Judikaturbesprechung
Abschiebung einer Frau nach Guinea vor dem Hintergrund drohender Genitalverstümmelung
Im vorliegenden Urteil beschäftigt sich der EGMR mit der Frage, welche objektiven und subjektiven Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit
eine drohende (neuerliche) Beschneidung einer Frau (FGM) als Abschiebungshindernis bzw als Fluchtgrund für die Gewährung von Asyl anerkannt werden soll. Da die subjektive Bedrohungslage eine Einschätzung der Glaubwürdigkeit der Antragstellerin / Beschwerdeführerin
voraussetzt, welche in unmittelbarer Anschauung besser getroffen werden könne, prüfte der Gerichtshof lediglich, ob die Begründung für die Ablehnung
der drei Asylanträge plausibel war. In diesem Fall erschienen ihm die Zweifel der nationalen Instanzen an der konkreten Bedrohung nachvollziehbar; weiters sei es vertretbar gewesen, von einer ex-nunc-Prüfung des dritten Asylantrags Abstand zu nehmen. Ein Vergleich mit der Entscheidungspraxis des VfGH zeigt, dass das österreichische Höchstgericht häufig eine unzureichende Ermittlungstätigkeit monierte, wobei in diesen
Fällen freilich auch krassere Begründungsmängel vorlagen. Aufgrund ihrer rituellen Verankerung in den Herkunftsstaaten weist FGM eine spezielle Verfolgungs- und Schutzbedürfnisstruktur auf, die bei der Beurteilung der konkreten Bedrohungslage zu berücksichtigen ist.
Autor/in: Astrid Graf-Wintersberger
| Veröffentlicht am: 30.11.2016