Leitsätze
2052
Absicht der Selbstversicherung kein ausreichender Nachweis für Krankenversicherungsschutz
Leitsätze
I. Gemäß dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs 2 Z 3 NAG iVm § 7 Abs 1 Z 6 NAG-DV kann der bloße Verweis auf einen Versicherungsabschluss nach der Einreise nach Österreich die Nachweispflicht gemäß § 7 Abs 1 Z 6 NAG-DV nicht substituieren. II. Der Hinweis auf § 16 Abs 2 Z 1 ASVG, wonach sich nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherte Personen, wie etwa Studierende, selbstversichern können, ist im Verfahren betreffend Aufenthaltstitel nicht zielführend, solange nicht tatsächlich ein ausreichender Krankenversicherungsschutz für die gesamte Dauer des Aufenthaltes abgeschlossen wurde. III. Eine Aufenthaltsdauer von etwa zweieinhalb Jahren kann für sich genommen keine maßgebliche Verstärkung der persönlichen Interessen des Fremden an einer Titelerteilung bewirken; auch dem Interesse des Fremden an der Fortsetzung seiner Ausbildung kommt allein keine entscheidungserhebliche Bedeutung bei der vorzunehmenden Abwägung zu.
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Entscheidungsdatum: 10.12.2019
Aufbereitet am: 27.05.2020
2051
Sanktionen für grobe Verstöße gegen die Vorschriften von Asyl-Unterbringungszentren
Leitsätze
I. Art 20 Abs 4 RL 2013/33/EU ist dahin auszulegen, dass er als "Sanktion" für grobe Verstöße gegen die Vorschriften der Unterbringungszentren und grob gewalttätiges Verhalten durch Antragsteller auf internationalen Schutz auch Einschränkungen materieller Leistungen erlaubt. Dabei muss aber verhältnismäßig iSd Art 20 Abs 5 RL 2013/33/EU vorgegangen werden und den betroffenen Antragstellern muss – auch im Lichte des Art 1 GRC – immer ein würdiger Lebensstandard zur Deckung ihrer elementarsten Bedürfnisse verbleiben. Gänzliche Entzüge materieller Leistungen sind mit diesen Vorgaben nicht vereinbar. II. Bei Sanktionen gegenüber minderjährigen Antragstellern ist insb das Kindeswohl (Art 24 Abs 2 GRC) zu beachten.
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Entscheidungsdatum: 12.11.2019
Aufbereitet am: 26.05.2020
2050
Subsidiärer Schutz für Iraker schon auf Grund der aktuellen Sicherheitslage
Leitsätze
I. Die aktuelle Sicherheitslage im Irak (Spannungen zwischen USA und Iran bzw irantreuen schiitischen Milizen im Irak, Wiedererstarken des Islamischen Staates und Bekämpfung desselben sowie die Eskalation der Lage im gesamten Land) ist derart prekär, dass nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass Fremde bei einer Rückkehr dorthin eine Art 3 EMRK-widrige Behandlung erfahren. Irakischen Antragstellern auf internationalen Schutz ist daher der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs 1 AsylG) zuzuerkennen. Für dieses Ergebnis muss nicht erst näher auf eine besondere Vulnerabilität von Antragstellern eingegangen werden, eine solche aber berücksichtigt werden. II. Der Abweisungsgrund der innerstaatlichen Fluchtalternative (§ 11 AsylG) kommt auf Grund der aktuellen Gesamtsituation im Irak kann nicht zum Tragen.
