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Leitsätze

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3419

Frauen mit besonderem Risikoprofil in Syrien

Leitsätze
Indem das BVwG den Umstand unberücksichtigt lässt, dass die Beschwerdeführerin dem in den Länderberichten beschriebenen besonderen Risikoprofil entspricht und ein dahingehendes Vorbringen erstattet hat, als alleinstehende, geschiedene Frau gemeinsam mit ihren Kindern Gewalt und Belästigung zu erfahren, hat es die Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen und daher sein Erkenntnis mit Willkür belastet.

Gerichtshof

VfGH / E 3551/2023

Datum der Entscheidung

11.06.2024

Veröffentlicht am: 13.11.2024
3512

Zur Unmöglichkeit einer meritorischen Entscheidung

Leitsätze
Wird kein neuer Fluchtgrund vorgebracht bzw handelt es sich bei behaupteten Tatsachen um keinen neuen oder neu hervorgekommenen (glaubhaften) Sachverhalt, so hat die zuständige Behörde keine inhaltliche Überprüfung ihrer seinerzeitigen Erledigung durchzuführen (§ 68 Abs 1 AVG).

Gericht

BVwG / I417 2256381-2

Datum der Entscheidung

10.01.2024

Veröffentlicht am: 12.11.2024
3382

Folgeantrag bei selbst geschaffenen subjektiven Nachfluchtgründen

Leitsätze
I. Nach dem Urteil des EuGH vom 29.2.2024 in der Rechtssache C-222/22, JF, steht Art 5 Abs 3 Status-RL der Bestimmung des § 3 Abs 2 zweiter Satz AsylG 2005 entgegen, weil diese Bestimmung - in ihrer derzeitigen Fassung - die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten aufgrund eines (auf subjektiven Nachfluchtgründen beruhenden) Folgeantrages von der Voraussetzung abhängig macht, dass die geltend gemachten Umstände (nachweislich) Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung des Antragstellers sind.

II. Die Bestimmung ist daher von österreichischen Behörden und Gerichten nicht anzuwenden, zumal die Umsetzung von Art 5 Abs 3 Status-RL in innerstaatliches Recht bloß eine Befugnis bzw "fakultative" Möglichkeit der Mitgliedstaaten darstellt.

III. Die Verwendung des Ausdrucks "insbesondere" in § 3 Abs 2 erster Satz AsylG 2005 in Bezug auf Fälle, in denen diese Aktivitäten nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind, bedeutet, dass sich Antragsteller sowohl im Rahmen eines Erstantrags auf internationalen Schutz als auch im Rahmen eines Folgeantrags grundsätzlich auch auf Aktivitäten berufen können, die nicht Ausdruck und Verlängerung einer solchen Überzeugung oder Ausrichtung sind.

Gerichtshof

VwGH / Ro 2020/01/0023

Datum der Entscheidung

04.04.2024

Veröffentlicht am: 11.11.2024
3509

Erstmalige Thematisierung von Verfolgungsgründen in der Beschwerdebegründung

Leitsätze
I. Für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist es nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, noch ist eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen hinreichend. Maßgeblich ist eine asylrelevante Verfolgung im Entscheidungszeitpunkt.

II. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als "Verfolgung" iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl Art 9 Abs 1 der Status-RL).

III. Um das Schutzbegehren zu rechtfertigen, muss das Vorbringen des Asylwerbers eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Dabei muss es gelingen, eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen.

Gericht

BVwG / I415 2283384-1

Datum der Entscheidung

17.07.2024

Veröffentlicht am: 08.11.2024
3510

Unwahrscheinlichkeit der Rekrutierung bei fehlender Kontroll- und Eingriffsmöglichkeit des syrischen Regimes

Leitsätze
I. Auf eine mögliche oppositionelle politische Gesinnung für eine etwaige Verfolgungsgefahr kommt es dann nicht an, wenn ein kurdischer Beschwerdeführer aus einer Region stammt, die unter kurdischer Selbstverwaltung steht.

II. Mangels faktischer Rekrutierungsmöglichkeiten von Wehrpflichtigen durch syrische Behörden in kurdisch dominierten Selbstverwaltungsgebieten, kann von keiner Zwangsrekrutierung bei Rückkehr und in Folge auch keine Verfolgungsgefahr angenommen werden.

III. Die Einfluss- und Kontrollmöglichkeit der Heimatregion des Beschwerdeführers ist maßgeblich für Fragen wie die ethnische, militärische oder politische Verfolgung und in Folge für die Annahme einer Verfolgungsgefahr, die den Status eines Asylberechtigten rechtfertigen würde.

