Judikaturbesprechung
EGMR verbessert Schutz vor Refoulement bei Krankheit und mangelnden medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Herkuftsstaat
Nach der Judikatur des EGMR steht Art 3 EMRK
der Abschiebung eines kranken Schutzsuchenden in einen
Herkunftsstaat mit mangelnden medizinischen
Behandlungsmöglichkeiten entgegen, wenn » sehr außergewöhnliche
« Umstände vorliegen. Letztere sind für
den EGMR in Abgrenzung zu seiner Vorjudikatur nunmehr
nicht mehr nur dann gegeben, wenn der kranke
Schutzsuchende – wie im Fall D. – im Sterben liegt. Sie
liegen vielmehr auch dann vor, wenn im Herkunftsstaat
die reale Gefahr einer schweren, raschen und irreversiblen
Gesundheitsverschlechterung droht, die mit intensivem
Leiden oder mit einer signifikanten Verkürzung
der Lebenserwartung verbunden wäre. Im Zentrum der
nunmehr modifizierten, am Effektivitätsgrundsatz angelehnten
Risikoprüfung steht die Frage, ob der kranke
Schutzsuchende unter Berücksichtigung seiner individuellen
Situation qualitativ und quantitativ ausreichende
Behandlungsmöglichkeiten auch tatsächlich in
Anspruch nehmen können wird. Ist beispielsweise die
erforderliche Behandlung im Herkunftsstaat kostenpflichtig,
muss geprüft werden, ob der kranke Schutzsuchende
aufgrund seiner finanziellen Situation die
Kosten für die Behandlung aufbringen können wird. Bestehen
nach Untersuchung aller relevanten Informationen
ernsthafte Zweifel hinsichtlich der Auswirkung der
Abschiebung auf die betroffene Person, muss der abschiebende
Staat vom Herkunftsstaat individuelle und
ausreichende Zusicherungen einholen, dass dort angemessene
Behandlungsmöglichkeiten verfügbar und für
den Betroffenen auch zugänglich sein werden.
Autor/in: Arnaud Berthou
| Veröffentlicht am: 01.06.2017