Leitsätze
2234
Reisepassverweigerung - Verweis auf den Rechtsweg in Nigeria?
Leitsätze
Das LVwG ging in seiner rechtlichen Beurteilung selbst davon aus, dass die nigerianischen Behörden die Ausstellung eines Reisepasses für den Revisionswerber verweigerten, weil der einzige Elternteil, nämlich die Adoptivmutter, keine nigerianische Staatsangehörige sei. Diesbezüglich ist nicht nachvollziehbar, welche Entscheidung der nigerianischen Behörden die Adoptivmutter im Rechtsweg klären hätte sollen; dass dem Revisionswerber die Ausstellung des Reisepasses mit anfechtbarem Bescheid verweigert worden wäre, wurde nicht festgestellt und ergibt sich auch nicht aus den Verfahrensakten.
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Entscheidungsdatum: 20.10.2020
Aufbereitet am: 04.03.2021
2233
Art 8 EMRK Abwägung - Straffälligkeit versus Familienleben
Leitsätze
I. Im Zusammenhang mit der für die Verhängung eines Aufenthalts- oder Einreiseverbotes nach dem FPG durchzuführenden Gefährdungsprognose entspricht es der Rsp des VwGH, dass dafür auch ein Verhalten des Fremden herangezogen werden kann, das (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat. II. Ein solches Vorgehen verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung, erfordert jedoch entsprechende, in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren getroffene Feststellungen zum Fehlverhalten selbst und nicht bloß zu einer allenfalls bestehenden, nicht weiter verifizierten Verdachtslage.
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Entscheidungsdatum: 18.11.2020
Aufbereitet am: 03.03.2021
2232
Verlängerungsantrag, Zweckänderungsantrag - und ein antragsloser Aufenthaltstitel
Leitsätze
I. Ein während eines anhängigen Verlängerungsverfahrens gestellter Zweckänderungsantrag ist gemäß § 24 Abs 4 NAG zulässig und verstößt nicht gegen § 19 Abs 2 NAG. II. Aus den mehrfachen Äußerungen des Revisionswerbers im Verfahren ergibt sich unzweifelhaft, dass dieser die Änderung seines Aufenthaltszweckes auf einen solchen, der ihm den freien Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht, beantragte. Der fehlende Hinweis im Zweckänderungsantrag auf seinen Aufenthaltstitel gemäß § 64 NAG kann dem Revisionswerber angesichts des von der Behörde zu vertretenden Irrtums, nämlich der Ausstellung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" ohne einen entsprechenden Antrag, nicht zum Vorwurf gemacht werden. Gleiches gilt für den Umstand, dass er von einer Erledigung seines Verlängerungsantrages ausging und in seinem Zweckänderungsantrag nicht auf diesen Bezug nahm.
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Entscheidungsdatum: 14.10.2020
Aufbereitet am: 02.03.2021
2231
Aufrechterhaltung der Ehe bei Morbus Crohn keine besondere Härte
Leitsätze
Dass ein Fremder an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Morbus Crohn) leidet und seine Ehefrau "mit dieser Krankheit nicht umzugehen wusste", weshalb es ua zur Zerrüttung der Ehe gekommen sei, genügt für die Verwirklichung des Tatbestandes nach § 54 Abs 5 Z 4 NAG nicht.
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Entscheidungsdatum: 06.10.2020
Aufbereitet am: 01.03.2021
2230
Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaats, Aufhebung eines Einreiseverbots iZm Familienleben
Leitsätze
I. Da ein Einreiseverbot Ausstrahlungswirkung auf das Hoheitsgebiet aller Mitgliedstaaten der EU hat (vgl § 53 Abs 1 Satz 2 FPG), sind für die Prüfung seiner Verhältnismäßigkeit im Lichte des Art 8 Abs 2 EMRK auch die familiären Anknüpfungen des betroffenen Drittstaatsangehörigen in anderen Mitgliedstaaten zu würdigen. Nicht ausreichend ist hingegen eine bloße Fokussierung auf die Verfestigung des Drittstaatsangehörigen in Österreich. II. Hat das BFA die in Punkt I genannte Würdigung des in anderen Mitgliedstaaten bestehenden Familienlebens gänzlich unterlassen, so ist der Bescheid nicht etwa zu kassieren und an die Behörde zurückzuverweisen (§ 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG), sondern der betroffene Spruchpunkt vielmehr ersatzlos zu beheben.
