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Leitsätze

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3181

Zur Aufenthaltstitelerteilung iSd § 27 Abs 1 NAG bei geschiedener (Aufenthalts-)Ehe

Leitsätze
I. Wenn der - zuletzt über einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs 1 Z 2 NAG verfügende - Revisionswerber im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des LVwG die Voraussetzungen für den "Familiennachzug" nicht mehr erfüllt, weil seine dem Aufenthaltstitel zugrunde liegende Ehe zuvor geschieden worden ist, er folglich die Eigenschaft als Familienangehöriger iSd § 2 Abs 1 Z 9 NAG nicht mehr aufweist und daher die diesbezügliche besondere Erteilungsvoraussetzung nicht erfüllt, steht ihm gemäß § 27 Abs 1 NAG jedoch auch in einem solchen Fall ein verselbstständigtes Aufenthaltsrecht zu, sofern kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs 1 NAG vorliegt und die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs 2 NAG erfüllt sind.

II. Der Versagungsgrund des § 11 Abs 1 Z 4 NAG kann - schon nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung - nur während des aufrechten Bestehens einer Aufenthaltsehe herangezogen werden. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der Entscheidung des LVwG an. Liegt in diesem Zeitpunkt keine Aufenthaltsehe (mehr) vor - etwa weil die Ehe inzwischen geschieden wurde - so ist der Versagungsgrund des § 11 Abs 1 Z 4 NAG nicht mehr heranzuziehen.

III. Nach stRsp des VwGH ist unter dem im Verwaltungsverfahren zu beachtenden "Überraschungsverbot" zu verstehen, dass die Behörde in ihre rechtliche Würdigung keine Sachverhaltselemente einbeziehen darf, die der Partei nicht bekannt waren. Der VwGH hat dazu bereits klargestellt, dass die zum "Überraschungsverbot" entwickelten Grundsätze auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren maßgeblich sind, weil in diesem auf dem Boden des § 17 VwGVG sowohl das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs 2 AVG als auch der Grundsatz der Einräumung von Parteiengehör iSd § 45 Abs 3 AVG zu beachten sind.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2019/22/0048

Datum der Entscheidung

31.05.2023

Veröffentlicht am: 28.11.2023
3180

Verkürzte Beschwerdefrist gemäß § 16 Abs 1 BFA-VG nach "beschleunigtem" Aberkennungsverfahren iSd § 7 Abs 2 AsylG

Leitsätze
I. § 7 Abs 2 AsylG über die Durchführung von beschleunigten Aberkennungsverfahren bestimmt in seinem zweiten Satz, dass das BFA innerhalb eines Monats ab Verständigung von der strafgerichtlichen Verurteilung seinen Bescheid zu erlassen hat. § 16 Abs 1 BFA-VG gewährt für den Status des Asylberechtigten aberkennende Bescheide auf der Grundlage des § 7 Abs 2 AsylG bei Hinzukommen weiterer Voraussetzungen in Abweichung von § 7 Abs 4 erster Satz VwGVG eine verkürzte Frist von nur zwei Wochen.

II. Auch wenn das BFA die genannte einmonatige Frist nicht eingehalten hat, im Vergleich zur durchschnittlichen Verfahrensdauer jedoch rascher entschieden und laufend Ermittlungsschritte gesetzt hat, ist dennoch von einem beschleunigten Verfahren iSd § 7 Abs 2 AsylG auszugehen. Ein auf Aberkennung lautender Bescheid nach diesem Verfahren unterliegt daher der nur zweiwöchigen Beschwerdefrist iSd § 16 Abs 1 BFA-VG.

III. Die Strenge des Kriteriums eines vom BFA geführten "beschleunigten Verfahrens" (oben Punkt II) stellt eine revisible Grundsatzfrage dar (Art 133 Abs 4 B-VG).

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

02.06.2023

Veröffentlicht am: 27.11.2023
3179

Verfolgung syrischer Kurden durch türkische Kräfte

Leitsätze
I. Eine Verfolgungsgefahr auf Grund einer Konversion (Verfolgungsgrund "Religion" iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK) ist dann anzunehmen, wenn die Konversion aus einer inneren Überzeugung erfolgte. Maßgebend dafür ist wiederum, dass der angenommene Glaube als Teil der Persönlichkeit des Antragstellers nach außen hin in Erscheinung tritt.

