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Leitsätze

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3361

Verletzung des Rechts auf Einvernahme durch eine Person des gleichen Geschlechts

Leitsätze
Die Verhandlungsführung gemäß § 20 Abs 2 AsylG 2005 ist schon dann durch Personen desselben Geschlechts durchzuführen, wenn die Flucht aus dem Heimatstaat nicht mit bereits stattgefundenen, sondern mit Furcht vor sexuellen Übergriffen begründet wurde.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2023/20/0074

Datum der Entscheidung

18.12.2023

Veröffentlicht am: 01.08.2024
3360

Fehlende Zeugeneinvernahme zum Nachweis der Apostasie

Leitsätze
Der VwGH hat in Bezug auf den Rechtssatz, es liege im Wesen der freien Beweiswürdigung, dass weitere Beweisanträge nicht mehr berücksichtigt werden müssten, wenn die Behörde sich auf Grund der bisher vorliegenden Beweise ein klares Bild über die maßgebenden Sachverhaltselemente machen konnte, ausgeführt, dass dieser Rechtssatz im Hinblick auf das Verbot vorgreifender Beweiswürdigung wohl nur in besonderen Ausnahmefällen, in denen Beweisanträge geradezu mutwillig erscheinen, zum Tragen kommen könnte.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2022/19/0239

Datum der Entscheidung

12.12.2023

Veröffentlicht am: 31.07.2024
3359

Rückkehrentscheidung trotz Unzulässigkeit der Abschiebung statthaft?

Leitsätze
I. Wird festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Heimatstaat der fremden Person (hier: Guinea) gemäß § 9 AsylG iVm § 52 Abs 9 FPG nicht zulässig ist, so hat die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu unterbleiben.

II. Kommt es im Rechtsschutzverfahren (durch das BVwG) zur Bestätigung der Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, so hat das BFA in einem allenfalls fortgesetzten Verfahren keine Zuständigkeit zum Treffen einer neuerlichen diesbezüglichen Entscheidung.

Gericht

BVwG / W192 1221653-4

Datum der Entscheidung

31.08.2023

Veröffentlicht am: 30.07.2024
3358

Rechtskraft einer früheren Entscheidung steht neuerlicher Verhängung der Schubhaft nicht entgegen

Leitsätze
Das in Rechtskraft erwachsene Erkenntnis des VwG enthielt den Ausspruch, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Fremden in Schubhaft nicht vorlägen. Da die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft sich von jenen für die Verhängung der Schubhaft grundsätzlich nicht unterscheiden, ist die Schubhaftbehörde an einen solchen Ausspruch insoweit gebunden, als sie ohne maßgebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage keinen neuen Schubhaftbescheid erlassen darf.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2021/21/0277

Datum der Entscheidung

28.12.2023

Veröffentlicht am: 29.07.2024
3357

Unmittelbare Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Bestimmung über ipso facto-Flüchtlingsschutz im Sinne von Art 1 Abschnitt D GFK in Österreich

Leitsätze
I. Um unter Art 12 Abs 1 lit a RL 2011/95/EU zu fallen, muss ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser nicht in einem Flüchtlingslager einer UN-Organisation mit Ausnahme des UNHCR gelebt haben, aber den Schutz einer solchen Organisation tatsächlich in Anspruch genommen haben.

II. Fällt der Schutz der UN-Organisation weg, wofür es ausreicht, dass er aus einem nicht vom Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen kontrollierbaren Grund faktisch nicht mehr gewährt wird, so genießt dieser ipso facto die Flüchtlingseigenschaft nach der RL 2011/95/EU (Status-RL), wenn keine Endigungs- oder Ausschlussgründe iSd Art 1 Abschnitt C oder F GFK vorliegen (Art 12 Abs 1 lit a RL 2011/95/EU).

III. Art 12 Abs 1 lit a RL 2011/95/EU ist in Verfahren vor dem BFA und dem BVwG unmittelbar anwendbar.

Gericht

BVwG / W163 2271271-1

Datum der Entscheidung

01.02.2024

Veröffentlicht am: 26.07.2024
3356

Notwendige Auseinandersetzung mit vorliegenden Länderberichten im Falle der beabsichtigten Abschiebung nach Bulgarien

Leitsätze
Eine Abschiebung ist dann nicht zulässig, wenn dem Fremden im Zielstaat eine Verletzung seiner Rechte gemäß Art 2 bzw 3 EMRK droht. Daher bedarf es entsprechender Ermittlungsschritte zur Feststellung der jeweiligen Lage.

Gericht

BVwG / W144 2273612-1

Datum der Entscheidung

20.06.2023

Veröffentlicht am: 25.07.2024
3355

Kostenbefreiung für Kopien im Rahmen der Akteneinsicht

Leitsätze
I. Eine Weigerung der Behörde, Kopien aus dem Akt anzufertigen, ist als Verweigerung der Akteneinsicht zu werten. Die Einsicht nehmende Person hat einen Rechtsanspruch darauf, dass Kopien der Aktenteile angefertigt werden, sobald die Behörde einen funktionsfähigen Kopierer besitzt.