Gericht

BVwG / I414 2283214-1

Datum der Entscheidung

17.07.2024

Veröffentlicht am: 07.11.2024
3401

Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung mangels Vorliegens eines nach Art 8 EMRK geschützten Familienlebens

Leitsätze
I. Nach Art 8 EMRK geschützte Familienleben sind nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Bindungen beschränkt. Erfasst sind auch andere faktische Familienbindungen, bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben.

II. Ob bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften ein Familienleben iSd Art 8 EMRK begründet ist, hängt vom Bestehen enger persönlicher Bindungen ab, die sich in einer Reihe von Umständen (etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung, der Geburt gemeinsamer Kinder) äußern können.

Gericht

BVwG / W123 2267195-1

Datum der Entscheidung

23.01.2024

Veröffentlicht am: 06.11.2024
3395

Weibliches Geschlecht als Identifizierungsmerkmal einer "bestimmten sozialen Gruppe" iSd Art 10 Abs 1 lit d RL 2011/95/EU

Leitsätze
I. Art 10 Abs 1 lit d und Abs 2 RL 2011/95/EU ist dahin auszulegen, dass je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland, (auch minderjährige) Frauen als einer „bestimmten sozialen Gruppe“ zugehörig angesehen werden können. Dies unter der Voraussetzung, dass es zu einer tatsächlichen Identifizierung mit dem Grundwert der Gleichheit von Frauen und Männern gekommen ist, welche im Sinne eines „Verfolgungsgrundes“ im Herkunftsland zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen kann.

II. Art 24 Abs 2 GRC ist dahin auszulegen, dass er es der zuständigen nationalen Behörde verwehrt, über einen von einem Minderjährigen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu entscheiden, ohne das Wohl des Minderjährigen im Rahmen einer individuellen Prüfung konkret bestimmt zu haben.

Gerichtshof

EuGH / C-646/21

Datum der Entscheidung

11.06.2024

Veröffentlicht am: 05.11.2024
3432

Das Integrationsbemühen in Korrelation mit EURODAC-Treffern und strafrechtlichen Verurteilungen

Leitsätze
I. Die Tatsache, dass sich die ehemalige Lebensgefährtin mit dem gemeinsamen Sohn und einer weiteren Tochter im Bundesgebiet aufhält, mag noch keine besonders starke Bindung an Österreich aufzeigen.

II. Wenn sich der gemeinsame Sohn im Bundesgebiet bei der Kindesmutter aufhält, die sich um ihn kümmert und ihn versorgt, während der beschwerdeführende Vater im Ausland bzw untergetaucht ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Sohn bisher eine besonders enge Bindung zum Beschwerdeführer aufbauen konnte.

III. Mehrfache Verurteilungen im Bundesgebiet, die im österreichischen Strafregister vermerkt wurden – unter anderem wegen Vergewaltigung – sprechen gegen eine gelungene Integration des Beschwerdeführers.

IV. Bei einer kurzen Aufenthaltsdauer von sechs Monaten ist auch nicht davon auszugehen, dass eine Integrationsverfestigung stattgefunden hat.

Gericht

BVwG / W239 2262873-1

Datum der Entscheidung

11.07.2024

Veröffentlicht am: 04.11.2024
3431

Keine Unterbrechung des Verwaltungsstrafverfahrens bei Folgeanträgen

Leitsätze
I. Der mit dem FrÄG 2017 eingeführte Verwaltungsstraftatbestand des § 120 Abs 1b FPG 2005 idF BGBl I Nr 27/2020 hat (ua) zwei Anwendungsvoraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen: Dies sind zunächst der Eintritt der Rechtskraft und die Durchsetzbarkeit der gegen den Fremden bestehenden Rückkehrentscheidung. Die zweite Voraussetzung stellt auf die Pflicht zur Inanspruchnahme eines Rückkehrberatungsgesprächs gemäß § 52a Abs 2 BFA-VG 2014 ab.

II. Die Erläuterungen zu § 120 Abs 7 FPG in der Stammfassung des Fremdenrechtspakets 2005 (RV 952 BlgNR 22. GP 137) halten fest, dass - um der GFK Genüge zu tun - ein Fremder, der "nach Stellung eines Asylantrags" aber vor Zuerkennung eines Status nach dem AsylG 2005 (§§ 3, 8 AsylG 2005) betreten werde, nicht strafbar sei, wenn ihm schlussendlich ein Status zuerkannt wird.

