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Leitsätze

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3308

Zur Unglaubwürdigkeit der behaupteten Unterstellung einer regimekritischen Haltung

Leitsätze
I. Eine fallbezogene Einschätzung des BVwG ist nicht dazu geeignet, um das Ausmaß an Willkür, Menschenrechtsverletzungen und Gefahrenpotenzialen, denen vom syrischen Regime als oppositionell angesehene Personen ausgesetzt sein können, zu banalisieren.

II. Kann die behauptete universitäre bzw weiterführende Ausbildung eines sich im wehrfähigen Alter (30 Jahre) befindenden (syrischen) Staatsbürgers nicht glaubhaft gemacht werden, kann angenommen werden, dass der verpflichtende Wehrdienst – insb wenn Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren von den syrischen Behörden eingezogen werden – bereits abgeleistet worden ist.

III. Ist ein Vorbringen als äußerst oberflächlich, vage sowie unsubstantiiert zu qualifizieren, so deutet dies auf eine Unglaubwürdigkeit hin, sofern dieses nicht noch durch detaillierte Angaben glaubhaft konkretisiert wird.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

28.08.2023

Veröffentlicht am: 24.05.2024
3307

"Fristenregelung" für Verlängerungsanträge von ehemaligen Träger:innen von Privilegien und Immunitäten

Leitsätze
Bei einem nicht rechtzeitigen Verlängerungsantrag bzw bei einem deshalb vorliegenden neuerlichen Erstantrag von ehemaligen Trägern von Privilegien und Immunitäten ist - in vergleichbarer Weise wie bei einem erstmaligen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 44 Abs 2 NAG - davon auszugehen, dass die besondere Erteilungsvoraussetzung ("im unmittelbaren Anschluss an ihren Aufenthalt als Träger von Privilegien und Immunitäten [§ 5 ASG]") dann erfüllt ist, wenn der Aufenthaltstitel längstens sechs Monate nach Ende der Gültigkeit der zuletzt gemäß § 44 Abs 2 NAG erteilten "Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit" beantragt wird.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2023/22/0010

Datum der Entscheidung

06.12.2023

Veröffentlicht am: 23.05.2024
3305

Minderjährige Beschwerdeführerin hat keine familiäre männliche Schutzperson

Leitsätze
Es stellt ein Unterlassen der Ermittlungstätigkeit dar, wenn Länderberichte zu einer bestimmten Frage keine Angaben enthalten und keine zusätzlichen Ermittlungen angestellt werden.

Gerichtshof

VfGH / E 2390/2022

Datum der Entscheidung

13.06.2024

Veröffentlicht am: 22.05.2024
3306

Neues und Altes zu § 55 NAG

Leitsätze
I. Ein Fall des § 54 Abs 7 NAG liegt nicht vor, wenn dem Verfahren kein Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte, sondern ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" aufgrund des Unterbleibens einer Aufenthaltsbeendigung gemäß § 55 Abs 5 NAG zugrunde liegt. Eine ausdrückliche Regelung dahingehend, dass das Verfahren gemäß § 55 Abs 3 NAG auch in einem Verfahren, dem ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" aufgrund des Unterbleibens einer Aufenthaltsbeendigung gemäß § 55 Abs 5 NAG zugrunde liegt, nicht zur Anwendung kommt, enthält das NAG nicht. Aus der Regelung des § 54 Abs 7 NAG lässt sich auch nicht ableiten, dass das Verfahren vor dem BFA nach § 55 Abs 3 NAG die Überprüfung einer Aufenthaltsehe nicht umfasst. So steht es dem BFA offen, im Fall des Fehlens einer Feststellung nach § 54 Abs 7 NAG eine Ausweisung gemäß § 66 FPG aufgrund einer Aufenthaltsehe zu erlassen.

