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Unzureichende Aufnahmebedingungen für schwangere Frau im Aufnahmezentrum Samos
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Angesichts des absoluten Charakters von Art 3 EMRK kann ein Staat durch eine Situation des erhöhten Zustroms von Migranten und Asylwerberinnen und den damit verbundenen Schwierigkeiten nicht von seinen aus dieser Bestimmung resultierenden Verpflichtungen befreit werden. II. Die Anwendung von Art 3 EMRK setzt voraus, dass eine Misshandlung ein gewisses Mindestmaß an Schwere erreicht. Diese Schwelle hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung, ihren physischen und psychischen Wirkungen und in manchen Fällen vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers. III. Im Fall einer fortgeschrittenen Schwangerschaft besteht ein Bedarf nach besonderer Pflege. IV. Im Sommer und Herbst 2019 herrschten nach übereinstimmenden Berichten der Menschenrechtskommissarin, des UNHCR, der griechischen Menschenrechtskommission sowie zahlreicher NGOs Lebensbedingungen, die nicht den von Art 3 EMRK geforderten Mindeststandards entsprachen.
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Zum vorübergehenden Aufenthaltsrecht für Familienangehörige von ukrainischen Staatsbürgern
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Der von dem Ehepartner/der Ehepartnerin abgeleitete Vertriebenenstatus iSd VertriebenenVO kann einer Person nur zuerkannt werden, wenn sich der Ehepartner bzw die Ehepartnerin ebenfalls in Österreich aufhält. Damit sollen die Ziele des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/38 – Wahrung des Familienverbands und Vermeidung unterschiedlicher Rechtsstellung von Familienmitgliedern – erreicht werden. II. Familienangehörigen kommt gemäß § 1 Z 3 iVm § 2 VertriebenenVO nach ihrer Einreise in Österreich ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu. Dem Ehepartner bzw der Ehepartnerin von ukrainischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in der Ukraine ist dieses vorübergehende Aufenthaltsrecht zu gewähren, wenn der/die ukrainische Staatsangehörige aufgrund des bewaffneten Konfliktes ab dem 24.2.2022 aus der Ukraine vertrieben worden ist.
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Anhaltung von Migranten im Hotspot Lampedusa unter unmenschlichen Bedingungen und ohne Grundlage im italienischen Recht
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Die Schwierigkeiten, die sich vor allem für die Staaten an den Außengrenzen der EU aus dem erhöhten Zustrom von Migrant*innen und Asylwerber*innen ergeben, können die Mitgliedstaaten des Europarats angesichts des absoluten Charakters von Art 3 EMRK nicht von ihren aus dieser Bestimmung erwachsenden Verpflichtungen befreien. II. Aufgrund der materiellen Bedingungen, die 2017 im "Hotspot" von Lampedusa herrschten und unter anderem vom CPT dokumentiert wurden, stellte die zehntägige Anhaltung der Beschwerdeführer in diesem Anhaltezentrum eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar. III. Die zweite Alternative in Art 5 Abs 1 lit f EMRK (Anhaltung einer Person, "gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist") verlangt nicht zusätzlich, dass die Freiheitsentziehung als notwendig erachtet werden kann. IV. Die erste Alternative in Art 5 Abs 1 lit f EMRK ("rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Verhinderung der unerlaubten Einreise"), die eine Anhaltung von Asylwerber*innen und anderen Migrant*innen erlaubt, bevor ihnen der Staat die Einreise gewährt, impliziert, dass das von Art 5 EMRK stets geforderte "Fehlen von Willkür" bedeutet, dass eine solche Anhaltung in gutem Glauben erfolgen muss, eng mit dem Zweck der Verhinderung der unerlaubten Einreise dieser Person verbunden zu sein hat und Ort und Bedingungen der Freiheitsentziehung angemessen sein müssen. V. Wenn die Einreise verweigert wurde, kann jede Freiheitsentziehung nach der zweiten Alternative von Art 5 Abs 1 lit f EMRK nur solange gerechtfertigt sein, wie das Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist. Wenn ein solches Verfahren nicht mit der gebotenen Sorgfalt betrieben wird, ist die Freiheitsentziehung nicht länger nach Art 5 Abs 1 lit f EMRK rechtmäßig. VI. Angesichts des im Hinblick auf 2017 festzustellenden Fehlens einer klaren und zugänglichen Rechtsgrundlage im italienischen Recht für die Anhaltung von Migrant*innen, denen die Einreise verweigert wurde, in "Hotspots", war diese nicht mit Art 5 EMRK vereinbar. VII. Unter einer Kollektivausweisung iSv Art 4 4. ZPEMRK ist jede Maßnahme zu verstehen, die Fremde als Gruppe zum Verlassen des Landes zwingt, ohne dass diese Maßnahme nach einer "vernünftigen und sachlichen Prüfung des spezifischen Falls jedes einzelnen Mitglieds der Gruppe" getroffen wird. Die Abschiebung einer Gruppe von Tunesiern nach Aushändigung einer standardisierten Entscheidung und ohne vorheriger Befragung stellte eine gegen Art 4 4. ZPEMRK verstoßende Kollektivausweisung dar.
