Muss eine behauptete politische Überzeugung "grundlegend" sein?
Leitsätze
I. Eine "politische Überzeugung" iSd Art 10 Abs 1 lit e RL 2011/95/EU kann sich nicht nur in einer artikulierten "Meinung", sondern auch einer "Überzeugung" oder "Grundhaltung" manifestieren.
II. Ausschlaggebend ist vor allem die Wahrnehmung der Verfolger, weniger die persönlichen Beweggründe des Antragstellers (Art 10 Abs 2 RL 2011/95/EU). Folglich kommt es nicht auf einen zu erreichenden Grad an Überzeugung an, etwa ob die Überzeugung "grundlegend" ist. Stattdessen genügt es, wenn der Antragsteller behauptet, er bringe diese Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung zum Ausdruck oder habe sie zum Ausdruck gebracht. Die Frage, ob die Furcht vor resultierenden Verfolgungshandlungen auch begründet ist, ist gesondert zu beurteilen.
III. Aus Art 4 Abs 3 bis 5 RL 2011/95/EU ergibt sich, dass die Asylbehörden der Mitgliedstaaten eine umfassende und eingehende Prüfung aller relevanten Umstände betreffend die besonderen persönlichen Umstände dieses Antragstellers und der allgemeineren Gegebenheiten seines Herkunftslands, insbesondere der politischen, rechtlichen, justiziellen, historischen und soziokulturellen Aspekte, vorzunehmen haben, um zu ermitteln, ob der Antragsteller begründete Furcht vor einer persönlichen Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung hat, insb wegen der Überzeugung, die ihm die potenziellen Verfolger in seinem Herkunftsland zuschreiben könnten. Dabei haben die Behörden zwar auch das Ausmaß der Überzeugung sowie allfällige resultierende Aktivitäten zu berücksichtigen, dürfen aber nicht verlangen, dass die Überzeugung so tief verwurzelt ist, dass sie der Antragsteller im Falle seiner Rückkehr nicht mehr ablegen kann.