II. Kurdischen Antragstellern aus den türkisch kontrollierten Landesteilen Nordsyriens droht auf Grund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit (Verfolgungsgrund "Rasse") eine asylrelevante Verfolgung durch die Türkei und ihr nahestehende Milizen.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

02.05.2023

Veröffentlicht am: 24.11.2023
3178

Keine Asylgewährung für staatenlose Palästinenser aus dem Gaza-Streifen bei bestehendem Schutzanspruch durch die UNRWA

Leitsätze
I. Steht ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser unter dem Schutz oder erhält Beistand einer Organisation oder Institution der Vereinten Nationen (mit Ausnahme des Hohen Kommissars für Flüchtlinge gemäß Art 1 Abschnitt D GFK), so ist dieser gemäß Art 12 Abs 1 lit a Status-RL von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen. Dies bezieht sich jedoch nicht auch auf einen etwaigen Anspruch auf subsidiären Schutz, sodass diese Voraussetzungen bei einer Antragstellung auf internationalen Schutz unabhängig davon zu prüfen sind.

II. Entfällt der Schutz oder Beistand einer Organisation oder Institution der Vereinten Nationen (hier: UNRWA), aufgrund dessen Bestehens eine Anerkennung als Flüchtling gemäß Art 12 Abs 1 lit a Status-RL ausgeschlossen war, so ist stets zu differenzieren, ob dies von der betroffenen Person selbst veranlasst wurde oder aus nicht von ihr zu kontrollierenden und von ihrem Willen unabhängigen Gründen geschehen ist. Liegt der Entfall des Schutzes bzw Beistandes im Verhalten der betroffenen Person begründet, so ist diese weiterhin von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

08.11.2022

Veröffentlicht am: 23.11.2023
3177

Unzulässigkeit der Revision bei tragfähiger Alternativbegründung

Leitsätze
I. Eine Revision erweist sich als unzulässig, wenn das angefochtene Erkenntnis auf einer tragfähigen Alternativbegründung beruht und im Zusammenhang damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG aufgezeigt wird.

II. Die vollständige Wiedergabe des § 21 Abs 3 NAG stellt eine ausreichende Belehrung im Hinblick auf die Notwendigkeit der Antragstellung (Zusatzantrag zur Zulassung der Inlandsantragstellung) im behördlichen Verfahren dar.

III. Nach stRsp des VwGH führt selbst eine fehlende Begründung des Ausspruchs über die Zulässigkeit der Revision nicht dazu, dass die Revision iSd Art 133 Abs 4 B-VG allein deshalb zulässig wäre.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2022/22/0022

Datum der Entscheidung

25.05.2023

Veröffentlicht am: 22.11.2023
3176

Zur Haftungserklärung von Zusammenführenden iSd § 47 Abs 3 NAG

Leitsätze
Bei der Vorlage einer Haftungserklärung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 47 Abs 3 NAG handelt es sich um eine besondere Erteilungsvoraussetzung, bei deren Fehlen auf die Frage des Vorliegens ausreichender Unterhaltsmittel sowie das Bestehen eines Anspruchs auf Titelerteilung nach Art 8 EMRK nicht mehr eingegangen werden muss.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2022/22/0121

Datum der Entscheidung

25.05.2023

Veröffentlicht am: 21.11.2023
3175

Asylbehördliches Beweisverfahren, Aufgreifen von Verfahrensvorschriftenverletzungen des Rechtsmittelgerichts und Entscheidungspflicht (nach altem EU-Richtlinienrecht)

Leitsätze
I. Art 4 Abs 1 RL 2004/83/EG und Art 8 Abs 2 RL 2005/85/EG belassen einen weiten Spielraum hinsichtlich der Frage, welche Beweismittel die Asylbehörde heranziehen darf. Ein Gutachten, etwa zur psychiatrischen Verfasstheit des Antragstellers, kann eingeholt werden, wenn die Art und Weise der Einholung im Einklang mit der GRC steht (vgl etwa EuGH 25.1.2018, C-473/16 [F], ECLI:EU:C:2018:36). Das Rechtsmittelgericht, das die Entscheidung der Asylbehörde ex nunc überprüfen soll, kann erforderlichenfalls zur Gutachtenseinholung verpflichtet sein.

