Aktueller Leitsatz der Redaktion
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Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Straffälligkeit (Art 14 Abs 4 lit b RL 2011/95/EU) nicht einzig aufgrund der Verurteilung
Leitsätze
I. Art 14 Abs 4 lit b RL 2011/95/EU verlangt für die Aberkennung des Flüchtlingsstatus zweierlei: Zum einen das Vorliegen einer Verurteilung wegen einer "besonders schweren Straftat" (zum Begriff siehe eigens EuGH 6.7.2023, C-402/22 [M.A.] ECLI:EU:C:2023:543), zum anderen, dass der betreffende Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die Allgemeinheit des Mitgliedstaats seines Aufenthalts darstellt. Aus dem Vorliegen der Verurteilung darf nicht schon auf die Erfüllung des zweiten Kriteriums geschlossen werden, stattdessen sind diesbezüglich eigene behördliche Feststellungen zu treffen. II. Die "Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats" iSd Art 14 Abs 4 lit b RL 2011/95/EU liegt dann vor, wenn das Verhalten des Drittstaatsangehörigen eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Allgemeinheit des Mitgliedstaats des Aufenthalts darstellt, mag dies auch nicht so explizit wie in Art 27 Abs 2 UAbs 2 RL 2004/38/EG zum Ausdruck kommen. III. Durch die Verurteilung wegen einer "besonders schweren Straftat" tritt keine Beweislastumkehr dahingehend ein, dass nunmehr der Drittstaatsangehörige mit Flüchtlingseigenschaft beweisen müsste, dass von ihm keine Gefahr iSd Art 14 Abs 4 lit b RL 2011/95/EU ausgeht. IV. Die Mitgliedstaaten werden durch Art 14 Abs 4 lit b RL 2011/95/EU zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft lediglich ermächtigt, nicht aber verpflichtet. V. Bei Aberkennungsentscheidungen iSd Art 14 Abs 4 lit b RL 2011/95/EU ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, mithin die Möglichkeit von Maßnahmen zu prüfen, die die Flüchtlings- und Grundrechte weniger beeinträchtigen.
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Aufbereitet am: 01.12.2023

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