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Entscheidungsdatum: 02.03.2020
Aufbereitet am: 25.05.2020
2049
Nachweiskriterien für umfassenden Krankenversicherungsschutz
Leitsätze
I. Der zu erbringende Nachweis hat insb (auch) den Leistungsumfang der Krankenversicherung darzutun. § 7 Abs 1 Z 6 NAG-DV liegt nämlich das Verständnis zugrunde, dass eine nicht bestehende gesetzliche Pflichtversicherung durch eine Privatversicherung substituiert werden kann und daher beide insofern als gleichwertig zu erachten sind. Dies setzt freilich voraus, dass der Leistungsumfang der Privatversicherung im Wesentlichen jenem der gesetzlichen Pflichtversicherung entspricht. Die diesbezügliche Prüfung erfordert daher zwingend die Dartuung des konkreten Leistungsumfangs einer Privatversicherung durch den Antragsteller, um deren Gleichwertigkeit mit einer gesetzlichen Pflichtversicherung beurteilen zu können. II. Ist ein beantragter Aufenthaltstitel gemäß § 20 Abs 1 NAG für die Dauer von zwölf Monaten auszustellen (weil ein Fall, wonach ein Titel mit kürzerer Dauer erteilt werden kann, nicht vorliegt), so stellt eine Versicherung für eine kürzere Dauer schon allein wegen der kürzeren Geltungsdauer keine ausreichende Krankenversicherung iSd § 11 Abs 2 Z 3 NAG dar. III. Auch die (allfällige) Verletzung des Parteiengehörs bewirkt nur dann einen wesentlichen Mangel, wenn die Behörde bzw das VwG bei dessen Vermeidung zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können. Der Rechtsmittelwerber muss deshalb die entscheidenden Tatsachen behaupten, die der Behörde wegen des Verfahrensmangels unbekannt geblieben sind. Er darf sich nicht darauf beschränken, den Mangel bloß aufzuzeigen, sondern muss konkret darlegen, welches Vorbringen er im Fall der Einräumung des vermissten Parteiengehörs erstattet hätte und inwiefern die Behörde bzw das Gericht dadurch zu einer anderen Entscheidung gelangen hätte können.
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Entscheidungsdatum: 27.12.2019
Aufbereitet am: 20.05.2020
2048
Studienerfolgsnachweis ausschließlich durch Absolvierung von für den Studienabschluss notwendigen Prüfungen möglich
Leitsätze
Der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen, der über einen Aufenthaltstitel "Student" verfügt, dient der Durchführung des Studiums. Er ist erfolgsorientiert und der verlangte Studienerfolg muss daher diesem Studium zurechenbar sein; abzustellen ist dabei auf die positive Ablegung von für den erfolgreichen Abschluss des Studiums erforderlichen Prüfungen nach Maßgabe des jeweils relevanten Curriculums; kein Studienerfolg liegt vor, wenn Prüfungen nach dem maßgeblichen Curriculum nicht (mehr) abgelegt werden müssen und somit nicht zum Abschluss des Studiums beitragen.
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Entscheidungsdatum: 10.12.2019
Aufbereitet am: 19.05.2020
2047
Neuerlich zu maßgeblichem Beurteilungszeitraum und Hinderungsgründen in Bezug auf den Studienerfolgsnachweis
Leitsätze
I. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, abweichend von der auf das Studienjahr abstellenden Regelung des § 8 Z 8 lit b NAG-DV und der dazu ergangenen Rsp des VwGH bei der Beurteilung des Studienerfolgs auf den Zeitraum der letzten drei Studienjahre abzustellen. II. Die (zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses) im laufenden Studienjahr abgelegten Prüfungen liegen außerhalb des maßgeblichen Beurteilungszeitraumes und können keinen beachtlichen Studienerfolg iSd § 64 Abs 2 NAG begründen. III. Nach der zu § 64 Abs 3 NAG idF vor BGBl I 56/2018 ergangenen Rsp des VwGH, die aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung auf die Rechtslage BGBl I 56/2018 übertragbar ist, fallen weder psychische Belastungen durch die Erkrankung eines Familienmitglieds noch familiär bedingte Abwesenheiten unter den Tatbestand des § 64 Abs 3 (nunmehr Abs 2) NAG.
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Entscheidungsdatum: 10.12.2019
Aufbereitet am: 19.05.2020
2046
Anwendbarkeit von § 15 FPG im Verfahren nach § 35 AsylG 2005
Leitsätze
§ 35 AsylG 2005 sieht nicht vor, dass für die Erteilung eines Einreisetitels nach dieser Bestimmung bzw nach § 26 FPG 2005 Reisedokumente iSd § 15 FPG 2005 vorliegen müssen.