II. Das Unionsrecht und insb das gemeinsame europäische Asylsystem verlangen nicht die Einräumung eines zweistufigen gerichtlichen Rechtsmittelzugs. Wenn die Mitgliedstaaten einen solchen dennoch zur Verfügung stellen, so ist es ihnen nicht verwehrt, vorzusehen, dass die Verletzung von Verfahrensvorschriften durch das erstinstanzliche Rechtsmittelgericht nur bei Wesentlichkeit für die Entscheidung aufgegriffen wird (vgl in Österreich § 42 Abs 2 Z 3 VwGG). Voraussetzung dafür ist die Einhaltung des Effektivitäts- und des Äquivalenzgrundsatzes.

III. Art 23 Abs 2 und Art 39 Abs 4 RL 2005/85/EG legen den Asylbehörden und Rechtsmittelgerichten der Mitgliedstaaten zwar keine konkreten Entscheidungsfristen auf, wohl aber hat die Asylbehörde gemäß Art 23 Abs 2 RL 2005/85/EG so rasch als möglich und das Rechtsmittelgericht gemäß den Erfordernissen des Art 47 GRC (angemessene Verfahrensdauer) zu entscheiden.

IV. Für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer kommt es auf die Umstände der konkreten Rechtssache an. Dazu zählen legislative Änderungen nicht, sodass sie eine gerichtliche Säumnis nicht zu rechtfertigen vermögen.

V. Die Nichteinhaltung der angemessenen Verfahrensdauer iSd Art 47 GRC führt nicht per se zur Aufhebung der Entscheidung durch eine allfällige zweite gerichtliche Instanz, es sei denn, sie hätte zu einer Verletzung der Verteidigungsrechte geführt.

VI. Eine (noch im behördlichen Verfahren eingestandene und erläuterte) Falschaussage eines Antragstellers vermag für sich alleine nicht die (beweisentlastende) Feststellung seiner generellen Glaubwürdigkeit (Art 4 Abs 5 RL 2004/83/EG) zur Folge haben.

Gerichtshof

EuGH / C-756/21

Datum der Entscheidung

29.06.2023

Veröffentlicht am: 20.11.2023
3174

Abweisung von Säumnisbeschwerden aufgrund exzeptioneller Umstände, die nicht im Einflussbereich der Behörde liegen

Leitsätze
I. Sind Umstände für die zuständige Behörde (hier: das BFA) weder vorhersehbar noch planbar oder beeinflussbar, wie etwa massiv ansteigende Asylantragszahlen, sonstige Verfahrenszahlen und die Anzahl der Vertriebenen aus der Ukraine, so ist bei einer darauf zurückzuführenden Verfahrensverzögerung kein Verschulden an der Nichteinhaltung der gesetzlichen Entscheidungsfrist (hier: sechs Monate) vorzuwerfen. Da die Verzögerung somit nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist, hat die Abweisung einer allfälligen Säumnisbeschwerde (§ 8 Abs 1 VwGVG iVm Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG) zu erfolgen.

II. Liegt eine außergewöhnliche Belastungssituation vor (zB eine Anzahl an Anträgen auf internationalen Schutz, welche jene von 2015 übersteigt, vorübergehendes Aufenthaltsrecht für Vertriebene aufgrund des Kriegs in der Ukraine) und ist die Verletzung der sechsmonatigen Entscheidungsfrist alleine auf diese exzeptionelle Situation zurückzuführen, so ist der Behörde (hier: dem BFA) kein überwiegendes Verschulden an der Verfahrensverzögerung vorzuwerfen. Daraus resultiert, dass eine etwaige Säumnisbeschwerde abzuweisen ist.