II. Da es sich bei Asylwerbern regelmäßig um mittellose Personen handelt, sieht das AsylG – abweichend vom Prinzip der Selbsttragung der Kosten gemäß dem AVG – eine generelle Kostenbefreiung aus humanitären Gründen vor.

III. Die generelle Kostenbefreiung umfasst auch die im Verfahren zu einem Antrag auf internationalen Schutz im Zuge der Akteneinsicht allenfalls anfallenden Kopierkosten.

Gericht

BVwG / L516 2258994-2

Datum der Entscheidung

20.06.2023

Veröffentlicht am: 24.07.2024
3354

Maßgebliche Interessenabwägung bei der Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen

Leitsätze
I. Im Zuge der Prüfung eines Heilungsantrages gemäß § 4 Abs 1 Z 2 AsylG-DV ist eine Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-G vorzunehmen. Die Voraussetzungen der Heilung sind letztlich die gleichen, wie für die materielle Stattgabe eines verfahrenseinleitenden Antrages auf einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG.

II. Für den Aspekt des Privatlebens spielt die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine Rolle, wobei die Rsp grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im Einzelfall vornimmt. Die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht, sozial vernetzt und integriert ist, eine Einstellungszusage vorliegt bzw er strafgerichtlich unbescholten ist, sind nicht allein entscheidend, um ein persönliches Interesse zu rechtfertigen.

III. Kommt es nach Vorlage der Beschwerde zur Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, so hat das VwG im Falle der Bestätigung der ausgesprochenen Rückkehrentscheidung eine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen.

Gericht

BVwG / W241 2226595-3

Datum der Entscheidung

19.12.2023

Veröffentlicht am: 23.07.2024
3353

Asylrechtlich relevante Verfolgung durch staatliche Strafjustiz

Leitsätze
Wird eine Verfolgung durch die staatliche Strafjustiz behauptet, so ist bei der Prüfung nach § 3 AsylG 2005 zu klären, ob rechtsstaatlich legitime strafrechtliche Verfolgung ("prosecution") vorliegt oder es sich um Verfolgung aus einem der Gründe des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ("persecution") handelt.

Gerichtshof

VfGH / E 3802/2023

Datum der Entscheidung

27.02.2024

Veröffentlicht am: 22.07.2024
3351

Verstärkter Ausweisungsschutz von langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen auch im zweiten EU-Mitgliedstaat

Leitsätze
I. Die RL 2003/109/EG (DaueraufenthaltsRL) ist auch auf Drittstaatsangehörige anwendbar, die – sei es rechtmäßig oder rechtswidrig – im zweiten Mitgliedstaat aufhältig sind, nachdem ihnen der erste Mitgliedstaat die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt hatte.

II. Die RL 2008/115/EG (RückführungsRL) kommt diesen Drittstaatsangehörigen gegenüber nicht zum Tragen, auch wenn sie im zweiten Mitgliedstaat nicht rechtmäßig aufhältig sind, sei es wegen unterlassener Beantragung eines Aufenthaltstitels innerhalb von drei Monaten ab Einreise, sei es wegen eines bestehenden Einreiseverbots für das Hoheitsgebiet des zweiten Mitgliedstaats. Vielmehr genießen sie den verstärkten Ausweisungsschutz des Art 22 Abs 3 RL 2003/109/EG.

III. Hat der Drittstaatsangehörige die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten im zweiten Mitgliedstaat erlangt, wäre insb im Bereich der Ausweisung Kapitel II der RL 2003/109/EG anwendbar. Der Mitgliedstaat ist zur "Beachtung der Garantien des Artikels 12" dieser Richtlinie verpflichtet. Eine Rückführung darf nur aus "schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit" verfügt werden. Wenn der zweite Mitgliedstaat eine solche Rückführung verfügt, ist er verpflichtet, den ersten Mitgliedstaat zu konsultieren und alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um den Beschluss tatsächlich durchzuführen, sowie dem ersten Mitgliedstaat geeignete Informationen bezüglich dieser Durchführung zu übermitteln.

IV. Bei Nicht- oder Fehlumsetzung von Art 12 sowie Art 23 Abs 2 RL 2003/109/EG erfüllen diese Bestimmungen die unionsrechtlichen Voraussetzungen, um sie unmittelbar geltend zu machen.