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Entscheidungsdatum: 02.03.2020
Aufbereitet am: 18.05.2020
2045
Erfolgloser (Folge-)Antrag auf internationalen Schutz schließt Inlandsantrag nach NAG nicht aus
Leitsätze
I. Einer mangelhaften, zT herabwürdigenden und zynisch anmutenden Argumentation eines VwG kann kein Begründungswert zugeschrieben werden. II. Eine vorangegangene erfolglose Antragstellung auf internationalen Schutz macht die Stellung eines Antrages auf Inlandsantragstellung iSd § 21 Abs 3 Z 2 NAG nicht von vornherein unzulässig. III. Bei der gemäß § 21 Abs 3 Z 2 NAG vorzunehmenden Beurteilung nach Art 8 EMRK ist eine Gesamtbetrachtung in Form einer - unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles - gewichtenden Abwägung des öffentlichen Interesses an der Versagung eines Aufenthaltstitels mit den gegenläufigen und familiären Interessen, insb unter Berücksichtigung der in § 11 Abs 3 NAG genannten Kriterien, vorzunehmen. IV. Bei der Beurteilung nach Art 8 EMRK ist zwar ua darauf Bedacht zu nehmen, ob sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, jedoch hat dies nicht zur Konsequenz, dass der während des unsicheren Aufenthaltes erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Erteilung eines Aufenthaltstitels führen könnte. V. Die konkreten Folgen, die eine durch die Abweisung eines Antrages auf Inlandsantragstellung drohende Ausreise - wenn auch für die Dauer des Abwartens eines Niederlassungsverfahrens - und die damit verbundene Trennung von Ehefrau und minderjährigen Kindern (insb auch im Hinblick auf das Kindeswohl) mit sich brächten, sind zu ermitteln und bei der Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen.
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Entscheidungsdatum: 28.11.2019
Aufbereitet am: 13.05.2020
2044
Dublin-Zuständigkeitskriterien nur im Mitgliedstaat der ersten Asylantragstellung anwendbar und relevierbar?
Leitsätze
I. Im Wiederaufnahmeverfahren nach Art 23 Abs 1 und 24 Abs 1 Dublin III-VO ist grundsätzlich nicht zu prüfen, ob der um Wiederaufnahme ersuchte Mitgliedstaat auch der nach den Kriterien des Kapitels III leg cit für die inhaltliche Behandlung des Antrags auf internationalen Schutz zuständige Mitgliedstaat ist. Vielmehr hat der um Wiederaufnahme ersuchende Mitgliedstaat bloß zu prüfen, ob der ersuchte Mitgliedstaat den Kriterien von Art 18 Abs 1 lit b, c oder d und Art 20 Abs 5 Dublin III-VO entspricht. II. Als – im Lichte von Art 7 und 24 GRC bestehende – Ausnahme dieses Grundsatzes hat der ersuchende Mitgliedstaat aber eine eigene Zuständigkeit für die inhaltliche Behandlung des Antrags auf internationalen Schutz anzuerkennen, die sich aus familiären Anknüpfungspunkten in seinem Gebiet gemäß Art 8 bis 10 Dublin III-VO ergibt, sofern der Antragsteller dahingehende Gesichtspunkte vorgebracht hat. In einem solchen Fall kann sich der Antragsteller auch im Rahmen eines Rechtsbehelfs iSd Art 27 Dublin III-VO darauf berufen.
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Entscheidungsdatum: 02.04.2019
Aufbereitet am: 12.05.2020
2043
Bindung österreichischer Vertretungsbehörden im Ausland an die Prognose des BFA hinsichtlich der Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG
Leitsätze
I. Österreichische Vertretungsbehörden im Ausland sind nach stRsp des VwGH im Hinblick auf die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG an positive als auch negative Mitteilungen des BFA über die Prognose einer Asylgewährung gebunden. II. Bei Vorliegen einer Prognose des BFA kommt Österreichischen Vertretungsbehörden keine eigene Prüfungskompetenz zu.