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Entscheidungsdatum: 02.10.2020
Aufbereitet am: 26.02.2021
2229
Verlängerung der Schubhafthöchstdauer gemäß § 80 Abs 4 Z 2 und 4 FPG bei richtlinienkonformer Auslegung
Leitsätze
I. Die Schubhafthöchstdauer kann nur in den Fällen des § 80 Abs 4 FPG über das grundsätzliche Limit von sechs Monaten (§ 80 Abs 2 Z 2 FPG) hinaus verlängert werden. II. § 80 Abs 4 Z 2 FPG ist im Lichte des Art 15 Abs 6 lit b RL 2008/115/EG so auszulegen, dass er zumindest ein Bemühen um Konsultation mit dem entsprechenden Drittstaat samt Übermittlung von Unterlagen voraussetzt. III. § 80 Abs 4 Z 4 FPG setzt – im Lichte von Art 15 Abs 6 lit a RL 2008/115/EG interpretiert – voraus, dass zwischen dem unkooperativen Verhalten des betroffenen Drittstaatsangehörigen und der Verzögerung der Abschiebung ein adäquater Kausalzusammenhang besteht. IV. Da klärende Rsp des VwGH zur Auslegung des § 80 Abs 4 Z 2 und 4 FPG mit Blick auf die im vorliegenden Fall zutage tretenden Probleme fehlt, ist die Revision an den VwGH zulässig (Art 133 Abs 4 B-VG iVm § 25a Abs 1 VwGG).
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Entscheidungsdatum: 02.10.2020
Aufbereitet am: 25.02.2021
2228
Unzumutbarkeit der Rückkehr nach Mossul (Irak)
Leitsätze
I. Die Prüfung der Voraussetzungen einer subsidiären Schutzberechtigung hat im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu erfolgen. Bei dieser sind konkrete und nachvollziehbare Feststellungen dahingehend zu treffen, ob einer Person im Falle der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die "reale Gefahr" ("real risk") einer gegen Art 2 oder Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Die reale Gefahr hat sich auf das Staatsgebiet zu beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Angesichts der prekären Sicherheitslage, der innenpolitischen Lage, der eskalierenden Kriminalität und der Zerstörung der Häuser besteht derzeit für eine Rückkehr in den Irak eine "reale Gefahr". II. Der Abschiebung einer fremden Person in ihren Herkunftsstaat steht das Vorherrschen von extremen Gefahrenlagen im betroffenen Staat entgegen. Von einer derartigen Gefahrenlage ist insb auszugehen, wenn die fremde Person der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. III. Nach der Meinung des UNHCR wie auch des VwGH steht für Menschen, die aus dem Irak fliehen, die Möglichkeit einer innerstaatlichen Flucht in Gebiete, die zuvor vom IS kontrolliert wurden oder auf andere Weise von Konflikten hinsichtlich Menschenrechtsverletzungen betroffen waren, mit anhaltender IS-Präsenz oder laufenden Militäroperationen gegen den IS, nicht zur Verfügung. Aufgrund der allgemeinen Lage im Irak (zum Zeitpunkt dieses Erkenntnisses) kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich irgendwo im Irak eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative finden lässt. Eine Unterkunft in einem Flüchtlingslager wird dabei nicht als "zu berücksichtigende Unterkunft" angesehen.
