Leitsätze
2827
Neuerlich zur Unterhaltsberechnung
Leitsätze
I. Bei der Berechnung des vorhandenen Einkommens iSd § 11 Abs 5 NAG sind auch Sonderzahlungen anteilig zu berücksichtigen. II. Monatliche Zahlungen aufgrund eines Bausparvertrags sind nicht als Belastungen iSd § 11 Abs 5 NAG zu berücksichtigen – und zwar schon deshalb nicht, weil ein Bausparvertrag auch vorzeitig gekündigt werden kann. III. Nur über die gewöhnliche Lebensführung hinausgehende regelmäßige finanzielle Belastungen (wie zB im Fall einer besonders hohen Miete) sollen zu einer Schmälerung der regelmäßig zur Verfügung stehenden festen Einkünfte führen. Dies trifft etwa auf Rundfunkgebühren nicht zu. Derartige finanzielle Belastungen bewegen sich weder ihrer Art noch ihrer Höhe nach außerhalb des Rahmens der bei einer Durchschnittsbetrachtung zu erwartenden Lebensführungskosten.
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Entscheidungsdatum: 03.03.2023
Aufbereitet am: 25.09.2023
2826
Antragszurückweisung wegen Aufenthaltsehe: meritorische Entscheidung im Beschwerdeverfahren unzulässig
Leitsätze
I. Nach stRsp des VwGH ist dann, wenn die Behörde den verfahrenseinleitenden Antrag zurückgewiesen hat, das Verwaltungsgericht lediglich befugt, darüber zu entscheiden, ob die von der Behörde ausgesprochene Zurückweisung als rechtmäßig anzusehen ist. II. In Fällen des § 54 Abs 7 NAG ist gemäß dem vorletzten Satz des § 55 Abs 3 NAG nicht nach dieser Bestimmung vorzugehen. Sonst aber wäre, wenn die Voraussetzungen für die Ausstellung der beantragten Aufenthaltskarte nicht gegeben sind, die in § 55 Abs 3 NAG vorgesehene Vorgangsweise einzuhalten, wobei es vor dem Hintergrund des Inhalts des § 51 NAG für die Beurteilung eines Aufenthaltsrechts nach dieser Bestimmung nicht ausreicht, nur auf die Sozialversicherungsdaten abzustellen.
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Entscheidungsdatum: 11.05.2023
Aufbereitet am: 22.09.2023
2825
Diskriminierung iSd Art 3 GFK aufgrund des alleinigen Abstellens auf die Herkunft bei der Zurückweisung eines Asylantrags
Leitsätze
I. Das österreichische Asylrecht differenziert nicht zwischen Anträgen auf internationalen Schutz von Unionsbürgern und jenen von Drittstaatsangehörigen. Folglich besteht auch keine Befugnis zur Antragszurückweisung alleine aufgrund der Herkunft einer asylwerbenden Person aus einem Mitgliedstaat der EU. Das bloße Abstellen auf die Herkunft bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Antrags ist zudem im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot des Art 3 GFK problematisch. II. Eine Zurückweisung, alleinig gestützt auf das Asylprotokoll, ist ohne jegliche inhaltliche Prüfung (obwohl prima facie keiner der in lit a–d Asylprotokoll aufgezählten Ausnahmefälle vorliegt) mit Rechtswidrigkeit behaftet.