II. Im Fall der Durchführung eines Verfahrens nach § 55 Abs 3 NAG obliegt es dem BFA, die in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen zu prüfen und dann entweder eine aufenthaltsbeende Maßnahme zu erlassen oder dies - aus welchen Gründen auch immer - zu unterlassen. Die (Anschluss-)Regelungen der Abs 4 bis 6 des § 55 NAG sehen dann wiederum vor, wie die Niederlassungsbehörde - je nach Art der Entscheidung des BFA - weiter vorzugehen hat, wobei nach dem Abs 5 des § 55 NAG ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" zu erteilen ist. Eine - neben der Beurteilung durch das BFA - eigenständige weitere Prüfung durch die Niederlassungsbehörde (bzw das VwG) ist für diesen Fall nicht vorgesehen.

III. Mit § 55 Abs 5 NAG erfolgt eine Abgrenzung gegenüber den durch Abs 4 des § 55 NAG erfassten Konstellationen. Auch die Erläuterungen zu der durch das FrÄG 2009, BGBl I 122/2009, eingeführten Bestimmung sprechen davon, dass - wenn die Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts nicht vorliegen, allerdings eine Aufenthaltsbeendigung unterbleibt - eine (damals noch) "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" auszustellen ist (RV 330 BlgNR 24. GP 53).

Gerichtshof

VwGH / Ro 2022/22/0005

Datum der Entscheidung

06.12.2023

Veröffentlicht am: 21.05.2024
3303

Ausreichender Krankenversicherungsschutz aufgrund Abkommens mit Serbien

Leitsätze
Wer nach den serbischen Rechtsvorschriften pensionsberechtigt (und damit auch in Serbien krankenversichert) ist und im Fall der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels und der darauffolgenden Begründung eines Wohnsitzes in Österreich unter Art 13 Abs 2 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Serbien über soziale Sicherheit
fällt, verfügt - gemessen allein an den Vorgaben dieser Bestimmung - insofern über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz iSd § 11 Abs 2 Z 3 NAG iVm § 7 Abs 1 Z 6 letzter Halbsatz erster Fall NAG-DV. Daran vermag auch die Regelung des Art 8 der Durchführungsvereinbarung zum Abkommen betreffend die Vorlage einer Bescheinigung des zuständigen (serbischen) Trägers nichts zu ändern, da damit nicht eine - weitere - materielle Anspruchsvoraussetzung normiert, sondern nur ein an sich bestehender (aus dem Abkommen abgeleiteter) Anspruch bescheinigt werden soll.

Gerichtshof

VwGH / Ro 2022/22/0006

Datum der Entscheidung

06.12.2023

Veröffentlicht am: 17.05.2024
3302

Prüfung der Kindeseigenschaft iSd ASVG: Entscheidungszeitpunkt maßgeblich

Leitsätze
I. Die auf der EuGH-Rsp basierende Rsp des VwGH, wonach bei Prüfung der Minderjährigkeit eines Kindes (als Ausnahme vom sonst geltenden Grundsatz des Abstellens auf die Sach- und Rechtslage zum Entscheidungszeitpunkt) auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen sei, bezieht sich nur auf die Beurteilung der Familienangehörigeneigenschaft iSv § 2 Abs 1 Z 9 NAG und ist nicht auf die Beurteilung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs 2 Z 4 iVm Abs 5 NAG zu übertragen. Bei dieser allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des NAG handelt es sich nicht um eine Voraussetzung für die "Zulässigkeit" des Antrags auf Familienzusammenführung iSd EuGH-Rsp.

II. Zum Entscheidungszeitpunkt hat sowohl eine Verbesserung als auch eine Verschlechterung der Einkommensverhältnisse während des laufenden Verfahrens in die Beurteilung der Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs 2 Z 4 iVm Abs 5 NAG einzufließen. Dass einem Einkommen, das bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt aktuell zu sein hat, ein nicht mehr aktueller Richtsatz bzw ein nicht mehr aktueller Bedarf an finanziellen Mitteln gegenüberzustellen wäre, ist schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil sich in diesem Fall die beiden zueinander in Vergleich zu setzenden Parameter ("Einkommen" sowie "Richtsatz") auf unterschiedliche Zeitpunkte bezögen.

