Aufsatz
Die gendersensible Fluchtgrundauslegung bei häuslicher Gewalt
Die UNHCR-Richtlinien zur geschlechtsspezifischen Verfolgung weisen auf drei Dimensionen des sozialen Geschlechts hin. In der österreichischen asylrechtlichen Judikatur werden bei der Fluchtgrundkonkretisierung nur zwei dieser Dimensionen berücksichtigt: soziale Beziehungen aufgrund unterschiedlicher Geschlechtsidentitäten und aufgrund von unterschiedlichen
Verpflichtungen. Die dritte, nämlich die geschlechtsspezifische Rechts(schutz)position, wird bei privater Verfolgung von der Fluchtgrundauslegung weg in die Überprüfung des ausreichenden staatlichen Schutzes verschoben. Zudem wird eine mögliche Anknüpfung des Fluchtgrundes an eine diesbezügliche staatliche Diskriminierung nicht immer überprüft. Wie eine gendersensible Fluchtgrundkonkretisierung aussehen könnte, lässt sich in Anlehnung
an die Staatenpraxis und die Schutzpflichtenjudikatur des EGMR entwickeln. Die vom EGMR angezogenen Faktoren für die Feststellung einer diskriminierenden Schutzpflichtenverletzung entsprechen jenen Kriterien, die von der Staatenpraxis für die Auslegung des Fluchtgrundes "soziale Gruppe" verwendet werden. Zudem lädt die jüngste VwGH-Judikatur dazu ein, sich die Positionen des heimischen Gesetzgebers zur häuslichen Gewalt zu vergegenwärtigen.
Autor/in: Anna Wildt