Gerichtshof

EuGH / C-752/22

Datum der Entscheidung

14.03.2024

Veröffentlicht am: 19.07.2024
3350

Verkürzung der Rechtsmittelfrist im Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten

Leitsätze
Die gemäß § 16 Abs 1 BFA-VG vorgesehene Verkürzung der Beschwerdefrist im Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten setzt die Einhaltung der einmonatigen Entscheidungsfrist des § 7 Abs 2 zweiter Satz AsylG 2005 voraus.

Gerichtshof

VwGH / Ro 2023/14/0004

Datum der Entscheidung

06.03.2024

Veröffentlicht am: 18.07.2024
3348

Zum "überwiegenden Verschulden der Behörde"

Leitsätze
Der Begriff des Verschuldens der Behörde ist nicht iSe Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern "objektiv" zu verstehen, als ein solches "Verschulden" dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war. In stRsp wird ein überwiegendes Verschulden der Behörde darin gesehen, dass diese die für die zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2022/22/0169 ua

Datum der Entscheidung

23.02.2024

Veröffentlicht am: 17.07.2024
3347

Kein Verbesserungsauftrag bei offenkundig aussichtslosem Antrag

Leitsätze
Ein Mängelbehebungsauftrag ist dann nicht erforderlich, wenn der Antrag offenkundig aussichtslos ist.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2023/22/0159

Datum der Entscheidung

20.02.2024

Veröffentlicht am: 16.07.2024
3346

Unanwendbarkeit der nationalen Rechtslage zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung bei mangelnder Abschiebemöglichkeit

Leitsätze
I. Es steht dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen entgegen, wenn feststeht, dass dessen Abschiebung in das Zielland nach dem Grundsatz der Nichtzurückweisung auf unbestimmte Zeit ausgeschlossen ist.

II. Nationales Recht, das in einer konkreten Konstellation im Widerspruch zum unmittelbar anwendbaren Unionsrecht steht, wird für diese Konstellation in jenem Ausmaß verdrängt, damit ein unionsrechtskonformer Zustand herbeigeführt werden kann.

III. Die Anordnung, wonach die Antragsabweisung, die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bzw die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verbinden sei, hat unangewendet zu bleiben, um eine unionsrechtskonforme Rechtslage herzustellen.

Gericht

BVwG / W124 2174515-2

Datum der Entscheidung

19.10.2023

Veröffentlicht am: 15.07.2024
3345

Kein Zuständigkeitsübergang bei ergänzungsbedürftigem Dublin-Konsultationsverfahren

Leitsätze
Im Einzelfall ist es möglich, dass abgelaufene Aufenthaltstitel oder Visa keinen zuständigkeitsbegründenden Charakter mehr besitzen, sofern das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auch nur kurzfristig verlassen wird. Eine einmalige Ausreise genügt.

Gericht

BVwG / W212 2283821-1

Datum der Entscheidung

24.01.2024

Veröffentlicht am: 12.07.2024
3343

Hinweispflicht betreffend Vorlage eines aktuellen Lichtbildes

Leitsätze
Im Hinblick auf das Erfordernis der Vorlage eines aktuellen Lichtbildes iSv § 2a Abs 2 NAG-DV ist der Antragsteller gemäß den in § 39 Abs 2 AVG iVm § 17 VwGVG festgelegten Grundsätzen für die Führung eines Ermittlungsverfahrens auf seine Verpflichtung zur Beibringung eines solchen Lichtbildes hinzuweisen.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2023/22/0100

Datum der Entscheidung

31.01.2024

Veröffentlicht am: 11.07.2024
3344

Kein Prozesshindernis der entschiedenen Sache bei zumindest glaubhaftem Kern der neu vorgebrachten Beweismittel

Leitsätze
Gelangt das VwG zum Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, sondern aufgrund der vorliegenden neuen Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages hätte durchführen müssen, so hat es den zurückweisenden Bescheid zu beheben.

Gericht

BVwG / W163 2158518-2

Datum der Entscheidung

23.01.2024

Veröffentlicht am: 10.07.2024
3342

Einzelfallbeurteilung bei (geringfügiger) Richtsatzunterschreitung

Leitsätze
Nach der Rsp des VwGH hat selbst die Unterschreitung des erforderlichen Richtsatzes nicht in jedem Fall wegen der Annahme, dass der Aufenthalt von Antragstellenden zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft iSd § 11 Abs 2 Z 4 iVm Abs 5 NAG führen könnte, die Ablehnung der Familienzusammenführung zur Folge. Die Unterschreitung des vorgegebenen Mindesteinkommens darf im Hinblick auf die EuGH-Rsp nicht ohne konkrete Prüfung der Situation des einzelnen Antragstellers die Ablehnung der Familienzusammenführung zur Folge haben. Bei der so gebotenen individuellen Prüfung, ob der Lebensunterhalt trotz Unterschreitens der gesetzlich normierten Richtsätze gesichert ist, ist der Umstand, dass der Richtsatz nur geringfügig unterschritten wird, ebenso beachtlich wie niedrige Mietkosten. Kann ein Antragsteller nachweisen, dass er trotz einer (geringfügigen) Unterschreitung dieses Referenzbetrags ohne Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems über die nötigen Mittel zur Deckung der Kosten für seinen Unterhalt verfügt, ist das Erfordernis des Nachweises der "nötigen Mittel" als erfüllt anzusehen.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2023/22/0066