III. Ein Abstellen auf die Vergangenheit bzw auf einen bei Antragstellung gegebenen, geringeren Bedarf an Unterhaltsmitteln, als er im Entscheidungszeitpunkt und bezogen auf die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels zu veranschlagen wäre, stünde zum Zweck des in § 11 Abs 2 Z 4 iVm Abs 5 NAG geforderten Nachweises von finanziellen Mitteln (Vermeidung der Belastung einer öffentlichen Gebietskörperschaft während der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels) in diametralem Widerspruch.

IV. Dass anhand eines in der Vergangenheit gegebenen, geringeren Bedarfs an Geldmitteln bzw eines aufgrund der mittlerweile eingetretenen Volljährigkeit des Antragstellers nicht mehr aktuellen und zu geringen Richtsatzes sinnvollerweise nicht geprüft werden kann, ob während der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels ausreichende finanzielle Mittel iSv § 11 Abs 2 Z 4 iVm Abs 5 NAG vorhanden sein werden, ist offenkundig.

Gerichtshof

VwGH / Ro 2023/22/0002

Datum der Entscheidung

06.12.2023

Veröffentlicht am: 16.05.2024
3301

Flüchtlingseigenschaft aufgrund der Zugehörigkeit zur schützenswerten Gruppe alleinstehender syrischer Frauen

Leitsätze
I. Die soziale Gruppe der alleinstehenden Frauen in Syrien hat keine gesellschaftlichen und sozialen Schutzmechanismen und ist daher häufig von sexueller Gewalt betroffen. Diese Gruppe ist als schützenswerte Risikogruppe zu qualifizieren.

II. Wurde eine alleinstehende Frau bei ihrer Flucht aus Syrien an einem Checkpoint aufgehalten, inhaftiert und gefoltert, so ist im Falle einer Rückkehr davon auszugehen, dass erneut eine derartige Vorgehensweise durch das syrische Regime droht. In Abwägung mit der aktuellen Situation, insb bei Vorliegen einer Vielzahl schwerer Menschenrechtsverletzungen, ist in einem derartigen Fall von einer individuellen Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK auszugehen.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

03.03.2023

Veröffentlicht am: 15.05.2024
3300

Kostenentscheidung nach Verfahrenseinstellung wegen Gegenstandslosigkeit

Leitsätze
Wird eine Revision - ohne formelle Aufhebung der angefochtenen Entscheidung - wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses unter sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs 1 VwGG als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt, ist die Kostenentscheidung mangels formeller Klaglosstellung nicht gemäß § 55 VwGG, sondern gemäß § 58 Abs 2 VwGG zu treffen.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2022/22/0099

Datum der Entscheidung

13.12.2023

Veröffentlicht am: 14.05.2024
3299

Soziale Gruppe eines Mitarbeiters der NATO in Afghanistan

Leitsätze
I. Die Taliban gehen neben (vermeintlich) Oppositionellen auch systematisch gegen Mitarbeitende der NATO-Streitkräfte vor. Sie sind technisch in der Lage (systematische biometrische Erfassung), auch Verfolgungshandlungen gegen deren Angehörige zu setzen.

II. Kindern von ehemaligen Mitarbeitern der NATO-Streitkräfte im weitesten Sinne droht eine asylrelevante Verfolgung auf Basis mehrerer anerkannter Verfolgungsgründe iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK. Zum einen gehören sie der sozialen Gruppe des hauptbetroffenen Elternteils an, zum anderen wird ihnen eine talibanfeindliche politische Gesinnung unterstellt. Ihnen ist sohin gemäß § 3 Abs 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

01.12.2023

Veröffentlicht am: 13.05.2024
3304

Gesamtheit der Frauen aus bestimmten Herkunftsstaaten als soziale Gruppe?

Leitsätze
I. Art 78 Abs 1 AEUV erhebt die GFK samt Protokoll und "andere einschlägige Verträge" zum Prüfmaßstab sowie zur Auslegungsmaxime für Rechtsakte der Europäischen Union auf dem Gebiet des Asyls, des subsidiären und des vorübergehenden Schutzes. Zu diesen anderen Verträgen zählen auch die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), BGBl 443/1982, sowie das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, BGBl III 164/2014.