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Entscheidungsdatum: 31.01.2023
Aufbereitet am: 21.09.2023
2824
Zum Sozialhilfebezugsrecht dauerhaft niedergelassener Fremder
Leitsätze
I. § 4 Abs 1 erster Satz Sozialhilfe-GrundsatzG wurde durch § 4 Abs 2 Z 2 Sbg SozialunterstützungsG (welcher inhaltlich § 5 Abs 1 OÖ Sozialhilfe-AusführungsG entspricht) umgesetzt. Das darin normierte Erfordernis der "Dauerhaftigkeit" bezieht sich sowohl auf einen tatsächlichen wie auch auf einen rechtmäßigen mindestens fünfjährigen Aufenthalt des "dauerhaft niedergelassenen Fremden". II. In Bezug auf einen allfälligen Sozialhilfeanspruch Fremder wird in § 4 Abs 1 Sozialhilfe-GrundsatzG auf einen – durch eine fünfjährige "Wartefrist" näher bestimmten – "dauerhaften rechtmäßigen Aufenthalt" des Fremden im Inland abgestellt, ohne das Erfordernis bestimmter Aufenthaltstitel zu normieren. Fremde mit einem Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" zählen nicht "bereits alleine deshalb" zu dem nach § 4 Abs 1 Sozialhilfe-GrundsatzG (bzw § 4 Abs 2 Z 2 Sbg SozialunterstützungsG) bezugsberechtigten Personenkreis. Die dahingehende Rsp des VwGH ist auf § 5 Abs 1 OÖ Sozialhilfe-AusführungsG übertragbar. III. Der Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" gemäß § 8 Abs 1 Z 2 NAG, der zu einer befristeten Niederlassung in Österreich berechtigt, ist nicht von vornherein ungeeignet, die Voraussetzungen nach § 5 Abs 1 OÖ Sozialhilfe-AusführungsG zu erfüllen. Liegen mehrere aufeinanderfolgende befristete Aufenthaltstitel nach § 8 Abs 1 Z 2 NAG vor, die in Summe die fünfjährige "Wartefrist" abdecken, kann nicht gesagt werden, der Betreffende sei nicht als gemäß § 5 Abs 1 OÖ Sozialhilfe-AusführungsG "dauerhaft niedergelassener Fremder", der sich "seit mindestens fünf Jahren dauerhaft, tatsächlich und rechtmäßig im Bundesgebiet" aufhält, anzusehen. IV. Weder der Wortlaut des § 4 Abs 1 Sozialhilfe-GrundsatzG noch jener des § 5 Abs 1 OÖ Sozialhilfe-AusführungsG lassen erkennen, dass damit – ausschließlich – auf einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" iSd § 45 NAG Bezug genommen würde.
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Entscheidungsdatum: 20.04.2023
Aufbereitet am: 20.09.2023
2823
Mitteilungspflicht in § 20 Abs 4 NAG auch vor (und nach) den COVID-19-Sonderregelungen nur relativ
Leitsätze
I. Zur vorherigen Mitteilung an die Behörde iSd § 20 Abs 4 zweiter Satz NAG in der bis zum Inkrafttreten der Novelle BGBl I 110/2021 - und aktuell wieder ab 30.9.2023 - geltenden Fassung ist festzuhalten, dass diese, soll der Zweck des zweiten Satzes des § 20 Abs 4 NAG (Schaffung einer - wie in Art 9 Abs 2 der RL 2003/109/EG vorgesehen - günstigeren Norm für langfristig Aufenthaltsberechtigte durch die Einräumung der Möglichkeit zur Geltendmachung berücksichtigungswürdiger Gründe) nicht partiell leerlaufen, nur unter der Voraussetzung als erforderlich erachtet werden kann, dass dem Fremden (insb mit Rücksicht auf die von ihm geltend gemachten Abwesenheitsgründe) eine rechtzeitige Mitteilung überhaupt möglich ist. Nur wenn ihm eine solche Mitteilung möglich gewesen wäre, kann sein Daueraufenthalt ex lege erlöschen. II. Dafür, dass ungeachtet eines allfälligen Hindernisses, das dem Fremden die vorherige Mitteilung von besonders berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erlaubt, eine rechtzeitige Mitteilung an die Behörde dennoch ausnahmslos notwendig wäre, um das Erlöschen eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt – EU" bei mehr als zwölfmonatiger, aber nicht länger als 24-monatiger Abwesenheitsdauer zu verhindern, bieten auch die Materialien zu § 20 Abs 4 NAG in der vor der Novelle BGBl I 110/2021 geltenden Fassung keinerlei Anhaltspunkte (vgl RV 952 BlgNR 22. GP 129). III. Mit der Novelle BGBl I 110/2021 entfiel vorübergehend das Mitteilungserfordernis in § 20 Abs 4 zweiter Satz NAG aufgrund der weltweiten Krisensituation in Zeiten der COVID-19-Pandemie generell (also auch dann, wenn ihr im Einzelfall entsprochen werden könnte). IV. Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie herrschten von deren Beginn im Jahr 2020 an bis Ende Juni 2021 in zumindest ebenso gravierender Weise vor wie in der Zeit ab Inkrafttreten der Novelle BGBl I 110/2021 mit 1.7.2021 (entsprechend der aktuellen Befristung bis 30.9.2023).
