Ausstellung von Personalausweisen: Unionsrechtswidrigkeit der Schlechterstellung von eigenen Unionsbürgern mit Hauptwohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat
Leitsätze
I. Zwar ist die Zuständigkeit zur Ausstellung von Reisedokumenten bei den Mitgliedstaaten verblieben. Auch verpflichtet Art 4 Abs 3 RL 2004/38/EG die Mitgliedstaaten nach seinem Wortlaut dazu, ihren Staatsangehörigen gemäß ihren Rechtsvorschriften einen Personalausweis "oder" einen Reisepass auszustellen, der ihre Staatsangehörigkeit angibt, und diese Dokumente zu verlängern. Die Mitgliedstaaten sind also nicht dazu verpflichtet, zwei Reisedokumente auszustellen (Reisepass UND Personalausweis).
II. Trotz seines offenen Wortlauts ist Art 4 Abs 3 RL 2004/38/EG im Lichte von Art 21 AEUV (= Art 45 GRC) auszulegen. Beschränkungen des Rechts der Unionsbürger, sich in der EU frei zu bewegen und aufzuhalten, lassen sich unionsrechtlich nur rechtfertigen, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen des Allgemeininteresses beruhen und in einem angemessenen Verhältnis zum mit dem nationalen Recht legitimer Weise verfolgten Ziel stehen.
III. In nationalen Bestimmungen, den eigenen Staatsbürgern nur dann einen Personalausweis auszustellen, wenn sie ihren Hauptwohnsitz im eigenen Mitgliedstaat haben, nicht jedoch, wenn sie ihn im (EU-)Ausland haben, ist eine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts zu erblicken. Schließlich sind gerade Unionsbürger, die einen Freizügigkeitssachverhalt verwirklichen, darauf angewiesen, stets ein Reisedokument innezuhaben. Die genannte Beschränkung lässt sich nicht durch administrative Erwägungen rechtfertigen (leichtere Feststellbarkeit des inländischen Wohnsitzes).