II. Je nach Herkunftsstaat können schon Frauen als solche eine bestimmte soziale Gruppe iSd Art 10 Abs 1 lit d RL 2011/95/EU darstellen, weil das Geschlecht ein angeborenes Merkmal darstellt. Hinzukommen muss die Betrachtung durch die umgebende Gesellschaft als andersartig.

III. Das Sich-Entziehen aus einer Zwangsehe bzw dem ehelichen Haushalt kann als "gemeinsamer Hintergrund, der nicht verändert werden kann", angesehen werden, sodass – wenn wiederum die Betrachtung durch die umgebende Gesellschaft als andersartig hinzukommt – erst recht eine bestimmte soziale Gruppe iSd Art 10 Abs 1 lit d RL 2011/95/EU vorliegen kann.

IV. Die umgebende Gesellschaft, auf deren Wahrnehmung als andersartig es nach Art 10 Abs 1 lit d RL 2011/95/EU für die abgegrenzte Identität ankommt (II. und III.), muss nicht die Gesamtgesellschaft des Herkunftsstaats sein.

V. Die "begründete Furcht vor Verfolgung" muss auf die Zugehörigkeit zur "sozialen Gruppe" zurückzuführen sein (Art 2 lit d RL 2011/95/EU = Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK).

VI. Bei Verfolgungshandlungen durch nichtstaatliche Akteure im Herkunftsstaat muss deren Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund dann nicht unbedingt vorliegen, wenn sich schon die Untätigkeit staatlicher Organe bei der Gewährung innerstaatlichen Schutzes auf den Verfolgungsgrund zurückführen lässt (vgl Art 9 Abs 3 RL 2011/95/EU).

VII. Wenn kein Asyl zu gewähren ist, so können Frauen, denen mit einem Ehrenmord oder anderen Gewalthandlungen im Herkunftsstaat tatsächlich gedroht worden ist, nach Art 15 lit a oder b RL 2011/95/EU Anspruch auf subsidiären Schutz haben.

Gerichtshof

EuGH / C-621/21

Datum der Entscheidung

16.01.2024

Veröffentlicht am: 10.05.2024
3298

Unionsrechtswidrigkeit einer bloß dreitägigen Rechtsmittelfrist in einem beschleunigten Asylverfahren

Leitsätze
I. Art 46 Abs 1 und 4 RL 2013/32/EU trägt den Mitgliedstaaten auf, in Asylsachen einen gerichtlichen Rechtsbehelf auszugestalten, insb hinsichtlich der Fristen, wobei dessen Inanspruchnahme weder verunmöglicht noch übermäßig erschwert werden darf.

II. Eine bloß dreitägige Ausschlussfrist, bei der Feiertage bloß ablaufhemmend wirken, ansonsten aber einzurechnen sind, vermag diesem Erfordernis effektiven Rechtsschutzes nicht Rechnung zu tragen.

Gerichtshof

EuGH / C-58/23

Datum der Entscheidung

27.09.2023

Veröffentlicht am: 08.05.2024
3297

Keine Ausstellung eines Konventionsreisepasses nach einer Verurteilung wegen Suchtgiftdelikten

Leitsätze
I. Auch wenn bei Straftaten nach dem SMG auf den ersten Blick kein internationaler Bezug erkennbar ist (zB weil der Tatort im Inland liegt), wohnt Suchtgiftdelikten ein latenter Auslandsbezug (großteils werden Suchtgifte aus dem Ausland importiert) inne. Ebenso ist von einer besonders hohen Wiederholungsgefahr auszugehen.

