Leitsätze
2867
Unzulässigkeit der Revision bei tragfähiger Alternativbegründung
Leitsätze
I. Eine Revision erweist sich als unzulässig, wenn das angefochtene Erkenntnis auf einer tragfähigen Alternativbegründung beruht und im Zusammenhang damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG aufgezeigt wird. II. Die vollständige Wiedergabe des § 21 Abs 3 NAG stellt eine ausreichende Belehrung im Hinblick auf die Notwendigkeit der Antragstellung (Zusatzantrag zur Zulassung der Inlandsantragstellung) im behördlichen Verfahren dar. III. Nach stRsp des VwGH führt selbst eine fehlende Begründung des Ausspruchs über die Zulässigkeit der Revision nicht dazu, dass die Revision iSd Art 133 Abs 4 B-VG allein deshalb zulässig wäre.
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Entscheidungsdatum: 25.05.2023
Aufbereitet am: 22.11.2023
2866
Zur Haftungserklärung von Zusammenführenden iSd § 47 Abs 3 NAG
Leitsätze
Bei der Vorlage einer Haftungserklärung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 47 Abs 3 NAG handelt es sich um eine besondere Erteilungsvoraussetzung, bei deren Fehlen auf die Frage des Vorliegens ausreichender Unterhaltsmittel sowie das Bestehen eines Anspruchs auf Titelerteilung nach Art 8 EMRK nicht mehr eingegangen werden muss.
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Entscheidungsdatum: 25.05.2023
Aufbereitet am: 21.11.2023
2865
Asylbehördliches Beweisverfahren, Aufgreifen von Verfahrensvorschriftenverletzungen des Rechtsmittelgerichts und Entscheidungspflicht (nach altem EU-Richtlinienrecht)
Leitsätze
I. Art 4 Abs 1 RL 2004/83/EG und Art 8 Abs 2 RL 2005/85/EG belassen einen weiten Spielraum hinsichtlich der Frage, welche Beweismittel die Asylbehörde heranziehen darf. Ein Gutachten, etwa zur psychiatrischen Verfasstheit des Antragstellers, kann eingeholt werden, wenn die Art und Weise der Einholung im Einklang mit der GRC steht (vgl etwa EuGH 25.1.2018, C-473/16 [F], ECLI:EU:C:2018:36). Das Rechtsmittelgericht, das die Entscheidung der Asylbehörde ex nunc überprüfen soll, kann erforderlichenfalls zur Gutachtenseinholung verpflichtet sein. II. Das Unionsrecht und insb das gemeinsame europäische Asylsystem verlangen nicht die Einräumung eines zweistufigen gerichtlichen Rechtsmittelzugs. Wenn die Mitgliedstaaten einen solchen dennoch zur Verfügung stellen, so ist es ihnen nicht verwehrt, vorzusehen, dass die Verletzung von Verfahrensvorschriften durch das erstinstanzliche Rechtsmittelgericht nur bei Wesentlichkeit für die Entscheidung aufgegriffen wird (vgl in Österreich § 42 Abs 2 Z 3 VwGG). Voraussetzung dafür ist die Einhaltung des Effektivitäts- und des Äquivalenzgrundsatzes. III. Art 23 Abs 2 und Art 39 Abs 4 RL 2005/85/EG legen den Asylbehörden und Rechtsmittelgerichten der Mitgliedstaaten zwar keine konkreten Entscheidungsfristen auf, wohl aber hat die Asylbehörde gemäß Art 23 Abs 2 RL 2005/85/EG so rasch als möglich und das Rechtsmittelgericht gemäß den Erfordernissen des Art 47 GRC (angemessene Verfahrensdauer) zu entscheiden. IV. Für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer kommt es auf die Umstände der konkreten Rechtssache an. Dazu zählen legislative Änderungen nicht, sodass sie eine gerichtliche Säumnis nicht zu rechtfertigen vermögen. V. Die Nichteinhaltung der angemessenen Verfahrensdauer iSd Art 47 GRC führt nicht per se zur Aufhebung der Entscheidung durch eine allfällige zweite gerichtliche Instanz, es sei denn, sie hätte zu einer Verletzung der Verteidigungsrechte geführt. VI. Eine (noch im behördlichen Verfahren eingestandene und erläuterte) Falschaussage eines Antragstellers vermag für sich alleine nicht die (beweisentlastende) Feststellung seiner generellen Glaubwürdigkeit (Art 4 Abs 5 RL 2004/83/EG) zur Folge haben.