III. Die Erläuterungen zum Initiativantrag 2285/A BlgNR 25. GP 74 (zum FrÄG 2017) führen zu § 120 Abs 11 FPG (auszugsweise) aus, dass jene Verwaltungsstrafverfahren ua gemäß § 120 Abs 1b FPG nicht umfasst seien, die vor der Statuszuerkennung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels oder einer Dokumentation nach dem NAG oder AsylG 2005 bereits abgeschlossen sind.

Gerichtshof

VwGH / Ro 2021/17/0014

Datum der Entscheidung

04.06.2024

Veröffentlicht am: 31.10.2024
3429

Schlepperei kann nicht per se ohne Hinzutreten weiterer Umstände als besonders schwerwiegendes Verbrechen eingestuft werden

Leitsätze
I. Das Delikt der Schlepperei ist nicht per se als besonders schweres Verbrechen iSd § 6 Abs 1 Z 4 AsylG zu qualifizieren. Für die Einstufung einer Tat als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend, haben besondere Umstände hinzuzutreten. Es muss für eine derartige Qualifikation etwa eine erhebliche Gefährdung, nicht unbedeutende Verletzung oder gar Tötung oder ein mit Folter vergleichbarer Eingriff in die Rechte der Geschleppten vorliegen.

II. Ist bei einer Schlepperei keine unmittelbar drohende und maßgeblich wahrscheinliche Gefahr für das Leben der geschleppten Personen beim Transport von zwei bis vier Fremden im Auto erkennbar, kommt es durch den Täter bzw die Täterin zu einem reumütigen Geständnis und führt er bzw sie ansonsten einen ordentlichen Lebenswandel, so liegt grds kein so schwerer Fall der Schlepperei vor, dass diese unter Straftatbestände zu subsumieren wäre, welche die Rechtsordnung der österreichischen Gesellschaft am stärksten beeinträchtigen.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

09.01.2024

Veröffentlicht am: 30.10.2024
3427

Die Verweigerung des Militärdienstes im Verhältnis zur GFK

Leitsätze
I. Die Verweigerung des Militärdienstes kann aus Gründen erfolgen, die in den Verfolgungsgründen von Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK bzw Art 10 Status-RL keine Deckung finden.

II. Sie kann ua durch die Furcht begründet sein, sich den Gefahren auszusetzen, die die Ableistung des Militärdienstes im Kontext eines bewaffneten Konflikts mit sich bringt.

III. Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verweigerung des Militärdienstes in jedem Fall mit einem der von der GFK vorgesehenen Verfolgungsgründe verknüpft ist.

Gericht

BVwG / I421 2290814-1

Datum der Entscheidung

18.07.2024

Veröffentlicht am: 29.10.2024
3422

Scheinehe spricht nicht per se gegen die Stellung als "begünstigter Drittstaatsangehöriger"

Leitsätze
I. Grundsätzlich kommt Ehegatten von EWR-Bürgern die Stellung als „begünstigter Drittstaatsangehöriger“ zu, selbst dann, wenn die Ehe als Aufenthaltsehe zu qualifizieren ist, es sei denn, es liegt eine rechtskräftige Feststellung iSd § 54 Abs 7 NAG vor.

II. Wenn die Stellung als „begünstigter Drittstaatsangehöriger“ nicht mehr besteht, fehlt – neben einer etwaigen Aufenthaltsberechtigung eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers – eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes.

III. Ohne die Grundlage für ein Aufenthaltsverbot wird auch ein erteilter Durchsetzungsaufschub obsolet.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

17.07.2024

Veröffentlicht am: 28.10.2024
3430

Wehrdienstverweigerer aus ehemaligem Oppositionsgebiet als Bedrohung

Leitsätze
I. Die Schwelle, von Seiten des syrischen Regimes als oppositionell betrachtet zu werden, mag schneller erreicht werden, als in anderen Staaten. Daher können Personen aus unterschiedlichen Gründen, teilweise auch willkürlich, als regierungsfeindlich angesehen werden.

II. Allerdings müssen sich dafür stichhaltige Hinweise darauf ergeben, dass die Person oppositionell tätig gewesen wäre, oder aus anderen Gründen ins Blickfeld der syrischen Behörden geraten wäre.

III. Der Umstand des sunnitischen Glaubens oder der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Araber alleine reicht für sich genommen nicht für die Begründung einer konkreten Verfolgung. Vielmehr muss eine solche Bedrohung drohen, substanziiert behauptet werden oder es müssen sich diesbezügliche Anhaltspunkte im Verfahren ergeben.

IV. Für eine Bedrohung oder Verfolgung durch das syrische Regime kommt es nicht unbedingt darauf an, ob eine Einberufung zum Militärdienst bereits vor der Ausreise erfolgt ist, ob eine behördliche Suche wegen des Militärdienstes bereits vor der Ausreise stattgefunden hat oder ob die Ausreise legal erfolgen konnte.

