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Leitsätze

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3684

Der Einfluss von Art 8 EMRK auf das Selbsteintrittsrecht eines Mitgliedstaates nach Dublin III-VO

Leitsätze
I. Primär liegt es an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein Selbsteintritt nach Art 17 Abs 1 Dublin III-VO erfolgt (vgl VwGH 21.12.2021, Ra 2021/19/0438).

II. Das Selbsteintrittsrecht ist auszuüben und eine Zurückweisungsentscheidung nach § 5 AsylG 2005 hat zu unterbleiben, wenn einer Außerlandesbringung Art 3 EMRK oder Art 8 EMRK entgegenstehen (vgl VwGH 19.10.2023, Ra 2022/19/0093).

Gericht

BVwG / W610 2296849-2 ua

Datum der Entscheidung

17.01.2025

Veröffentlicht am: 13.11.2025
3695

Kein Fluchtgrund aufgrund mangelnder Wahrscheinlichkeit der Einberufung zum Reservedienst der syrischen Armee aufgrund Alter bzw Qualifikation

Leitsätze
Die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung stellt im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur das Vorliegen eines Konventionsgrundes rechtfertigen.

Gericht

BVwG / I421 2283883-1

Datum der Entscheidung

19.12.2024

Veröffentlicht am: 12.11.2025
3694

Kein Vorliegen des Fluchtgrundes der oppositionellen Gesinnung bei Demonstrationsteilnahme vor sudanesischer Botschaft in Kiew

Leitsätze
Eine bloße Teilnahme an Kundgebungen bedeutet nicht zwingend, dass ein Asylantragsteller auffällig regierungskritisch in Erscheinung getreten wäre und sich daraus eine Verfolgung aus Gründen der GFK ergibt.

Gericht

BVwG / I419 2293472-1

Datum der Entscheidung

19.12.2024

Veröffentlicht am: 11.11.2025
3690

Beschwerdeabweisung: verbesserte Sicherheitslage in Afghanistan und fehlende Glaubwürdigkeit des Vorbringens

Leitsätze
I. Die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan ist volatil. Dennoch ergibt sich aus den Länderberichten eine Verbesserung der Situation.

II. In keiner Region Afghanistans reicht aktuell die bloße Präsenz als zivile Person für eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit aus.

III. Für die Gewährung subsidiären Schutzes müssen daher gefährdungssteigernde, persönliche Gründe vorliegen.

Gericht

BVwG / W278 2291305-1

Datum der Entscheidung

28.01.2025

Veröffentlicht am: 10.11.2025
3687

Beschwerdeabweisung in Bezug auf Einreiseanträge wegen eines anhängigen Aberkennungsverfahrens gemäß § 7 AsylG

Leitsätze
I. Die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens durch das an das Legalitätsprinzip gebundene BFA erfolgt nur unter der Voraussetzung, dass ein Aberkennungsgrund iSd § 7 Abs 1 AsylG vorliegt. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Unparteilichkeit aufgrund des Umstandes, dass die gleiche Behörde sowohl über das Aberkennungsverfahren als auch über die Einreise abspricht, gefährdet wäre.

II. Erfolgt eine Abweisung ex lege aufgrund des klaren Wortlauts des § 35 Abs 4 Z 1 AsylG (Erteilung einer positiven Wahrscheinlichkeitsprognose durch das BFA nur, wenn gegen die fremde Person, die den Status einer Asylberechtigung erhalten hat, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist), so kann jedwede vertiefte Auseinandersetzung – etwa mit Art 8 EMRK und dem Kindeswohl – von vornherein unterbleiben.

Gericht

BVwG / W240 2302570-1 ua

Datum der Entscheidung

08.01.2025

Veröffentlicht am: 07.11.2025
3686

Zeitlicher Konnex zwischen Gefährdungsprognose und Haftentlassungszeitpunkt

Leitsätze
I. Es ist betreffend die von einer (erstmalig) inhaftierten Person ausgehende Gefährlichkeit nicht absehbar, in welchem Ausmaß diese am Ende des Vollzugs der (hier: etwa 15 Jahre andauernden) Strafhaft noch vorhanden ist, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Vollzug von langen Freiheitsstrafen zu erheblichen Gefährdungsminderungen führen könnte.