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Entscheidungsdatum: 03.02.2020
Aufbereitet am: 11.05.2020
2042
Auslieferung eines eine Grundfreiheit nutzenden EWR-Vertragsstaats-Angehörigen an einen Drittstaat durch einen EU-Mitgliedstaat
Leitsätze
I. Ist ein Mitgliedstaat mit einem Auslieferungsersuchen eines Drittstaats hinsichtlich eines EWR-Bürgers konfrontiert, der eine Grundfreiheit in Anspruch nimmt, so hat er den EWR-Vertragsstaat der Nationalität des Betroffenen darüber zu informieren und ihm den Betroffenen gegebenenfalls nach Maßgabe des Übereinkommens über das Übergabeverfahren zwischen der EU und Island und Norwegen zu übergeben. II. Die Verpflichtung, den EWR-Vertragsstaat über das Auslieferungsersuchen zu informieren, folgt schon aus der Prüfpflicht hinsichtlich des Refoulementverbots gemäß Art 19 Abs 2 GRC. III. Bei dieser Refoulement-Prüfung darf sich der Mitgliedstaat nicht auf bloße Zusagen der Einhaltung durch den Drittstaat verlassen, sondern muss sich vielmehr auf objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben stützen.
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Entscheidungsdatum: 02.04.2020
Aufbereitet am: 06.05.2020
2041
Untersagung der Familienzusammenführung bei fehlenden Existenzmitteln
Leitsätze
I. Die sich aus der Unionsbürgerschaft ergebenden Rechte (Art 20 ff AEUV) verleihen Drittstaatsangehörigen keine eigenständigen Rechte, sondern daraus abgeleitete, und zwar wenn die Nichtanerkennung dieser Rechte den Unionsbürger insb in seiner Freizügigkeit beeinträchtigen könnte. II. Die Weigerung, einem Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht zu gewähren, kann die praktische Wirksamkeit der Unionsbürgerschaft jedoch nur dann beeinträchtigen, wenn zwischen ihm und dem familienzugehörigen Unionsbürger ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, das dazu führen würde, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, den betreffenden Drittstaatsangehörigen zu begleiten und das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Nur in einer solchen Fallgestaltung kann der Drittstaatsangehörige ein aus Art 20 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht beanspruchen. III. Dieses aus Art 20 AEUV abgeleitete Aufenthaltsrecht drittstaatsangehöriger Familienangehöriger von Unionsbürgern gilt nicht absolut und kann ua wegen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verweigert werden. IV. Eine Verweigerung dieses abgeleiteten Aufenthaltsrechts wegen fehlender Existenzmittel ohne eine einzelfallbezogene Prüfung, ob ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Familienangehörigen besteht, ist mit Art 20 AEUV nicht vereinbar, weil dies bei Vorliegen eines solchen Abhängigkeitsverhältnisses und Nicht-Vorliegen der hinreichenden Existenzmittel dazu führen würde, dass der Unionsbürger de facto gezwungen wäre, den drittstaatsangehörigen Familienangehörigen zu begleiten und folglich ebenfalls das Gebiet der Union zu verlassen. V. Die nationalen Behörden sind zwar nicht verpflichtet, aus Eigenem und systematisch das Vorliegen eines solchen Abhängigkeitsverhältnisses zu prüfen, den betroffenen Familienangehörigen muss es aber möglich sein, im Verfahren dahingehende Gesichtspunkte geltend zu machen. VI. Die familiäre Bindung an sich oder wirtschaftliche Gründe vermögen bei Volljährigkeit der Betroffenen dieses Abhängigkeitsverhältnis nicht zu begründen, vielmehr müssen bei diesen besondere Umstände hinzutreten. VII. Das im Zivilrecht eines Mitgliedstaats statuierte Erfordernis des Zusammenlebens von Ehegatten greift nicht, wenn dem drittstaatsangehörigen Ehegatten kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach den vorstehenden Kriterien zukommt: Denn damit wäre ein Zwang für den Unionsbürger verbunden, das Gebiet des Mitgliedstaats zu verlassen, was auf einen Verstoß gegen den völkerrechtlichen Grundsatz der Nicht-Ausweisung eigener Staatsangehöriger (Art 3 4. ZPEMRK) hinauslaufen würde. Daher ist die in Rede stehende zivilrechtliche Bestimmung nicht gerichtlich durchsetzbar und vermag deshalb für sich wiederum nicht ein solches Abhängigkeitsverhältnis zu begründen.