III. Wird versucht, eine plötzlich eintretende erhebliche Mehrbelastung für Behörden durch organisatorische Umstrukturierungen und Personalaufstockungen abzufedern, so ist zu beachten, dass neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einige Monate ausgebildet werden müssen und erst mit einer zeitlichen Verzögerung selbstständig im Verfahren eingesetzt werden können. Trotz vorliegender Säumnis ist daher mangels Verschuldens der Behörde eine Säumnisbeschwerde abzuweisen, wenn zwar umgehend auf geänderte Umstände reagiert wird, die Auswirkungen aber erst zu einem späteren Zeitpunkt ersichtlich sind.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

06.06.2023

Veröffentlicht am: 17.11.2023
3173

Unzulässigkeit einer Maßnahmenbeschwerde gegen eine "bevorstehende" Abschiebung

Leitsätze
I. Bei einer Maßnahmenbeschwerde hat die bekämpfte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung entweder noch anzudauern oder sie muss bereits vor der Beschwerdeerhebung stattgefunden haben. Dies erschließt sich implizit bereits aus § 7 Abs 4 Z 3 VwGVG, weshalb eine Maßnahmenbeschwerde, welche die Abschiebung zum Gegenstand hat, noch nicht erhoben werden kann, wenn sich die von der Befehls- und Zwangsgewalt betroffene Person – vor dem Stattfinden der Abschiebung – bloß in Verwaltungsverwahrungshaft befindet.

II. Wird die Prüfung einer "bevorstehenden" Abschiebung (dh im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung ist noch gar keine Abschiebung erfolgt) mittels Maßnahmenbeschwerde begehrt, so liegen die Voraussetzungen für die Beschwerdeerhebung nicht vor, weshalb eine allfällige Maßnahmenbeschwerde als unzulässig zurückzuweisen ist.

III. Zur Vermeidung von Doppelgleisigkeiten darf nach vollzogener Festnahme keine gesonderte Anfechtung eines Festnahmeauftrags erfolgen. Bei der Überprüfung der Festnahme ist allerdings auch zu beurteilen, ob diese Festnahme rechtswidrig war, weil der Festnahmeauftrag nicht hätte ergehen dürfen oder weil dieser jedenfalls vor seinem Vollzug zu widerrufen gewesen wäre.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

10.01.2023

Veröffentlicht am: 16.11.2023
3172

Keine ausreichende Begründung eines Einreiseverbotes bloß aufgrund aktuell bestehender Mittellosigkeit

Leitsätze
I. Es besteht keine sachliche Rechtfertigung zur Verhängung eines Einreiseverbotes bloß aufgrund mangelnder finanzieller Mittel zum Zeitpunkt der Erlassung der Rückkehrentscheidung.

II. Aufgrund der geltenden fremden- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen ist im Falle einer neuerlichen Einreise sichergestellt, dass ein Drittstaatsangehöriger ohne entsprechende finanzielle Mittel an der Einreise gehindert wird.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

23.05.2023

Veröffentlicht am: 15.11.2023
3171

Fehlende Überprüfung des gesundheitlichen Zustandes zwecks Beurteilung der tatsächlichen Überstellbarkeit nach Dublin III-VO

Leitsätze
I. Es besteht kein Recht am Verbleib in einem fremden Aufenthaltsstaat, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden. Auch der Umstand, dass eine Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es Behandlungsmöglichkeiten gibt.

II. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art 3 EMRK. Die Prüfung derartiger außergewöhnlicher Umstände bedarf diesbezüglicher Feststellungen zum aktuellen Gesundheitszustand der betreffenden Person.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

23.03.2023

Veröffentlicht am: 14.11.2023
3170

Gebotene persönliche Vorsprache zur Identifizierung im Rahmen von Rückübernahmeabkommen

Leitsätze
Selbst dann, wenn ein besonderes Identifizierungsverfahren nach § 46 FPG nicht erforderlich ist, kann eine persönliche Vorsprache zur Identifizierung gemäß dem jeweils zugrunde liegenden Rückübernahmeabkommen geboten sein.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

24.04.2023

Veröffentlicht am: 13.11.2023
3169

Versagung der Ausstellung eines Konventionsreisepasses aufgrund evidenter Tatsachen

Leitsätze
I. Die Versagung eines Konventionsreisepasses stellt eine vorbeugende Sicherungsmaßnahme zur Abwendung künftiger Straftaten dar. Bei der Prüfung, ob die vom Gesetz geforderte Annahme gerechtfertigt ist (Zukunftsprognose), ist festzustellen, ob Tatsachen vorliegen, die diese Annahme rechtfertigen. Bei der Beurteilung ist der Behörde kein Ermessen eingeräumt, das ein Absehen von der Versagung erlaubt.

II. Für die Versagung der Ausstellung eines Konventionsreisepasses ist allein das Vorliegen eines der Versagungsgründe des § 92 Abs 1 FPG ausreichend, welcher als lex specialis gegenüber den allgemeinen Bestimmungen des PassG anzusehen ist.

