestand.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

02.01.2024

Veröffentlicht am: 07.06.2024
3319

"Sache" des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens (Wechsel zu einem anderen Aufenthaltstitel in der Bescheidbeschwerde)

Leitsätze
I. In antragsbedürftigen verwaltungsbehördlichen Verfahren gilt, dass nur eine Antragsänderung, die sich als "wesentliche Änderung" im Vergleich zum ursprünglichen Begehren erweist, dazu führt, dass die "Änderung" als Zurückziehung des ursprünglichen Anbringens und Stellung eines neuen Anbringens zu qualifizieren ist (vgl VwSlg 18.003 A/2010). Eine Antragsänderung dahingehend, dass anstatt des einen ein anderer Aufenthaltstitel innerhalb des 7. Hauptstücks des AsylG begehrt wird, erweist sich noch nicht als in diesem Sinne "wesentlich".

II. Die Kognitionsbefugnis des VwG wird durch die jeweils zur Anwendung kommende Verwaltungsvorschrift bestimmt und sohin jedenfalls durch Antragsänderungen verlassen, welche die Anwendbarkeit einer anderen Bestimmung zur Folge haben. Ein Wechsel zu einem Aufenthaltstitel im Stadium des Beschwerdeverfahrens, der einer anderen Bestimmung zu subsumieren ist, ist daher – anders als im verwaltungsbehördlichen Stadium (siehe Punkt I.) – als konkludente Zurückziehung des ursprünglichen Antrags zu deuten. Es ist dem VwG verwehrt, über die Erteilung des nunmehr begehrten Aufenthaltstitels zu entscheiden. Vielmehr ist der angefochtene Bescheid mit Erkenntnis ersatzlos zu beheben und das neue Begehren gemäß § 17 VwGVG iVm § 6 AVG an die belangte Behörde zur erstinstanzlichen Entscheidung weiterzuleiten.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

01.02.2024

Veröffentlicht am: 06.06.2024
3318

Rechtswidrige Ausweisung wegen fehlender Voraussetzung des Inlandsaufenthalts

Leitsätze
I. Für den Erwerb eines unionsrechtlichen (Dauer-)Aufenthaltsrechts iSd RL 2004/38/EG ist es unerheblich, ob die fremde Person das Zusammenleben mit ihrem Ehepartner/ihrer Ehepartnerin beendet oder mit einer anderen Person eine neue Lebensgemeinschaft begründet hat. Ist das Paar weiterhin verheiratet, so geht das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht (Angehörigeneigenschaft) nicht verloren.

II. Gibt es keine Hinweise darauf, dass die fremde Person von ihrem/ihrer in Österreich unionsrechtlich daueraufenthaltsberechtigten Ehepartner/Ehepartnerin tatsächlich und rechtlich bindend geschieden worden wäre, so ist jedenfalls anzunehmen, dass die Ehe weiterhin aufrecht ist.

III. Der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") entspricht dem erhöhten Gefährdungsmaßstab des § 52 Abs 6 FPG für fremde Personen, dh es hat ein höherer Gefährdungsgrad als jener iSd § 53 Abs 3 FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit") vorzuliegen. Wird durch Rechtsverstöße bloß eine Gefährdung iSd § 53 Abs 2 FPG angenommen, jedoch keine iSd Abs 3 leg cit, so ist nicht von einer entsprechenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit iSd § 55 Abs 3 NAG iVm § 67 Abs 1 FPG auszugehen.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

08.03.2023

Veröffentlicht am: 05.06.2024
3317

Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" trotz strafgerichtlicher Verurteilungen?

Leitsätze
I. Bei einem Gesinnungswandel ist neben der gewissenhaften Auseinandersetzung mit der begangenen Straftat und der gezeigten Reue auch maßgeblich, ob und wie lange sich die verurteilte Person nach dem Vollzug ihrer Haftstrafe in Freiheit wohlverhalten hat. Je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit der fremden Person in der Vergangenheit manifestiert hat, desto länger ist diese Beobachtungsdauer.

II. Eine in der Vergangenheit erlassene Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot stellt kein Hindernis für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 Abs 1 AsylG dar. Nach der höchstgerichtlichen Judikatur können Drittstaatsangehörige, die nicht fristgerecht ausgereist sind, durch die Stellung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs 1 AsylG die Gegenstandslosigkeit eines gegen sie erlassenen Einreiseverbots erwirken.

III. Verfügt die fremde Person noch über familiäre Anknüpfungspunkte in ihrem Heimatstaat, so ist aufgrund einer langen Aufenthaltsdauer in Österreich (hier: elf Jahre) davon auszugehen, dass diese als maßgeblich geschmälert zu qualifizieren sind.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

03.11.2023

Veröffentlicht am: 04.06.2024
3316

Keine maßgebliche Gefahr der Einberufung zum Wehrdienst in Syrien

Leitsätze
I. Liegt die Heimatregion eines syrischen Staatsbürgers im kurdisch kontrollierten Gebiet, so besteht auch nach der Vollendung der Volljährigkeit und damit der Erreichung des wehrpflichtigen Alters nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, zum Wehrdienst in der syrischen Armee eingezogen zu werden.