II. Für die Erstellung einer Gefährdungsprognose ist auf den Zeitpunkt der (hypothetischen) Entlassung abzustellen, weshalb für eine sich am Anfang einer langjährigen Haftstrafe befindende Person aufgrund der noch lange andauernden Strafhaft bzw des noch nicht absehbaren Haftentlassungszeitpunkts keine valide Gefährdungsprognose getroffen werden kann.

Gericht

BVwG / I419 2301341-1

Datum der Entscheidung

04.11.2024

Veröffentlicht am: 06.11.2025
3683

Beschwerdestattgabe: asylrelevante Verfolgung aufgrund regimekritischer, universitärer Arbeit in Österreich und Oppositionstätigkeit

Leitsätze
I. Zivilgesellschaftlicher Aktivismus im unparteiischen, universitären Bereich wird vom iranischen Regime grundsätzlich als staatsfeindlich eingestuft.

II. Die Mitgliedschaft in einer kurdischen Partei ist im Iran illegal. Politische Oppositionelle sind daher bei einer Verhaftung durch iranische Behörden meist stark von Folter betroffen.

Gericht

BVwG / W241 2282629-1

Datum der Entscheidung

31.12.2024

Veröffentlicht am: 05.11.2025
3680

Zurückverweisung wegen unzureichender Prüfung der Familien- und Abhängigkeitsverhältnisse

Leitsätze
I. Im Rahmen eines Familienzusammenführungsverfahrens steht es der Erteilung von Einreisetiteln nicht entgegen, wenn die asylberechtigte Bezugsperson während des anhängigen Verfahrens volljährig wird. Die Vorgaben des Art 7 Abs 1 FamilienzusammenführungsRL (ausreichender Wohnraum, Krankenversicherung, Einkünfte) müssen in diesem Fall nicht erfüllt werden.

II. Sind volljährige Geschwister einer asylberechtigten minderjährigen Bezugsperson krankheitsbedingt vollständig und dauerhaft auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen, so ist diesen im Rahmen eines Familienzusammenführungsverfahrens auch ein Einreisetitel zu erteilen, wenn den Eltern ein solcher erteilt wurde.

III. Haben österreichische Vertretungsbehörden im Ausland über Anträge auf Erteilung von Einreisetiteln zu entscheiden, so sind diese dabei gemäß höchstgerichtlicher Judikatur an die Mitteilung des BFA hinsichtlich der Prognose einer Gewährung des Status eines Schutzberechtigten oder Asylberechtigten gebunden, ein Ermessensspielraum kommt den Vertretungsbehörden aufgrund dieser Bindungswirkung nicht zu.

Gericht

BVwG / W240 2278692-1 ua

Datum der Entscheidung

28.03.2024

Veröffentlicht am: 04.11.2025
3659

Glaubensüberzeugung im Hinblick auf die "Church of Almighty God"

Leitsätze
I. Für die asylrechtliche Relevanz einer Konversion ist entscheidend, ob der Beschwerdeführer auch aus innerer Überzeugung heraus den Religionswechsel vollzogen hat.

II. Maßgebliche Indizien sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung oder eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (VwGH 14.3.2019, Ra 2018/18/0455).

III. Wenn es dem Beschwerdeführer nicht gelingt, die Glaubenszuwendung sowie Glaubenspraktizierung zur Church of Almighty God schlüssig darzulegen, dann kann nicht angenommen werden, dass die Glaubensüberzeugung aktuell derart ernsthaft ist, sodass sie Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers wurde.

IV. Daher ist im Falle einer Rückkehr ins Heimatland auch nicht davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer privat oder öffentlich zur Kirche des Allmächtigen Gottes bekennen wird.

Gericht

BVwG / W278 2288326-1

Datum der Entscheidung

17.01.2025

Veröffentlicht am: 03.11.2025
3660

Schubhaft für Unionsbürger vs Ausreiserecht nach Art 4 Abs 1 Unionsbürger-RL

Leitsätze
I. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art 2 Abs 1 Z 7 PersFrSchG und des Art 5 Abs 1 lit f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der
Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter
Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist.

II. Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, dh das bloße Unterbleiben der Ausreise,
obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die
Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Abgesehen von der Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen.