II. Der inländische Drogenmarkt und -handel ist vorwiegend mit Suchtgiftimporten aus dem Ausland verknüpft, weshalb davon auszugehen ist, dass ein (Konventions-)Reisepass einen (weiteren) Handel mit Suchtgift für die fremde Person jedenfalls erleichtern würde.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

10.01.2023

Veröffentlicht am: 07.05.2024
3296

Zum Deutschnachweis durch ausländisches Reifezeugnis

Leitsätze
Liegt ein ausländisches Abschlusszeugnis vor, das nach ENIC NARIC AUSTRIA einen Nachweis der allgemeinen Universitätsreife darstellt, gilt dieses idR auch als Nachweis von ausreichenden Deutschkenntnissen iSd § 21a Abs 3 Z 1 NAG (iVm § 9 Abs 4 Z 3 IntG und § 64 UG).

Gerichtshof

VwGH / Ra 2020/22/0192

Datum der Entscheidung

12.12.2023

Veröffentlicht am: 06.05.2024
3295

Zur örtlichen Zuständigkeit bei Wohnsitzwechsel des Zusammenführenden

Leitsätze
I. Nach stRsp des VwGH haben die Behörden ihre (ua) örtliche Zuständigkeit gemäß § 6 Abs 1 AVG von Amts wegen wahrzunehmen. Im Fall einer Änderung der Sach- und Rechtslage im Laufe des Verfahrens, dh vor Erlassung des Bescheides, welche eine Änderung der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde bewirkt, ist das Verfahren von der nach der neuen Situation zuständigen Behörde weiterzuführen, weil dem Verwaltungsverfahren eine "perpetuatio fori" fremd ist.

II. Im Revisionsfall hat das VwG die örtliche Zuständigkeit der belangten Behörde nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bescheiderlassung zu beurteilen. Bezogen auf diesen Zeitpunkt ist somit vom VwG, was im Übrigen in gleicher Weise die von Amts wegen wahrzunehmende Aufgabe der belangten Behörde (gewesen) wäre, gemäß § 4 Abs 1 erster Satz zweiter Fall NAG zu prüfen und gegebenenfalls näher zu ermitteln, wo die Aufenthaltstitelwerbenden beabsichtigten, im Inland ihren Wohnsitz zu begründen.

III. Der Amtswegigkeitsgrundsatz hinsichtlich der Feststellung der örtlichen Zuständigkeit gilt auch dann, wenn sich aus den Verfahrensakten keine konkreten Anhaltspunkte betreffend den von den Aufenthaltstitelwerbenden beabsichtigten Wohnsitz gewinnen lassen.

IV. Soweit eine Rechtsansicht auf § 13 Abs 7 und § 8 AVG verweist und vermeint, dass es bei einer Antragsänderung oder -zurückziehung auf deren Einlangen bei der Behörde ankomme, was dafür spreche, dass auch eine Änderung des beabsichtigten Wohnsitzes iSv § 4 Abs 1 erster Satz zweiter Fall NAG der Behörde gegenüber zum Ausdruck gebracht werden müsse, ist festzuhalten, dass die Frage, wo die Aufenthaltstitelwerbenden zum Entscheidungszeitpunkt der Behörde beabsichtigten, ihren Wohnsitz zu nehmen, eine für die örtliche Zuständigkeit der Behörde ausschlaggebende und von ihr von Amts wegen zu ermittelnde Tatsache, aber keine prozessuale Willenserklärung oder Prozesshandlung darstellt.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2023/22/0178

Datum der Entscheidung

28.11.2023

Veröffentlicht am: 03.05.2024
3294

Prüfung der Intensität künstlerischer Tätigkeit

Leitsätze
I. Gefordert gemäß § 43a Abs 1 Z 2 NAG sind die - vom Antragsteller nachzuweisende - Deckung des Unterhalts durch Einkommen aus künstlerischer Tätigkeit sowie die überwiegende Bestimmtheit der Tätigkeit durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung.

II. Hinsichtlich der Deckung des Unterhalts verweist § 43a Abs 1 Z 2 NAG nicht auf § 11 Abs 2 Z 4 iVm Abs 5 NAG; diese Regelungen verfolgen vielmehr unterschiedliche Ziele, das Erfordernis der Unterhaltsdeckung iSd § 43a Abs 1 Z 2 NAG ist daher unabhängig von § 11 Abs 5 NAG zu beurteilen.