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Entscheidungsdatum: 08.09.2020
Aufbereitet am: 24.02.2021
2227
Zur Verfolgung der kurdischen Volksgruppe in Syrien
Leitsätze
I. Beim Kriterium der glaubhaften Verfolgung einer fremden Person in deren Herkunftsstaat ist zu prüfen, ob sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der asylwerbenden Person unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde. In diesem Zusammenhang hat die Angst vor der vorgebrachten, drohenden Verfolgung objektiv nachvollziehbar zu sein. II. Werden Personen aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer Ethnie (hier zur Ethnie der Kurden) in einem bestimmten Gebiet unter Einsatz von Gewalt und anderen nicht legalen Mitteln marginalisiert bzw aus ihren Wohnräumen vertrieben, ist davon auszugehen, dass eine glaubhafte Verfolgungsangst vorliegt. III. Wurde bereits der Status eines bzw einer subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig zuerkannt, ist grundsätzlich – sofern in der Zwischenzeit keine hinreichende Sachverhaltsänderung stattgefunden hat – davon auszugehen, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung steht.
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Entscheidungsdatum: 03.08.2020
Aufbereitet am: 23.02.2021
2226
Verfahrenswiederaufnahme auch im Falle von Dokumentationen möglich
Leitsätze
I. Eine Aufenthaltskarte nach § 54 NAG zählt iSd der VwGH-Rsp zu den Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. In diesen Fällen ergibt sich das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht nicht aus einer nationalen gesetzlichen Berechtigung, sondern kraft unmittelbar anwendbaren Unionsrechts. Diese Bescheinigung hat bloß deklaratorische Wirkung, ein das Aufenthaltsrecht konstitutiv begründender "Aufenthaltstitel" liegt mit der Aufenthaltskarte nicht vor. II. Ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt wurde, bleibt selbst bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens gemäß § 31 Abs 1 Z 2 FPG rechtmäßig aufhältig. Zumindest in jenem Umfang, in dem ein Drittstaatsangehöriger zwar über eine Aufenthaltskarte, aber kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verfügt, basiert sein rechtmäßiger Aufenthalt somit auf dem NAG. III. Der VwGH spricht einer Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts nicht jede Bescheidwirkung ab, da - systematisch begründet - der Gesetzgeber in § 3 Abs 5 NAG dem BMI die Befugnis einräumt, in Ausübung seines Aufsichtsrechts gemäß § 68 Abs 4 Z 4 AVG eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für nichtig zu erklären; eine Nichtigerklärung wäre nicht erforderlich, wenn eine "unrichtige Dokumentation" einfach unbeachtlich wäre. Es ist davon auszugehen, dass unabhängig vom Bestand eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts durch die Aufenthaltskarte ein rechtmäßiger Aufenthalt vermittelt wird, was - sofern keine Nichtigerklärung gemäß § 3 Abs 5 NAG erfolgt ist - ohne Vorliegen einer Sachverhaltsänderung einer Vorgangsweise nach § 66 Abs 1 FPG (aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen ua unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger) iVm § 55 Abs 3 NAG entgegensteht. IV. Die Ausstellung einer Aufenthaltskarte beinhaltet auch die (positive) Feststellung über das Vorliegen der Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. Die Beseitigung der Wirkungen einer solchen Dokumentation kann nur mit Bescheid erfolgen, wobei der Drittstaatsangehörige, wenn ihm etwa die Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigter entzogen wird, gegen diese Entscheidung einen Rechtsbehelf einlegen kann. Daraus folgt, dass mangels spezieller Regelungen betreffend die Aufhebung der Rechtswirkungen diesbezüglich ein Anwendungsbereich des § 69 AVG sehr wohl zu bejahen ist. Daran ändert auch die Möglichkeit für den BMI, sowohl Bescheide als auch Dokumentationen gemäß § 3 Abs 5 NAG aus den dort genannten Gründen für nichtig zu erklären, nichts. Diese Möglichkeit schließt auch im Falle von bescheidmäßig erteilten Aufenthaltstiteln nicht die Anwendung des sonstigen Verfahrensrechts (durch die Verwaltungsbehörde) aus. Es fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass § 3 Abs 5 NAG im Falle von Dokumentationen die einzige Möglichkeit des Eingriffs in die durch die Ausstellung der Dokumentation verliehene Rechtsposition sein sollte.