III. Nach der Judikatur des EuGH kann die Verhängung von Schubhaft über einen Unionsbürger
eine Beschränkung des in Art 4 Abs 1 der Unionsbürger-RL verbürgten Ausreiserechtes darstellen, für die (abgesehen vom Schutz der öffentlichen Gesundheit) Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit iSd Art 27 der Unionsbürger-RL gegeben sein müssen. Dazu müsste aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Gericht

BVwG / W600 2305335-1

Datum der Entscheidung

15.01.2025

Veröffentlicht am: 31.10.2025
3678

Legale Alternative zur Wehrdienstverweigerung als Ausschlussgrund für internationalen Schutz

Leitsätze
I. Sieht das nationale Recht die Möglichkeit einer Kompensationszahlung anstelle der Ableistung des Wehrdiensts vor, so ist nicht davon auszugehen, dass jenen Staatsbürgern, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und ihnen aufgrund dieser Tatsache eine asylrelevante Verfolgung droht.

II. Wird ein Asylantrag auf den drohenden Zwang zur Vornahme menschenrechtswidriger Handlungen innerhalb der Armee gestützt, so kann die Wehrdienstverweigerung nur einen Asylgrund darstellen, wenn sie die einzige Möglichkeit ist, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Sieht das nationale Recht eine legale Alternative zur Wehrdienstverweigerung vor, so kann dies keinen Asylgrund darstellen.

III. Geht im Herkunftsstaat eine gewisse Gefahr durch einen herrschenden Bürgerkrieg aus, liegen jedoch keine Asylgründe vor, so kann den allgemeinen Bürgerkriegsrisiken bereits durch die Gewährung subsidiären Schutzes hinreichend Rechnung getragen werden.

Gericht

BVwG / W292 2289096-1

Datum der Entscheidung

02.10.2024

Veröffentlicht am: 30.10.2025
3724

Säumnisbeschwerde: Keine Relevanz der veränderten Lage in Syrien bei Bescheiderlassung gemäß § 4a AsylG 2005

Leitsätze
I. Die aktuelle, veränderte Lage in Syrien ist für die Erlassung eines Bescheides gemäß § 4a AsylG 2005 nicht von Relevanz. Für die Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz ist maßgeblich, ob einem Fremden von einem EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und ob in diesem Staat Schutz vor Verfolgung besteht.

II. Fehlende aktuelle Länderinformationen zur Situation in Syrien begründen kein Hindernis einer Bescheiderlassung nach § 4a AsylG 2005.

Gericht

BVwG / W254 2306252-2

Datum der Entscheidung

06.03.2025

Veröffentlicht am: 29.10.2025
3793

Keine Zurückweisung aufgrund res iudicata bei Vorbringen ergänzender Fluchtgründe im Rahmen eines Folgeantrags

Leitsätze
I. Wird ein Asylantrag rechtskräftig abgewiesen und in einem Folgeantrag das Vorbringen um einen weiteren Fluchtgrund ergänzt, so darf dieser Folgeantrag nicht wegen res iudicata zurückgewiesen werden, sondern ist aufgrund des neuen entscheidungserheblichen Sachverhalts meritorisch über den Antrag abzusprechen.

II. Wurde über einen Asylantrag bereits rechtskräftig negativ abgesprochen und wird ein Folgeantrag mit ergänzenden Fluchtgründen gestellt, so ist bei einer inhaltlichen Bewertung des Folgeantrags der ergänzende Fluchtgrund und nicht jene Begründung zu bewerten, die bereits Gegenstand der vorangegangenen rechtskräftigen Entscheidung war.

III. Betreffend einen gesunden, erwerbsfähigen und ledigen Mann ohne Sorgfaltspflichten mit abgeschlossener Berufsausbildung kann davon ausgegangen werden, dass er bei einer Rückkehr nach Nigeria seinen Lebensunterhalt bestreiten wird können. Sofern nicht in der konkreten Person gelegene exzeptionelle Umstände vorliegen, wird die zurückgeführte Person keiner lebensbedrohlichen Situation zugeführt, auch wenn sie in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet. Der Umstand, dass der Lebensunterhalt in Nigeria bescheidener ausfallen könnte als in Österreich, überschreitet nicht die Schwelle der Anwendung des Refoulementverbots.

IV. Bemüht sich eine asylsuchende Person um ihre berufliche, soziale und sprachliche Integration, so ist dies im Rahmen der Interessenabwägung und der Beurteilung der Schutzwürdigkeit ihres Privatlebens in Österreich positiv zu berücksichtigen. Entsteht diese Integration allerdings während eines illegalen, gegen eine rechtskräftige Ausreiseverpflichtung verstoßenden, Aufenthalts, so wird das Gewicht dieser Integrationsschritte maßgeblich gemindert, da andernfalls eine Bevorzugung dieser Person gegenüber sich rechtstreu verhaltenden Personen vorliegen würde.