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Entscheidungsdatum: 16.03.2023
Aufbereitet am: 19.09.2023
2822
Abschiebung vor dem Ergehen der gerichtlichen Entscheidung betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung im Asylverfahren unzulässig
Leitsätze
I. Wurde gegen eine erlassene Rückkehrentscheidung Beschwerde eingebracht, so ist die Beschwerdevorlage an das BVwG als fristauslösender Zeitpunkt (vgl § 16 Abs 4 BFA-VG) anzusehen. Ist bei Ablauf der Frist gemäß § 16 Abs 4 BFA-VG noch keine Entscheidung über die aufschiebende Wirkung ergangen, so verlängert sich die gesetzlich angeordnete Wartepflicht bis zur tatsächlichen Entscheidung des BVwG über die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und sind die Wirkungen der Rückkehrentscheidung jedenfalls bis dahin ausgesetzt. II. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts ist davon auszugehen, dass sich die gesetzlich angeordnete Wartepflicht (Art 46 Abs 5, 6 und 8 RL 2013/32/EU) bis zur tatsächlichen gerichtlichen Entscheidung des BVwG über die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung verlängert. Die österreichische Rechtslage betreffend § 16 Abs 4 BFA-VG erweist sich in diesem Zusammenhang als unionsrechtswidrig und ist daher nicht anzuwenden.
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Entscheidungsdatum: 31.08.2022
Aufbereitet am: 18.09.2023
2821
Automatische Zulässigkeit eines Folgeantrages nach Rückkehr in den Herkunftsstaat?
Leitsätze
I. Der alleinige Umstand, dass ein Folgeantragsteller seit der Erstentscheidung in den Herkunftsstaat zurückgekehrt ist und dort gelebt hat, bedeutet noch nicht, dass seinem nunmehrigen Folgeantrag automatisch neue Elemente oder Umstände (Art 33 Abs 2 lit d bzw Art 40 Abs 2 und 3 RL 2013/32/EU) innewohnen. II. Der genannte Umstand alleine hindert die Mitgliedstaaten also noch nicht daran, auf Folgeanträge den Unzulässigkeitstatbestand der res iudicata (Art 33 Abs 2 lit d RL 2013/32/EU) anzuwenden. III. Von Art 33 Abs 2 lit d RL 2013/32/EU dürfen die Mitgliedstaaten auch Gebrauch machen, wenn in der Erstentscheidung zwar nicht die Voraussetzungen für subsidiären Schutz geprüft worden waren, wenigstens aber die Kriterien des Art 15 RL 2011/95/EU (Refoulementverbot) bei der Prüfung von Abschiebungshindernissen maßstäblich waren (nach österreichischem Recht also, wenn wenigstens eine Prüfung gemäß § 50 Abs 1 FPG stattgefunden hatte). IV. Ein "Folgeantrag" iSd Art 2 lit q, Art 33 Abs 2 lit d und Art 40 RL 2013/32/EU ist von einem "neuen Antrag" iSd Art 19 Abs 3 UAbs 2 Dublin III-VO streng zu unterscheiden. Eine Übernahme der zur Dublin III-VO (604/2013) ergangenen Judikatur verbietet sich sohin.