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Entscheidungsdatum: 09.09.2020
Aufbereitet am: 22.02.2021
2225
Unzulässigerklärung von Asylanträgen wegen bereits erfolgter subsidiärer Schutzgewährung in einem anderen EU-Mitgliedstaat
Leitsätze
I. Auf Irland ist nach wie vor die RL 2005/85/EG (VerfahrensRL) anwendbar, nicht aber die neue RL 2013/32/EU (VerfahrensRL). Art 25 Abs 2 lit a RL 2005/85/EG erlaubt seinem Wortlaut zufolge Zurückweisungen von Anträgen auf internationalen Schutz nur dann, wenn dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, nicht aber, wenn er dort nur subsidiären Schutz genießt (weiter Art 33 Abs 2 lit a RL 2013/32/EU). II. Trotz dieses Wortlauts darf Irland Asylanträge auch dann als unzulässig zurückweisen, wenn dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat "nur" subsidiärer Schutz zuerkannt wurde. Dies ergibt sich vor allem aus dem Telos der Verhinderung von Sekundärmigration und einem Größenschluss.
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Entscheidungsdatum: 10.12.2020
Aufbereitet am: 19.02.2021
2224
Frage der Prozessfähigkeit im Rückstufungsverfahren
Leitsätze
I. Rechtsfragen des Verfahrensrechts sind jedenfalls dann von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechts auf dem Spiel stehen. Dies trifft auf die Frage der prozessualen Handlungsfähigkeit der Fremden zu, zumal es dabei um die - für die Wahrung der Rechte im Verfahren betreffend Rückstufung nach § 28 Abs 1 NAG unerlässliche - Fähigkeit geht, durch eigenes Handeln oder Handeln eines selbst gewählten (gewillkürten) Vertreters rechtswirksam Verfahrenshandlungen vor- oder entgegenzunehmen. II. Das Neuerungsverbot nach § 41 VwGG gilt nur insoweit, als eine Partei im Verfahren Gelegenheit hatte, Tatsachen und Beweismittel vorzubringen. Ein Prozessunfähiger, für den erst nach Abschluss des Verfahrens - oder erst nach der (auch in Abwesenheit der Parteien wirksamen) Verkündung des Erkenntnisses - ein Sachwalter (nunmehr Erwachsenenvertreter gemäß § 271 ABGB idF BGBl I 59/2017) bestellt wurde, ist diesem Fall gleichzuhalten. Er darf daher - unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften - jedenfalls noch im Revisionsverfahren ein für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung beachtliches Vorbringen, wonach er schon vor der Bestellung des Sachwalters (Erwachsenenvertreters) prozessunfähig gewesen sei, erstatten. Dieser Umstand ist gegebenenfalls vom VwGH als Verfahrensmangel aufzugreifen, und zwar ungeachtet dessen, ob das VwG insofern ein Verschulden trifft bzw ob ihm ein sonstiger Vorwurf zu machen ist. III. Der Beschluss über die Bestellung eines Sachwalters (Erwachsenenvertreters) hat konstitutive Wirkung und führt ab seiner Erlassung - innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters (Erwachsenenvertreters) - zur fehlenden Geschäfts- und Handlungsfähigkeit der betreffenden Person. Dieselben Überlegungen gelten auch für einen mit sofortiger Wirkung gemäß § 120 AußStrG 2003 bestellten einstweiligen Sachwalter (Erwachsenenvertreter). Hingegen ist für die Zeit vor der Bestellung des Sachwalters (Erwachsenenvertreters) bei begründeten Bedenken hinsichtlich des in Betracht kommenden Zeitraums von der Behörde bzw vom VwG selbst zu prüfen, ob der Revisionswerber schon damals nicht mehr prozessfähig gewesen ist. IV. Die Frage der prozessualen Handlungsfähigkeit einer Partei ist zufolge des § 9 AVG - wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist - nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Damit wird die prozessuale Rechts- und Handlungsfähigkeit an die materiellrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit geknüpft. Hierfür ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens sowie der sich aus ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten, was neben den von ihr gesetzten aktiven Verfahrenshandlungen auch Unterlassungen erfasst. V. Die Frage des Vorliegens der prozessualen Handlungsfähigkeit ist nach § 9 AVG von der Behörde bzw vom Gericht als Vorfrage in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen aufzugreifen. Bei begründeten Bedenken in Bezug auf das Fehlen der Prozessfähigkeit der betreffenden Person ist daher die Frage von Amts wegen zu prüfen und ein entsprechendes Ermittlungsverfahren - idR durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - durchzuführen.