V. Es kommt vielmehr darauf an, mit welcher Wahrscheinlichkeit von einem Einsatz beim Militär im Falle einer nunmehrigen Rückkehr/Wiedereinreise in den Herkunftsstaat auszugehen ist.

VI. Diese Beurteilung hat anhand der Situation hinsichtlich der Einberufung zum Militärdienst im Herkunftsstaat und anhand des Profils der betroffenen Person zu erfolgen.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

12.07.2024

Veröffentlicht am: 25.10.2024
3390

Abhängigkeitsverhältnis eines Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist

Leitsätze
I. Es ist den Behörden eines Mitgliedstaats verwehrt, einem Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger von Unionsbürgern ist, die Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats sind, einen Aufenthaltstitel zu entziehen oder zu versagen, ohne zuvor geprüft zu haben, ob zwischen diesem Drittstaatsangehörigen und diesen Unionsbürgern ein Abhängigkeitsverhältnis besteht.

II. Ein Aufenthaltstitel kann nur entzogen oder versagt werden, wenn alle individuellen Umstände und die Verhältnismäßigkeit einer solchen Entscheidung gründlich geprüft wurden. Eine entgegenstehende nationale Regelung verletzt Art 20 AEUV iVm Art 47 GRC.

III. Sowohl im Verwaltungsverfahren wie auch im gerichtlichen Verfahren sind die Verteidigungsrechte der betroffenen Person zu wahren. Wird es dem Betroffenen und deren Vertreter verunmöglicht, Kenntnis der betreffenden Aktenstücke zu erlangen, so steht dies dem allgemeinen Grundsatz der guten Verwaltung und Art 47 GRC iVm Art 20 AEUV entgegen.

IV. Art 47 GRC iVm Art 20 AEUV verlangen nicht, dass ein Gericht befugt ist die Rechtmäßigkeit einer Aufenthaltsbescheinigung, die sich auf Informationen stützt, die als Verschlusssache eingestuft wurden, zu überprüfen und den betroffenen Personen Zugang zu all diesen Informationen zu gewähren. Jedoch muss das Gericht die Konsequenzen aus einer solch gelagerten Entscheidung der Behörden ziehen.

Gerichtshof

EuGH / C-420/22, C-528/22

Datum der Entscheidung

25.04.2024

Veröffentlicht am: 24.10.2024
3391

Automatische Anerkennung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Flüchtlingseigenschaft

Leitsätze
I. Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, die von einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidungen über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft automatisch anzuerkennen. Es steht ihnen allerdings frei, dies zu tun.

II. Wird die Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates nicht anerkannt, so muss die zuständige Behörde, wenn sie einen Antrag auf internationalen Schutz nicht als unzulässig ablehnen darf, weil der Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat, der ihm bereits einen solchen Schutz zuerkannt hat, der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSd Art 4 GRC ausgesetzt wäre, eine neue individuelle, vollständige und aktualisierte Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vornehmen.

III. Im Rahmen dieser Prüfung muss die Entscheidung des anderen Mitgliedstaats, diesem Antragsteller internationalen Schutz zu gewähren, und die Anhaltspunkte, auf denen diese Entscheidung beruht, in vollem Umfang berücksichtigt werden. Zu diesem Zweck muss unverzüglich ein Informationsaustausch mit der Behörde eingeleitet werden, welche diese Entscheidung erlassen hat.

Gerichtshof

EuGH / C-753/22

Datum der Entscheidung

18.06.2024

Veröffentlicht am: 23.10.2024
3392

Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung aufgrund der Ermessensklausel gemäß Art 17 Abs 1 Dublin III-VO

Leitsätze
I. Art 27 Abs 1 Dublin III-VO ist dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung vorzusehen, die aufgrund der Ermessensklausel in Art 17 Abs 1 leg cit erlassen wurde.

II. Art 47 GRC ist dahin auszulegen, dass er Mitgliedstaaten nicht daran hindert, eine Überstellungsentscheidung durchzuführen, bevor über einen nach Art 17 Abs 1 Dublin III-VO gestellten Antrag oder über einen Rechtsbehelf gegen die Bescheidung eines solchen Antrags entschieden wurde.

III. Die Frist von sechs Monaten für die Überstellung des Antragstellers gemäß Art 29 Abs 1 Dublin III-VO beginnt ab der Annahme des Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder ab der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung oder über deren Überprüfung, wenn diese gemäß Art 27 Abs 3 leg cit aufschiebende Wirkung hat, zu laufen.