Gericht

BVwG / I407 2218683-4

Datum der Entscheidung

08.04.2024

Veröffentlicht am: 28.10.2025
3791

Faktische Unmöglichkeit der Passbeschaffung für subsidiär Schutzberechtigten

Leitsätze
I. Subsidiär Schutzberechtigten ist die Beschaffung eines Reisedokuments iSd § 88 Abs 2a FPG faktisch unmöglich, wenn die Auslandsvertretung ihres Herkunftsstaates in Österreich keine Passdokumente ausgibt.

II. Die syrische Botschaft in Wien stellt laut ACCORD-Anfragebeantwortung (März 2025) keine neuen Reisepässe aus; eine Neuausstellung erfordert eine persönliche Vorsprache bei einer syrischen Vertretung im Ausland.

III. Ist die Neuausstellung nur im Ausland möglich, kann subsidiär Schutzberechtigten die Passbeschaffung insb dann nicht zugemutet werden, wenn sie über keine Reisedokumente verfügen.

Gericht

BVwG / W600 2297114-1

Datum der Entscheidung

24.04.2025

Veröffentlicht am: 27.10.2025
3770

Kindeswohl eines ungeborenen Kindes verändert Beurteilungsgrundlagen für Rückkehrentscheidung

Leitsätze
I. Nach der Rsp des VwGH verliert eine aufenthaltsbeendende Maßnahme ihre Wirksamkeit, wenn sich die Beurteilungsgrundlagen im Hinblick auf die Interessenabwägung nach Art 8 EMRK iVm § 9 Abs 2 BFA-VG maßgeblich zu Gunsten des Fremden geändert haben (vgl VwGH 21.12.2022, Fe 2021/21/0001).

II. Bei der durchzuführenden Interessenabwägung ist auch auf den Eingriff einer Rückkehrentscheidung in das Kindeswohl einzugehen (VwGH 28.3.2023, Ra 2022/20/0391).

III. Der VfGH hat ausgesprochen, dass dies auch in Bezug auf ein ungeborenes Kind gelte und die konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung auf das Wohl eines Kindes zu ermitteln und zu berücksichtigen sind (vgl VfGH 26.2.2019, E 3079/2018).

Gericht

BVwG / W250 2299295-1

Datum der Entscheidung

25.09.2024

Veröffentlicht am: 24.10.2025
3787

Zur asylrechtlichen Relevanz der Leviratsehe in Gambia

Leitsätze
I. Die Leviratsehe ("Schwagerehe") ist als eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt einzustufen.

II. In Gambia besteht weitgehend kein staatlicher Schutz vor dieser Form der Zwangsehe. Es handelt sich um eine gesellschaftlich und religiös akzeptierte Praxis.

III. Zwar existieren strafrechtliche Bestimmungen gegen Eheschließungen ohne freie Zustimmung, jedoch werden nur wenige Anzeigen erstattet - aus Angst vor Diskriminierung, Stigmatisierung und Vergeltung.

Gericht

BVwG / W602 2280546-1

Datum der Entscheidung

29.04.2025

Veröffentlicht am: 23.10.2025
3786

Von Blutfehde betroffene Familienangehörige stellen keine "soziale Gruppe" dar

Leitsätze
I. Der EuGH legte im Urteil vom 27.3.2025, C-217/23, dar, dass sich aus dem Wortlaut von Art 10 Abs 1 lit d Status-RL in sämtlichen Sprachfassungen ergibt, dass die Wahrnehmung der Andersartigkeit der betroffenen Gruppe durch die sie umgebende Gesellschaft von entscheidender Bedeutung ist. Die in dieser Bestimmung genannte "deutlich abgegrenzte Identität" der Gruppe stellt eine Voraussetzung dar, die nicht getrennt und autonom von der Betrachtung der sie umgebenden Gesellschaft, sondern iZm dieser zu beurteilen ist. Es ist Sache des betreffenden Mitgliedstaats, zu bestimmen, welche "umgebende Gesellschaft" iS dieser Bestimmung für die Beurteilung des Vorliegens einer sozialen Gruppe relevant ist. Diese Gesellschaft kann mit dem gesamten Herkunftsland der Person, die internationalen Schutz beantragt hat, zusammenfallen oder enger eingegrenzt sein, etwa auf einen Teil des Hoheitsgebiets oder der Bevölkerung dieses Drittlands.