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Entscheidungsdatum: 27.02.2020
Aufbereitet am: 05.05.2020
2040
Primäre Zuerkennung des Status des Asylberechtigten anstatt des Status des subsidiär Schutzberechtigten
Leitsätze
Sind in einem Familienverfahren die Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gegeben, so darf nicht bloß der Status des subsidiär Schutzberechtigten samt einer befristeten Aufenthaltsberechtigung erteilt werden.
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Entscheidungsdatum: 03.12.2019
Aufbereitet am: 04.05.2020
2039
Verweigerung der Beteiligung an Umverteilung Schutzsuchender aus Griechenland und Italien in andere EU-Mitgliedstaaten rechtswidrig
Leitsätze
I. Das mittlerweile Außerkrafttreten der Beschlüsse (EU) 2015/1523 und 2015/1601 (17. und 26.9.2017) über die Umverteilung Schutzsuchender aus Griechenland und Italien in die anderen Mitgliedstaaten führt nicht zur Unzulässigkeit der Vertragsverletzungsklagen der Kommission gemäß Art 258 AEUV. Vielmehr genügt es, dass sich die Kommission darauf beschränkt, beim EuGH die Feststellung des Vorliegens der behaupteten Vertragsverletzung zu beantragen. II. Dass die Kommission nur gegen Polen, die Tschechische Republik und Ungarn Klage erhob, obwohl auch andere Mitgliedstaaten gegen die in Rede stehenden Verpflichtungen verstoßen hatten, macht die Klagen nicht aus Gründen der Ungleichbehandlung unzulässig: Denn die Kommission hat ein gewisses Ermessen in der Frage, ob ein Einschreiten gegen einen Mitgliedstaat zweckmäßig ist. Zudem hat sich die Kommission im vorliegenden Fall von einem neutralen und objektiven Kriterium leiten lassen, nämlich der Schwere und dem Fortdauern der vorgeworfenen Verstöße. III. Eine Unzulässigkeit der Vertragsverletzungsklagen iSd Art 258 AEUV rührt auch nicht von einer relativ kurzen von der Kommission gewährten Frist zur Beantwortung ihrer Stellungnahme durch die Mitgliedstaaten von vier Wochen, wenn der behauptetermaßen verletzte Unionsrechtsakt wie im vorliegenden Fall bald außer Kraft tritt und es schon zahlreiche vorherige Aufforderungen zur Herstellung des rechtmäßigen Zustands durch die Kommission gab. IV. Zwar ist es Sache der Mitgliedstaaten, ihre öffentliche Ordnung und innere Sicherheit aufrechtzuerhalten (Art 72 AEUV iVm Art 4 Abs 2 EUV), doch bedeutet dies nicht, dass solche Maßnahmen der Prüfung durch das Unionsrecht entzogen wären. Zudem ist Art 72 AEUV eng auszulegen. Er kann also nicht als Ermächtigung gedeutet werden, durch bloße Berufung auf diese Zuständigkeiten von den Bestimmungen des Unionsrechts abzuweichen. In der Frage der Notwendigkeit der Inanspruchnahme dieser Bestimmung liegt die Beweislast beim betreffenden Mitgliedstaat. V. Art 5 Abs 4 und 7 Beschlüsse (EU) 2015/1523 und 2015/1601 (Ermächtigung zur Verweigerung der Umsiedlung durch den Umsiedlungsmitgliedstaat, wenn berechtigte Gründe dafür vorliegen, dass der Antragsteller auf internationalen Schutz als Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung betrachtet wird oder wenn schwerwiegende Gründe für die Anwendung der Ausschlüsse von der Flüchtlingseigenschaft oder von subsidiärem