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Entscheidungsdatum: 25.05.2023
Aufbereitet am: 15.09.2023
2820
Kein Auslösen von Rechtswirkungen bei späterer, neuerlicher Zustellung eines Bescheids
Leitsätze
Eine im Anschluss an die rechtswirksame Zustellung eines behördlichen Schriftstückes erneute, spätere Zustellung löst gemäß § 6 ZustellG keine Rechtsfolgen mehr aus.
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Entscheidungsdatum: 24.01.2023
Aufbereitet am: 14.09.2023
2819
Keine asylrechtlich relevante Verfolgung bei bloßer Furcht zur Ableistung des Militärdienstes bzw Bestrafung im Verweigerungsfall ohne Hinzutreten weiterer Umstände
Leitsätze
Die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung stellt im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar.
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Entscheidungsdatum: 21.02.2023
Aufbereitet am: 13.09.2023
2818
Überwiegen der Interessen am weiteren Verbleib in Österreich bei bestehendem Familienleben mit einem österreichischen Staatsangehörigen
Leitsätze
I. Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. II. Bei der Beurteilung ist eine Gegenüberstellung der öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung mit dem persönlichen Interesse der Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen.
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Entscheidungsdatum: 21.02.2022
Aufbereitet am: 12.09.2023
2817
Zurückweisung einer Säumnisbeschwerde bei mangelnder Bescheinigung der erfolgten Antragstellung
Leitsätze
I. Unter dem Begriff "Glaubhaftmachung" versteht die Verwaltungsrechtsordnung die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Tatsache. II. Der Zweck der Glaubhaftmachung gemäß § 9 Abs 5 VwGVG besteht darin, dass sich für eine Prüfung a limine die Säumigkeit bereits aus dem Vorbringen in der Beschwerde selbst oder den der Beschwerdeschrift beigefügten Bescheinigungsmitteln ergibt.
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Entscheidungsdatum: 23.12.2022
Aufbereitet am: 11.09.2023
2816
Kein Verfolgungsgrund der Wehrdienstverweigerung bzw Zwangsrekrutierung aufgrund Minderjährigkeit
Leitsätze
I. Die Gefahr einer wegen Wehrdienstverweigerung drohenden Bestrafung kann zur Asylgewährung führen, wenn das Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt. II. Eine Verfolgungshandlung ist nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, soweit diesen Asylrelevanz zukommt.
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Entscheidungsdatum: 19.07.2022
Aufbereitet am: 08.09.2023
2815
Mitteilung über mögliche künftige Zulassung zum Studium unter Bedingungen ist keine Aufnahmebestätigung
Leitsätze
I. Universitäre "Bescheide" mit dem Inhalt, dass der/die Betreffende unter näher genannten Bedingungen - die noch vor der tatsächlichen Zulassung zu erfüllen seien - zu einem späteren Zeitpunkt zum Studium zugelassen werden könne und die dann geltende Rechtslage maßgeblich sei, sind nach stRsp nicht als Aufnahmebestätigung, sondern als (bloße) Information zu erachten und stellen damit keinen Nachweis für die Erfüllung der besonderen Erteilungsvoraussetzungen iSd § 64 Abs 1 NAG iVm § 8 Z 8 lit a NAG-DV dar. II. Das LVwG hat vor der Erteilung eines Aufenthaltstitels die Erfüllung sämtlicher Erteilungsvoraussetzungen zu prüfen, nicht nur jener, die im behördlichen Verfahren als nicht vorliegend erachtet wurden. Dem steht auch das Neuerungsverbot nicht entgegen, stellt doch die Frage, ob in dem hier vorgelegten "Bescheid" der Universität Wien eine aufrechte Bestätigung über die Zulassung zum Studium zu erblicken ist, keine Tatsachenfrage, sondern letztlich eine Frage der rechtlichen Würdigung eines von Anfang an durch eine vorgelegte Urkunde bekannten Sachverhalts dar.