II. Die "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" muss unabhängig von Verfolgungshandlungen festgestellt werden, die den Mitgliedern dieser Gruppe in ihrem Herkunftsland drohen.

III. Je nach den im Herkunftsland herrschenden Verhältnissen, insb den sozialen, moralischen oder rechtlichen Normen, können sowohl die Frauen dieses Landes insgesamt als auch enger eingegrenzte Gruppen von Frauen, die ein zusätzliches gemeinsames Merkmal teilen - etwa den Umstand, dass Frauen sich einer Zwangsehe entzogen haben oder verheiratete Frauen ihre Haushalte verlassen haben oder auch den Umstand, sich tatsächlich mit dem Grundwert der Gleichheit von Frauen und Männern zu identifizieren -, als "einer bestimmten sozialen Gruppe" iSv Art 10 Abs 1 lit d Status-RL zugehörig angesehen werden.

IV. Um als Gruppe anerkannt werden zu können, die im Herkunftsland eine abgegrenzte Identität hat, muss die Gruppe von der sie umgebenden Gesellschaft als Ganzes als andersartig betrachtet werden, was notwendigerweise erfordert, dass es sich um die Wahrnehmung eines wesentlichen Teils der Individuen dieser Gesellschaft handelt und nicht nur einzelner Akteure, deren Handlungen als Verfolgungshandlungen iSd Status-RL qualifiziert werden können. Anderenfalls würden solche Handlungen ausreichen, um die davon betroffenen Personen als eine "bestimmte soziale Gruppe" anzusehen, was diese Voraussetzung ihrer Wirksamkeit berauben würde.

V. Der Umstand, dass sich Opfer von Verfolgungshandlungen selbst als "andersartig" iSv Art 10 Abs 1 lit d Status-RL betrachten, kann für sich allein nicht ausschlaggebend sein. Ist eine Familie in eine Blutfehde verwickelt, bedeutet der Umstand, dass sich die davon betroffenen Mitglieder der Familie subjektiv als andersartig wahrnehmen, für sich genommen nicht, dass die von ihnen gebildete Gruppe von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird, wie es Art 10 Abs 1 lit d Status-RL erfordert. Es kommt also darauf an, dass eine Gruppe insb aufgrund sozialer, moralischer oder rechtlicher Normen im Herkunftsland von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Dass die umgebende Gesellschaft eine Gruppe so wahrnimmt, kann insb durch konkrete Anhaltspunkte wie Diskriminierungen, Ausschließungen oder Stigmatisierungen belegt werden, die die Mitglieder der fraglichen Gruppe allgemein betreffen und sie an den Rand der sie umgebenden Gesellschaft drängen.

VI. Der Umstand, dass einer Person, die internationalen Schutz beantragt, in ihrem Herkunftsland (Afghanistan) wegen einer auf einem Streit vermögensrechtlicher Natur beruhenden Blutfehde gegen alle oder manche Mitglieder ihrer Familie physische Gewalt bis hin zur Tötung droht, vermag nicht zu begründen, dass dieser Antragsteller einer "bestimmten sozialen Gruppe" iSd Art 10 Abs 1 lit d Status-RL angehört. Einer solchen Person kann folglich auf dieser Grundlage nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden.

VII. Auch einer auf keinem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung durch Private kann asylrelevanter Charakter zukommen. Dies allerdings nur dann, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren.

VIII. Für die Gewährung von Asyl bedarf es stets der Prüfung eines kausalen Zusammenhanges zwischen der Verfolgungshandlung (oder dem Fehlen von Schutz vor Verfolgung) und einem Verfolgungsgrund iSd GFK. Es kommt nicht darauf an, dass "irgendein" Zusammenhang besteht, sondern dass die Verfolgungshandlung kausal auf einen Verfolgungsgrund iSd GFK - wenn auch nicht notwendigerweise als den alleinigen Grund - zurückzuführen ist.