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Entscheidungsdatum: 15.09.2020
Aufbereitet am: 18.02.2021
2223
Fehlende Parteienmitwirkung entbindet nicht von behördlicher Entscheidungspflicht
Leitsätze
Selbst eine Mitwirkungspflichtverletzung des Antragstellers kann nicht dazu führen, dass die Behörde von ihrer Verpflichtung entbunden wird, über den Antrag des Antragstellers innerhalb der Entscheidungsfrist einen Bescheid zu erlassen. Vielmehr hat die Behörde (bzw das VwG) eine etwaig unterlassene Mitwirkung des Antragstellers zu würdigen und ihre (aufgrund einer fehlenden Mitwirkung allenfalls auch negativ ausfallende) Entscheidung innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Entscheidungsfrist zu treffen.
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Entscheidungsdatum: 17.09.2020
Aufbereitet am: 17.02.2021
2222
Mangelnder Beweiswert einer echten Urkunde mit unrichtigem Inhalt
Leitsätze
I. Bloße Zweifel an der Richtigkeit von Urkunden reichen nicht aus, um diesen den Beweiswert abzusprechen. Doch auch wenn die Echtheit einer vorgelegten Urkunde unzweifelhaft ist, so beweist dies jedoch nicht die Richtigkeit des Inhalts. II. Soweit jedoch notorisch ist, dass im Herkunftsland echte Urkunden mit beliebigem Inhalt ohne Weiteres zu bekommen sind, tritt bei einer abwägenden Beweiswürdigung der Beweiswert der vorgelegten Dokumente im Vergleich zu einem eingeholten Sachverständigengutachten in den Hintergrund.
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Entscheidungsdatum: 24.06.2020
Aufbereitet am: 16.02.2021
2221
Bloße Rückkehr in den Heimatstaat per se nicht ausreichend, um von einer dortigen Unterschutzstellung auszugehen
Leitsätze
I. Wesentliche Voraussetzung für die Annahme einer Unterschutzstellung ist das Erfordernis des Willens, die Beziehungen zum Herkunftsstaat zu normalisieren und sich wieder unter dessen Schutz zu stellen, woraus sich die Notwendigkeit einer gewissen Nachhaltigkeit der Zuwendung zum Herkunftsstaat ergibt. II. Der Umstand einer Heimreise in den Herkunftsstaat kann Indiz dafür sein, dass der Asylberechtigte keinen Schutzbedarf mehr hat und sich wieder dem Schutz des Heimatlandes unterstellt hat.