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Entscheidungsdatum: 29.06.2023
Aufbereitet am: 20.11.2023
2864
Abweisung von Säumnisbeschwerden aufgrund exzeptioneller Umstände, die nicht im Einflussbereich der Behörde liegen
Leitsätze
I. Sind Umstände für die zuständige Behörde (hier: das BFA) weder vorhersehbar noch planbar oder beeinflussbar, wie etwa massiv ansteigende Asylantragszahlen, sonstige Verfahrenszahlen und die Anzahl der Vertriebenen aus der Ukraine, so ist bei einer darauf zurückzuführenden Verfahrensverzögerung kein Verschulden an der Nichteinhaltung der gesetzlichen Entscheidungsfrist (hier: sechs Monate) vorzuwerfen. Da die Verzögerung somit nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist, hat die Abweisung einer allfälligen Säumnisbeschwerde (§ 8 Abs 1 VwGVG iVm Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG) zu erfolgen. II. Liegt eine außergewöhnliche Belastungssituation vor (zB eine Anzahl an Anträgen auf internationalen Schutz, welche jene von 2015 übersteigt, vorübergehendes Aufenthaltsrecht für Vertriebene aufgrund des Kriegs in der Ukraine) und ist die Verletzung der sechsmonatigen Entscheidungsfrist alleine auf diese exzeptionelle Situation zurückzuführen, so ist der Behörde (hier: dem BFA) kein überwiegendes Verschulden an der Verfahrensverzögerung vorzuwerfen. Daraus resultiert, dass eine etwaige Säumnisbeschwerde abzuweisen ist. III. Wird versucht, eine plötzlich eintretende erhebliche Mehrbelastung für Behörden durch organisatorische Umstrukturierungen und Personalaufstockungen abzufedern, so ist zu beachten, dass neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einige Monate ausgebildet werden müssen und erst mit einer zeitlichen Verzögerung selbstständig im Verfahren eingesetzt werden können. Trotz vorliegender Säumnis ist daher mangels Verschuldens der Behörde eine Säumnisbeschwerde abzuweisen, wenn zwar umgehend auf geänderte Umstände reagiert wird, die Auswirkungen aber erst zu einem späteren Zeitpunkt ersichtlich sind.
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Entscheidungsdatum: 06.06.2023
Aufbereitet am: 17.11.2023
2863
Unzulässigkeit einer Maßnahmenbeschwerde gegen eine "bevorstehende" Abschiebung
Leitsätze
I. Bei einer Maßnahmenbeschwerde hat die bekämpfte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung entweder noch anzudauern oder sie muss bereits vor der Beschwerdeerhebung stattgefunden haben. Dies erschließt sich implizit bereits aus § 7 Abs 4 Z 3 VwGVG, weshalb eine Maßnahmenbeschwerde, welche die Abschiebung zum Gegenstand hat, noch nicht erhoben werden kann, wenn sich die von der Befehls- und Zwangsgewalt betroffene Person – vor dem Stattfinden der Abschiebung – bloß in Verwaltungsverwahrungshaft befindet. II. Wird die Prüfung einer "bevorstehenden" Abschiebung (dh im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung ist noch gar keine Abschiebung erfolgt) mittels Maßnahmenbeschwerde begehrt, so liegen die Voraussetzungen für die Beschwerdeerhebung nicht vor, weshalb eine allfällige Maßnahmenbeschwerde als unzulässig zurückzuweisen ist. III. Zur Vermeidung von Doppelgleisigkeiten darf nach vollzogener Festnahme keine gesonderte Anfechtung eines Festnahmeauftrags erfolgen. Bei der Überprüfung der Festnahme ist allerdings auch zu beurteilen, ob diese Festnahme rechtswidrig war, weil der Festnahmeauftrag nicht hätte ergehen dürfen oder weil dieser jedenfalls vor seinem Vollzug zu widerrufen gewesen wäre.
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Entscheidungsdatum: 10.01.2023
Aufbereitet am: 16.11.2023
2862
Keine ausreichende Begründung eines Einreiseverbotes bloß aufgrund aktuell bestehender Mittellosigkeit
Leitsätze
I. Es besteht keine sachliche Rechtfertigung zur Verhängung eines Einreiseverbotes bloß aufgrund mangelnder finanzieller Mittel zum Zeitpunkt der Erlassung der Rückkehrentscheidung. II. Aufgrund der geltenden fremden- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen ist im Falle einer neuerlichen Einreise sichergestellt, dass ein Drittstaatsangehöriger ohne entsprechende finanzielle Mittel an der Einreise gehindert wird.