III. Bei der Versagung bzw Entziehung eines Konventionsreisepasses ist auf persönliche oder wirtschaftliche Interessen des Betroffenen keine Rücksicht zu nehmen.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

21.02.2023

Veröffentlicht am: 10.11.2023
3168

Zuständigkeitsübergang aufgrund Verabsäumung der fristgerechten Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat nach Dublin III-VO

Leitsätze
I. Die Überstellung eines Antragstellers in den gemäß Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat hat grundsätzlich spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs zu erfolgen. Diese Frist kann nur in Ausnahmegründen verlängert werden.

II. Sofern eine fristgerechte Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß Dublin III-VO unterbleibt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme verpflichtet und geht die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat über.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

24.02.2023

Veröffentlicht am: 09.11.2023
3167

Unbegründetheit eines Antrages auf internationalen Schutz rechtfertigt für sich allein keine Verhängung eines Einreiseverbotes

Leitsätze
I. Die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz, welcher sich im Verfahren als unbegründet herausstellt, begründet für sich alleine keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.

II. Bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und einem Einreiseverbot handelt es sich um trennbare Spruchbestandteile, sodass mit einer Rückkehrentscheidung nicht zwingend auch ein Einreiseverbot einhergehen muss.

III. Ein unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz erfüllt den Tatbestand des § 53 Abs 2 FPG hinsichtlich der Zulässigkeit der Erlassung eines Einreiseverbotes für sich alleine nicht.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

24.01.2023

Veröffentlicht am: 08.11.2023
3166

Zur Vorgangsweise nach § 55 Abs 3 NAG bei Verneinung der Voraussetzungen für ein abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht

Leitsätze
I. Bei § 55 Abs 3 NAG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Bestimmung, die gemäß § 17 VwGVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sinngemäß zur Anwendung gelangt. Sie ist daher ungeachtet dessen, dass in § 55 Abs 3 NAG lediglich von der "Behörde" die Rede ist, auch vom LVwG anzuwenden.

II. Aufgrund der Vorgaben des § 55 Abs 3 NAG ist dem LVwG in einer Konstellation, in der die Fremde die neuerliche Ausstellung einer Aufenthaltskarte auf ein von ihren Kindern abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich stützt, eine Abweisung ihres Antrags wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 54 NAG versagt.

III. Wenn das LVwG die Voraussetzungen für die Ausstellung einer Aufenthaltskarte als nicht gegeben erachtet, sind diese Voraussetzungen (wenn kein Fall des § 54 Abs 7 NAG vorliegt) vom gemäß § 55 Abs 3 NAG hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung zu befassenden BFA als Vorfrage im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung zu prüfen. Dies gilt grundsätzlich auch für den Fall, dass das BFA bereits zuvor aus einem anderen (nicht verfahrensgegenständlichen) Grund nach § 55 Abs 3 NAG befasst worden sein sollte. Richtigerweise hat das LVwG daher, auch wenn seiner Auffassung nach die Voraussetzungen für die neuerliche Ausstellung einer Aufenthaltskarte nicht gegeben sind, einen dahingehenden Antrag nicht abzuweisen, sondern sind vielmehr nach Einräumen von Parteiengehör die in § 55 Abs 3 NAG vorgesehenen Verfahrensschritte zu setzen. Eine Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens iSv Art 8 EMRK ist jedenfalls auch im Rahmen des anschließend vor dem BFA zu führenden Verfahrens gewährleistet.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2022/22/0149

Datum der Entscheidung

11.05.2023

Veröffentlicht am: 07.11.2023
3165

Leukämie als Rückkehrhindernis (Georgien)

Leitsätze
I. Mit Blick auf Krankheiten führen Abschiebungen nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zu einer Verletzung von Art 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben; aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt.