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Entscheidungsdatum: 04.05.2023
Aufbereitet am: 07.09.2023
2814
Freiwillige Zuwendungen sind keine Unterhaltsleistungen
Leitsätze
I. Unterhaltsleistungen sind von freiwilligen Zuwendungen abzugrenzen, wobei Letztere den Tatbestand des § 47 Abs 3 Z 3 lit a NAG nicht erfüllen. II. Ein Familiennachzug iSd § 47 Abs 3 Z 3 lit a NAG setzt voraus, dass der Nachziehende während seines Aufenthalts im Bundesgebiet auf Unterhaltsmittel des Zusammenführenden angewiesen ist und ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Zusammenführenden und dem Nachziehenden besteht. Nach stRsp reicht es zudem nicht aus, wenn irgendwann vor Antragstellung im Herkunftsland Unterhalt bezogen wurde, sondern der Nachziehende muss bis zuletzt auf die Unterhaltsleistungen des Zusammenführenden angewiesen sein.
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Entscheidungsdatum: 04.05.2023
Aufbereitet am: 06.09.2023
2813
Unvertretbare Beweiswürdigung iZm unterstellter Aufenthaltsehe
Leitsätze
I. Nach der Rsp des VwGH sprechen regelmäßige Kontakte über das Internet sowie Besuche des Ehepartners nicht unmaßgeblich für eine "echte" (im Sinne einer tatsächlich gelebten) Ehe. II. Dass bei der kirchlichen Hochzeit etwa 100 Gäste anwesend waren und der Ehemann der Revisionswerberin diese Hochzeit zur Gänze finanziert hat, spricht gegen eine Aufenthaltsehe. III. Indem das LVwG auf das Vorliegen einer "dauerhaften, durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägten Beziehung" zwischen der Revisionswerberin und ihrem Ehemann abstellte und dabei verkannte, dass aufgrund der Einhaltung der Regeln über den "Familiennachzug" und die gebotene Auslandsantragstellung samt Abwarten der Entscheidung über den beantragten Aufenthaltstitel in Nigeria notwendigerweise eine bloße "Fernbeziehung" mit den damit verbundenen Einschränkungen bestehen kann, erweist sich die Beweiswürdigung fallbezogen als nicht schlüssig.
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Entscheidungsdatum: 04.05.2023
Aufbereitet am: 05.09.2023
2812
Prüfungsvoraussetzungen hinsichtlich der Geltendmachung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
Leitsätze
I. Die Verpflichtung, gestützt auf Art 4 EMRK von einer Ausweisung abzusehen, besteht nur dann, wenn ein unmittelbares Risiko einer erneuten Rekrutierung oder Vergeltungsmaßnahmen glaubhaft gemacht werden können. II. Zur Geltendmachung des Fluchtgrundes der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe müssen zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen müssen die Mitglieder der Gruppe "angeborene Merkmale" oder einen "Hintergrund, der nicht verändert werden kann" gemeinsam haben. Zum anderen muss die Gruppe im betreffenden Drittstaat eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie auch von der Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
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Entscheidungsdatum: 19.10.2022
Aufbereitet am: 04.09.2023
2811
Unzureichende Maßnahmen der ungarischen Grenzpolizei zum Schutz des Lebens von Migrant*innen, die versuchten, den Grenzfluss Theiss schwimmend zu überqueren
Leitsätze
