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Abermals zur "verfrühten" Ausreise aus der Ukraine Anfang 2022
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Ausschlaggebend für die Eigenschaft als Aufenthaltsberechtigter ist ein am 24.2.2022 (Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine) noch bestehender Wohnsitz in der Ukraine (§ 1 Z 1 Vertriebenen-VO). Ein "nicht lange" zuvor erfolgtes Verlassen des Landes, etwa zu Urlaubszwecken, wobei auf Grund des Kriegsausbruchs nicht mehr zurückgekehrt wurde, ist daher für die Vertriebeneneigenschaft (Ipso-facto-Aufenthaltsberechtigung) unerheblich. II. Überlegungen, ob auch ein Schutz in einem anderen Staat offen gestanden wäre, sind bei ukrainischen Staatsangehörigen, die unter die Vertriebenen-VO fallen, nicht anzustellen. III. Da das Ipso-facto-Aufenthaltsrecht der Ukrainer kraft Vertriebenen-VO besteht, ist auf ein verfehltes bescheidmäßiges Absprechen dieses Rechts mit ersatzloser Behebung des Bescheids zu reagieren.
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Klaglosstellung des Amtsrevisionswerbers infolge Gegenstandslosigkeit der angefochtenen Verfahrensaussetzung
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Nach stRsp des VwGH ist bei einer Revision gemäß Art 133 Abs 1 Z 1 B-VG unter einer "Klaglosstellung" nach § 33 Abs 1 VwGG nicht nur eine solche zu verstehen, die durch eine formelle Aufhebung des beim VwGH angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses eingetreten ist. Vielmehr liegt ein Einstellungsfall (wegen Gegenstandslosigkeit) insb auch dann vor, wenn der Revisionswerber kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung hat und somit materiell klaglos gestellt wurde. Diese Judikatur gilt auch für Fälle einer Amtsrevision. II. Durch die Aussetzung des Verfahrens wird bis zur Entscheidung, deren Ausgang abgewartet werden soll, die Entscheidungspflicht der Behörde bzw des Gerichts suspendiert. Eine solche Aussetzungsentscheidung verliert ihre Rechtswirksamkeit jedenfalls mit dem Eintritt des Zeitpunkts, bis zu dem die Aussetzung verfügt worden ist. Nach Wegfall der Aussetzungswirkungen ist das Verfahren von der Behörde daher fortzusetzen. III. Kommt dem angefochtenen Aussetzungsbeschluss keine Rechtswirkung mehr zu, weil der Aussetzungsgrund weggefallen ist, hätte eine diesbezügliche Entscheidung bloß theoretische Bedeutung. Ein rechtliches Interesse des Revisionswerbers an einer meritorischen Erledigung ist nicht mehr gegeben.
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Zur Aufenthaltstitelerteilung iSd § 27 Abs 1 NAG bei geschiedener (Aufenthalts-)Ehe
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Wenn der - zuletzt über einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs 1 Z 2 NAG verfügende - Revisionswerber im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des LVwG die Voraussetzungen für den "Familiennachzug" nicht mehr erfüllt, weil seine dem Aufenthaltstitel zugrunde liegende Ehe zuvor geschieden worden ist, er folglich die Eigenschaft als Familienangehöriger iSd § 2 Abs 1 Z 9 NAG nicht mehr aufweist und daher die diesbezügliche besondere Erteilungsvoraussetzung nicht erfüllt, steht ihm gemäß § 27 Abs 1 NAG jedoch auch in einem solchen Fall ein verselbstständigtes Aufenthaltsrecht zu, sofern kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs 1 NAG vorliegt und die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs 2 NAG erfüllt sind. II. Der Versagungsgrund des § 11 Abs 1 Z 4 NAG kann - schon nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung - nur während des aufrechten Bestehens einer Aufenthaltsehe herangezogen werden. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der Entscheidung des LVwG an. Liegt in diesem Zeitpunkt keine Aufenthaltsehe (mehr) vor - etwa weil die Ehe inzwischen geschieden wurde - so ist der Versagungsgrund des § 11 Abs 1 Z 4 NAG nicht mehr heranzuziehen. III. Nach stRsp des VwGH ist unter dem im Verwaltungsverfahren zu beachtenden "Überraschungsverbot" zu verstehen, dass die Behörde in ihre rechtliche Würdigung keine Sachverhaltselemente einbeziehen darf, die der Partei nicht bekannt waren. Der VwGH hat dazu bereits klargestellt, dass die zum "Überraschungsverbot" entwickelten Grundsätze auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren maßgeblich sind, weil in diesem auf dem Boden des § 17 VwGVG sowohl das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs 2 AVG als auch der Grundsatz der Einräumung von Parteiengehör iSd § 45 Abs 3 AVG zu beachten sind.