II. In Georgien bestehen zwar an sich eine stabile Sicherheitslage und ein intaktes Gesundheitssystem und ist in aller Regel nicht von einer aussichtslosen Lage für Rückkehrer auszugehen. Allerdings steht für Leukämiepatienten eine notwendige allogene Knochenmark- bzw Stammzellentransplantation nicht zur Verfügung. Da eine Rückkehr für Personen, die diese Therapie dringend benötigen, die Gefahr des Todes bedeuten würde, ist ihnen jedenfalls subsidiärer Schutz zu gewähren.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

01.03.2023

Veröffentlicht am: 06.11.2023
3160

Westlich orientierte Frau aus Bangladesch

Leitsätze
I. In der streng von islamisch-konservativen Werten geprägten Gesellschaft Bangladeschs besteht keine generelle Verfolgung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts.

II. Wohl aber laufen Frauen, die sich mit ihrer Lebensführung (Selbstbestimmung hinsichtlich Berufs- und Partnerwahl, westlicher Lebenswandel) in Widerspruch zu den tradierten Werten setzen, Gefahr, aufgrund einer unterstellten religiösen oder politischen Gesinnung (Verfolgungsgrund) Misshandlungen ausgesetzt zu sein (Verfolgungshandlungen). Effektive Schutzmaßnahmen des Staates bestehen nicht, sodass Frauen aus Bangladesch mit den genannten Eigenschaften der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

01.03.2023

Veröffentlicht am: 03.11.2023
3158

Zur Beurteilung einer (potenziellen) ordre public-Widrigkeit von Kinderehen

Leitsätze
I. Es ist verfehlt, etwa allein aufgrund des Alters im Zeitpunkt der Eheschließung (hier: 14 Jahre alte Ehefrau), von vornherein eine ordre public-widrige Ehe anzunehmen. Vielmehr sind zuerst Ermittlungen zu den maßgeblichen Bestimmungen des jeweiligen (hier: syrischen) Eherechts vorzunehmen, um die Rechtsgültigkeit der Ehe festzustellen.

II. Handelt es sich um eine rechtsgültig zustande gekommene Ehe (hier: nach dem syrischen Eherecht), so ist in der Folge unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Rsp eine allfällige ordre public-Widrigkeit der Ehe zu klären.

III. Bei der Beurteilung, ob eine gegen den ordre public-Grundsatz verstoßende Kinderehe vorliegt, ist zu prüfen, ob die Entscheidung über die Eheschließung ohne Einschränkung der Willensfreiheit erfolgte. Maßgeblich ist hierbei, dass die Ehe selbstbestimmt und ohne Zwang eingegangen wurde und die Heirat mit keinen Bedingungen verknüpft war. Auch die Wahrung des Kindeswohls, der Persönlichkeitsrechte von minderjährigen Personen und der Schutz vor Ausbeutung und unzulässigen Verpflichtungen müssen in der Beurteilung beachtet werden.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

09.01.2023

Veröffentlicht am: 02.11.2023
3157

Anhaltung minderjähriger Kinder mit ihrer Mutter in Schubhaft ohne ausreichende Grundlage im innerstaatlichen Recht

Leitsätze
I. Jede Freiheitsentziehung muss rechtmäßig sein, also eine Grundlage im nationalen Recht haben und dieser entsprechen. Zudem darf eine Freiheitsentziehung nicht willkürlich sein. Sie muss daher in gutem Glauben erfolgen und in engem Zusammenhang zum verfolgten Ziel stehen. Außerdem darf ihre Dauer nicht das Maß des unbedingt Notwendigen überschreiten.

II. Die Anhaltung Minderjähriger mit ihrer Mutter in Schubhaft ohne einer eigenen, sich auf die Kinder beziehenden Entscheidung ist unvereinbar mit Art 5 Abs 1 EMRK. Es reicht nicht aus, wenn die Behörden in der Anordnung der Schubhaft lediglich erwähnen, dass die Mutter von ihren Kindern begleitet wird, ohne dass diese Gegenstand der Entscheidung sind.

III. Die Anhaltung von Kindern, die ihre Eltern in die Schubhaft begleiten, ist nur dann mit Art 5 Abs 1 lit f EMRK vereinbar, wenn keine gelinderen Mittel zur Verfügung stehen.

IV. Die Anhaltung junger Kinder unter Bedingungen, die für sie nicht angemessen sind, verletzt Art 5 Abs 1 EMRK. Dabei ist unerheblich, ob die Kinder von ihren Eltern begleitet werden.

Gerichtshof

EGMR / 26.879/17 (Minasian ua gegen Moldawien)

Datum der Entscheidung

17.01.2023

Veröffentlicht am: 31.10.2023