Schutz gemäß den Art 12 und 17 RL 2011/95/EU vorliegen) würdigt und berücksichtigt das Interesse der Mitgliedstaaten an der Aufrechterhaltung ihrer öffentlichen Ordnung und innere Sicherheit bereits hinreichend. Den Umsiedlungsmitgliedstaaten steht ein weites Ermessen bei der Beurteilung einer solchen Gefahr in der Person des betreffenden Antragstellers auf internationalen Schutz zu, weil der in Art 5 Abs 4 und 7 Beschlüsse (EU) 2015/1523 und 2015/1601 gebrauchte Begriff der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit nicht so eng wie der auf Unionsbürger bezogene Art 27 RL 2004/38/EG auszulegen ist. Faktische Schwierigkeiten bei der Anwendung des Art 5 Beschlüsse (EU) 2015/1523 und 2015/1601 tun diesem Ergebnis keinen Abbruch. VI. Sonstige praktische Schwierigkeiten (behauptete fehlende Effektivität oder behauptetes Nicht-Funktionieren der Verteilung von Schutzsuchenden im Unionsgebiet) sind ebenfalls kein tauglicher Rechtfertigungsgrund für das Nicht-Erfüllen unionsrechtlicher Verpflichtungen: Denn mit einem solchen Vorbringen könnte sich ein Mitgliedstaat vieler unionsrechtlicher Verpflichtungen einfach entziehen, zudem ist der in Art 5 Beschlüsse (EU) 2015/1523 und 2015/1601 vorgesehene Umsiedlungsmechanismus ein völlig neuartiges Instrument, das von gewissen anfänglichen Anlaufs- und Koordinierungsanforderungen begleitet wird. Solche Schwierigkeiten waren gegebenenfalls im Geist der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Vertrauens der Behörden der durch die Umsiedlung begünstigten Mitgliedstaaten und der Behörden der Umsiedlungsmitgliedstaaten zu lösen.
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Entscheidungsdatum: 02.04.2020
Aufbereitet am: 29.04.2020
2038
Nur geringe Auswirkungen der Covid-19-Restriktionen auf Anhaltedauer bei fehlender Kooperation
Leitsätze
Wenn die Fortsetzung der Schubhaft in Hinblick auf einen realistischen Abschiebetermin ohnehin deutlich länger andauert als die zu erwartende Aufrechterhaltung der Pandemie-Restriktionen, erweisen sich diese Restriktionen als von nur untergeordneter Relevanz.
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Entscheidungsdatum: 25.03.2020
Aufbereitet am: 28.04.2020
2037
Zwangsrekrutierung als möglicher Asylgrund
Leitsätze
Bereits die Androhung einer bloßen Gefängnisstrafe stellt unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zur Mitwirkung an völkerrechtswidrigen Militäraktionen eine asylrelevante Verfolgung dar.
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Entscheidungsdatum: 10.01.2020
Aufbereitet am: 27.04.2020
2036
Zum Verhältnis des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG und den aus Art 8 EMRK erwachsenden Rechten
Leitsätze
I. Liegen Möglichkeiten vor, die zu einer Intensivierung des Familienlebens beitragen können, so sind diese vorrangig zu präferieren; eine Legalisierung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG iVm Art 8 Abs 1 EMRK stellt die ultima ratio dar. II. Sofern nur ein bloßer Eingriff, nicht aber eine Verletzung der Rechte nach Art 8 EMRK vorliegt, ist die Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG nicht geboten.