III. Das aus künstlerischer Tätigkeit erwirtschaftete Einkommen muss iSd § 43a Abs 1 Z 2 NAG grundsätzlich geeignet sein, den Unterhalt des Drittstaatsangehörigen zu decken, es ist jedoch nicht an den Richtwerten des § 293 ASVG zu messen und eröffnet einen Spielraum, um allenfalls eine ungleiche Intensität der künstlerischen Tätigkeit aus besonderen Gründen - etwa krankheitsbedingt oder infolge unverschuldeter externer Bedingungen wie beispielsweise der Situation infolge von COVID-19 - berücksichtigen zu können.

IV. Auch wenn die Frage der Unterhaltsdeckung gemäß § 43a Abs 1 Z 2 NAG nicht an den Richtwerten des § 293 ASVG zu messen und insoweit ein Spielraum eröffnet ist, ist die vorliegend angestellte Prognosebeurteilung, wonach die aus der künstlerischen Tätigkeit erwirtschafteten Einkünfte (im Ausmaß von weniger als der Hälfte der nach § 11 Abs 5 NAG erforderlichen Unterhaltsmittel) auch grundsätzlich nicht geeignet seien, den Unterhalt iSd § 43a Abs 1 Z 2 NAG zu decken, im Ergebnis fallbezogen nicht als unvertretbar anzusehen.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2022/22/0105

Datum der Entscheidung

28.11.2023

Veröffentlicht am: 02.05.2024
3292

Ausstellung eines Fremdenpasses für jemenitischen Staatsbürger

Leitsätze
Werden von einer Botschaft nur Reisepässe zur Erneuerung abgelaufener oder als Ersatz für verlorene oder beschädigte Pässe bzw für Kinder ausgestellt und ist es der betroffenen Person etwa im Verlustfall nicht möglich, eine Kopie samt Verlustbestätigung der Polizei vorzulegen, so hat bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 88 Abs 2a FPG die Ausstellung eines Fremdenpasses zu erfolgen.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

30.10.2023

Veröffentlicht am: 30.04.2024
3291

Zur Situation von Asylberechtigten in Griechenland

Leitsätze
I. Bei der Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK fällt im Rahmen eines Asylverfahrens eine zumindest zweifache Missachtung der österreichischen Einreise- und Einwanderungsbestimmungen zugunsten des Schutzes der öffentlichen Ordnung schwer ins Gewicht. Es stellt sich die fortgesetzte Befassung der Asylbehörden mit einem neuerlichen Asylantrag als in besonderem Maße rechtsmissbräuchlich dar – insb, wenn bereits in einem Mitgliedstaat der EU der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden ist.

II. Die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der Rechte des Art 3 EMRK lässt sich grds nicht durch den mentalen Stress, der bei einer Abschiebung bestehen kann, begründen.

III. Es ist unerheblich, ob die Standards von Unterbringungseinrichtungen für Schutzberechtigte in einem Mitgliedstaat jenen von österreichischen Einrichtungen entsprechen. Von Relevanz ist bloß, ob im betreffenden Staat die grundlegende Versorgung gewährleistet wird.

Gerichtshof

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Datum der Entscheidung

27.01.2023

Veröffentlicht am: 29.04.2024
3293

Dreijährige Wartefrist für Familiennachzug bei subsidiär Schutzberechtigten (§ 35 AsylG 2005)

Leitsätze
Keine Bedenken gegen die Anordnung einer dreijährigen Wartefrist für den Familiennachzug bei subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 35 AsylG 2005.

Gerichtshof

VfGH / E 933/2022

Datum der Entscheidung

13.12.2023

Veröffentlicht am: 26.04.2024
3290

Dublin-System: Pro Asylantrag ein Merkblatt und ein Gespräch; Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in der EU

Leitsätze
I. Die Art 4 und 5 Dublin III-VO sowie Art 29 Eurodac-VO beinhalten Verfahrensvorschriften, die der Wahrnehmung der Rechte von Antragstellern dienen, gegen die eine Dublinüberstellungsentscheidung ergehen soll. Konkret sind den Antragstellern Informationen in Form eines Merkblattes auszuhändigen und es ist mit ihnen ein persönliches Gespräch zu führen.

