Asylbehördliches Beweisverfahren, Aufgreifen von Verfahrensvorschriftenverletzungen des Rechtsmittelgerichts und Entscheidungspflicht (nach altem EU-Richtlinienrecht)
Leitsätze
I. Art 4 Abs 1 RL 2004/83/EG und Art 8 Abs 2 RL 2005/85/EG belassen einen weiten Spielraum hinsichtlich der Frage, welche Beweismittel die Asylbehörde heranziehen darf. Ein Gutachten, etwa zur psychiatrischen Verfasstheit des Antragstellers, kann eingeholt werden, wenn die Art und Weise der Einholung im Einklang mit der GRC steht (vgl etwa EuGH 25.1.2018, C-473/16 [F], ECLI:EU:C:2018:36). Das Rechtsmittelgericht, das die Entscheidung der Asylbehörde ex nunc überprüfen soll, kann erforderlichenfalls zur Gutachtenseinholung verpflichtet sein.
II. Das Unionsrecht und insb das gemeinsame europäische Asylsystem verlangen nicht die Einräumung eines zweistufigen gerichtlichen Rechtsmittelzugs. Wenn die Mitgliedstaaten einen solchen dennoch zur Verfügung stellen, so ist es ihnen nicht verwehrt, vorzusehen, dass die Verletzung von Verfahrensvorschriften durch das erstinstanzliche Rechtsmittelgericht nur bei Wesentlichkeit für die Entscheidung aufgegriffen wird (vgl in Österreich § 42 Abs 2 Z 3 VwGG). Voraussetzung dafür ist die Einhaltung des Effektivitäts- und des Äquivalenzgrundsatzes.
III. Art 23 Abs 2 und Art 39 Abs 4 RL 2005/85/EG legen den Asylbehörden und Rechtsmittelgerichten der Mitgliedstaaten zwar keine konkreten Entscheidungsfristen auf, wohl aber hat die Asylbehörde gemäß Art 23 Abs 2 RL 2005/85/EG so rasch als möglich und das Rechtsmittelgericht gemäß den Erfordernissen des Art 47 GRC (angemessene Verfahrensdauer) zu entscheiden.
IV. Für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer kommt es auf die Umstände der konkreten Rechtssache an. Dazu zählen legislative Änderungen nicht, sodass sie eine gerichtliche Säumnis nicht zu rechtfertigen vermögen.
V. Die Nichteinhaltung der angemessenen Verfahrensdauer iSd Art 47 GRC führt nicht per se zur Aufhebung der Entscheidung durch eine allfällige zweite gerichtliche Instanz, es sei denn, sie hätte zu einer Verletzung der Verteidigungsrechte geführt.
VI. Eine (noch im behördlichen Verfahren eingestandene und erläuterte) Falschaussage eines Antragstellers vermag für sich alleine nicht die (beweisentlastende) Feststellung seiner generellen Glaubwürdigkeit (Art 4 Abs 5 RL 2004/83/EG) zur Folge haben.