Datum der Entscheidung

31.01.2024

Veröffentlicht am: 09.07.2024
3341

Ausstellung von Personalausweisen: Unionsrechtswidrigkeit der Schlechterstellung von eigenen Unionsbürgern mit Hauptwohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat

Leitsätze
I. Zwar ist die Zuständigkeit zur Ausstellung von Reisedokumenten bei den Mitgliedstaaten verblieben. Auch verpflichtet Art 4 Abs 3 RL 2004/38/EG die Mitgliedstaaten nach seinem Wortlaut dazu, ihren Staatsangehörigen gemäß ihren Rechtsvorschriften einen Personalausweis "oder" einen Reisepass auszustellen, der ihre Staatsangehörigkeit angibt, und diese Dokumente zu verlängern. Die Mitgliedstaaten sind also nicht dazu verpflichtet, zwei Reisedokumente auszustellen (Reisepass UND Personalausweis).

II. Trotz seines offenen Wortlauts ist Art 4 Abs 3 RL 2004/38/EG im Lichte von Art 21 AEUV (= Art 45 GRC) auszulegen. Beschränkungen des Rechts der Unionsbürger, sich in der EU frei zu bewegen und aufzuhalten, lassen sich unionsrechtlich nur rechtfertigen, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen des Allgemeininteresses beruhen und in einem angemessenen Verhältnis zum mit dem nationalen Recht legitimer Weise verfolgten Ziel stehen.

III. In nationalen Bestimmungen, den eigenen Staatsbürgern nur dann einen Personalausweis auszustellen, wenn sie ihren Hauptwohnsitz im eigenen Mitgliedstaat haben, nicht jedoch, wenn sie ihn im (EU-)Ausland haben, ist eine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts zu erblicken. Schließlich sind gerade Unionsbürger, die einen Freizügigkeitssachverhalt verwirklichen, darauf angewiesen, stets ein Reisedokument innezuhaben. Die genannte Beschränkung lässt sich nicht durch administrative Erwägungen rechtfertigen (leichtere Feststellbarkeit des inländischen Wohnsitzes).

Gerichtshof

EuGH / C-491/21

Datum der Entscheidung

22.02.2024

Veröffentlicht am: 08.07.2024
3338

Neuerlich zu den Rechtswirkungen der Ausfolgung eines Aufenthaltstitels

Leitsätze
I. Nach stRsp des VwGH bewirkt die Ausfolgung (tatsächliche Übergabe und Entgegennahme) des Aufenthaltstitels (als Karte) - im Erteilungsfall - idR gleichzeitig den Akt der Zustellung und entsteht die rechtliche Wirkung des Bescheides erst durch diesen Akt. Der bloße Auftrag zur Herstellung einer Aufenthaltstitelkarte bzw deren technische Herstellung selbst entfaltet demgegenüber noch keine Rechtswirkungen. Auch die Mitteilung nach § 23 Abs 2 NAG ist nicht als ein den Aufenthaltstitel erteilender Bescheid anzusehen.

II. Fremde, die nach einer Antragstellung im Ausland mit einem Visum in das Bundesgebiet eingereist sind, sind nicht berechtigt, die Entscheidung über ihren - wenn auch im Ausland gestellten - Antrag über den Ablauf der Gültigkeit des Visums hinaus im Inland abzuwarten. Ein Verbleib im Inland in einer derartigen Konstellation stellt einen Verstoß gegen die Verpflichtung des § 21 Abs 1 zweiter Satz NAG dar.

III. § 21 Abs 1 NAG stellt nur im Hinblick auf türkische Familienangehörige von österreichischen Zusammenführenden eine unzulässige Schlechterstellung iSd Art 13 ARB 1/80 dar. Betreffend den Nachzug von türkischen Staatsangehörigen zu ihren im Bundesgebiet aufhältigen Angehörigen mit türkischer Staatsangehörigkeit liegt hingegen keine Schlechterstellung iSd Art 13 ARB 1/80 vor, wenn die Antragstellenden nach Erhalt eines Visums zur Einreise den beantragten Aufenthaltstitel, auf dessen Ausstellung sie bei Vorliegen sämtlicher Erteilungsvoraussetzungen einen Rechtsanspruch haben, bei der Niederlassungsbehörde im Inland abzuholen haben und in diesem Zeitpunkt das Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen geprüft wird.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2023/22/0085

Datum der Entscheidung

31.01.2024

Veröffentlicht am: 05.07.2024