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Entscheidungsdatum: 07.01.2020
Aufbereitet am: 22.04.2020
2035
Unterschied zwischen Flüchtlingsstellung nach GFK und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach der RL 2011/95/EU (Status-RL)
Leitsätze
I. Auch wenn die EU nicht zu den Vertragsparteien der GFK gehört, legen ihr Art 78 Abs 1 AEUV und Art 18 GRC doch die Verpflichtung zur Einhaltung derselben auf. Der EuGH ist damit für die Prüfung der Gültigkeit von abgeleitetem Unionsrecht anhand dieser primärrechtlichen Bestimmungen zuständig. Es ist – wo mehrere Auslegungsmöglichkeiten bestehen – eine primärrechtskonforme Auslegung geboten. II. Die von einem Mitgliedstaat zuerkannte Flüchtlingseigenschaft iSd Art 2 lit e RL 2011/95/EU hat lediglich deklaratorischen Charakter. Die Rechtsstellung des Flüchtlings iSd Art 2 lit d RL 2011/95/EU und Art 1 GFK hängt nicht von dieser Zuerkennung ab (vgl auch Art 21 Abs 2 RL 2011/95/EU). III. Für Flüchtlinge, die unter Art 14 Abs 4 oder 5 RL 2011/95/EU fallen und bei Rückkehr in den Herkunftsstaat Gefahr liefen, einer den Art 4 und 19 Abs 2 GRC widerstreitenden Behandlung ausgesetzt zu werden, darf der Mitgliedstaat – anders als es Art 33 Z 2 GFK zuließe – nicht vom Grundsatz der Nichtzurückweisung abweichen. IV. Art 14 Abs 4 und 5 (sowie 6) RL 2011/95/EU kann nicht dahin ausgelegt werden, dass die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Verweigerung dieser Rechtsstellung dazu führen, dass der betreffende Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, der die in Art 2 lit d iVm den Vorschriften des Kapitels III leg cit vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt, die Eigenschaft als Flüchtling iSd Art 2 lit d leg cit und von Art 1 Abschnitt A GFK verliert. V. Art 14 Abs 6 RL 2011/95/EU ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten den unter die Abs 4 und 5 leg cit fallenden Flüchtlingen zumindest jene Rechte nach der GFK gewähren müssen, auf die Abs 6 verweist, sowie jene Rechte der GFK, deren Ausübung keinen rechtmäßigen Aufenthalt voraussetzt. Dies gilt unbeschadet etwaiger Vorbehalte der Mitgliedstaaten iSd Art 42 GFK.
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Entscheidungsdatum: 14.05.2019
Aufbereitet am: 21.04.2020
2034
Drohender "BREXIT" verpflichtet nicht zum Selbsteintritt nach Dublin III-Verordnung
Leitsätze
I. Die Vorlagefrage nach Auswirkungen des "BREXIT" auf das gemeinsame europäische Asylsystem ist nicht hypothetisch, sondern entscheidungserheblich iSd Art 267 AEUV und daher zulässig. Es gilt eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit der von den Gerichten der Mitgliedstaaten zur Vorabentscheidung vorgelegten Auslegungs- und Gültigkeitsfragen zum Unionsrecht. Eine Zurückweisung von Vorlagefragen ist dem EuGH daher nur dann erlaubt, wenn es an dieser offensichtlich fehlt. II. Die Erklärung des "BREXIT" führt bis zum tatsächlichen Vollzug zu keinen Suspendierungen der unionsrechtlichen Verpflichtungen Großbritanniens. Zu einem Zwang zum Selbsteintritt des um Überstellung nach der Dublin III-VO (604/2013) nach Art 17 Abs 1 leg cit ersuchenden Mitgliedstaats kann der "BREXIT" ohnehin nicht führen, weil diese Vorschrift rein fakultativ ist und ihre Inanspruchnahme im freien Ermessen der Mitgliedstaaten nach deren politischen, humanitären oder praktischen Erwägungen steht. III. Bereits der Wortlaut vieler Bestimmungen der Dublin III-VO (604/2013), der von "Behörden" im Plural spricht, zeigt, dass eine einheitliche Behördenzuständigkeit zu deren Vollzug nicht geboten ist. IV. Die Kindeswohlklausel des Art 6 Abs 1 Dublin III-VO ändert nichts am Charakter des Art 17 Abs 1 leg cit als rein fakultative Vorschrift und verpflichtet Mitgliedstaaten nicht zu deren Inanspruchnahme. V. Art 27 Abs 1 Dublin III-VO verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, gegen die Nicht-Inanspruchnahme des Selbsteintrittsrechts nach Art 17 Abs 1 leg cit einen selbständigen Rechtsbehelf zu gewähren. Denn die Nicht-Vornahme des Selbsteintritts führt zu einer Überstellungsentscheidung, sodass im Rechtsbehelf gegen diese die Frage des Art 17 Abs 1 Dublin III-VO releviert werden kann. Die Mitteilung, dass vom Recht, in das Verfahren nach Art 17 Abs 1 Dublin III-VO einzutreten, nicht Gebrauch gemacht wird, führt für den Antragsteller auch noch nicht zur Gefahr, eine dem Refoulement-Verbot widerstreitende Behandlung (vgl Art 3 Abs 2 leg cit) zu erleiden, dies ist im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Überstellungsentscheidung ebenfalls zu behandeln, sodass hier kein Rechtsschutzdefizit besteht. VI. Bereits der Wortlaut des Art 20 Abs 3 Dublin III-VO über das Verfahren zur Bestimmung des nach der Dublin III-VO (604/2013) zeigt eindeutig, dass diese Vorschrift die widerlegbare Vermutung begründet, dass dem Wohl des Kindes dann am besten entsprochen ist, wenn man seine Situation als untrennbar mit der seiner Eltern verbunden ansieht.