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Entscheidungsdatum: 23.05.2023
Aufbereitet am: 15.11.2023
2861
Fehlende Überprüfung des gesundheitlichen Zustandes zwecks Beurteilung der tatsächlichen Überstellbarkeit nach Dublin III-VO
Leitsätze
I. Es besteht kein Recht am Verbleib in einem fremden Aufenthaltsstaat, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden. Auch der Umstand, dass eine Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es Behandlungsmöglichkeiten gibt. II. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art 3 EMRK. Die Prüfung derartiger außergewöhnlicher Umstände bedarf diesbezüglicher Feststellungen zum aktuellen Gesundheitszustand der betreffenden Person.
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Entscheidungsdatum: 23.03.2023
Aufbereitet am: 14.11.2023
2860
Gebotene persönliche Vorsprache zur Identifizierung im Rahmen von Rückübernahmeabkommen
Leitsätze
Selbst dann, wenn ein besonderes Identifizierungsverfahren nach § 46 FPG nicht erforderlich ist, kann eine persönliche Vorsprache zur Identifizierung gemäß dem jeweils zugrunde liegenden Rückübernahmeabkommen geboten sein.
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Entscheidungsdatum: 24.04.2023
Aufbereitet am: 13.11.2023
2859
Versagung der Ausstellung eines Konventionsreisepasses aufgrund evidenter Tatsachen
Leitsätze
I. Die Versagung eines Konventionsreisepasses stellt eine vorbeugende Sicherungsmaßnahme zur Abwendung künftiger Straftaten dar. Bei der Prüfung, ob die vom Gesetz geforderte Annahme gerechtfertigt ist (Zukunftsprognose), ist festzustellen, ob Tatsachen vorliegen, die diese Annahme rechtfertigen. Bei der Beurteilung ist der Behörde kein Ermessen eingeräumt, das ein Absehen von der Versagung erlaubt. II. Für die Versagung der Ausstellung eines Konventionsreisepasses ist allein das Vorliegen eines der Versagungsgründe des § 92 Abs 1 FPG ausreichend, welcher als lex specialis gegenüber den allgemeinen Bestimmungen des PassG anzusehen ist. III. Bei der Versagung bzw Entziehung eines Konventionsreisepasses ist auf persönliche oder wirtschaftliche Interessen des Betroffenen keine Rücksicht zu nehmen.
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Entscheidungsdatum: 21.02.2023
Aufbereitet am: 10.11.2023
2858
Zuständigkeitsübergang aufgrund Verabsäumung der fristgerechten Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat nach Dublin III-VO
Leitsätze
I. Die Überstellung eines Antragstellers in den gemäß Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat hat grundsätzlich spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs zu erfolgen. Diese Frist kann nur in Ausnahmegründen verlängert werden. II. Sofern eine fristgerechte Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß Dublin III-VO unterbleibt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme verpflichtet und geht die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat über.
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Entscheidungsdatum: 24.02.2023
Aufbereitet am: 09.11.2023
2857
Unbegründetheit eines Antrages auf internationalen Schutz rechtfertigt für sich allein keine Verhängung eines Einreiseverbotes
Leitsätze
I. Die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz, welcher sich im Verfahren als unbegründet herausstellt, begründet für sich alleine keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. II. Bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und einem Einreiseverbot handelt es sich um trennbare Spruchbestandteile, sodass mit einer Rückkehrentscheidung nicht zwingend auch ein Einreiseverbot einhergehen muss. III. Ein unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz erfüllt den Tatbestand des § 53 Abs 2 FPG hinsichtlich der Zulässigkeit der Erlassung eines Einreiseverbotes für sich alleine nicht.