II. Die geschilderten Verfahrensvorschriften (II.) kommen nicht nur beim ersten Antrag in einem EU-Mitgliedstaat, sondern auch bei einem weiteren Antrag auf internationalen Schutz und in den Fällen des Art 17 Abs 1 Eurodac-VO (Abgleich von Fingerabdrücken illegal Aufhältiger) zum Tragen.

III. Soweit das Unionsrecht nicht selbst die Rechtsfolgen einer Verletzung seiner Verfahrensgarantien vorgibt, müssen diese vom Mitgliedstaat unter Beachtung des Effektivitätsgrundsatzes festgelegt werden.

IV. Art 27 Abs 1 Dublin III-VO (Anspruch auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf) ist dahin auszulegen, dass damit sowohl inhaltliche Rechtswidrigkeiten bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats als auch die Verletzung von Verfahrensvorschriften gerügt werden können müssen, inklusive der genannten Informations- und Anhörungspflichten. Hinsichtlich ihrer Verletzung ist zu differenzieren: Ein Vorenthalten des persönlichen Gesprächs (Art 5 Dublin III-VO) muss zur Nichtigerklärung der Überstellungsentscheidung durch das Rechtsbehelfsgericht führen, es sei denn, nach nationalem Recht besteht die Möglichkeit des Antragstellers, im Rechtsbehelfsverfahren alle seine Argumente gegen die Überstellungsentscheidung persönlich vorzubringen, und diese Argumente sind dazu geeignet, etwas an der Überstellungsentscheidung zu ändern. Fand hingegen ein persönliches Gespräch statt, wurden jedoch in dessen Vorfeld die nach Art 4 Dublin III-VO gebotenen Informationen (Formblätter) vorenthalten, so hat das Rechtsbehelfsgericht die Nichtigkeit der Überstellungsentscheidung nur dann auszusprechen, wenn dieser Verfahrensfehler für ihr Zustandekommen wesentlich war.

V. Aufgrund des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten gilt die Rechtsvermutung, dass Asylanträge in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit GFK und EMRK behandelt werden.

VI. Aufgrund der Bedeutung und der Reichweite des Rechtsbehelfs iSd Art 27 Abs 1 Dublin III-VO ist das Gericht verpflichtet, auf Basis objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Lichte der Grundrechte zu prüfen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen.

VII. Antragsteller können sich auch auf das Refoulementverbot (insb Art 4 GRC) berufen, wenn keine systematischen Schwachstellen im ersuchten Mitgliedstaat, sondern nur hinsichtlich ihres Falls die Gefahr einer diesem Verbot widerstreitenden Behandlung vorliegt. Das Rechtsbehelfsgericht hat aber nur systematische Schwachstellen wahrzunehmen, diese liegen aber nicht schon deshalb vor, weil die Refoulementgefahr abweichend vom ersuchten Mitgliedstaat beurteilt wird. Solange keine systematischen Schwachstellen im ersuchten Mitgliedstaat vorliegen, darf das Rechtsbehelfsgericht den ersuchenden Mitgliedstaat auch nicht zum Selbsteintritt (Art 17 Abs 1 Dublin III-VO) zwingen.

Gerichtshof

EuGH / C-228/21 ua

Datum der Entscheidung

30.11.2023

Veröffentlicht am: 25.04.2024
3288

Unzureichende Interessenabwägung durch mangelnde Berücksichtigung der Situation des minderjährigen Beschwerdeführers

Leitsätze
I. Für die Prüfung der Auswirkungen der aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bedarf es einer eingehenden Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der Situation des minderjährigen Drittstaatsangehörigen.

II. Der bloße Verweis auf die gemeinsame Rückkehr der Kernfamilie ist jedenfalls nicht ausreichend.

Gerichtshof

VfGH / E 2069/2023 ua

Datum der Entscheidung

13.06.2023

Veröffentlicht am: 24.04.2024