II. In Bezug auf die kurdischen Kräfte in Syrien besteht jedoch (entsprechend der in der Selbstverwaltungsregion geltenden gesetzlichen Bestimmungen) die Wahrscheinlichkeit, dass ein syrischer Staatsbürger im wehrpflichtigen Alter eingezogen werden könnte. Im konkreten Fall liegt aber weder eine maßgebliche Gefahr vor, dass sich dieser an völkerrechtswidrigen militärischen Aktionen beteiligen müsste, noch droht ihm eine unverhältnismäßige Bestrafung oder Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung im Falle einer Weigerung oder Entziehung.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

10.08.2023

Veröffentlicht am: 03.06.2024
3313

Furcht vor Ableistung des Militärdienstes bzw Wehrdienstverweigerung

Leitsätze
Die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung stellt im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2023/14/0437 ua

Datum der Entscheidung

22.01.2024

Veröffentlicht am: 31.05.2024
3311

Mangelhafte Begründung der vermuteten Fluchtgefahr bei offenkundiger Ausreisewilligkeit

Leitsätze
I. Wird betreffend die Verhängung der Schubhaft erwogen, dass die fremde Person keine Unterkunft hat, weder sozial noch beruflich oder familiär im Bundesgebiet verankert ist, und deshalb eine Anhaltung in Schubhaft jedenfalls notwendig ist, so kann angenommen werden, dass das Sicherungsbedürfnis nie anders als durch Anhaltung in Haft gedeckt werden könnte. Diese Ansicht ist jedoch nicht gesetzlich gedeckt, weshalb auch hier zu prüfen ist, ob die Anordnung gelinderer Mittel anstelle einer Schubhaftverhängung zweckmäßig ist.

II. Für die Begründung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft ist stets fallbezogen zu prüfen, ob gelindere Mittel (zB angeordnete Unterkunftnahme oder Meldeverpflichtung) zweckmäßig sind. Hier genügt es im Rahmen der Abwägung nicht, bloß allgemeine Annahmen und Erfahrungswerte wiedergebende Argumente anzuführen.

III. Ist die fremde Person bereits in einem anderen Staat (hier: Deutschland) asylberechtigt und stellt diese in Österreich keinen Asylantrag, so ist die Dublin III-VO nicht anwendbar. In weiterer Folge darf bei der Prüfung der Fluchtgefahr § 76 Abs 3 Z 6 FPG nicht herangezogen werden.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

31.01.2023

Veröffentlicht am: 29.05.2024
3310

Verfassungswidrige Interessenabwägung im Rahmen von § 11 Abs 3 NAG

Leitsätze
I. Wenn im Rahmen der Interessenabwägung nach § 11 Abs 3 NAG lediglich darauf hingewiesen wird, dass eine rechtmäßige Inlandsantragstellung kein darüber hinausgehendes Bleiberecht bewirkt, aber der Umstand, dass ausschließlich aufgrund von behördlichem Verschulden nicht fristgerecht entschieden wurde, nicht berücksichtigt wird, ist dies mit Art 8 EMRK nicht vereinbar.

II. Wenn im Rahmen der Interessenabwägung nach § 11 Abs 3 NAG keinerlei Überlegungen oder Ermittlungen zu den Auswirkungen der Entscheidung auf das Kindeswohl der zweijährigen Beschwerdeführerin (ua auch nicht im Hinblick auf das Verhältnis zur jüngeren Schwester) angestellt werden, ist dies mit Art 8 EMRK nicht vereinbar.

Gerichtshof

VfGH / E 1864/2023

Datum der Entscheidung

18.09.2023

Veröffentlicht am: 28.05.2024
3309

Einreiseverbot aufgrund qualifizierter Verstöße gegen das Fremdenrecht

Leitsätze
I. Zwar sind in den Alternativtatbeständen des § 53 Abs 2 FPG, die ein maximal fünfjähriges Einreiseverbot rechtfertigen, lediglich Bestrafungen wegen Übertretungen fremdenrechtlicher Materiengesetze genannt. Allerdings handelt es sich dabei um eine bloß demonstrative Aufzählung von Umständen, derentwegen ein Drittstaatsangehöriger eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit darstellt. Folglich können auch qualifizierte Verstöße gegen Fremdenrecht per se, insb gegen die Ausreiseverpflichtung, die Erlassung eines Einreiseverbotes rechtfertigen (vgl insb auch Art 11 Abs 1 lit b RL 2008/115/EG, wonach Verstöße gegen die Rückkehrverpflichtung zwingend mit einem Einreiseverbot einherzugehen haben), mag es auch zu keinen verwaltungsbehördlichen Bestrafungen gekommen sein.
II. Ein qualifizierter Verstoß gegen Fremdenrecht ist insb in wiederholten unbegründeten Antragstellungen für Aufenthaltstitel, dem beharrlichen Sich-Entziehen vor Abschiebungen, dem missbräuchlichen Stellen von Asylanträgen in der Schubhaft oder der Aufnahme von Beschäftigungen entgegen dem AuslBG zu erblicken.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

02.01.2024

Veröffentlicht am: 27.05.2024