Gerichtshof

EuGH / C-359/22

Datum der Entscheidung

18.04.2024

Veröffentlicht am: 22.10.2024
3393

Keine Überstellung in Mitgliedstaaten, in denen es zu systemischen Grundrechtsverletzungen kommt

Leitsätze
I. Art 3 Abs 2 UAbs 2 VO (EU) 604/2013 ist dahin auszulegen, dass allein die Tatsache, dass der für die Prüfung des Antrags zuständige Mitgliedstaat pauschale Zurückschiebungen und Inhaftnahmen an seinen Grenzübergangsstellen anwendet, der Überstellung eines Drittstaatsangehörigen in diesen Mitgliedstaat nicht entgegensteht.

II. Die Überstellung ist jedoch ausgeschlossen, wenn es ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass der Antragsteller tatsächlich der Gefahr ausgeliefert würde, solchen Praktiken unterworfen zu werden und dass diese Praktiken geeignet sind, ihn in eine Situation extremer materieller Not zu versetzen, die so schwerwiegend ist, dass sie einer nach Art 4 GRC verbotenen unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann.

III. Die Dublin III-VO im Licht von Art 4 GRC ist dahin auszulegen, dass der Mitgliedstaat, der eine Person in einen anderen Mitgliedstaat überstellen möchte, alle ihm zur Verfügung gestellten Informationen berücksichtigen muss, ferner bei der Feststellung der Tatsachen mitwirken und/oder deren Richtigkeit prüfen muss und bei ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen für die Annahme, dass im Fall einer Überstellung eine tatsächliche Gefahr einer solchen Behandlung besteht, von der Überstellung absehen muss.

IV. Der Mitgliedstaat hat sich diesbezüglich darum zu bemühen, von dem zuständigen Mitgliedstaat individuelle Garantien zu erhalten und kann, wenn solche Garantien gegeben werden und sowohl glaubhaft als auch ausreichend erscheinen, die Überstellung durchführen.

Gerichtshof

EuGH / C-392/22

Datum der Entscheidung

29.02.2024

Veröffentlicht am: 21.10.2024
3394

Ungültigkeit der VO (EU) 2019/1157

Leitsätze
I. Die VO (EU) 2019/1157 ist ungültig.

II. Die hauptsächliche Zielsetzung der VO liegt im Anwendungsbereich des Art 77 Abs 3 AEUV. Folglich hätte diese unter Anwendung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens erlassen werden müssen.

III. Die Wirkungen der VO (EU) 2019/1157 werden aufrechterhalten, bis innerhalb einer angemessenen Frist, die zwei Jahre ab dem 1. Januar des auf die Verkündung des vorliegenden Urteils folgenden Jahres nicht überschreiten darf, eine neue, auf Art 77 Abs 3 AEUV gestützte Verordnung in Kraft tritt.

IV. Die VO (EU) 2019/1157 verstößt nicht gegen Art 35 Abs 10 DSGVO, sieht nämlich die VO selbst keinen Vorgang im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten vor.

V. Die VO (EU) 2019/1157 verstößt nicht gegen Art 7 und 8 GRC. Obgleich ein Eingriff in die beiden Grundrechte vorliegt, so sind diese als verhältnismäßig zu beurteilen und stellen folglich keine Verletzung der in Rede stehenden Grundrechte dar.

Gerichtshof

EuGH / C-61/22

Datum der Entscheidung

21.03.2024

Veröffentlicht am: 18.10.2024
3399

Zurückverweisung an die Behörde bei Vorliegen besonders gravierender Ermittlungslücken

Leitsätze
I. § 28 Abs 3 VwGVG normiert grundsätzlich die meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung ist hingegen nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch zu machen.

II. Eine Zurückverweisung kommt insb dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

22.02.2024

Veröffentlicht am: 17.10.2024
3400

Versagung der Ausstellung eines Fremdenpasses mangels Darlegung des dahingehenden Interesses der Republik Österreich

Leitsätze
Fremde ohne Reisedokumente, die lediglich über ein befristets Aufenthaltsrecht in Österreich verfügen und die Anforderungen des § 88 Abs 1 Z 5 FPG nicht erfüllen, sind nicht auf Dauer von der Ausstellung eines Fremdenpasses ausgeschlossen. So können sie bei Erreichen der Mindestaufenthaltsdauer bzw hinreichendem Bezug zur Republik Österreich unter einen der sonstigen Tatbestände, wie § 88 Abs 1 Z 2 oder 3, fallen.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

21.03.2024

Veröffentlicht am: 16.10.2024