IX. Bei Fehlen eines kausalen Konnexes zu einem in der GFK genannten Grund ist als Schutzinstrument das Rechtsinstitut des subsidiären Schutzes für den Fall vorgesehen, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

X. Mit der vorliegenden Entscheidung wurde vom VwGH der Rechtsanschauung des EuGH und der Verpflichtung zur Durchsetzung des Unionsrechts Rechnung getragen. Wird in einem solchen Fall von einer früheren Rsp abgegangen, bedarf es keiner Befassung eines verstärkten Senates nach § 13 Abs 1 Z 1 VwGG.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2022/20/0289

Datum der Entscheidung

12.05.2025

Veröffentlicht am: 22.10.2025
3785

Zur innerstaatlichen Fluchtalternative bei Vorliegen gewisser persönlicher Merkmale

Leitsätze
I. Bei einer allgemeinen prekären Sicherheitslage in einem Herkunftsstaat, in der die gesamte Bevölkerung von willkürlicher Gewalt betroffen ist, ist es für das Vorliegen eines realen Risikos einer Verletzung der Rechte gemäß Art 2 und 3 EMRK erforderlich, dass der betroffene Asylwerber im Falle einer Rückkehr nicht nur potenziell, sondern sogar wahrscheinlich Opfer dieser Gewalt wird. In einer Situation allgemeiner Gewalt kann davon nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden. Liegen jedoch gewisse Umstände in der persönlichen Situation der betroffenen Person vor, die das Risiko im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung erhöhen, so kann dies in Ermangelung einer innerstaatlichen Fluchtalternative einen Anspruch auf subsidiären Schutz begründen.

II. IZm dem schützenswerten Privatleben spielt die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle. Weder die Gesetzeslage noch die Rsp legen eine definitive Jahresgrenze für das Überwiegen der privaten Interessen fest. Es ist eine Interessenabwägung im Einzelfall vorzunehmen, wobei das Gewicht der persönlichen Interessen mit ansteigender Aufenthaltsdauer zunimmt. Die Judikatur geht aber davon aus, dass im Regelfall einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren keine maßgebliche Bedeutung im Rahmen der Interessenabwägung zukommt und dass bei einem mehr als zehn Jahre andauernden Aufenthalt hingegen von einem Überwiegen der persönlichen Interessen auszugehen ist, sofern nicht gänzlich auf Integrationsschritte verzichtet wurde.

Gericht

BVwG / W124 2273643-1

Datum der Entscheidung

29.02.2024

Veröffentlicht am: 21.10.2025
3790

VwG an eigene Entscheidungsgründe und Rechtsansicht gebunden

Leitsätze
An die für die Aufhebung tragenden Gründe sowie für die Behebung maßgebliche Rechtsansicht des VwG in seinem aufhebenden und zurückverweisenden Beschluss sind im fortgesetzten Verfahren, sofern nicht eine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist, nicht nur die (revisionswerbende) Behörde, sondern auch das VwG und der VwGH gebunden.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2024/22/0039

Datum der Entscheidung

25.03.2025

Veröffentlicht am: 20.10.2025
3779

Neuerlich zur Berücksichtigung von Sparguthaben und Veränderungen der Einkommensverhältnisse bei der Berechnung des erforderlichen Unterhalts

Leitsätze
I. Das Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen für einen beantragten Aufenthaltstitel ist (in aller Regel) zum Entscheidungszeitpunkt zu prüfen. Folglich ist auch eine Veränderung der Einkommensverhältnisse - sei es durch Verbesserung, sei es durch Verschlechterung - während eines anhängigen Niederlassungsverfahrens entsprechend zu berücksichtigen.

II. Der erforderliche Unterhalt kann grundsätzlich auch durch Sparguthaben gedeckt werden. Eine Verpflichtung, die Herkunft derartiger Mittel nachzuweisen, besteht (lediglich) insoweit, als ersichtlich sein muss, dass ein Rechtsanspruch auf die Mittel gegeben ist und diese auch nicht aus illegalen Quellen stammen.

III. Ersparnisse sind auf jenen Zeitraum anzurechnen, für den der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen ist. In einem Fall wie hier ist daher für die aliquote Anrechnung der Ersparnisse mit Blick auf § 20 Abs 1 NAG auf einen Beurteilungszeitraum von zwölf Monaten abzustellen.

Gerichtshof

VwGH / Ra 2022/22/0065

Datum der Entscheidung

18.03.2025

Veröffentlicht am: 17.10.2025