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Abweisung von Säumnisbeschwerden wegen fehlenden Verschuldens der Behörde
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Sind Verzögerungen bei der Entscheidung über Anträge nicht durch die Behörde verschuldet, so sind allfällig erhobene Säumnisbeschwerden grds abzuweisen. Liegt eine außergewöhnliche Belastungssituation, zB angesichts einer massiven Steigerung der Anträge auf internationalen Schutz und eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts für Vertriebene (Krieg in der Ukraine), vor und hat die Behörde bereits Maßnahmen gesetzt, um einer derartigen Situation zeitnah zu begegnen, so ist der Behörde kein überwiegendes Verschulden anzulasten. II. Bei Maßnahmen, die einen plötzlich auftretenden massiven Mehraufwand eindämmen sollen, ist zu beachten, dass neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst nach einer gewissen Einarbeitungsphase und dem Absolvieren von Schulungen selbstständig im Verfahren eingesetzt werden können, weshalb Personalaufstockungen erst zu einem späteren Zeitpunkt Auswirkungen zeigen. III. Eine Säumnisbeschwerde ist abzuweisen, wenn einer meritorischen Entscheidung ein schuldhaftes Verhalten der Partei oder ein unüberwindbares Hindernis entgegensteht. Ein komplexer Sachverhalt oder eine generelle Überlastung der Behörde ist nicht geeignet, ein unüberwindbares Hindernis darzustellen. Liegen spezifische Ausnahmesituationen vor, wie etwa ein plötzlicher massenhafter Neuanfall von Anträgen, so kann dies sehr wohl ein (kurzfristig) unüberwindbares Hindernis darstellen.
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Verhängung eines Aufenthaltsverbots gegen einen vermindert schuldfähigen psychisch kranken Rechtsbrecher, der im Herkunftsstaat nicht behandelt würde
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Die Mitgliedstaaten sind befugt, auch seit vielen Jahren niedergelassene Fremde auszuweisen, doch müssen gewichtige Gründe für die Aufenthaltsbeendigung sprechen. Diese können sich unter anderen aus einer Straffälligkeit ergeben. Vor einer solchen Entscheidung müssen sie jedoch eine Abwägung der Interessen des Fremden an der Fortsetzung seines Privat- bzw Familienlebens im Aufenthaltsstaat und dem öffentlichen Interesse an der Beendigung seines Aufenthalts vornehmen. Der EGMR wird diese Abwägung akzeptieren, wenn sie auf seinen in stRsp entwickelten Kriterien (insb Üner gegen die Niederlande, Maslov gegen Österreich, Savran gegen Dänemark) beruht und keine gewichtigen Gründe dafür vorliegen, diese Abwägung durch eine vom EGMR selbst vorgenommene zu ersetzen. II. Bei der von Art 8 EMRK gebotenen Interessenabwägung vor der Ausweisung eines niedergelassenen Fremden sind auch medizinische Aspekte zu berücksichtigen, wie insb die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit der notwendigen Behandlung im Herkunftsstaat. III. Im Fall der Ausweisung eines straffällig gewordenen Fremden, dessen Schuldfähigkeit aufgrund einer psychischen Erkrankung herabgesetzt ist, müssen sowohl die Schwere der begangenen Straftaten als auch die verminderte Schuldfähigkeit berücksichtigt werden. Diese kann das Gewicht der Straftaten bei der Interessenabwägung mindern. IV. Wiederholte Verurteilungen wegen Vermögens- und Gewaltdelikten und eine Verurteilung wegen Vergewaltigung stellen sehr schwerwiegende Gründe dar, die eine Ausweisung eines seit Kindheit rechtmäßig aufhältigen Fremden rechtfertigen können. V. Die Ausweisung ist in einem solchen Fall jedoch nicht mit Art 8 EMRK vereinbar, wenn die innerstaatlichen Gerichte bzw Behörden den psychischen Zustand des Betroffenen nicht ausreichend berücksichtigt haben, aufgrund dessen die Schuldfähigkeit vermindert war und eine fortgesetzte Behandlung geboten ist.
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