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Entscheidungsdatum: 24.06.2020
Aufbereitet am: 15.02.2021
2220
Über 21 Monate dauernde Auslieferungshaft eines in Schweden als Flüchtling anerkannten Russen in der Slowakei
Leitsätze
I. Art 5 Abs 1 lit f EMRK verlangt nicht, dass eine Auslieferungshaft als notwendig angesehen werden kann. Die Bestimmung setzt nur voraus, dass der Fremde "von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist". Die Haft ist jedoch nur solange rechtmäßig, als das Auslieferungsverfahren anhängig ist und mit der gebotenen Sorgfalt betrieben wird. II. Eine Auslieferungshaft ist unvereinbar mit Art 5 EMRK, wenn nach innerstaatlichem Recht ein Auslieferungshindernis besteht. III. Die Tatsache, dass einem Fremden in einem Mitgliedstaat der EU die Eigenschaft als Asylberechtigter zuerkannt wurde, hindert einen anderen Mitgliedstaat nicht daran, aufgrund eines Auslieferungsersuchens den Asylstatus zu überprüfen. IV. Wenn ein Auslieferungsantrag eine Person betrifft, der im ersuchenden Staat erst der Prozess gemacht werden soll, ist größere Sorgfalt geboten als bei einer Auslieferung zum Zweck des Strafvollzugs. V. Es ist nicht unvereinbar mit Art 5 Abs 1 lit f EMRK, einen Fremden in Auslieferungshaft anzuhalten, bis das Verfahren über das Bestehen möglicher Auslieferungshindernisse abgeschlossen ist. Allerdings muss dieses Verfahren mit der gebotenen Sorgfalt und Raschheit betrieben werden. Dies ist nicht der Fall, wenn die Gerichte oder Staatsanwälte monatelang untätig bleiben. Im vorliegenden Fall war die Dauer der Auslieferungshaft von einem Jahr, neun Monaten und 18 Tagen unverhältnismäßig, wobei insb längere Phasen der völligen Inaktivität zu beobachten waren.
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Entscheidungsdatum: 10.12.2020
Aufbereitet am: 12.02.2021
2219
Überwiegend schutzwürdiges Privat- und Familienleben iSd § 9 BFA-VG nach nur drei Jahren Aufenthalt
Leitsätze
I. Bereits nach drei Jahren kann die gemäß Art 8 Abs 2 EMRK iVm § 9 Abs 2 BFA-VG vorgesehene Interessenabwägung zugunsten des Fremden ausschlagen. Vor allem das Kindeswohl kann hier ausschlaggebend sein: So ist bei einem gerade erst geborenen Kleinkind, mit dem ebenso wie mit der Kindesmutter ein gemeinsamer Haushalt und damit ein aufrechtes Familienleben besteht, wobei die Betreuung des Kindes aufgeteilt ist, bei ansonsten überdurchschnittlicher Integration bereits nach drei Jahren ein überwiegendes Interesse des betroffenen Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet anzunehmen. Bei einer solchen Familienkonstellation ist eine Trennung des Kleinkinds von seinem Elter unzumutbar. II. Der für die Erfüllung der Integrationsvereinbarung erforderliche Nachweis über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung war bis zum Inkrafttreten der Novelle BGBl I 41/2019 nach § 9 Abs 4 Z 2 IntG aF durch einen dem Zertifikat des Österreichischen Integrationsfonds gleichwertigen Nachweis substituierbar. Nach der Übergangsbestimmung des § 28 Abs 5 IntG begünstigte Fremde können weiterhin mit einem solcherart gleichwertigen Nachweis die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung beweisen.
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Entscheidungsdatum: 02.09.2020
Aufbereitet am: 11.02.2021
2218
§ 4a AsylG und § 61 FPG nach Schutzgewährungen in Ungarn anwendbar; Außerlandesbringung dorthin
Leitsätze
I. Das vor allem aus Art 3 EMRK gewonnene Refoulement-Verbot steht einer Außerlandesbringung nach Ungarn (§ 61 FPG) und einer Asylzurückweisung nach § 4a AsylG (Schutzgewährung bereits in Ungarn) von nicht besonders vulnerablen Drittstaatsangehörigen grundsätzlich nicht entgegen. II. Hinsichtlich des Arbeitsmarktzugangs, des Rechts auf Sozialleistungen und der medizinischen Versorgung besteht in Ungarn eine vollumfängliche Gleichstellung mit dortigen Staatsbürgern. Die im Jahr 2016 vorgenommenen Kürzungen von Sozialleistungen dienten nur der Beseitigung einer Bevorteilung von Personen mit Schutztiteln und lassen sich zudem durch ein verstärktes Engagement von Kirchen und NGOs relativieren. III. Die COVID-19-bedingte Verschärfung der Situation am ungarischen Arbeitsmarkt vermag dieses Ergebnis nicht in Frage zu stellen, weil die gleichen Probleme auch in Österreich bestehen.