I. Selbst in Fällen unabsichtlicher Eingriffe in das Recht auf Leben kann Art 2 EMRK ausnahmsweise eine strafrechtliche Untersuchung verlangen. Wenn den staatlichen Organen oder Einrichtungen eine Nachlässigkeit zuzurechnen ist, die über eine bloße Fehleinschätzung oder Unachtsamkeit hinausgeht, weil sie es in vollem Bewusstsein der wahrscheinlichen Konsequenzen und in Vernachlässigung ihrer Befugnisse verabsäumten, die zur Vermeidung der einer gefährlichen Aktivität innewohnenden Risiken notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, kann es eine Verletzung von Art 2 EMRK begründen, wenn die für eine Lebensgefährdung Verantwortlichen nicht strafrechtlich verfolgt werden. Daher waren die ungarischen Behörden im vorliegenden Fall verpflichtet, die mögliche Verantwortlichkeit der Grenzpolizisten für das Ertrinken eines Migranten in der Theiß in einem strafrechtlichen Verfahren zu klären. II. Nach dem Ertrinken eines Migranten in einem Grenzfluss muss auch untersucht werden, ob die Grenzpolizisten ihre Verpflichtung vernachlässigt haben, die gebotenen Rettungsmaßnahmen zu ergreifen. Dabei geht es nicht nur um die individuelle Verantwortung einzelner Polizisten, sondern auch darum, ob ausreichende organisatorische und technische Vorkehrungen getroffen wurden, um solche Todesfälle zu vermeiden. III. Ist den Behörden ein reales Risiko für Leben und Unversehrtheit von Migrant*innen bekannt, weil es regelmäßig zu Versuchen kommt, einen Grenzfluss schwimmend zu überqueren, verlangen die aus Art 2 EMRK resultierenden positiven Verpflichtungen, Maßnahmen zur Vermeidung von Todesfällen zu ergreifen. Diese Verpflichtungen erstrecken sich auf die Planung und Kontrolle eines Einsatzes, um die Minimierung jeder Lebensgefahr zu gewährleisten. Sie umfasst auch die Verpflichtung, präventive operative Maßnahmen zu ergreifen, um eine reale und unmittelbare Lebensgefahr abzuwenden, von der die Behörden wussten oder wissen hätten müssen. Zugleich ist zu bedenken, dass von staatlichen Organen nicht erwartet werden kann, bei der Rettung jeder einzelnen Person aus einer gefährlichen Situation erfolgreich zu sein. IV. Im vorliegenden Fall wurde von den ungarischen Grenzpolizisten nicht alles getan, was von ihnen vernünftigerweise erwartet werden konnte, um eine reale und unmittelbare Lebensgefahr abzuwenden, die ihrem Wissen nach zu erwarten war.
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Entscheidungsdatum: 02.02.2023
Aufbereitet am: 01.09.2023
2810
Zum Verhältnis von Dublin III-VO und § 35 AsylG
Leitsätze
I. Die europäischen Rechtsgrundlagen betreffend die Einreise von Drittstaatsangehörigen in den Schengenraum lassen erkennen, dass grds zuvor entsprechende Visa für die legale Einreise zu beantragen sind. Damit soll innerhalb des Schengenraums weitgehende Reisefreiheit gewährleistet werden. Mit wenigen Ausnahmen sind österreichische Vertretungsbehörden in den Mitgliedstaaten nicht mit den technischen Voraussetzungen für die Erteilung von derartigen Visa ausgestattet. II. Reist eine fremde Person schutzsuchend in den Schengenraum (zB Einreise in Griechenland) ein, so können uU fluchtbedingte Hinderungsgründe an einer Beantragung eines Visums außerhalb des Schengenraums vorgelegen haben.