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Entscheidungsdatum: 23.01.2019
Aufbereitet am: 20.04.2020
2033
Konzept des sicheren Drittstaats im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem und Entscheidungsfrist des Rechtsmittelgerichts
Leitsätze
I. Die in Art 33 RL 2013/32/EU enthaltenen Ermächtigungstatbestände, Anträge auf internationalen Schutz als unzulässig zu betrachten, sind abschließend gefasst. II. Für das Vorliegen des in Art 33 Abs 2 lit c RL 2013/32/EU verankerten Unzulässigkeitsentscheidungsgrunds des sicheren Drittstaats müssen alle in Art 38 RL 2013/32/EU statuierten Kriterien kumulativ vorliegen. III. Eine mitgliedstaatliche Regelung, die zur Unzulässigerklärung eines Antrags auf internationalen Schutz ermächtigt, weil der Antragsteller über ein Land eingereist ist, in dem er weder Verfolgung noch der Gefahr eines ernsthaften Schadens iSd mitgliedstaatlichen Asylgesetzes ausgesetzt ist, oder weil in dem Land, über das er in den Mitgliedstaat eingereist ist, ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet wird, entspricht Art 38 RL 2013/32/EU nicht: So fehlt insb das Erfordernis der Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung durch diesen Staat. Ebenso mangelt es an der Berücksichtigung des Bestehens einer Verbindung zwischen dem Antragsteller auf internationalen Schutz und dem betreffenden Drittstaat: Eine solche wird nicht bloß durch den Einreiseweg des Schutzsuchenden hergestellt. IV. Eine solche mitgliedstaatliche Regelung kann auch nicht dem Tatbestand des Art 33 Abs 2 lit b RL 2013/32/EU ("erster Asylstaat des Antragstellers gemäß Artikel 35") unterstellt werden, denn dessen klarer Wortlaut setzt eine bereits eingetretene Schutzgewährung durch diesen Staat voraus. V. Die von Art 46 Abs 3 RL 2013/32/EU geforderte Ex-nunc-Prüfung bei Erhebung eines Rechtsmittels umfasst auch Unzulässigkeitsentscheidungen in Asylsachen. VI. Wenn das Rechtsmittelgericht nicht in der Lage ist, innerhalb einer knappen Entscheidungsfrist nach mitgliedstaatlichem Recht (im Anlassfall 8 Tage) die Wirksamkeit der materiell-rechtlichen Vorschriften und der dem Antragsteller vom Unionsrecht gewährten Verfahrensgarantien zu gewährleisten, so verpflichtet der Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts das Rechtsmittelgericht dazu, diese mitgliedstaatliche Bestimmung unangewendet zu lassen. Von der Pflicht zu einer möglichst raschen Entscheidung wird das Rechtsmittelgericht dadurch nicht entbunden, wie ErwGr 18 RL 2013/32/EU zeigt.
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Entscheidungsdatum: 19.03.2020
Aufbereitet am: 15.04.2020