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Entscheidungsdatum: 02.10.2020
Aufbereitet am: 10.02.2021
2217
Haftungserklärung zum Nachweis der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 43a Abs 1 Z 2 NAG ungeeignet
Leitsätze
I. In § 43a Abs 1 Z 2 NAG wird nicht auf § 11 Abs 2 Z 4 bzw Abs 5 NAG betreffend ausreichende Unterhaltsmittel, deren Vorliegen sich an den Richtsätzen des § 293 ASVG orientiert, verwiesen. Diese gemäß § 11 Abs 5 NAG erforderlichen Unterhaltsmittel können einerseits - sofern dies beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt ist (§ 11 Abs 6 NAG) - durch eine Haftungserklärung substituiert werden, andererseits können für deren Nachweis beispielsweise Sparguthaben, Fondsvermögen, Einkünfte aus der Vermietung einer Immobilie udgl berücksichtigt werden. Solche Vermögenswerte sind hingegen nicht geeignet, eine überwiegende künstlerische Tätigkeit nachzuweisen. Daraus wird deutlich, dass § 11 Abs 5 und § 43a Abs 1 Z 2 NAG unterschiedliche Ziele verfolgen und das Erfordernis der Unterhaltungsdeckung iSd § 43a Abs 1 Z 2 NAG unabhängig von § 11 Abs 5 NAG zu beurteilen ist. II. Im Rahmen des § 43a Abs 1 Z 2 NAG ist zu prüfen, ob die Tätigkeit des Drittstaatsangehörigen überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist. Dieses aus künstlerischer Tätigkeit erwirtschaftete Einkommen muss grundsätzlich geeignet sein, den Unterhalt des Drittstaatsangehörigen zu decken, es ist jedoch nicht an den Richtwerten des § 293 ASVG zu messen und eröffnet einen Spielraum, um allenfalls eine ungleiche Intensität der künstlerischen Tätigkeit aus besonderen Gründen - etwa krankheitsbedingt oder infolge unverschuldeter externer Bedingungen wie beispielsweise der Situation infolge von COVID-19 - berücksichtigen zu können.
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Entscheidungsdatum: 09.09.2020
Aufbereitet am: 09.02.2021
2216
Verfassungswidrigkeit näher bezeichneter Wortfolgen des VVG betreffend die Beugehaft
Leitsätze
Die Wortfolge "oder durch Haft" in § 5 Abs 1 VVG sowie die Zeichen- und Wortfolge ", an Haft die Dauer von vier Wochen" in § 5 Abs 3 VVG sowie – wegen untrennbaren Zusammenhanges – § 6 Abs 2 VVG sind wegen Verstoßes gegen Art 1 und 6 PersFrSchG iVm Art 18 Abs 1 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben.
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Entscheidungsdatum: 07.10.2020
Aufbereitet am: 08.02.2021
2215
Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbots trotz strafgerichtlicher Verurteilung bei positiver Zukunftsprognose
Leitsätze
I. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen einen EU-Bürger, der sich schon langjährig kontinuierlich im Inland aufhält, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den weiteren Verbleib nachhaltig und maßgeblich gefährdet wäre. II. Bei der Erstellung der Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden einzubeziehen. Dabei ist nicht nur auf die bloße Tatsache der Verurteilung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das Persönlichkeitsbild des Betroffenen abzustellen.
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Entscheidungsdatum: 24.06.2020
Aufbereitet am: 05.02.2021