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Änderung der maßgeblichen Sachlage aufgrund der Eheschließung mit einem Österreicher
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Ist die fremde Person mit einem österreichischen Staatsbürger, der sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in einem Staat, der Vertragspartei des EWR-Abkommens ist, ausübt, verheiratet und zieht sie ihm dorthin nach, so ist sie als begünstigte Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG zu qualifizieren. II. Hat ein österreichischer Staatsangehöriger von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht, so genießen dessen Angehörige gemäß § 54 und § 57 NAG ein Aufenthaltsrecht in Österreich. Hat der Österreicher hingegen keinen Freizügigkeitssachverhalt verwirklicht, erhält sein drittstaatszugehöriger Familienangehöriger folglich einen Aufenthaltstitel unter den (allgemeinen) Voraussetzungen des § 47 Abs 2 NAG. III. Bei einem begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG kommt weder die amtswegige Prüfung der Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 55 und § 57 AsylG noch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in Betracht.
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Asyl wegen patriarchalischer Zustände im Herkunftsstaat
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Dass ein verwaltungsgerichtliches Erkenntnis im Bescheidbeschwerdeverfahren von einem der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts kassiert worden war, macht das im zweiten Rechtsgang erkennende, selbe richterliche Organ nicht befangen iSd § 14 VwGVG iVm § 7 AVG, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten. II. Antragsteller*innen, die in ihrem Herkunftsstaat den Wertvorstellungen der Familie durch Eheschließung ohne deren Einverständnis zuwidergehandelt haben und die deshalb Ziel privater asylrelevanter Verfolgungshandlungen sind, können sich auf den Asylgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe berufen. III. In der Türkei fehlt gegen asylrelevante Verfolgungshandlungen Privater aus Gründen der Familienehre ein effektiver staatlicher Schutz. IV. Trotzdem man vor asylrelevanten Verfolgungshandlungen Privater aus Gründen der Familienehre in anderen Provinzen der Türkei als der Herkunftsprovinz grs sicher ist, ist damit nicht stets eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 AsylG verbunden. Scheitern kann deren Vorliegen insb an fehlenden sozialen und wirtschaftlichen Anknüpfungspunkten, der Eigenschaft als geschiedene Alleinerzieherin, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit sowie der allgemein schwierigen wirtschaftlichen Lage.
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Nigerianische Opfer von Menschenhandel als Mitglieder einer sozialen Gruppe
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Damit der Verfolgungsgrund "Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe" (Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK) erfüllt ist, müssen die Mitglieder einer Gruppe zum einen ein gemeinsames identitätsstiftendes Merkmal oder einen gemeinsamen nicht (zumutbar) veränderlichen Hintergrund haben. Zum zweiten müssen sie hiedurch eine von der Mehrheitsgesellschaft im Herkunftsstaat deutlich abgegrenzte Identität erlangen. II. Bei Opfern von Menschenhandel aus Nigeria ist – ungeachtet der Umstände des Einzelfalles – davon auszugehen, dass diese beide Merkmale des Begriffs einer "sozialen Gruppe" erfüllen (I.). III. Der VwGH war in seinem Beschluss vom 14.8.2020, Ro 2020/14/0002, anders als der VfGH in dessen Erkenntnis vom 1.7.2022, E 309/2022, davon ausgegangen, dass nigerianische Frauen, die Opfer von Menschenhandel sind, in Nigeria nicht automatisch eine abgegrenzte Identität hätten, vielmehr komme es auf den Einzelfall an. Da der VfGH dies in seinem zitierten Erkenntnis anders gesehen hat und das BVwG Letzterem gefolgt ist, ist die Revision an den VwGH zulässig (Art 133 Abs 4 B-VG).
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Erhöhtes privates Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet wegen eines minderjährigen Kindes und der Hilfsbedürftigkeit eines kranken Elternteils
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Eine "gravierende Straffälligkeit" iSd nicht mehr in Geltung stehenden, aber immer noch zu berücksichtigenden § 9 Abs 4 BFA-VG ergibt sich nicht nur aus der Begehung von qualitativ "schweren" Straftaten. Vielmehr kann dieses Erfordernis auch durch eine hohe Quantität an Verurteilungen – insb wegen Delikten gegen dasselbe Rechtsgut – erfüllt sein. II. Bei einer Interessenabwägung betreffend den Verbleib im Bundesgebiet hat etwa Beachtung zu finden, dass die fremde Person für ein minderjähriges Kind unterhaltspflichtig ist oder diese bspw für die Unterstützung eines kranken Elternteils sorgt.
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Zum Heimreisezertifikat-Verfahren und diesbezüglichen Mitwirkungspflichten der fremden Person
LEITSATZ DES GERICHTS: I. Für die zur Ausreise verpflichtete Person bestehen keine parallelen Mitwirkungspflichten nach § 46 Abs 2 FPG und nach § 46 Abs 2a FPG. Wurde bereits ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates nach § 46 Abs 2a FPG geführt, so hat das BFA daher bereits von seiner Ermächtigung Gebrauch gemacht und darf der fremden Person während dieses Verfahrens keinen Auftrag zur Beschaffung eines Reisedokuments aus Eigenem erteilen. II. Werden vom BFA völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt und darüber hinaus entscheidungswesentliche Umstände gar nicht bzw nur rudimentär ermittelt, so erweist sich das Verfahren als grob mangelhaft. Sind aus dem vorgelegten Akt aufgrund der ungeeigneten Ermittlungsschritte etwa weder der Stand des Heimreisezertifikat-Verfahrens zu entnehmen noch an die fremde Person gerichtete Aufforderungen betreffend eine Mitwirkung oder die Beschaffung eines Reisedokuments aus Eigenem, so hat eine Zurückverweisung und folglich eine neuerliche Entscheidung durch das BFA zu erfolgen.
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