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Entscheidungsdatum: 24.01.2023
Aufbereitet am: 08.11.2023
2856
Zur Vorgangsweise nach § 55 Abs 3 NAG bei Verneinung der Voraussetzungen für ein abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht
Leitsätze
I. Bei § 55 Abs 3 NAG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Bestimmung, die gemäß § 17 VwGVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sinngemäß zur Anwendung gelangt. Sie ist daher ungeachtet dessen, dass in § 55 Abs 3 NAG lediglich von der "Behörde" die Rede ist, auch vom LVwG anzuwenden. II. Aufgrund der Vorgaben des § 55 Abs 3 NAG ist dem LVwG in einer Konstellation, in der die Fremde die neuerliche Ausstellung einer Aufenthaltskarte auf ein von ihren Kindern abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich stützt, eine Abweisung ihres Antrags wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 54 NAG versagt. III. Wenn das LVwG die Voraussetzungen für die Ausstellung einer Aufenthaltskarte als nicht gegeben erachtet, sind diese Voraussetzungen (wenn kein Fall des § 54 Abs 7 NAG vorliegt) vom gemäß § 55 Abs 3 NAG hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung zu befassenden BFA als Vorfrage im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung zu prüfen. Dies gilt grundsätzlich auch für den Fall, dass das BFA bereits zuvor aus einem anderen (nicht verfahrensgegenständlichen) Grund nach § 55 Abs 3 NAG befasst worden sein sollte. Richtigerweise hat das LVwG daher, auch wenn seiner Auffassung nach die Voraussetzungen für die neuerliche Ausstellung einer Aufenthaltskarte nicht gegeben sind, einen dahingehenden Antrag nicht abzuweisen, sondern sind vielmehr nach Einräumen von Parteiengehör die in § 55 Abs 3 NAG vorgesehenen Verfahrensschritte zu setzen. Eine Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens iSv Art 8 EMRK ist jedenfalls auch im Rahmen des anschließend vor dem BFA zu führenden Verfahrens gewährleistet.
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Entscheidungsdatum: 11.05.2023
Aufbereitet am: 07.11.2023
2855
Leukämie als Rückkehrhindernis (Georgien)
Leitsätze
I. Mit Blick auf Krankheiten führen Abschiebungen nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zu einer Verletzung von Art 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben; aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt. II. In Georgien bestehen zwar an sich eine stabile Sicherheitslage und ein intaktes Gesundheitssystem und ist in aller Regel nicht von einer aussichtslosen Lage für Rückkehrer auszugehen. Allerdings steht für Leukämiepatienten eine notwendige allogene Knochenmark- bzw Stammzellentransplantation nicht zur Verfügung. Da eine Rückkehr für Personen, die diese Therapie dringend benötigen, die Gefahr des Todes bedeuten würde, ist ihnen jedenfalls subsidiärer Schutz zu gewähren.
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Entscheidungsdatum: 01.03.2023
Aufbereitet am: 06.11.2023
2854
Westlich orientierte Frau aus Bangladesch
Leitsätze
I. In der streng von islamisch-konservativen Werten geprägten Gesellschaft Bangladeschs besteht keine generelle Verfolgung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. II. Wohl aber laufen Frauen, die sich mit ihrer Lebensführung (Selbstbestimmung hinsichtlich Berufs- und Partnerwahl, westlicher Lebenswandel) in Widerspruch zu den tradierten Werten setzen, Gefahr, aufgrund einer unterstellten religiösen oder politischen Gesinnung (Verfolgungsgrund) Misshandlungen ausgesetzt zu sein (Verfolgungshandlungen). Effektive Schutzmaßnahmen des Staates bestehen nicht, sodass Frauen aus Bangladesch mit den genannten Eigenschaften der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
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Entscheidungsdatum: 01.03.2023
Aufbereitet am: 03.11.2023
2853
Zur Beurteilung einer (potenziellen) ordre public-Widrigkeit von Kinderehen
Leitsätze
I. Es ist verfehlt, etwa allein aufgrund des Alters im Zeitpunkt der Eheschließung (hier: 14 Jahre alte Ehefrau), von vornherein eine ordre public-widrige Ehe anzunehmen. Vielmehr sind zuerst Ermittlungen zu den maßgeblichen Bestimmungen des jeweiligen (hier: syrischen) Eherechts vorzunehmen, um die Rechtsgültigkeit der Ehe festzustellen. II. Handelt es sich um eine rechtsgültig zustande gekommene Ehe (hier: nach dem syrischen Eherecht), so ist in der Folge unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Rsp eine allfällige ordre public-Widrigkeit der Ehe zu klären. III. Bei der Beurteilung, ob eine gegen den ordre public-Grundsatz verstoßende Kinderehe vorliegt, ist zu prüfen, ob die Entscheidung über die Eheschließung ohne Einschränkung der Willensfreiheit erfolgte. Maßgeblich ist hierbei, dass die Ehe selbstbestimmt und ohne Zwang eingegangen wurde und die Heirat mit keinen Bedingungen verknüpft war. Auch die Wahrung des Kindeswohls, der Persönlichkeitsrechte von minderjährigen Personen und der Schutz vor Ausbeutung und unzulässigen Verpflichtungen müssen in der Beurteilung beachtet werden.