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Kein Dispens des nationalen Gesetzgebers von den Überstellungsfristen im Dublin-System
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Die RL 2004/81/EG (MenschenhandelsopferRL), insb deren Art 6 bis 8, steht der Durchführung von Dublinüberstellungs-Entscheidungen nicht entgegen. II. Da die RL 2004/81/EG (MenschenhandelsopferRL) in ihrem Art 4 ein Günstigkeitsprinzip statuiert, steht sie einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach die Erhebung von Rechtsbehelfen gegen die Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels an behauptete Opfer von Menschenhandel zu einer Aussetzung der Durchführung von Dublin-Überstellungsentscheidungen führt, mag die RL dies auch nicht gebieten. III. Art 29 Abs 1 Dublin III-VO benennt zwei mögliche Zeitpunkte, die die sechsmonatige Überstellungsfrist zum Laufen bringen (Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch den für zuständig befundenen Mitgliedstaat oder endgültige Entscheidung über einen Rechtsbehelf). Der zweitgenannte Zeitpunkt kommt nur dann zum Tragen, wenn der Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung aufschiebende Wirkung nach Maßgabe von Art 27 Abs 3 oder 4 Dublin III-VO hatte. IV. Wenn hingegen der mitgliedstaatliche Gesetzgeber die Durchführung der Überstellungsentscheidung nicht auf Grundlage des Art 27 Abs 3 oder 4 Dublin III-VO – wenn auch in unionsrechtlich zulässiger Weise (siehe zB oben II.) – aussetzt, so bleibt es dabei, dass die Überstellungsfrist schon mit der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch den ersuchten Mitgliedstaat zu laufen beginnt.
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Hemmung der Dublin-Überstellungsfrist bis zum Abschluss des Verfahrens über eine Amtsrevision auf Antrag der revisionswerbenden Behörde und Unionsrecht
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Das Unionsrecht und so auch Art 27 Dublin III-VO iVm Art 18 und 47 GRC gebieten keine zweigliedrigen Rechtszüge gegen asylrechtliche Entscheidungen, auch nicht solche nach der Dublin III-VO (604/2013). II. Folglich beschränkt sich auch der Gehalt des Art 27 Abs 3 und 4 Dublin III-VO über einstweiligen Rechtsschutz auf den Rechtsbehelf gegen die erstbehördliche Entscheidung. III. Aus Art 29 Abs 1 Dublin III-VO folgt, dass das nationale Recht, wenn es schon eine dritte Instanz vorsieht, ermöglichen kann, per einstweiliger Anordnung auf Antrag der erstinstanzlichen Asylbehörde, die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz vorgehen will (in Österreich: Amtsrevision), die Dublinüberstellungsfrist auszusetzen bzw zu erlauben, dass bis zum Abschluss dieses Rechtsbehelfsverfahrens keine neue Entscheidung getroffen wird. IV. Auf Grund des Grundsatzes der Waffengleichheit besteht die in Punkt III genannte Möglichkeit des nationalen Normsetzers nur in jenen Fällen, in denen schon der Rechtsbehelf des Antragstellers gegen die Entscheidung der ersten Instanz aufschiebende Wirkung nach Art 27 Abs 3 oder 4 Dublin III-VO hatte.
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