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Entscheidungsdatum: 07.02.2022
Aufbereitet am: 31.08.2023
2809
Abgeleitetes Aufenthaltsrecht gemäß Art 20 AEUV und Verschiedenes zu Rechtsschutzdefiziten in Ungarn
Leitsätze
I. Der EuGH hat Vorabentscheidungsersuchen unter der Prämisse zu beantworten, dass die Auslegung nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht (als Teil des Tatvorbringens) zutrifft. II. Art 20 AEUV steht einem faktischen Zwang von Unionsbürgern entgegen, das Unionsgebiet als Ganzes in Begleitung eines Drittstaatsangehörigen zu verlassen, weil zu diesem ein faktisches Abhängigkeitsverhältnis besteht (auch wenn die Unionsbürger von ihrem Freizügigkeitsrecht nicht Gebrauch gemacht haben). In solchen Konstellationen steht dem Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht unmittelbar auf der Grundlage des Art 20 AEUV zu. Dies gilt jedoch nicht, wenn eine Möglichkeit des gemeinsamen Familienlebens in einem anderen Mitgliedstaat besteht. III. Das sich aus Art 20 AEUV ergebende abgeleitete Aufenthaltsrecht Drittstaatsangehöriger gilt nicht absolut, vielmehr darf davon auf Grund des Schutzes der öffentlichen Sicherheit bzw der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit dispensiert werden. Dabei ist aber eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, bei Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses insb auch Gesundheitszustand, familiäre und wirtschaftliche Situation des minderjährigen Kindes mit Unionsbürgerschaft. IV. Ein Einreiseverbot, dem rechtswidrigerweise keine Rückkehrentscheidung vorausgegangen war, fällt iSd Art 11 RL 2008/115/EG dennoch unter diese RL und deren Schutzvorschriften. V. Art 5 RL 2008/115/EG mit seinen grundrechtlich indizierten Schutzvorschriften ist unmittelbar anwendbar und genießt daher Vorrangwirkung. Um ihm zum Durchbruch zu verhelfen, ist ein nationales Gericht jedoch nicht dazu verpflichtet, eine unionsrechtskonforme früher in Geltung stehende nationale Rechtsnorm anstelle der geltenden unionsrechtswidrigen wieder anzuwenden. VI. Effektiver Rechtsschutz bedeutet, dass auch einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden kann (vgl etwa Art 13 Abs 2 RL 2008/115/EG in Zusammenschau mit Art 47 GRC). Damit steht ein Vorgehen von Behörden im Widerspruch, per gerichtlicher Anordnung einstweilig ausgesetzte Einreiseverbote weiterhin mit der Begründung zu vollstrecken, dass das Einreiseverbot bereits Gegenstand einer Ausschreibung im SIS sei.
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Entscheidungsdatum: 27.04.2023
Aufbereitet am: 30.08.2023
2808
Zur Verfolgungsgefahr bei Zugehörigkeit zum Minderheitenclan der Madhibaan in Somalia
Leitsätze
I. Können Personen, die einem Minderheitenclan (hier: Minderheitenclan der Madhibaan in Mogadischu – Somalia) zugehörig sind, etwa die Schule besuchen, einer Erwerbstätigkeit (mit welcher eine Existenz aufgebaut werden kann) nachgehen udgl, so relativieren sich eventuelle mit der Clanzugehörigkeit verbundene Diskriminierungen erheblich. II. Werden keine hinreichenden Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts nachgewiesen, so kann im Hinblick auf ein eventuelles Einreiseverbot davon ausgegangen werden, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedeuten oder den in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufen wird. Bei der Festsetzung der Dauer eines Einreiseverbots sind die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers, wie zB die strafgerichtliche Unbescholtenheit im Bundesgebiet entsprechend zu beachten und mit der möglichen Höchstdauer von fünf Jahren (§ 53 Abs 1 iVm Abs 2 FPG) in Relation zu setzen. III. Das Ziel des Refoulementschutzes ist der Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen, ein Schutz vor unangenehmen Lebenssituationen (wie zB eine Rückkehr nach Somalia, wo die allgemeine Sicherheitslage als instabil erscheint) ist davon nicht erfasst. IV. Hat die fremde Person den Großteil ihres Lebens in ihrem Herkunftsstaat verbracht, spricht sie die Landessprache, ist sie dort sozialisiert und mit den örtlichen sowie kulturellen Gegebenheiten vertraut, so ist im Falle einer Rückkehr davon auszugehen, dass die fremde Person vor Ort wieder mit ihren Angehörigen in Kontakt treten und sich wieder in die dortige Gesellschaft eingliedern wird können.
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Entscheidungsdatum: 06.10.2022
Aufbereitet am: 29.08.2023