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Entscheidungsdatum: 09.01.2023
Aufbereitet am: 02.11.2023
2852
Anhaltung minderjähriger Kinder mit ihrer Mutter in Schubhaft ohne ausreichende Grundlage im innerstaatlichen Recht
Leitsätze
I. Jede Freiheitsentziehung muss rechtmäßig sein, also eine Grundlage im nationalen Recht haben und dieser entsprechen. Zudem darf eine Freiheitsentziehung nicht willkürlich sein. Sie muss daher in gutem Glauben erfolgen und in engem Zusammenhang zum verfolgten Ziel stehen. Außerdem darf ihre Dauer nicht das Maß des unbedingt Notwendigen überschreiten. II. Die Anhaltung Minderjähriger mit ihrer Mutter in Schubhaft ohne einer eigenen, sich auf die Kinder beziehenden Entscheidung ist unvereinbar mit Art 5 Abs 1 EMRK. Es reicht nicht aus, wenn die Behörden in der Anordnung der Schubhaft lediglich erwähnen, dass die Mutter von ihren Kindern begleitet wird, ohne dass diese Gegenstand der Entscheidung sind. III. Die Anhaltung von Kindern, die ihre Eltern in die Schubhaft begleiten, ist nur dann mit Art 5 Abs 1 lit f EMRK vereinbar, wenn keine gelinderen Mittel zur Verfügung stehen. IV. Die Anhaltung junger Kinder unter Bedingungen, die für sie nicht angemessen sind, verletzt Art 5 Abs 1 EMRK. Dabei ist unerheblich, ob die Kinder von ihren Eltern begleitet werden.
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Entscheidungsdatum: 17.01.2023
Aufbereitet am: 31.10.2023
2851
Rückkehrsituation alleinstehender Frauen in Indien
Leitsätze
I. Von privaten Akteuren ausgehende Drohungen gegen indische Frauen, die gesellschaftlich tradierten Werten zuwidergehandelt haben, sind auf keinen asylrelevanten Verfolgungsgrund zurückzuführen, auch nicht auf jenen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, zumal der indische Rechtsstaat nicht generell schutzunfähig oder schutzunwillig ist. II. Alleinstehende indische Frauen ohne familiäre Anknüpfungspunkte haben in Indien eine so schlechte Rückkehrperspektive (kein gesichertes Existenzminimum, Gefahr sexueller Übergriffe und eine dagegen nicht hinreichend effektive Justiz), dass die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten ist. Ihnen gebührt folglich subsidiärer Schutz.
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Entscheidungsdatum: 01.03.2023
Aufbereitet am: 30.10.2023
2850
Nicht zu beanstandende Interessenabwägung iZm Überschreiten der erlaubten Aufenthaltsdauer
Leitsätze
I. § 11 Abs 1 Z 5 NAG enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Versagungsgrund nur bei schuldhaftem Verhalten erfüllt wäre. II. Nach stRsp ist die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rsp entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel iSd Art 133 Abs 4 B-VG.
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Entscheidungsdatum: 23.05.2023
Aufbereitet am: 27.10.2023
2849
Einreiseverbot versus Aufenthaltstitel
Leitsätze
I. Einreisevoraussetzungen nach Art 6 Abs 1 lit a, c und e SGK sind im Wesentlichen der Besitz eines gültigen Reisedokuments und ausreichender Mittel sowie die Prognose, dass von dem Drittausländer keine Gefahr ua für die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit ausgeht und der Drittausländer auch nicht aus denselben Gründen in den nationalen Datenbanken der Mitgliedstaaten zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist. II. Das Vorliegen der Voraussetzung gemäß Art 6 Abs 1 lit d SGK ist hingegen nach Art 21 Abs 1 SDÜ für den Reiseverkehr von Drittausländern nicht erforderlich.
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Entscheidungsdatum: 21.02.2023
Aufbereitet am: 25.10.2023
2848
Zu lange Zeitspanne zwischen mündlich verkündeter Entscheidung und deren schriftlicher Ausfertigung (II)
Leitsätze
Die Beschwerdeführerin wird mangels zeitnaher schriftlicher Ausfertigung der mündlich verkündeten Entscheidung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt.
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Entscheidungsdatum: 09.03.2023
Aufbereitet am: 24.10.2023